Kostbares, mühsam zu finden
Zur Ausstellung: ›Turner – Three Horizons‹ im Münchner Lenbachhaus
München leuchtet mal wieder. Die Sonderausstellung ›Turner -Three Horizons‹, die noch bis zum 10. März im Kunstbau des Lenbachhauses besucht werden kann, ist ein Glanzlicht. Doch ehe wir die Ausstellung betreten können, müssen wir in den Untergrund. Ein wirklich sonderbares Gefühl begleitet den Abstieg. Es geht tatsächlich in den nahegelegenen UBahn-Schacht hinab, in dem das Lenbachhaus diese Dependance, den sogenannten Kunstbau, unterhält. Zu der unterirdischen Räumlichkeit gehören Zeitfenster, die vorab online gebucht werden müssen (ein spontaner Museumsbesuch wird zunehmend zur Unmöglichkeit). Also ab in den technischen Hades, mit einer entsprechenden Einstimmung der Seele!
In Wort, Schrift und Farbe: ein Europäer
Zum Nicht-Verstehen der Lage im Nahen Osten
Schon zu Beginn dieses Aufsatzes lässt sich ein Widerspruch nicht vermeiden. Jeglicher Bericht, der seit dem 7. Oktober letzten Jahres über dessen Folgen geschrieben wird, beginnt nämlich mit einer kurzen Wiederholung im Sinne von: »Zuerst überfielen Hamas-Kämpfer (bzw. Terroristen) israelische Siedlungen, verbrannten Häuser, töteten 1.200 Menschen und nahmen einige als Geiseln. Daraufhin überfiel das israelische Militär den Gazastreifen, hinterließ unfassbare Zerstörungen und tötete etwa 30.000 Palästinenser.« Dann folgt eine Stellungnahme, je nach Verfasser der einen oder der anderen leidenden respektive Leid erzeugenden Partei sich zuneigend. Ich wollte ja nicht so beginnen – und dennoch tat ich es.
In dem michaelischen Zeitalter, in dem wir leben, geht es einerseits darum, das eigene Denken zu verlebendigen und zu spirrtualisieren. Es geht aber genauso dringlich darum, die Sinneswahmehmungals etwaszu schulen undzu erleben, in dem auch das Seelische der Welt mitschwingt. Mit dem Vollziehen des von Steiner so genannten »Lichtseelenprozesses«, wird Stück um Stück der Materialismus unserer Zeit überwunden. Die Wandlung der Welt fangt bei jedem einzelnen Menschen an.
Zu Joachim von Königslöw: ›Auf dem Weg zu einer neuen Ukraine‹ 4/2024
Zur Bedeutung der »charakterologischen Veranlagung« in Rudolf Steiners ›Philosophie der Freiheit‹
»Michael muß uns durchdringen als die starke Kraft, die das Materielle durchschauen kann, indem sie im Materiellen zugleich das Geistige sieht«1 - Rudolf SteinerMit Eduard von Hartmanns Hinweis auf die determinierende Kraft charakterlicher Verschiedenheiten der Menschen führt Rudolf Steiner im I. Kapitel der »Philosophie der Freiheit« einen Freiheitsgegner an, der sich von den Auffassungen der großen Masse ihrer Gegner unterscheidet. Denn diese halten es für prinzipiell unmöglich, die Naturkausalität auf dem Gebiete menschlichen Handelns unterbrochen zu denken. ...
Was bedeutet es für die anthroposophische Arbeit, den Karmagedanken ernstzunehmen?
Mit dem Entschluss Rudolf Steiners, sich auf der Weihnachtstagung 1923/24 bis hin zur äußeren Verwaltung in die Anthroposophische Gesellschaft voll verantwortlich hineinzustellen, war eine bittere Konsequenz verbunden: Einer Aussage Marie Steiners zufolge hatte er dadurch das Karma der Anthroposophischen Gesellschaft auf sich genommen. Rudolf Steiners persönliches Schicksal ist somit engstens mit dem jener Menschen verkettet, die sich damals mit der anthroposophischen Sache verbunden haben.
