Zu Thomas Bernhard: ›Minetti‹ am Residenztheater in München
Jemand hat mich gefragt, wann ich zum letzten Mal eine Theateraufführung gesehen habe, die mich getroffen, berührt, mitgenommen, um nicht zu sagen erschüttert hat. Nichts anderes bedeutet im Theater: Güte. Es muss lange her sein, ich kann mich nicht erinnern. Der Zuschauer hat ja nichts als seine Augen und Ohren, durch die er an der Handlung teilnimmt. Gutes Theater bedeutet also, dass mithilfe dieser Sinne ein Prozess in Gang gesetzt wird, der mich verändert. Ich werde körperlich buchstäblich ergriffen. Das, was von der Bühne herkommt, sagen wir ruhig: (an)wehender Geist, durchdringt mich anders als die gewöhnliche sinnliche Wahrnehmung. Denn das, was mich da anweht, ist ja äußerlich gesehen, gar nicht da – es stammt als Gewebe eingebildeter Außenwelt aus dem Innern eines anderen Menschen. So erscheint die Welt, als wäre sie Idee und damit wird sie mir zur Landschaft der Freiheit. Hier spielt mein Wille die Hauptrolle, denn das Ich ist der Souverän des Ideellen.
An der Schwelle des 100. Todesjahres von Franz Kafka (1883–1924)
Der Jahrhundertdichter Franz Kafka, dessen 100. Todestag im kommenden Jahr wieder zu einer breiteren Vergegenwärtigung des Vergangenen führen wird, hat eine deutliche Spur im kollektiven Bewusstsein des 20. Jahrhunderts hinterlassen, die sich zu dem weltweit in den allgemeinen Wortschatz eingegangenen Adjektiv »kafkaesk« verdichtet hat. Max Brod, sein engster Freund und der erste Herausgeber seines Nachlasses, war über den »Kafka-Boom« der 50er-Jahre entsetzt und sprach von der ›Ermordung einer Puppe namens Franz Kafka‹. Dora Diamant, die in seiner letzten Lebenszeit an Kafkas Seite war und ihm in Berlin beim Verbrennen von Manuskripten half, wehrte sich dagegen, dass man aus dem geliebten Menschen nach seinem Tod Literatur machen wollte. Allerdings hat Kafka, obwohl er testamentarisch die Vernichtung seiner Manuskripte forderte, nicht sie, sondern Brod als Nachlassverwalter eingesetzt, von dem er wusste, dass er sich nicht daran halten würde.
Der Anatom und Botaniker Olof Rudbeck d.J. (1660–1740) und sein Schüler Carl von Linné (1707–1778
Olof Rudbeck d.J. war der Enkel von Johannes Rudbeck (1581–1646), der nach Luthers Tod in Wittenberg studiert hatte, später eine segensreiche Wirksamkeit als Bischof in Västerås ausübte und das schwedische Schulwesen stark förderte. Und er war der Sohn von Olof Rudbeck d.Ä. (1630–1702), der Medizinprofessor in Uppsala war und über Atlantis schrieb. Olof Rudbeck der Jüngere (geb. am 15. März 1660 in Uppsala, gest. am 23. März 1740 ebd.) – oder auch Olaus Rudbeckius dy (den yngre)– war ein schwedischer Naturforscher, vor allem auf dem Gebiet der Botanik und der Ornithologie, dazu mehrfach Rektor der Universität Uppsala (1708, 1715 und 1724). 1687 ging er zum Studium der Botanik nach Holland, England und Deutschland. Es folgte ein Medizinstudium an der Universität in Utrecht, wo er 1690 den Doktortitel erwarb. 1692 kehrte er nach Schweden zurück und trat als Professor für Medizin die Nachfolge seines Vaters an der Universität Uppsala an. Er spezialisierte sich auf Anatomie, Botanik, Zoologie und Pharmakologie. Sein Kollege Lars Roberg (1664–1742) hielt Vorlesungen in Medizin, Chirurgie, Physiologie und Chemie.
