Zum Film ›Heilige Spiele – Eine Filmwanderung zu Johann Sebastian Bach‹ von Rüdiger Sünner
Zwei Hände entnehmen einem Instrumentenkoffer die Teile einer Querflöte. Umsichtig werden sie zusammengefügt. Im dunkel abgehängten Raum – jede Ablenkung vom Wunder des Klangs als Resultat einer intimen Begegnung zwischen Mensch und Instrument unterbindend – setzt ein Mann in schwarzem Hemd die Flöte an die Lippen. Es ist der Regisseur selbst, den wir am Werk sehen, dem wir zuschauen, wie er ein Geheimnis zum Leben erweckt: das Geheimnis, wie eine uns geschichtlich und hinsichtlich der Umstände, unter denen sie entstanden ist, so ferne Komposition zutiefst bewegen kann – während uns vieles andere und scheinbar Zeitgemäßere kalt lässt.
Ein Theaterprojekt über die Corona-Pandemie
Am Jagdschloss Grunewald in Berlin, vor der Kulisse des Grunewaldsees und der immer dunkler werdenden Silhouette des Waldes sitzen wir, die Theaterzuschauer. Nur das Rauschen der nahen Autobahn stört die Idylle. Die Bühne, so scheint es, ragt in den See hinein. Ein offener Ort. ›Offen lag die Welt – oder: Wir klatschen unsere Laptops an die Wand und gehen spielen‹ heißt denn auch der Titel des Stücks, das da von dem deutsch-syrischen Theaterkollektiv ›syn:format‹ gespielt wird.
Zu Rembrandts letztem Gemälde
»Nun entlässt du, o Gebieter, deinen Knecht in Frieden, wie du es verheißen. Denn meine Augen haben dein Heil gesehen.« (Lk 2,29-30) So lauten die Worte des alten Simeon, die er angesichts des Jesuskindes ausspricht, denn ihm wurde geweissagt, dass er erst sterben werde, wenn er Christus1 gesehen habe. Erlöst im Anblick des Erlösers darf er nun in Frieden aus dem Leben scheiden. Rembrandt malte dieses Erlösungsgeschehen, bevor er selbst – am 4. Oktober 1669 – in die geistige Welt einging. Das Gemälde soll auf seiner Staffelei gestanden haben, als er starb. Obwohl es eine Auftragsarbeit war, wirkt es wie eine Art Vermächtnis; nicht nur wegen des Motivs, sondern vor allem wegen der ganz eigenen anschaulichen Wirkungsgestalt des Bildes.
Zu Reiner Kunzes 85. Geburtstag
»Welches Glück, einen Dichter zu haben ...« Das ist der immer wiederkehrende Stoßseufzer der Hauptfigur des Romans ›Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge‹ von Rainer Maria Rilke. Brigge ist eine biografische Figur, der Autor lässt ihn in Paris unter seinen eigenen Lebensumständen wohnen, identisch bis zur Hausnummer. Auch seine Ängste und Sorgen gibt er der Figur mit – Rilke, der im Grunde sein Leben lang obdachlos war, ohne eigene Wohnung und ohne gesichertes Einkommen, ständig angewiesen auf Unterstützung durch Gönner und Mäzene. Malte, der Romanheld erfährt das soziale Elend des damaligen Paris der Jahrhundertwende. Immer wenn er es in der Winterkälte der ungeheizten Wohnung nicht mehr aushält, geht er in die Bibliothek. Draußen auf der Straße die Bettler, die ihm zu verstehen geben: Bald könntest du einer von uns sein … Diese bedrohliche Vision, die seine eigene ist, bekämpft Rilke nicht mit dem Gefühl: »Welches Glück, ein Dichter zu sein!« Seine soziale Randlage empfindet er als Auslieferung und die Pflicht des »Dennoch« in der Notwendigkeit künstlerischen Schaffens.