Reinkarnation und Karma in der Novelle ›Die schwarze Spinne‹ von Jeremias Gotthelf
Hin und wieder taucht heutzutage der Gedanke an Reinkarnation und Karma – zu Deutsch: an Wiederverkörperung und selbst geschaffenes Schicksal – in der Öffentlichkeit auf, allerdings oft ohne echte Vertiefung und geistigen Hintergrund. So heißt z.B. ein 2008 erschienener Roman ›Mieses Karma‹. Darin geht es um mehrmalige Erdenleben einer Protagonistin, die nach ihrem frühen Tod ungute Taten zunächst als Tier und schließlich wieder als Mensch in erneuten Inkarnationen ausgleichen muss. Hier werden Aspekte von Reinkarnation und Karma miteinem gewissen moralischen Impuls in eine unterhaltsame Handlung gebracht. Im Allgemeinen kommt solchen Gedanken in der westlichen Welt aber keine große Bedeutung zu, man verortet den Glauben an wiederholte Erdenleben weiterhin vorangig in östlichen Religionen. Noch ist wenig bekannt, dass es auch in der deutschen Geistesgeschichte verschiedene Beispiele aus allen Zeiten dafür gibt – und zwar mehr, als man vermuten sollte. Sie sind allerdings größtenteils nicht Zeugnisse konkreter Kenntnis geistiger Zusammenhänge, sondern eher Andeutungen, Ahnungen oder Mutmaßungen. Rudolf Steiner erläutert, dass man im 18. Jahrhundert, in dem die Theosophie an Wirkmächtigkeit verlor, die Tatsache wiederholter Erdenleben nicht gekannt habe, und im 19. Jahrhundert sei eine weitere »Abwendung von den spirituellen Welten« eingetreten.
Zu Edvard Hoem: ›Der Geigenbauer‹
Zugegeben, ich musste inneren Widerstand überwinden, als es darum ging, nach der ›Hebamme‹ (Stuttgart 2021) ein weiteres Werk des Norwegers Edvard Hoem vorzustellen. Wieder ein Roman, der den Spuren eines bzw. einer Verwandten folgt? Ist das die Masche eines Bestseller-Autors? Mag sein. Auf den zweiten Blick aber zeigte sich, dass die Ansätze der beiden Romane grundverschieden sind, und das machte sie für mich dann doch interessant. Kurz gesagt werden zwei unterschiedliche Wirkensöglichkeiten des Schicksals vorgestellt: Die ›Hebamme‹ weiß von Jugend an, dass sie Hebamme werden will; Lars Olsen Hoem, der spätere Geigenbauer, hat einen ganz anderen Wunsch, nämlich den, ein eigenes Schiff, eine Schute zu besitzen und zu führen, und findet erst nach verschlungenen Pfaden zu seinem eigentlichen Schicksalsauftrag. Den klar zu erkennen und anzunehmen gelingt den wenigsten. Manchen gelingt es rückblickend in die Vergangenheit; anderen in der Gegenwart, aber nicht für die Zukunft. Alle Varianten sind möglich. Manchmal sind helfende Hände beteiligt und nötig (vgl. S. 334), doch gibt es auch herausragende Menschen, die das, wofür sie ausgewählt wurden, als Auftrag an sie persönlich empfinden, unwiederholbar und nicht übertragbar. Meistens gibt es Widerstände – sie müssen überwunden werden, dazu sind sie da. In der Regel offenbart sich der Schicksalsauftrag in menschlichen Begegnungen.