Mit der Vorsilbe ge- und seinem knappen -nug hat das Wort einen lakonisch-lapidaren Auftritt. Als bedürfe es keiner weiteren Worte zur Mitteilung, als sei mit dem einen Wort bereits alles Wesentliche – jedenfalls genug – gesagt. Werden weitere Worte gemacht, dann oft in verkürzten Sätzen, denen Verb oder Objekt fehlen und die den Charakter von Aufforderungen haben: Genug (damit), (jetzt aber) genug, (ich habe) genug, (es sind nun) genug der Ausreden! Natürlich kommt das Wort auch in ordentlichen Sätzen und ausführlichen Beschreibungen vor, die es in einen besonderen Zusammenhang stellen, näher bestimmen und differenzierte Aussagen ermöglichen. Als Solitär jedoch oder in abgekürzten Formulierungen hat genug eine handelnde, intervenierende Kraft. Wie »stopp«, »still«, »halt« und »raus« will es bei den Angesprochenen bewirken, was es zu verstehen gibt. Auch ohne sprengenden Explosivlaut gebietet es energisch Einhalt. Das macht sich sofort bemerkbar, wenn man es mit dem zumindest teilweise synonym verwendeten, aber distinguierteren genügend vergleicht. Genug Brot und genügend Brot laufen semantisch auf dasselbe hinaus und teilen sich doch ganz anders mit. Genügend schwingt und singt hinaus, genug könnte einem unter Umständen auch im Hals stecken bleiben.
Zur Ausstellung: ›Turner – Three Horizons‹ im Münchner Lenbachhaus
München leuchtet mal wieder. Die Sonderausstellung ›Turner -Three Horizons‹, die noch bis zum 10. März im Kunstbau des Lenbachhauses besucht werden kann, ist ein Glanzlicht. Doch ehe wir die Ausstellung betreten können, müssen wir in den Untergrund. Ein wirklich sonderbares Gefühl begleitet den Abstieg. Es geht tatsächlich in den nahegelegenen UBahn-Schacht hinab, in dem das Lenbachhaus diese Dependance, den sogenannten Kunstbau, unterhält. Zu der unterirdischen Räumlichkeit gehören Zeitfenster, die vorab online gebucht werden müssen (ein spontaner Museumsbesuch wird zunehmend zur Unmöglichkeit). Also ab in den technischen Hades, mit einer entsprechenden Einstimmung der Seele!
Zur Performancekunst von Marina Abramović
Marina Abramović darf als die bedeutendste Performancekünstlerin der Gegenwart bezeichnet werden. Ihr Gesamtkunstwerk besteht aus einem alles riskierenden, bis an die Grenzen menschlicher Existenz gehenden, Schmerzen erleidenden Einsatz des eigenen Körpers und den damit einhergehenden Bewusstseinsveränderungen. In ihren Performances bezieht Abramović das Publikum so ein, dass es ihren öffentlich vorgeführten Selbstverletzungen und ihren mentalen Transitionen nicht nur ausgesetzt ist, sondern zum aktiven Handeln und inneren Mitvollziehen veranlasst wird. Die Übertragung psychischer und mentaler Energien der Akteurin auf das Publikum gehört zu den Grundelementen ihrer performativen Aktionen. Ihr biografischer und künstlerischer Weg führt von der Ablösung aus familiären Zwängen, durch exzessive, Abhängigkeiten schaffende Liebesverhältnisse, über spirituelle und meditative Praktiken zu einer eigenen performativen Sprache der Aufmerksamkeit und empathischen Hingabe.
Zu Christine Gruwez: ›Die Wunde und das Recht auf Verletzlichkeit‹
Gibt es eine Wunde auch ohne vorherige Verletzung? Eine ursprüngliche, primordiale Wunde? Die Wunde der Menschheit ist das zentrale Anliegen dieses Buches. Es stützt sich dabei auch auf drei Vorträge Rudolf Steiners über die Wunde, die eine Zerstörung bedeutet, und die Kraft zur Heilung. Das Buch ist - mit Prolog und Epilog - in drei Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel ›Wach werden‹ ist von den vielen Krisen die Rede, die wir heute erleben. Sie sind oft schon alt und werden nur, z.B. durch die Corona-Pandemie, verschärft. Hat eine Krise vielleicht erst die Fakten deutlich gemacht? Es ist im Leben wie in der Medizin: Nicht die Symptome sind wesentlich, sondern die durch sie angezeigte tiefere Wirklichkeit. Fakten und Tatsachen erscheinen bloß an der Oberfläche und verhindern sogar den Blick in die Tiefe. Zwischen Oberfläche und Tiefe liegt die Mitte, wo die Krise stattfindet und die Entscheidung fällt. Hier liegt die Wahrheit. Auch bei den gegenwärtigen Kriegen ist das so. Schaut man nur auf die Symptome, ist ein Brückenbauen unmöglich.
