Zu SKA Bd. 6: ›Theosophie – Anthroposophie‹
Christian Clement bleibt seinem Fahrplan treu. Ende 2016 legte er Band 6 der kritischen Ausgabe von Rudolf Steiners Schriften vor, der die ›Theosophie‹ und das Fragment ›Anthroposophie‹ aus dem Jahre 1910 enthält, wie immer mit sauber dokumentierter Textentwicklung, einer 126-seitigen Einleitung und ca. 100 Seiten Stellenkommentaren. Ein Vorwort des schwedischen Esoterik-Forschers Egil Asprem eröffnet die Ausgabe.
Zu Erdmut-M. W. Hoerner: ›Vom Urbeginn christlicher Esoterik‹
Im Februar dieses Jahres erschien in den Schneider Editionen eine ambitionierte Studie, die sich dem ›Urbeginn christlicher Esoterik‹ widmet. Der Autor Erdmut-Michael Hoerner, Pfarrer der Christengemeinschaft, verweist bereits im Untertitel darauf, dass er »Johannes und Maria« an diesem Urbeginn gemeinsam unter dem Kreuz stehen sieht. Während bisher eine ganze Reihe anthroposophischer Autoren Johannes den Evangelisten und seine Bedeutung für die christliche Spiritualität behandelt haben, wird die vorliegende Studie als die erste anthroposophische Untersuchung nach Rudolf Steiner herausgestellt, in der die Mutter Jesu, Maria, in das Zentrum der Betrachtung mit einbezogen werden soll. Das lässt aufhorchen.
Zu Ulrich Kaiser: ›Der Erzähler Rudolf Steiner‹
Nachdem ich 2008 meinen Dokumentarfilm ›Abenteuer Anthroposophie – Rudolf Steiner und seine Wirkung‹ veröffentlich hatte, hörte ich natürlich nicht auf, mich weiter mit diesem eigenwilligen Denker zu befassen. Immer wieder beschäftigte mich die große Diskrepanz zwischen der bewundernden Anerkennung Steiners in anthroposophischen Kreisen und den enormen Schwierigkeiten, welche die Öffentlichkeit und auch die Wissenschaft mit seinen esoterischen Lehren haben. Und wie konnte ich selbst seine schwer verständlichen Deutungen der Urgeschichte, der Evolution, der Erzengel, Elementarwesen und Inkarnationsfolgen noch besser verstehen?
Zu Andreas Neider: ›Denken mit dem Herzen – Wie wir unsere Gedanken aus dem Kopf befreien können‹
Viele Entwicklungsschritte, die heute notwendig sind, kann man auch an deren Gegenbildern und den damit zusammenhängenden Gegenwelten erkennen. Gerade wenn man mit der Frage lebt, wie wichtig bestimmte Entwicklungsschritte sind, kann der Blick auf die Gegenbilder von zentraler Bedeutung sein.
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Zu Mirela Faldey & David Hornemann von Laer: ›Im Spannungsfeld von Weltenkräften‹
Es hat lange gedauert, bis dieses Buch erscheinen konnte. Und nun ist es genau zum richtigen Zeitpunkt herausgekommen, inmitten der Corona-Krise, während der das »Spannungsfeld von Weltenkräften«, um das es hier geht – der Mensch zwischen Luzifer und Ahriman – deutlich erlebbar ist. Was jetzt vorliegt, hat Gewicht – zunächst im wörtlichen Sinne: Mit seinen 536 Seiten und einem Format von 30,5x28,3x5 cm bringt es 4,5 Kilogramm auf die Waage!
Chancen und Hemmnisse
Unter dem propädeutischen Motto: »Vorstudium der Geisteswissenschaft« beschäftigt sich ein Kreis Berliner Forscherinnen und Forscher seit über zwei Jahrzehnten mit der Frage, wie das heutige, an der Gegenstandswelt geschulte naturwissenschaftliche Bewusstsein in der Auseinandersetzung mit der Anthroposophie eine Steigerung und Fortbildung erfahren könnte, ohne dass wissenschaftsferne Verhaltensweisen – wie das Suchen nach religiöser Befriedigung auf Kosten des kritischen Erkenntnisstrebens, das politische Taktieren auf der Suche nach Mehrheiten und »Erfolg« oder das operationale Schielen nach Honorierung seitens der Vertreter des akademisch-universitären Mainstreams – diesen Anspruch überlagern oder sogar gänzlich zunichte machen. Die kürzlich erschienene Studie ›Zurüstungen‹ von Lutz Liesegang erwuchs aus der intimen Arbeit dieses Kreises, an der auch der Rezensent in bestimmten Abständen mitgewirkt hat. Im Folgenden sei dieses Buch ausführlicher besprochen, da es meiner Ansicht nach eine Reihe bedeutsamer Fragen im Hinblick auf das Selbstverständnis und die Zukunft einer Hochschule für Geisteswissenschaft (d.h. Anthroposophie) aufwirft.
