Artikel von Thomas Brunner
und sein Zusammenhang mit dem Ereignis der Begegnung Goethes mit Schiller
Am 1. September 1919 schrieb Rudolf Steiner seinem jungen Mitarbeiter Hans Kühn einen vierzeiligen Spruch als Widmung in dessen Exemplar seiner im Frühjahr 1919 erschienenen Schrift ›Die Kernpunkte der sozialen Frage‹. Auch im Kontext des gesamten Reichtums der sogenannten ›Wahrspruchworte‹ Rudolf Steiners zeigt dieser Spruch eine besondere Beziehung zur sozialen Frage, weil er in methodischer Klarheit die Notwendigkeit »innerer« Seelenentwicklung mit dem zu entwickelndenVermögen »äußerer« sozialer Gestaltung verbindet: »Suche im Innern das Lichtvolle / Und du findest die Welt; / Suche im Äußern das Sinnvolle / Und du findest dich selbst.« Es ist kein Zufall, dass Steiner diesen Spruch mit dem Weg nach »Innen« beginnt, vielmehr zeigt sich darin etwas Grundlegendes seiner »Freiheitsmethode«. In seinem philosophischen Hauptwerk ›Die Philosophie der Freiheit‹ bemerkt er in Bezug auf Schillers an Goethe gerichtetes Gedicht ›Die Übereinstimmung‹: »Von Schillers bekannten zwei Wegen: ›Wahrheit suchen wir beide; du außen im Leben, ich innen / In dem Herzen, und so findet sie jeder gewiß. / Ist das Auge gesund, so begegnet es außen dem Schöpfer, / Ist es das Herz, dann gewiß spiegelt es innen die Welt‹ wird der Gegenwart vorzüglich der zweite frommen. Eine Wahrheit, die uns von außen kommt, trägt immer den Stempel der Unsicherheit an sich. Nur was einem jeden von uns in seinem eigenen Innern als Wahrheit erscheint, daran mögen wir glauben.«
Aspekte zur Sozialen Dreigliederung in methodischer Hinsicht
Im Rühjahr 1919 veröffentlicht Rudolf Steiner sein Buch »Die Kernpunkte der sozialen Frage - in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft« (CA 23). Bereits der Untertitel verdeutlicht, dass er mit dieser Schrift nicht allein eine Anregung für die Tagespolitik seiner Zeit geben wollte, sondern etwas viel Grundlegenderes für die weitere Sozialentwicklung. Dass Steine auf dem großen Wiener Ost-West-Kongress im Juni 1922 davor sprach, »daß diese Veröffentlichung im Grunde mißverstandet worden ist auf allen Seiten«, weil sie als übliche sozial-utopische Schrift gelesen wurde, obwohl sie «als ein Appell nicht at das Denken über allerlei Einrichtungen, sondern als ein Appel an die unmittelbare Menschennatur gemeint«' war, wird häufig zitiert. Noch deutlicher äußerte er sich wenige Monate später im Rahmen einer Vortragsreihe zu Erziehungsfragen in Oxford: »Derjenige, der die »Kernpunkte der sozialen Frage« als ein Buch des Verstandes nimmt, versteht es nicht. Allein derjenige versteht es. der es als ein Willensbuch, als ein Herzensbuch nimmt, das gesprochen ist aus dem Leben heraus, aus demjenigen, was heute überall unter der Oberfläche des Daseins als die wichtigsten sozialen Impulse der Gegenwart genommen werden können.« Auf welchem Wege nun aber kann dieser »Appell an die unmittelbare Menschennatur« erfahren und geprüft werden, um selbstbestimmt beurteilen zu können, inwiefern diese 100 Jahre alte Schrift Motive enthält, die den gegenwärtigen Lebensnotwendigkeiten Entwicklungsimpulse zu vermitteln vermag?