Ein Rückblick auf der Suche nach Zukunft
Vor einigen Jahren durfte ich miterleben, wie ein auf den Tod kranker Mensch in guten Momenten im Garten mit seinen Händen in der Erde arbeitete – den schweren Lehmboden mit Sand vermischend, um den Pflanzen das Wachstum zu erleichtern. Er war ganz hingegeben dieser Tätigkeit, als ob er die Erde durch sich hindurch und dabei auch sein eigenes Leben bewegte, auf ein Neues hin. Edgar Harwardt, der »Gärtner von Stuttgart«, arbeitet an und mit der Erde als Handlungskünstler und bewegt so ebenfalls etwas im Außen wie im Innen – an meist unauffälligen, teils unterirdischen Orten in seiner Heimatstadt sowie entlang des Neckars. Das kann eine Schleuse, ein Stadtbahntunnel, eine Fußgänger-Unterführung, der Keller der Stuttgarter Erdbebenwarte, eine Straßenecke, eine Brache oder eine Baugrube sein: Orte des Alltagslebens, Orte mit mehr oder weniger unbekannter Vergangenheit oder Orte, an denen etwas Neues entstehen soll. Seine Aktionen sind oft verbunden mit der Aufhebung von Erde, Staub oder Asche mittels Wasser, das er in saugfähigem Fließpapier aufsteigen lässt, in dem die Substanzen dann ihre Spuren hinterlassen. Diese Steig-Bilder – »in ihren oszillierenden Verläufen ähnlich den Seismogrammen des Erdenlebens« – sind Dokumente eines konkreten Geschehens an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten, nie zufällig gewählten Zeitpunkt.
Zu Martin Barkhoff & Caroline Sommerfeld: ›Volkstod – Volksauferstehung‹
Eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2021 erlangte im vergangenen Sommer neuerlich Aktualität. Das Buch des Autoren-Duos Martin Barkhoff und Caroline Sommerfeld erschien im Antaios Verlag, der in dieser Zeitschrift eher selten Beachtung findet. Versorgt er doch vor allem das Umfeld der AfD mit Lesestoff – und hier vielleicht diejenigen mit intellektuellem Anspruch. Im Zuge des Zulaufs, den diese Partei am äußersten rechten Rand der demokratischen Legitimation heute erlebt, scheinen vermehrt auch anthroposophisch Orientierte diesem Umfeld etwas abgewinnen zu können.
Zu Annette Pichler: ›Kreis und Punkt‹
Das vorliegende Buch setzt sich von einem erfahrenen und fachlich fundierten Standpunkt aus mit dem ›Heilpädagogischen Kurs‹ Rudolf Steiners auseinander. Es ist eine zum Teil kritische, aber auch selbstreflektierende Haltung, aus der heraus geschrieben wurde. Eine seltene, mutige und hochaktuelle Erscheinung im Genre der sogenannten »anthroposophischen Sekundärliteratur«. Im Sinne des gegenwärtigen Trends der Inklusion im sozialen Fachbereich legt die Autorin das Dilemma dar, nach dem es nicht länger üblich ist, über Menschen zu sprechen und deren Aktionen in Frage zu stellen, wenn diese nicht anwesend sind. Doch jene Personen, die in diesem Steinerschen Kurs beschrieben wurden und agierten, sind längst gestorben. Sie hinterfragt aus heutiger Sicht den Weg von der Diagnose zur Therapie – ein Weg, der wegen seiner zum Teil spirituellen Orientierung Fragen und .berlegungen hervorruft, die im Jahre 1924 und in Anwesenheit Rudolf Steiners nicht gestellt wurden. So schreibt sie zu einem Thema, das weiter noch besprochen wird, sie könne diese »Situation nicht unbesprochen lassen, weil Anthroposophie meines Erachtens nicht einfach unhinterfragt tradiert werden sollte, sondern mit heutigen Diskursen und Paradigmen aktiv in Dialog treten muss, um zeitgemäß und sinnvoll wirken zu können und ihr volles Potential zu entfalten« (S. 87).
Zum Gedenken an den 650.Todestag von Francesco Petrarca (* 20. Juli 1304 in Arezzo - t 19. Juli 1374 in Arquà)
Petrarca war ein italienischer Dichter und Historiker. Mit Dante und Boccaccio wurde er zum Begründer des Humanismus in Italien. Angesichts seines Riesenwerkes kann die folgende Betrachtung nur ein Streiflicht sein.Francesco Petrarca wurde am 20. Juli 1304 in Arezzo gehören. Seine Eltern lebten in schwierigen, fast ärmlichen Verhältnissen, da sie aus der Heimatstadt Florenz verbannt waren. Der Vater Pietro di Parenzo gehörte als Notar zum Kleinbürgertum. Schon 1302 war er aus Florenz ausgewiesen worden, im gleichen Jahr wie Dante Alighieri (1265-1321), weil auch er zur politischen Partei der weißen Cuelfen (kaiserfreundliche Anhänger des Papstes) gehörte. Bis zu seinem siebten Lebensjahr hatte das Kind deshalb ein unruhiges Leben in der Toskana. Erst als die Familie von Pisa an den päpstlichen Hof in Avignon ging und sich im provenzalischen Carpentras ansiedelte, wurde es besser. Hier wurde Francesco mit seinem jüngeren Bruder Cerardo in Crammatik und Rhetorik unterrichtet. Sein Lehrer Convenevole da Prato weckte in ihm die Liebe zu Cicero.
