Als 2020 die amerikanische Lyrikerin und Essayistin Louise Glück (1943–2023) den Nobelpreis für Literatur verliehen bekam, dürften wohl viele europäische Leserinnen und Leser erstaunt ihren Namen zum ersten Mal gehört haben, obgleich bis zu diesem Zeitpunkt schon mindestens dreizehn ihrer Gedichtbände in den USA veröffentlicht vorlagen. Das Erstaunen dürfte aber vor allem dadurch hervorgerufen worden sein, dass mit dieser Auszeichnung wieder einmal eine Dichterin geehrt wurde, und Lyrik bekanntlich generell nur eine geringe Zahl von Liebhabern besitzt und zudem selten angemessen übersetzt werden kann. Gewiss, Inhalt und Form eines lyrischen Textes lassen sich annähernd wiedergeben, aber die eigentliche zarte Stimmung eines Gedichtes, die Poesie eben, die sich nur aus und in der jeweiligen Sprache entfaltet, verflüchtigt sich im Akt der lexikalischen Transformation wie der ätherische Duft einer Blume, die schon nach Tagen in der noch so schönsten Vase verwelkt. In jedem Fall gilt für eine gute Übersetzung: »Nicht die Silbenzahl ist wichtig, sondern nur der Rhythmus.«