Artikel von Ruth Renée Reif
Ruth Renée Reif im Gespräch mit Peter Schäfer
»Die Erhöhung des Jesus von Nazareth als des Erstgeborenen vor aller Schöpfung, des menschgewordenen Gottes, des Sohnes Gottes, des Menschensohns, des Messias« – alle diese christlichen Vorstellungen einer göttlichen Zweisamkeit wurzeln im frühen Judentum, das ebenfalls viele Namen für einen zweiten Gott im Himmel hatte. Der Judaismus-Forscher Peter Schäfer stellt das Bild von einem jüdischen Monotheismus angesichts neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse infrage. In seinem Buch ›Zwei Götter im Himmel. Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike‹ (C. H. Beck, München 2017) beschreibt er, wie sich das rabbinische Judentum, das sich nach der Zerstörung des Zweiten Tempels 70 nach unserer Zeitrechnung unter Federführung der Rabbinen herausbildete, angesichts des entstehenden Christentums wieder auf seine frühen Vorstellungen zweier Götter besann. Die Vorstellung eines zweiten Gottes im Himmel wurde von Rabbinen und jüdischen Mystikern über die Jahrhunderte weiterentwickelt.
Ruth Renée Reif im Gespräch mit Jenny Erpenbeck »
»Über das sprechen, was Zeit eigentlich ist, kann er wahrscheinlich am besten mit denen, die aus ihr herausgefallen sind« denkt der emeritierte Altphilologe in Jenny Erpenbecks neuem Roman Gehen, ging, gegangen (Albrecht Knaus Verlag, München 2015). Zwei Welten treffen darin aufeinander: Europa, die alte Welt, und Afrika, vertreten von mittellosen jungen Männern. Vor dem Roten Rathaus in Berlin begegnen sie einander zum ersten Mal. Der Professor sieht eine Demonstration von zehn schwarzhäutigen jungen Männern. Sie sagen nicht, wer sie sind. »Sie sind einfach da.« Sie wollen bleiben, und sie wollen Arbeit. Das Bild geht dem Professor nicht mehr aus dem Sinn. Abends imFernsehen erfährt er, dass es sich um Flüchtlinge handelt, die in einen Hungerstreik getreten sind. Er beschließt, die Männer zu befragen, nach ihrer Herkunft, ihrer Kindheit, ihren Vorstellungen und ihren Wünschen. Tag für Tag sucht er sie in ihren Unterkünften auf. Er wird Zeuge ihrer unwürdigen Unterbringung, ihres Hin- und Hergeschoben-Werdens und der Perspektivlosigkeit ihres Daseins. Und überdeutlich wird ihm bewusst, »dass er zu den wenigen Menschen auf dieser Welt gehört, die sich die Wirklichkeit, in der sie mitspielen wollen, aussuchen können«.
Ruth Renée Reif im Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler
Am 28. Juni 1914 wurde in Sarajevo der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand ermordet. Einen Monat später begann der Erste Weltkrieg. 40 Staaten waren an ihm beteiligt und 17 Millionen Menschen fielen ihm zum Opfer. Für George F. Kennan war er die »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«. Herfried Münkler sieht in ihm auch »das Laboratorium, in dem fast alles entwickelt worden ist, was in den Konflikten der folgenden Jahrzehnte eine Rolle spielen sollte«. In seiner umfassenden Darstellung Der große Krieg. Die Welt 1914-1918 (Rowohlt Verlag, Berlin 2013) schildert er eindrucksvoll, wie ein regionaler Konflikt in einer Folge von Zufällen und Fehlentscheidungen zum weltweiten Krieg eskalierte. Er zeigt, wie dieser Krieg Revolutionen auslöste, das Ende der Imperien besiegelte und die Machtverhältnisse der Welt veränderte. Vor allem aber warnt er, dass die Konstellationen, die in diesen Krieg geführt hätten, keineswegs überwunden seien.
Ruth Renée Reif im Gespräch mit Alexander Kluge
»Nachträglich hätte ein unbefangener Beobachter die traumartige Verwicklung neu aufrollen und unter Zustimmung aller Beteiligten ein glücklicheres Ende herbeiführen können.« Auf der Suche nach dem glücklicheren Ende versammelt Alexander Kluge Schwärme von Geschichten, Beobachtungen, Erkenntnissen und Kuriositäten. Er hält Erinnerungen fest und durchmisst die Erdgeschichte ebenso wie die Geschichte seiner Familie. Ein einziger Moment kann die Wendung herbeiführen und den Schalter der Geschichte umlegen. Den zentralen Bezugspunkt bildet Kong, der riesige Gorilla auf dem Hochhaus, der die weiße Frau in seiner Hand hält und vor den angreifenden Flugzeugen beschützt. ›Kongs große Stunde. Chronik des Zusammenhangs‹ (Suhrkamp, Berlin 2015) ist ein faszinierendes Palimpsest, das vielfältige – überraschende und verstörende – Zusammenhänge offenbart.