Zu Wolfgang Knüll: ›Nahtoderfahrungen‹
Seit ungefähr 50 Jahren häufen sich Berichte von Menschen, die am Rande des Todes standen. Dies ist vor allem dem medizinischen Fortschritt zuzuschreiben, weil Lebensrettung in solchen Situationen immer öfter möglich ist. Die Berichte sind beeindruckend. Es wird deutlich: Dieser Mensch stand am Tor zur Geistigen Welt. Das Erlebte ähnelt den Darstellungen alter Einweihungen. Bereits Platon gibt in seiner ›Politeia‹ den Bericht eines Soldaten wieder, der nach einer Verletzung im Kampf zu Tode kam, vor seiner Feuerbestattung aber gerade noch rechtzeitig erwacht und von seinen Erfahrungen im Totenreich berichtet.
Zum Auftakt einer neuen Filmreihe von Rüdiger Sünner
Über den unermüdlich schaffenden Filmemacher und Autor Rüdiger Sünner kann man ohne Übertreibung mit einem Wort Martin Bubers sagen, dass er stets darum bemüht ist »neues Feuer« heranzubringen, damit »die Glut auf dem Altar seiner Seele nicht verlösche«. Eine ganz wichtige Inspirationsquelle für Sünners Werk, aus der er seit Jahrzehnten sein kreatives Seelenfeuer bezieht, sind die Landschaften, die er auf seinen zahlreichen Filmreisen durchstreift. Kein Sünner-Film, der nicht zu einem wesentlichen Teil von der Atmosphäre der gefilmten Orte lebt. Da ist es nur folgerichtig, wenn sich Sünner nach den vielen Porträts, die er über große Denker, Dichter und Künstler gedreht hat, nun in seinem Alterswerk dem Rohstoff seiner Arbeit zuwendet und uns mitnimmt auf eine Reise zu seinen Seelenlandschaften. Es ist, als würde Sünner sein sonst eher im Hintergrund wirkendes Zauberkästchen ins Offene stellen und ihm den Ehrenplatz auf der Bühne überlassen. Die stimmungsvollen Filmorte dienen nun nicht mehr der Untermalung der Gedanken und Lebensstationen berühmter Protagonisten, sondern werden selbst zu den alleinigen Hauptdarstellern. Entstanden ist dabei ein sinnlich-poetischer Filmzyklus, der auf mindestens drei Teile angelegt ist. Zwei davon sind bereits erschienen: ›Seelenlandschaften: England und Wales‹ und ›Seelenlandschaften: Schottland‹. Im Herbst 2024 wird ein weiterer Teil über die Seelenlandschaften in Deutschland folgen (der auch von einem Buch begleitet wird). Und es wäre nicht verwunderlich, wenn es am Ende einen vierten oder fünften Teil geben sollte. Zumindest scheint die kindliche Entdeckerlust des mittlerweile 70-Jährigen noch immer frisch und ungebrochen.
Ein Rückblick auf der Suche nach Zukunft
Vor einigen Jahren durfte ich miterleben, wie ein auf den Tod kranker Mensch in guten Momenten im Garten mit seinen Händen in der Erde arbeitete – den schweren Lehmboden mit Sand vermischend, um den Pflanzen das Wachstum zu erleichtern. Er war ganz hingegeben dieser Tätigkeit, als ob er die Erde durch sich hindurch und dabei auch sein eigenes Leben bewegte, auf ein Neues hin. Edgar Harwardt, der »Gärtner von Stuttgart«, arbeitet an und mit der Erde als Handlungskünstler und bewegt so ebenfalls etwas im Außen wie im Innen – an meist unauffälligen, teils unterirdischen Orten in seiner Heimatstadt sowie entlang des Neckars. Das kann eine Schleuse, ein Stadtbahntunnel, eine Fußgänger-Unterführung, der Keller der Stuttgarter Erdbebenwarte, eine Straßenecke, eine Brache oder eine Baugrube sein: Orte des Alltagslebens, Orte mit mehr oder weniger unbekannter Vergangenheit oder Orte, an denen etwas Neues entstehen soll. Seine Aktionen sind oft verbunden mit der Aufhebung von Erde, Staub oder Asche mittels Wasser, das er in saugfähigem Fließpapier aufsteigen lässt, in dem die Substanzen dann ihre Spuren hinterlassen. Diese Steig-Bilder – »in ihren oszillierenden Verläufen ähnlich den Seismogrammen des Erdenlebens« – sind Dokumente eines konkreten Geschehens an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten, nie zufällig gewählten Zeitpunkt.