Zum IV. Kongress ›Meditation und Wissenschaft‹
550 Teilnehmer waren am ersten Adventswochenende 2018 nach Berlin zum vierten Kongress ›Meditation und Wissenschaft‹ unter dem Titel: ›Meditation zwischen Abgrund und Nirvana‹ gekommen und diskutierten vor allem zwei Fragen: Wieweit lässt sich die Meditation – unter der in diesem Kontext grundsätzlich die buddhistisch inspirierte Achtsamkeits- oder die säkularisierte Zen-Meditation verstanden wird – zu Zwecken der Selbstoptimierung nutzen? Und: Wieweit wird das, was mit dieser Art der Meditation ursprünglich gesucht wurde, nämlich ein tieferes und wahres Verstehen der eigentlichen Natur der Welt und damit auch des eigenen Selbst, dadurch verraten, dass man Achtsamkeit im Sinne eines wirtschaftlichen und gesundheitlichen Effektivitätsdenkens instrumentalisiert? Der Kongress sollte mithin ein Statement gegen »Achtsamkeit light« sein.
Oskar Kokoschka – Humanist und Rebell Eine Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg
Anmerkungen zum ›Museu Oscar Niemeyer‹ in Curitiba/Brasilien
Mitten im Häusermeer der Millionenstadt Curitiba in Südbrasilien erhebt sich das Oscar Niemeyer Museum, das im Volksmund »Olho« (= »Auge«) genannt wird, weil es wie die Pupille des menschlichen Auges auf seinen seitlichen Glasflächen Himmel, Wolken und umgebende Gebäude spiegelt. Die aus zwei geometrischen Baukörpern, dem Auge und dem Sockelbau, zusammengefügte gelbe Skulptur wirkt monumental. Vom Ausgang im oberen Sockelbereich windet sich eine Rampe über ein Wasserbecken hinweg nach unten auf den Museumsvorplatz. Der von dem Stararchitekten Oscar Niemeyer entworfene und 2002 eröffnete Museumskomplex birgt heute eine Gemälde- und Skulpturensammlung, die zu großen Teilen Kunstwerke südamerikanischer Provenienz umfasst, die andernorts, vor allem in Europa, so nicht bekannt sind, sich aber mit Ausstellungsstücken weltbekannter Museen messen können. Überhaupt ist es zunehmend das Kennzeichen zeitgenössischer Kunst, dass viele Installationen, Videoarbeiten, Skulpturen und Bilder eine globale künstlerische Sprache sprechen. So könnte auch das »Olho« an irgendeinem anderen Ort der Welt stehen. Die Polarisierung der Ost- und Westkunst, wie sie noch im figurativen und abstrakten Expressionismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Ausdruck kam, wurde inzwischen von vielfältigen künstlerischen Positionen überlagert und aufgelöst. Schließlich bürgt die bereits 1979 von Jean-François Lyotard angekündigte Postmoderne für das »Ende der großen Erzählungen«, an deren Stelle ein durch technische Medien vermitteltes Wissen getreten sei.
»Transport« von Antony Gormley in der Kathedrale von Canterbury
Diesen Artikel können Sie sowohl kostenlos lesen als auch kaufen. Mit letzterem unterstützen Sie unsere Arbeit. Vielen Dank!
Zu Philip Kovce: ›Ich schaue in die Welt. Einsichten und Aussichten‹
Früher war alles besser. Vor allem war das Frühe das Beste. Danach konnte nur noch der Abstieg kommen. Früher musste er kommen. Als Tod, als Krise, als Epigonentum oder ständige Selbstreproduktion und als Manierismus. Heute liegt das Schlechte schon hinter uns, kaum dass wir zu schreiben beginnen. Peter Handke nannte es in einem Interview einmal »eine ungeheure Geläufigkeit«, gerade in der jüngeren Generation, die im Schreiben heute da sei, »einerseits erfreulich, andererseits fragwürdig«1. Auch deshalb hatte ich zunächst nicht so recht Lust, ein Buch zu rezensieren, das kein richtig neues war, sozusagen keine Schöpfung aus dem Nichts, sondern eine Schöpfung aus dem ›Goetheanum‹, genauer gesagt dem Verlag am Goetheanum, und alle diese Texte waren zudem als Kolumnen in der gleichnamigen Dornacher Wochenschrift erschienen.