Causa efficiens und Wille zum Dasein
Dieser Beitrag zur Debatte um das Buch Evolution im Doppelstrom der Zeit von Christoph Hueck (vgl. auch die Drei 5,6,11/2013 und 1/2014) leuchtet die vier Ursachen des Aristoteles und ihre möglichen Beziehungen zu den Bereichen Erkenntnis, menschlicher Organismus und Schicksal weiter aus. Im Vorfeld wurde von Martin Basfeld die Frage aufgeworfen, inwieweit sich das darauf bezugnehmende sogenannte »Zeitkreuz« Rudolf Steiners (vgl. Psychosophie (GA 115)) auf die Evolution von Mensch und Natur übertragen lässt.
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Antwort auf Eva-Maria Begeer-Klare
oder: Geistiger Widerstand als Kapitulation
In letzter Zeit wird die Anthroposophie von Kritikern wieder verstärkt in die Nähe rechtsextremistischer Bestrebungen gerückt. Dass das nicht nur mit böswilliger Ignoranz zu tun hat, sondern mit einer echten Herausforderung des Unterscheidungsvermögens, an der auch Anthroposophen scheitern können, zeigt ein symptomatischer Fall, der im Folgenden geschildert werden soll.
Annäherung an ein Grundlagenwerk
Der Glaube an die leibliche Auferstehung Jesu Christi nach dem Tod am Kreuz ist der Ursprungsimpuls zur Entstehung des Christentums als heiliger Gemeinschaft. Der Auferstehungsglaube begründet sich aus den Erscheinungen des Auferstandenen vor einer Reihe von Zeugen und aus dem Aufleben der Auferstehungskraft in Einzelnen oder in Gruppen im Laufe der Geschichte, schließlich aus dem Überzeugungspotenzial der christlichen Philosophie und Theologie. Die Wirkung dieser Glaubensbestätigungen ist in neuerer Zeit stark zurückgegangen.
Zum Buch ›Auferstehung denken‹ von Matthias Remenyi
In die Drei 3/2016 findet sich eine ausführliche Besprechung des kurz vorher erschienenen dreibändigen Werkes ›Auferstehung. Die Auferstehung im Werk Rudolf Steiners‹ von Frank Linde. Wenige Monate später kam das Buch ›Auferstehung denken‹ von Mathias Remenyi heraus. Für die Leserschaft dieser Zeitschrift stehen sich damit ein anthroposophisches und ein theologisches Werk zum selben Thema gegenüber, letzteres als Teil einer ausgedehnten Fachliteratur. Beide Bücher sind dem Themenkreis »Eschatologie« zuzurechnen.
Zu Sergej O. Prokofieff: ›Rudolf Steiner – Fragment einer spirituellen Biografie‹
Wie das vor zwei Jahren hier ebenfalls besprochene Buch ›Rudolf Steiner und die Meister des esoterischen Christentums‹1 erschien im vergangenen Jahr posthum ein weiterer Titel von der Hand Sergej O. Prokofieffs: ›Rudolf Steiner – Fragment einer spirituellen Biografie‹. Fragment blieb diese 1984 begonnene Arbeit über frühere Inkarnationen Rudolf Steiners, weil der Autor die geplanten Kapitel über Ephesos, Athen, die Gralszeit und das scholastische Hochmittelalter zu Lebzeiten nicht hatte ausführen können. Zu den erhaltenen drei Kapiteln über die Menschheitslehrer und die Mission Rudolf Steiners, über das Gilgamesch-Epos sowie über Enkidu und die nathanische Seele fügte er im Jahr 2014, kurz vor seinem Tod, ein viertes Kapitel hinzu, in dem er den karmischen Werdegang Rudolf Steiners zusammenfassend betrachtet – anstelle der ungeschriebenen Teile. Dieses letzte Kapitel verfasste er in deutscher Sprache, während die drei zuerst genannten Kapitel von Hans Hasler aus dem Russischen übersetzt wurden. Das ist erwähnenswert, weil die durch Hasler erreichte deutsche Sprachform dem Leser erfreulich entgegenkommt.