Rudolf Steiners Karmavorträge von 1924 als Denkkunstwerk
Erkenntnis, in alten Zeiten als Offenbarung eine Gottesgabe, ist immer mehr individuelle menschliche Leistung geworden. Am Beginn dieser Entwicklung steht Sokrates mit seinem schockierend radikalen Zurückweisen aller überlieferten Weisheit: »Ich weiß, dass ich nichts weiß.« Sein Erkenntnisinstrument ist die Frage, als Einladung an den einzelnen Menschen, selbst zu denken. Dies führt zu der Einsicht und Grundregel der Philosophie, dass Weisheiten sekundär sind und nicht zu Dogmen erstarren sollten, dass Gedanken nicht das Denken ersetzen können. Das Denken selbst ist das Primäre, das lebendige Huhn, das immer neue Eier legt. In der Konsequenz entscheidet sich Lessing, wenn Gott ihm in der einen Hand die Wahrheit, in der anderen die Suche nach der Wahrheit zur Wahl bieten würde, für die Suche; nicht für die Produkte, die Erkenntnisse, sondern für die Erkenntnisfähigkeit als menschliche Produktionskraft. Und wenig spater stellt Hölderlin diese Umwendung im menschlichen Erkennen in einen großen Zusammenhang: »Denn nicht vermögen / Die Himmlischen alles. Nemlich es reichen / Die Sterblichen eh' an den Abgrund. Also wendet es sich, das Echo, / Mit diesen. Lang ist / Die Zeit, es ereignet sich aber / Das Wahre.«
Ideologie und Fakten - Teil I
In einem Artikel der ›Erziehungskunst‹ vom November 2022 forderten Albert Schmelzer und Martyn Rawson einen Umbau des Waldorflehrplans mit postkolonialen Anteilen. Dies betrifft auch den Geschichtsunterricht. Dort werden bisher die großen historischen Entwicklungen von den »Ältesten Zeiten« über Antike, Mittelalter und Neuzeit bis zur Gegenwart in Überblicksepochen behandelt. Dabei liegt der Fokus im Wesentlichen aut Europa. Die deutschen Waldorfschulen, so Schmelzer und Rawson weiter, seien »strukturell rassistisch« und spiegelten in ihren Lehrplänen nicht eine durch Migration veränderte Bevölkerung. Bijan Kafi reagierte daraufhin mit einem Artikel in die Drei (3/2023), in dem er darlegte, dass der von Schmelzer und Rawson geforderte (ideologische) Antirassismus mit einer treiheitsorientierten Waldorlpädagogik unvereinbar sei. Daraut antwortete Frank Steinwachs (4/2023), der u.a. darlegte, dass sich die neue und diversere Demografie in den Klassenzimmern zeige, weshalb Bijan Kafis Kritik nicht die Realität des schulischen Alltags treffe. Beiträge von Johannes Kiersch, Ralf Sonnenbeig, Michael Debus und Salvatore Lavecchia ergänzten die Debatte, mit der Tendenz, an pädagogisch wirksamen Elementen der Waldorfpädagogik festzuhalten. Mein Beitrag versteht sich vor diesem Hintergrund als Nachfrage. Denn im 21. Jahrhundert hat der Postkolonialismus - vorsichtig formuliert - doch viel von seinem emanzipatorischen Impuls eingebüßt. Wir leben in einer veränderten Welt, in der auch ein aufstrebender »Globaler Süden« von Rassismus und Rechtsextremismus heimgesucht wird; teilweise in politischen Bewegungen, die mit dem Postkolonialismus verbunden sind. Der Angriff der Hamas auf Israel wäre hier nur ein Beispiel.