Zum 100. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts
Im Lehrplan der DDR-Schulen, zumindest solange ich Schüler war, kam dieser Name nicht vor. Später dann, als Lehrer, schuf ich den ›Physikern‹ zumindest ein Schlupfloch: Im Zusammenhang mit Bertolt Brechts ›Leben des Galilei‹ durften sie, als sp.tbürgerlicher Gegenentwurf, kurz in Erscheinung treten. Immerhin gab es 1965 eine Ausgabe beim Verlag ›Volk und Welt‹, die vier seiner Komödien enthielt, ein Band mit Erzählungen erschien 1980. Natürlich gab es Aufführungen im Theater, ein ›Besuch der alten Dame‹ in Rostock ist mir noch in Erinnerung. Die unterrichtliche Verbannung Friedrich Dürrenmatts endete für mich 1986, als ich meine Arbeit am nichtstaatlichen Potsdamer Kirchlichen Oberseminar begann. Diese unterschiedlichen Rezeptionsvoraussetzungen sind nicht unwesentlich, wenn von Dürrenmatts literarischem Einfluss gesprochen wird.
Zu Rembrandts ›Isaak und Rebekka‹
Ein dramatischer Augenblick: Abraham hat gerade den Arm erhoben, um seinen Sohn Isaak mit dem Messer zu töten. Da erscheint ein Engel, ergreift Abrahams Arm und das Messer fällt herab. Ein Messer im freien Fall! Rembrandt hätte den szenischen Moment nicht günstiger wählen können. Es ist, als würde man eine Tür öffnen und plötzlich Zeuge eines Geschehens werden, das man mit einem Blick erfasst. Allerdings währt die Illusion nur kurze Zeit, dann wird klar: Hier bewegt sich nichts, alles bleibt starr und das Messer hängt weiterhin in der Luft. Bei längerem Anschauen mag das grotesk anmuten, doch wozu sollte man das tun? Man hat ja erkannt, um welche Geschichte es geht. Und so wendet man sich dem nächsten Gemälde zu, um sich erneut in einen wohligen Schrecken versetzen zu lassen, denn man weiß ja: Es ist bloß ein Bild! Und als Bild repraÅNsentiert es eine Wirklichkeit, an der man nicht teilhat.
Zur Ausstellung ›Venedig – Stadt der Künstler‹ im Bucerius Kunstforum
Stadt der Künstler? Stadt der Touristen? Stadt – nicht zuletzt – ihrer Bewohner? Überrascht war ich schon beim ersten Rundgang, wie viel in dieser Ausstellung auch von Menschen gezeigt wird, obwohl nicht immer aus allen gesellschaftlichen Schichten – ein Spektrum menschlicher Möglichkeiten, gespiegelt in der Stadt. Zwei polar einander gegenüberstehende Bildbeispiele mögen das symbolisieren: einerseits das Porträt des Dogen Leonardo Loredan, um 1501-1505 wohl von Vittore Carpaccio gemalt, und die ›Venezianische Zwiebelverkäuferin‹ von John Singer Sargent, um 1880-1882 entstanden, auf der anderen Seite. Bilder einzelner Menschen sind jedoch selten, meistens werden in der Ausstellung Gruppen dargestellt. Oft sind die so gezeigten Menschen mehr oder weniger Staffage, vor allem in den frühen Vedutenbildern. (Eine Vedute ist ein wirklichkeitsgetreues Abbild einer Stadt oder Landschaft, heute wird der Begriff meist synonym mit »Stadtbild« verwendet.) In manchen anderen Bildern aber ist die jeweilige Gruppe das Thema, wie etwa Spieler, maskierte Menschen im Karneval oder Gaukler vor dem Dogenpalast.
