In einem Artikel der ›Erziehungskunst‹ vom November 2022 forderten Albert Schmelzer und Martyn Rawson einen Umbau des Waldorflehrplans mit postkolonialen Anteilen. Dies betrifft auch den Geschichtsunterricht. Dort werden bisher die großen historischen Entwicklungen von den »Ältesten Zeiten« über Antike, Mittelalter und Neuzeit bis zur Gegenwart in Überblicksepochen behandelt. Dabei liegt der Fokus im Wesentlichen aut Europa. Die deutschen Waldorfschulen, so Schmelzer und Rawson weiter, seien »strukturell rassistisch« und spiegelten in ihren Lehrplänen nicht eine durch Migration veränderte Bevölkerung. Bijan Kafi reagierte daraufhin mit einem Artikel in die Drei (3/2023), in dem er darlegte, dass der von Schmelzer und Rawson geforderte (ideologische) Antirassismus mit einer treiheitsorientierten Waldorlpädagogik unvereinbar sei. Daraut antwortete Frank Steinwachs (4/2023), der u.a. darlegte, dass sich die neue und diversere Demografie in den Klassenzimmern zeige, weshalb Bijan Kafis Kritik nicht die Realität des schulischen Alltags treffe. Beiträge von Johannes Kiersch, Ralf Sonnenbeig, Michael Debus und Salvatore Lavecchia ergänzten die Debatte, mit der Tendenz, an pädagogisch wirksamen Elementen der Waldorfpädagogik festzuhalten. Mein Beitrag versteht sich vor diesem Hintergrund als Nachfrage. Denn im 21. Jahrhundert hat der Postkolonialismus - vorsichtig formuliert - doch viel von seinem emanzipatorischen Impuls eingebüßt. Wir leben in einer veränderten Welt, in der auch ein aufstrebender »Globaler Süden« von Rassismus und Rechtsextremismus heimgesucht wird; teilweise in politischen Bewegungen, die mit dem Postkolonialismus verbunden sind. Der Angriff der Hamas auf Israel wäre hier nur ein Beispiel.