Ideologie und Fakten - Teil II
Der Umgang mit dem Begriff »Rassismus« verdient an dieser Stelle eine Klärung. Gegenwärtig wird er häufig pauschal und nicht selten populistisch verwendet; wie beispielsweise der Kampfbegriff des »Kommunismus« in Zeiten des Kalten Krieges, vor allem in der McCarthy-Ära. Damals stand schnell unter »Kommunismus «-Verdacht, wer eine allzu liberale Haltung gegenüber der Sowjetunion einnahm, soziale Gerechtigkeit forderte, sich nicht eindeutig von früheren, linken Aktivitäten distanzierte oder einfach nur »falsche« Bekanntschaften geschlossen hatte. In ähnlicher Weise kann heute der Gebrauch eines »falschen« Wortes im »falschen« Kontext als »Rassismus« gewertet werden. Nuancierte Beschreibungen für unpassendes Verhalten, Unhöflichkeit, Vorurteile, Unbildung, Missverständnisse oder situativen Zorn werden häufig nicht Erwägung gezogen.
Eine Gegenbewegung – Erster Teil
Ich ging aus dem Haus und merkte es nicht. Plötzlich stand ich unten auf der Straße. Wo war ich gewesen, als ich die Stufen hinunterstieg? In Gedanken in Gedanken. Die Jungmannova lag nicht weit. Frühlingsluft. Ewig dieses Gehen. Durch die Vaterstadt spazieren. Die Augen deprimiert auf den Boden gerichtet. Immerhin habe ich diesmal ein Ziel. Habe ich ein Ziel? Man muss schon sehr verzweifelt sein, wenn man von etwas überhaupt nicht überzeugt ist und sich trotzdem Hilfe davon erhofft.
Eine Gegenbewegung – Zweiter Teil
Ich wache mitten in der Nacht auf. Da ist Geschmack von Blut in meinem Mund. Ich weiß sofort, was das bedeutet. Ich schlage die Decke weg, huste. Obwohl es dunkel ist, sehe ich den Auswurf. Ich habe es im Blut. Sagt man doch. Es bedeutet, dass man »es« mit seinem Ich verbunden hat, dass es einem gehört, als Fähigkeit, an die man sich immer erinnern wird. Ich besitze die Fähigkeit, mich krankzumachen und mich zu heilen.
Eine biblio-biografische Erinnerung an Wilhelm Horkel (1909–2012)
Protestantismus und Anthroposophie – das sind zwei offensichtlich unvereinbare geistige Strömungen. Dort der Protestantismus, neben der orthodoxen Kirche und dem Katholizismus die dritte konfessionelle Form des Christentums. Ihnen allen – und daneben verschiedenen Sondergemeinschaften – ist das Christus-Bekenntnis auf biblischer Grundlage gemeinsam. Und hier die Christologie von Rudolf Steiner, als eine Frucht der von ihm begründeten neuzeitlichen Anthroposophie. Bei allen Gesprächen mit kirchlichen Kreisen erlebe ich nach wie vor eine sie ablehnende Einheitsfront. Zwar begründete man in den 50er-jahren eine ›Kommission für Evangelische Kirche und Anthroposophie‹, später entstanden daraus verschiedenem Arbeitsgruppen. Dennoch besteht noch heute in kirchlichen Kreisen eine allgemeine Skepsis gegenüber übersinnlichen Offenbarungen – obgleich gerade die Bibel davon geprägt ist.