Zum Gedenken an Bertil Ekman (22. Juni 1894 – 3. August 1920)
Der schwedische Dichter und Mystiker Bertil Ekman war von geistiger Bedeutung für den UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, worauf der schwedische Schriftsteller Sven Stolpe in dessen Biografie hinweist. Nachdem 1923 ein schmales Heft aus Ekmans Nachlass mit dem Titel: ›Strödda Bladur. Bertil Ekmans Efterlade Papper‹ herausgegeben worden war, blieb dieses über mehrere Jahrzehnte unauffindbar, bis es 1999 in der Königlichen Bibliothek in Stockholm wieder auftauchte. Schon lange bestand das Bedürfnis, Ekmans Gedanken auch in deutscher Sprache kennenzulernen. Die von Lars-Åke Karlsson besorgte Übersetzung: ›Verstreute Blätter. Bertil Ekmans nachgelassene Papiere‹ erschien 2018 als Heft 15 der ›Beiträge für religiöse Erneuerung‹. Das Heft enthält Aphorismen, Gedichte und unveröffentlichte Texte, darunter Tagebucheintragungen sowie ein Foto Ekmans: ein junger Mann voll Ernst und Traurigkeit, mit einem geraden, eindringlichen Blick. Er trägt die weiße Studentenmütze von Uppsala mit der gelb-blauen Kokarde.
Zur Performancekunst von Marina Abramović
Marina Abramović darf als die bedeutendste Performancekünstlerin der Gegenwart bezeichnet werden. Ihr Gesamtkunstwerk besteht aus einem alles riskierenden, bis an die Grenzen menschlicher Existenz gehenden, Schmerzen erleidenden Einsatz des eigenen Körpers und den damit einhergehenden Bewusstseinsveränderungen. In ihren Performances bezieht Abramović das Publikum so ein, dass es ihren öffentlich vorgeführten Selbstverletzungen und ihren mentalen Transitionen nicht nur ausgesetzt ist, sondern zum aktiven Handeln und inneren Mitvollziehen veranlasst wird. Die Übertragung psychischer und mentaler Energien der Akteurin auf das Publikum gehört zu den Grundelementen ihrer performativen Aktionen. Ihr biografischer und künstlerischer Weg führt von der Ablösung aus familiären Zwängen, durch exzessive, Abhängigkeiten schaffende Liebesverhältnisse, über spirituelle und meditative Praktiken zu einer eigenen performativen Sprache der Aufmerksamkeit und empathischen Hingabe.
Zu Thomas Bernhard: ›Minetti‹ am Residenztheater in München
Jemand hat mich gefragt, wann ich zum letzten Mal eine Theateraufführung gesehen habe, die mich getroffen, berührt, mitgenommen, um nicht zu sagen erschüttert hat. Nichts anderes bedeutet im Theater: Güte. Es muss lange her sein, ich kann mich nicht erinnern. Der Zuschauer hat ja nichts als seine Augen und Ohren, durch die er an der Handlung teilnimmt. Gutes Theater bedeutet also, dass mithilfe dieser Sinne ein Prozess in Gang gesetzt wird, der mich verändert. Ich werde körperlich buchstäblich ergriffen. Das, was von der Bühne herkommt, sagen wir ruhig: (an)wehender Geist, durchdringt mich anders als die gewöhnliche sinnliche Wahrnehmung. Denn das, was mich da anweht, ist ja äußerlich gesehen, gar nicht da – es stammt als Gewebe eingebildeter Außenwelt aus dem Innern eines anderen Menschen. So erscheint die Welt, als wäre sie Idee und damit wird sie mir zur Landschaft der Freiheit. Hier spielt mein Wille die Hauptrolle, denn das Ich ist der Souverän des Ideellen.