Zu Bertrand Badiou: ›Paul Celan. Eine Bildbiographie‹
Paul Celan sei der bedeutendste Dichter deutscher Sprache nach 1945, so Klaus Reichert, der Lektor Celans im Suhrkamp-Verlag bei einem Vortrag im Haus am Dom in Frankfurt anlässlich des 100. Geburts- und 50. Todestages Celans. Wie kann man diese von Begeisterung und genauer Kenntnis fundierte Aussage verstehen? Dazu gibt die von Bertrand Badiou verfasste Bildbiografie über Celan reiche Auskunft. Sie fügt sich als wichtiges und tragendes Glied in eine Reihe von Publikationen zum Werk Celans, dessen sachgemäße Würdigung und Darstellung sich der Suhrkamp-Verlag zur Aufgabe gemacht hat. Dazu zählen Celans Briefwechsel, aber auch eine Edition seiner verstreuten Prosa sowie Studien zu seinem Werk, Erinnerungsliteratur und kommentierte Ausgaben seiner Gedichte. An vielen dieser Veröffentlichungen war Badiou beteiligt.
Der heilige Pirmin (um 670–753) gründete im Jahre 724 auf der Insel Reichenau im Bodensee, im weitgehend heidnischen Alemannien, ein benediktinisches Kloster. Das Kloster gedieh und bestand mehr als 1.000 Jahre lang. Im Austausch mit den Klöstern von St. Gallen und Fulda bildete es eine Grundlage für die kulturelle und geistige Entwicklung Europas.
Von -enden, Sternchen* und DoppelpunktInnen
Es wird gegendert, was das Zeug hält. Auch und gerade an Waldorfschulen. Noch gar nicht lange ist es her, dass man eine Schulpost lesen konnte, ohne Lehrer und Lehrerinnen, Schüler und Schülerinnen, Hausmeister und Hausmeisterinnen ausbuchstabieren zu müssen. Wie sind wir korrekt geworden, und wie ist das Korrektgewordensein langweilig, mühsam, nüchtern! Doch ist dieses Gegendere (schon für die Benutzung des Wortes »gendern« sollte man Strafe zahlen müssen) tatsächlich korrekt?
Zur letzten Phase der Beziehung zwischen Christian Morgenstern und Friedrich Kayssler
Am 5. April 1914, einen Tag nach der Trauerfeier für den am 31. M.rz verstorbenen Christian Morgenstern, schrieb Friedrich Kayssler an die Witwe Margareta: «Es hat mir so wohl getan, daß ich mit ihm [Rudolf Steiner] gesprochen habe [...]. Von dem gestrigen Tage geht ein Licht aus, ein Friede, der unbeschreiblich ist. Wir tragen ihn in uns wie ein seliges Glück, es ist nicht anders zu nennen. Es ist, als hätte alles, unser Leben, eine Weihe bekommen. Aber diese Worte sind arm.« Dem Brief war ein mit ›Meinem hingegangenen Freunde‹ überschriebenes Gedicht beigefügt: »Einst schien der Tod ein Abgrund, uferlos und leer, / daran wir, die Verlassenen, hilflos stehn. / Da sah ich Dich, Geliebtester, hinübergehn. / Nun weiß ich mehr. // Ein Abgrund war. Es stürzte eine Welt. / Doch als Dein Bild in Tränenschleiern schwand – / ward uns das innere Auge sanft erhellt, / und eine neue Gegenwart erstand. // Noch fern dem Tode – früher – sagtest Du, / nicht Trauer zieme uns bei Freundes Tod. / Nun halfst Du selber uns aus aller Not / und strahltest sterbend Gegenwart uns zu. // Du wolltest keine Tränen. Nun hab Dank. / Nicht Trauer ziemt uns, denn wir sehn Dich ja. / Der Abgrund blüht, aus Schweigen steigt Gesang. / Der Tod ward uns ein Gleichnis: Du bist da.«
Drei Schlaglichter auf Leben und Werk