Wertvolle Orientierungshilfe
Zur Performancekunst von Marina Abramović
Marina Abramović darf als die bedeutendste Performancekünstlerin der Gegenwart bezeichnet werden. Ihr Gesamtkunstwerk besteht aus einem alles riskierenden, bis an die Grenzen menschlicher Existenz gehenden, Schmerzen erleidenden Einsatz des eigenen Körpers und den damit einhergehenden Bewusstseinsveränderungen. In ihren Performances bezieht Abramović das Publikum so ein, dass es ihren öffentlich vorgeführten Selbstverletzungen und ihren mentalen Transitionen nicht nur ausgesetzt ist, sondern zum aktiven Handeln und inneren Mitvollziehen veranlasst wird. Die Übertragung psychischer und mentaler Energien der Akteurin auf das Publikum gehört zu den Grundelementen ihrer performativen Aktionen. Ihr biografischer und künstlerischer Weg führt von der Ablösung aus familiären Zwängen, durch exzessive, Abhängigkeiten schaffende Liebesverhältnisse, über spirituelle und meditative Praktiken zu einer eigenen performativen Sprache der Aufmerksamkeit und empathischen Hingabe.
Auferstehungsmomente der Naturwissenschaft
Die klassische Naturwissenschaft stieß gegen Ende des 19. Jahrhunderts an Erkenntnisgrenzen, die zu überwinden einen neuen Blick auf das Verhältnis von Mensch und Welt erforderte. Mit der Quantenphysik vollzog sich ein Paradigmenwechsel, nach dem der Quaternität (Vierzahl) besondere Bedeutung zukommt. Für den Physiker Wolfgang Pauli ließen sich damit »sinnvolle Zufälle« verorten – Sinnkorrespondenzen zwischen äußeren Ereignissen und innerem Erleben, die er gemeinsam mit dem Psychiater Carl Gustav Jung fast drei Jahrzehnte lang erforschte. Um den Sinn in solchen Korrespondenzen zu begreifen, bedarf es allerdings eines lebendigen Zeitbegriffs und eines intimen Verständnissesdes viergliedrigen Menschen, der sich »seelisch umwenden« und darin zu einem wirklichkeitsgemäßen Erkennen gleichsam auferstehen kann. Das Ostergeschehen um Maria Magdalena bringt diesen Erkenntnisprozess ins Bild.
Mit dem Wissen und den Kenntnissen, die wir uns erworben haben, ist es so eine Sache. Was wir erlebt, erfahren, gehört und gelesen haben, ist ein wesentliches Fundament unserer Identität. Es stellt eine verlässliche Größe dar. Wir können uns darauf berufen, abstützen und fühlen uns darin gegründet. Das Stoßende ist nun, dass sich erworbenes Wissen als ein Störenfried erweist, sobald wir uns der wesenhaften, der übersinnlichen Erfahrung hingeben. Jeder kennt den hemmenden Einfluss erworbenen Wissens auf wesenhafte Erfahrungen und Einsichten. Sobald sich dasjenige, was man schon weiß, hervortut, wird jede tiefere und übersinnliche Erkenntnis überschattet. Das liegt offenbar daran, dass sich unser Wissen auf etwas bezieht, das bereits vergangen ist. Wissen beruht auf vergangenen Erfahrungen. Wesenhaften Erkenntnissen ist aber Unmittelbarkeit eigen. Sie ereignen sich jenseits der Zeit. In ihnen ist Zeit überwunden. Unmittelbarkeit heißt, dass die Unterschiede zwischen mir und dem anderen Wesen schwinden. Ich löse mich in das andere Wesen auf und umgekehrt. Vergangenes hat da nichts zu suchen. Das soll nicht heißen, dass das bereits Gewusste in einem späteren Schritt nicht hinzutritt. Zu früh darf es sich aber nicht einmischen, weil sonst die Unmittelbarkeit der Wesenswahrnehmung beeinträchtigt wird.
Zur Ausstellung ›Frans Hals. Meister des Augenblicks‹ in der Gemäldegalerie Berlin
Gibt es eine Auferstehung aus dem Tod des mechanisierten Denkens?
Wir können denken, wir wissen auch von dieser Fähigkeit, wir wissen aber nicht, wie wir denken. Wir können sprechen, von dieser Fähigkeit wissen wir auch, aber hier wissen wir ebenfalls nicht, wie wir das machen. Der heutige Erwachsene kann auf sein Bewusstsein reflektieren, aber nur auf dessen Vergangenheit. Wenn ich etwas verstehe, wird mir der Gedanke bewusst, den Prozess des Verstehens selbst erlebe ich nicht.