Zu Roland Halfen: ›Kunst und Erkenntnis‹
»Irgend eine Linie, die von rechts nach links geht, und die empfunden ist als Linie, so etwas ist wichtig!« – Worauf diese Bemerkung Rudolf Steiners abzielt, ist das Aufwachen für spezifische Qualitäten, die man erleben kann, wenn man beim Wahrnehmen eines Kunstwerks auf das eigene Tun und Empfinden achtet. Hierin bekundet sich bereits ein zentrales ästhetisches Anliegen Steiners. Wenn also von »Rudolf Steiners Ästhetik« die Rede ist, dann bezieht sich das nicht auf irgendwelche stilistischen Kategorien, die manche Menschen aus seinen Werken ableiten möchten: Roland Halfen widmet sich den grundlegenden Fragen, welche die ästhetische Erfahrung selbst sowie den Zusammenhang von Kunst und Erkenntnis betreffen. In seinem Buch lässt sich nachverfolgen, wie und zu welchen Einsichten Steiner auf dem Gebiet der Ästhetik kam.
Diesen Artikel können Sie sowohl kostenlos lesen als auch kaufen. Mit letzterem unterstützen Sie unsere Arbeit. Vielen Dank!
Ein Forschungskolloquium zum Verhältnis von Anthroposophie und Buddhismus
Im Rahmen des Forschungsprojekts ›Perspektiven und Konzepte interreligiösen Dialogs und Lernens – Beiträge aus Anthroposophie und Waldorfpädagogik‹ fand am 29. und 30. April 2017 am Institut für Waldorfpädagogik, Inklusion und Interkulturalität in Mannheim ein vertiefendes Forschungskolloquium zum Verhältnis von Anthroposophie und Buddhismus statt. Mit Thich Dhuc Thinh, einem Mönch der vietnamesischen Li-Chi-Schule, dem Buddhismusforscher Volker Zotz, Schüler und Nachfolger von Lama Anagarika Govinda in der Leitung des Arya-Maitreya-Mandala-Ordens sowie dem Organisator der seit 2015 in Stuttgart situierten Begegnungen zwischen anthroposophischen und buddhistischen Meditationslehrern, Andreas Neider, sollten die Perspektiven eines möglichen Dialogs ausgelotet werden.
Zu Henrik Steffens: ›Einleitung in die philosophischen Vorlesungen‹
Die romantische Bewegung, von Jena ausstrahlend, hatte einen bedeutenden Anteil daran, wie im 19. Jahrhundert in ganz Europa Ethnien, Sprachengruppen und Völker zu einem Selbstgefühl erwachten. In der romantischen Musik ist das fast mit Händen zu greifen – etwa bei Modest P. Mussorgski, Pjotr I. Tschaikowski und Nikolai A. Rimskij-Korsakow in Russland, Bedřich Smetana und Antonin Dvořák in Tschechien, Edward Elgar in England, Edvard Grieg in Norwegen und Jean Sibelius in Finnland. Entsprechende Parallelen finden sich auch in der Literatur. Das vorliegende Buch über den Norweger Henrik Steffens handelt von einem, der als Naturforscher und Philosoph bei der Geburt der Romantik dabei war und dem zugeschrieben wird, sie schon 1802/03 von Jena nach Skandinavien getragen zu haben.
Zur Ausstellung ›Samurai – Pracht des japanischen Rittertums‹ in der Kunsthalle München
In der Kunsthalle München bietet sich die seltene Gelegenheit, Einblick zu nehmen in eine weit entlegene Kultur. ›Samurai – Pracht des japanischen Rittertums‹ ist wirklich eine Augenweide, ein Schauspiel, in dem der Betrachter sich ganz seiner sinnlichen Erfahrung anvertrauen kann. Das ermöglichen die rund hundert Exponate der Sammlung Ann und Gabriel Barbier-Mueller, die erstmals in Deutschland gezeigt werden. Die Objekte stammen aus dem 7. bis 19. Jahrhundert und wurden größtenteils in Europa erworben. Doch handelt es sich nicht um Raubkunst. Nach der Auflösung des Shogunats wurden die Rüstungen und Waffen der Samurai zu Repräsentationsobjekten, die als Ehrengeschenke für ausländische Gäste verwendet wurden. Das ist das erste, woran die Augen sich gewöhnen müssen: Gerätschaften des Krieges als Kunstwerke zu sehen.