Zu Franz Kafkas 100. Todestag am 3. Juni 2024 wird ein Jahrhundert-Schriftsteller gefeiert. Ein Genie des Wortes. Ein Schriftsteller, der damals wie heute in die Zukunft wirkt und immer bekannter wird, je mehr unsere Zeit voranschreitet. Man hat nicht den Eindruck, dass nach Ablauf des Gedenkjahres Stille um ihn herrschen wird. Dafür sind zu viele Menschen hinzugekommen, die ihn jetzt erst richtig entdeckt haben, vor allem aus der älteren Generation, für die Kafkas Leben und Werk noch nicht zum Schulunterricht gehörte. Im Jahr 2024 gibt es dazu die verschiedensten Initiativen und Neuheiten. Aus vielem, vielem anderen sind hier ausgewählt: Die Ausstellung von Hans-Gerd Koch zu Kafkas Familie in der Berliner Staatsbibliothek; die neue, geistig orientierte Biografie von Rüdiger Safranski; und ein Abend in der Berliner Christengemeinschaft zum Thema Kafka, Mozart und Intuition.
Zu Edvard Hoem: ›Der Geigenbauer‹
Zugegeben, ich musste inneren Widerstand überwinden, als es darum ging, nach der ›Hebamme‹ (Stuttgart 2021) ein weiteres Werk des Norwegers Edvard Hoem vorzustellen. Wieder ein Roman, der den Spuren eines bzw. einer Verwandten folgt? Ist das die Masche eines Bestseller-Autors? Mag sein. Auf den zweiten Blick aber zeigte sich, dass die Ansätze der beiden Romane grundverschieden sind, und das machte sie für mich dann doch interessant. Kurz gesagt werden zwei unterschiedliche Wirkensöglichkeiten des Schicksals vorgestellt: Die ›Hebamme‹ weiß von Jugend an, dass sie Hebamme werden will; Lars Olsen Hoem, der spätere Geigenbauer, hat einen ganz anderen Wunsch, nämlich den, ein eigenes Schiff, eine Schute zu besitzen und zu führen, und findet erst nach verschlungenen Pfaden zu seinem eigentlichen Schicksalsauftrag. Den klar zu erkennen und anzunehmen gelingt den wenigsten. Manchen gelingt es rückblickend in die Vergangenheit; anderen in der Gegenwart, aber nicht für die Zukunft. Alle Varianten sind möglich. Manchmal sind helfende Hände beteiligt und nötig (vgl. S. 334), doch gibt es auch herausragende Menschen, die das, wofür sie ausgewählt wurden, als Auftrag an sie persönlich empfinden, unwiederholbar und nicht übertragbar. Meistens gibt es Widerstände – sie müssen überwunden werden, dazu sind sie da. In der Regel offenbart sich der Schicksalsauftrag in menschlichen Begegnungen.
Neues von und zu Jürgen Habermas
Am 18. Juni begeht der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas seinen 95. Geburtstag. Ihm, der seit rund sieben Jahrzehnten Umgang mit Medien aller Art hat, wird sehr wohl bewusst sein, dass viele Redaktionen längst Nachrufe für ihn in Vorbereitung haben werden … Was für ein Lebensgefühl mag das für diesen Menschen sein?
Zur Ausstellung ›Modigliani. Moderne Blicke‹ im Museum Barberini Potsdam
Neu im Museum Barberini in Potsdam zu sehen ist bis 18. August 2024 die Ausstellung ›Modigliani. Moderne Blicke‹. Sie entstand in Kooperation zwischen dem Museum Barberini und der Staatsgalerie Stuttgart. Nach 15 Jahren Abstinenz ist dies die erste monografische Übersicht Amedeo Modiglianis (1884–1920) in Deutschland. Sie zeigt 56 seiner zwischen 1907 und 1919 in Paris entstandenen Portraits und Akte, darunter viele Schlüsselwerke.
Zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich (5. September 1774 in Greifswald – 7. Mai 1840 in Dresden)
Greifswald, die Stadt am Meer. Hier wurde vor 250 Jahren Caspar David Friedrich, der bedeutendste Künstler der deutschen Romantik, geboren. Ich kenne Greifswald aus den 60er Jahren; es ist ein Wiedersehen nach langer Zeit. Doch au.er der markanten Silhouette der Kirchen – Marienkirche, Dom St. Nikolai und Jakobskirche – ist die Stadt kaum wiederzuerkennen. Aus einer grauen, fast verfallenen Altstadt durch Renovierung und Restaurierung auferstanden, ist sie so schön wie nie zuvor.
Zu Bernd Rosslenbroich: ›Properties of Life‹
»Was also ist das Leben?« Mit dieser Frage beschäftigt sich das neueste wissenschaftliche Buch von Bernd Rosslenbroich, Leiter des Instituts für Evolutionsbiologie der Universität Witten/Herdecke. Man könnte darin eine Abwandlung der Frage des Augustinus nach dem Wesen der Zeit sehen, auf die der Kirchenvater geantwortet hat: »Wenn keiner mich fragt, weiß ich es; wenn einer mich fragt und ich es erklären soll, weiß ich es nicht mehr.« Denn so ist es mit dem Lebendigen: Wir kennen es selbstverständlich und intuitiv, aber um eine befriedigende wissenschaftliche Erklärung ringt die Biologie seit über 2.000 Jahren.
Zu Bron Taylor: ›Dunkelgrüne Religion‹
Vor allem durch drei Aspekte fasziniert das Buch ›Dunkelgrüne Religion‹ des amerikanischen Religionswissenschaftlers Bron Taylor: es hat nicht nur einen wunderschönen Titel, sondern beschreibt auch spannend die in Deutschland wenig bekannte Geschichte naturreligiöser Bewegungen in den USA und skizziert eine »vernunftgestützte« Spiritualität der Zukunft, die auch an Erkenntnissen der Wissenschaft orientiert sein sollte.
Sommerliche Gedanken über unsere Ernährung
»Schon wieder Gedanken über unsere Ernährung? Ist uns doch alles l.ngst bekannt. Hoffentlich kommt da nicht wieder einer mit Lob der Veggie-Kost, oder mit der Gesundheit dank vegetarischem Essen. Oder mit Apfelessig zum angeblichen Abnehmen, oder mit ...« Gell, da fällt einem gleich mancherlei ein zu solcher Überschrift. Nun ist das Thema längst nichts Neues. Auch das nicht mit Tante Berta, die ihr Leben lang ihren Hackbraten genoss und trotzdem mit 82 noch fit und lebenslustig war – oder war sie damals nicht schon 85?
Zu Christoph Otterbeck & Ludwig Rinn: ›Kompass Beuys‹
Zum Gedenken an den 650.Todestag von Francesco Petrarca (* 20. Juli 1304 in Arezzo - t 19. Juli 1374 in Arquà)
Petrarca war ein italienischer Dichter und Historiker. Mit Dante und Boccaccio wurde er zum Begründer des Humanismus in Italien. Angesichts seines Riesenwerkes kann die folgende Betrachtung nur ein Streiflicht sein.Francesco Petrarca wurde am 20. Juli 1304 in Arezzo gehören. Seine Eltern lebten in schwierigen, fast ärmlichen Verhältnissen, da sie aus der Heimatstadt Florenz verbannt waren. Der Vater Pietro di Parenzo gehörte als Notar zum Kleinbürgertum. Schon 1302 war er aus Florenz ausgewiesen worden, im gleichen Jahr wie Dante Alighieri (1265-1321), weil auch er zur politischen Partei der weißen Cuelfen (kaiserfreundliche Anhänger des Papstes) gehörte. Bis zu seinem siebten Lebensjahr hatte das Kind deshalb ein unruhiges Leben in der Toskana. Erst als die Familie von Pisa an den päpstlichen Hof in Avignon ging und sich im provenzalischen Carpentras ansiedelte, wurde es besser. Hier wurde Francesco mit seinem jüngeren Bruder Cerardo in Crammatik und Rhetorik unterrichtet. Sein Lehrer Convenevole da Prato weckte in ihm die Liebe zu Cicero.
Zur Ausstellung ›Frans Hals. Meister des Augenblicks‹ in der Gemäldegalerie Berlin