Eine Theaterinszenierung und eine Ausstellung in München
Vorhang auf!
Während ich dies schreibe, schaue ich zurück. Ich versetze mich voraus in den April und schaue durch die Augen des Lesers zurück, um von dorther auf das aktuell Entstehende Einfluss zu nehmen. Soll es nämlich im April – dem vermutlichen Erscheinungsdatum – noch etwas besagen, dann muss ich die Zeit buchstäblich aufheben und zurückwerfen. Die Bewusstseinsgeste der Zukunft gegenüber ist kein Vorwärts-Tasten mit dem Blindenstock im Dunkeln; es ist Vorwurf und Rückblick der Phantasie an der Wegkehre, an der Wasserscheide der Zeit, wo die Ströme sich trennen. Wo etwas Zukunft wird, was vergangen war.
Zu Rüdiger Sünner: ›Engel über Europa. Rilke als Gottsucher‹
Der Filmemacher Rüdiger Sünner ist erfreut, dass wir trotz des extrem heißen Septembertags »zur Gottessuche« in die Berliner Urania gekommen sind. Kurz spricht er seine letzten Filme an: über Joseph Beuys, Paul Celan und jetzt Rainer Maria Rilke, alle drei sehr spirituelle Persönlichkeiten. Ihre Suche galt dem göttlichen Funken in der Welt. Sünner erzählt, wie er Rilke erst in den letzten zehn Jahren wirklich kennenlernte, obwohl schon sein Vater ihm Rilkes Gedichte vermittelt hatte. Das Dorf Raron im schweizerischen Wallis, wo Rilke begraben liegt, habe er als magischen Ort empfunden. Dort, im Rilkemuseum, wurde sein Film ›Engel über Europa. Rilke als Gottsucher‹ – der bisher einzige Film über den Dichter – zuerst gezeigt.
Zum 500. Todestag von Johannes Reuchlin (* 29. Januar 1455 in Pforzheim; † 30. Juni 1522 Stuttgart)
In diesem Jahr gedenken wir des 500. Todestages von Johannes Reuchlin, des deutschen Philosophen, Humanisten, Juristen und Hebraisten. Den Namen kennt wohl jeder, aber kaum jemand weiß viel über ihn. In Pforzheim geboren, besuchte er die Lateinschule des dortigen Dominikanerklosters. Mit 15 Jahren ging er an die Universität in Freiburg i.Br. (Grammatik, Philosophie und Rhetorik), später nach Paris, Basel, Orleans, Poitiers und Tübingen. Speziell studierte er Jura. In Tübingen lehrte er an der Universität Poetik und kaiserliches römisches Recht. Es war die Zeit der Renaissance. Reuchlin kannte Humanisten in ganz Europa und war befreundet mit Erasmus von Rotterdam, Mutianus Rufus und Willibald Pirckheimer. Auf Italienreisen 1495 und 1498 traf er in Rom und Florenz die Humanisten Angela Poliziano und Marsilio Ficino, aber vor allem Giovanni Pico della Mirandola (1463-1494), der ihn stark beeindruckte, da er sich mit der Kabbala beschäftigte, obwohl er nicht Jude war.
Eine Spurensuche
Geht man auf die Suche nach den Rosenkreuzern in den Niederlanden des siebzehnten Jahrhunderts, dann trifft man zunächst auf eine Fülle von Hinweisen, von denen sich die wenigsten konkretisieren lassen. Eine gewisse Klarheit bringt die als Buch publizierte Dissertation von Govert Snoek: ›De Rozenkruisers in Nederland‹. Dieser hat mit unendlicher Geduld die entlegensten Ecken der Archive durchsucht, alte Nachlassverzeichnisse durchstöbert sowie Briefe und Biografien studiert, um die Fäden des verworrenen Gewebes zu ordnen.
Zur Ausstellung ›Tizian und die Renaissance in Venedig‹ im Frankfurter Städel Museum
Das Thema Renaissance scheint in der Luft zu liegen. Nach der großen Florentiner Schau in der Münchner Pinakothek widmet sich nun das Frankfurter Städel Museum mit einer Sonderausstellung zu ›Tizian und die Renaissance in Venedig‹ diesem Kapitel der europäischen Kunstgeschichte. Mit über hundert Meisterwerken sind die Künstler der Lagunenstadt vertreten, die im 16. Jahrhundert einen eigenständigen Stil entwickelten. Sie setzten vor allem auf rein malerische Mittel, die Wirkungen von Licht und Farbe. Diese Ausstellung zeigt nun die ganze Bandbreite der venezianischen Malerei. Neben Tizian, der mit über 20 Werken präsentiert wird, die umfangreichste Auswahl, die je in Deutschland gezeigt wurde, sind vor allem Tintoretto und Paolo Veronese vertreten. In acht thematischen Kapiteln untersucht die Ausstellung aber auch eine Polarität, die schon in der zeitgenössischen Rezeption des 16. Jahrhunderts eine Rolle spielte: der Gegensatz von disegno (Zeichnung) in Florenz und Rom sowie colorito (Farbe) in Venedig.
Zur Fotoausstellung in Wolfsburg
Diesen Artikel können Sie sowohl kostenlos lesen als auch kaufen. Mit letzterem unterstützen Sie unsere Arbeit. Vielen Dank!
Zur Ausstellung »Aenigma« in Olmütz und Halle
Kunstbetrachtung der Bewusstseinsseele
Ist es Zufall? Fast ein Jahrzehnt nach seinem zu frühen Hingang im Jahre 2009 sind an zwei verschiedenen Orten Werke zum Sehen und Denken Michael Bockemühls – sicher einer der interessantesten Kunstwissenschaftler der jüngeren Vergangenheit, zumal aus anthroposophischer Perspektive – vorgelegt worden. So erschien 2016 im transcript-Verlag eine Auswahl seiner theoretischen Schriften, herausgegeben und eingeleitet von Kollegen der Universität Witten- Herdecke, wo Bockemühl einen Lehrstuhl für Kunstwissenschaft, Ästhetik und Kunstvermittlung innehatte und einige Jahre das ›Institut für das Studium fundamentale‹ leitete; in diesem Jahr dann im Info3-Verlag die ersten drei Exemplare einer auf insgesamt 20 Bände veranschlagten Reihe von Bockemühls Vorträgen über Kunst und Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts, die er in den neunziger Jahren im Wittener Saalbau gehalten hat, herausgegeben u.a. von seinem langjährigen Assistenten David Hornemann. Beide Publikationen ergänzen sich ausgezeichnet, da sie zum einen den theoretischen Hintergrund seiner Arbeit mit den daraus hervorgehenden Konsequenzen entfalten, und zum anderen zeigen, wie fruchtbar die darin entwickelten und reflektierten Perspektiven für die Erschließung von künstlerischen Phänomenen sein können.
Zur Ausstellung ›fontane.200/Brandenburg – Bilder und Geschichten‹ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam
Der 200. Geburtstag Theodor Fontanes (*30. Dezember 1819; † 20. September 1898) wird gegenwärtig in Berlin und Brandenburg unter der Überschrift ›fontane.200‹ mit einer Fülle von Veranstaltungen begangen, darunter die am 7. Juni eröffnete Ausstellung ›fontane.200/Brandenburg – Bilder und Geschichten‹ im ehemaligen Kutschstall am Neuen Markt in Potsdam, der heute als Haus der Brandenburgisch- Preußischen Geschichte dient. Sie ergänzt die seit dem 30. März 2019 laufende Leitausstellung ›fontane.200/Autor‹ in Neuruppin und eine Reihe kleinerer Ausstellungen.