Zu Eva Kovacheva: ›Die Weiße Bruderschaft des Peter Danov‹
Mit der hier besprochenen Arbeit promovierte die bulgarische Autorin Eva Kovacheva 2010 an der Universität Marburg im Fachbereich Evangelische Theologie. Ihre Schrift ›Die Weiße Bruderschaft des Peter Danov‹ verdient Aufmerksamkeit nicht allein vor dem akademischen Forum. Insbesondere gibt es Bezüge zwischen dem Exponenten des Buches, Peter Danov, dessen spiritueller Name Beinsa Duno lautet, und Rudolf Steiner bzw. der anthroposophischen Bewegung. Kovacheva ist seit ihrer Schulzeit an einem deutschsprachigen Gymnasium mit der deutschen Kultur vertraut und seit ihrer Jugend interessiert an Esoterischem – Rosenkreuzertum, Theosophie und Anthroposophie.
Zu Frank Hörtreiter: ›Die Christengemeinschaft im Nationalsozialismus‹
Zu einer Selbstbesinnung, wie sie einer Unternehmung wie der Christengemeinschaft angesichts ihres bevorstehenden 100. Gründungstages verstärkt ein Anliegen sein kann, gehört unbedingt eine nüchterne und schonungslose Auseinandersetzung mit früheren Epochen, die sich naturgemäß mit Abstand und sicherer Quellenlage gründlich und umsichtig aufarbeiten lassen. So liegt seit wenigen Wochen die Studie ›Die Christengemeinschaft im Nationalsozialismus‹ von Frank Hörtreiter vor.
Zur vollständig revidierten Neuausgabe von Rudolf Steiner: ›Aus der Akasha-Chronik‹ (GA 11)
Der nun vollständig revidierte Band 11 der Gesamtausgabe enthält die frühen, von 1904 bis 1908 in der Zeitschrift ›Lucifer-Gnosis‹ veröffentlichen Aufsätze Rudolf Steiners zur Erdgeschichte und Vorgeschichte der Menschheit. Im Jahr 1939, also lang nach Steiners Tod, waren sie von Marie Steiner zu einem eigenständigen Band der Gesamtausgabe zusammengefasst, kommentarlos redigiert und mit Ergänzungen herausgegeben worden. Auch die späteren Herausgeber griffen bei Neuauflagen nach eigenem Ermessen stillschweigend in den Text ein. Jahrzehntelang bot die Gesamtausgabe damit ein Buch, das in scheinbar unbedeutenden Kleinigkeiten nicht mehr dem entsprach, was und wie Rudolf Steiner geschrieben hatte. Ist die Textgrundlage bei den vielen mündlichen Vorträgen wegen möglicher Hör-, Übertragungs- und Verständnisfehler mit einem unvermeidbaren Maß an Ungewissheiten belastet, so bieten die schriftlichen Texte wie dieser eine Verlässlichkeit, die in der Edition auch zur Geltung kommen muss. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil Rudolf Steiner ein Autor war, der seinen Texten peinlich genaue Sorgfalt zukommen ließ und der darauf baute, dass auch die Form seiner Aussagen – bis hin zu einem Satzzeichen – von Bedeutung für den Inhalt ist.
Zu Michael Debus: ›Maria-Sophia. Das Element des Weiblichen im Werden der Menschheit‹
Das vom Rezensenten in dieser Zeitschrift zuletzt besprochene Buch handelte vom ›Urbeginn christlicher Esoterik‹. Darin wird ausführlich das einzigartige Verhältnis ausgeleuchtet, das zur Zeitenwende durch das Kreuzeswort »Siehe, dein Sohn! Siehe, deine Mutter!« gestiftet wurde: das Verhältnis zwischen der Mutter Jesu und dem Jünger, den der Herr liebhatte. In jenem Buch wird dieses mehr von Johannes her untersucht; in der vorliegenden Arbeit erfolgt dies stärker von Maria bzw. von Maria Sophia ausgehend. Bei den Autoren handelt es sich jeweils um Priester der Christengemeinschaft, das erstgenannte Buch erschien 2021, die hier besprochene Schrift bereits im Jahr 2000, in der durchgesehenen Neuausgabe 2020.
Über den »Lichtseelenatem« als Pendelschlag zwischen Wahrnehmen und Denken und eine Tagung in Stuttgart
Was ist Meditation? Herbert Witzenmann arbeitete in einer gleichnamigen Schrift die zwei »Grundformen« aller modernen, auf die menschliche Freiheit und Entwicklung der Individualität gegründeten Meditation (im Vergleich zu den östlichen Meditationsformen) heraus und kennzeichnete diese wie folgt: »Denn Meditation kann einerseits nichts anderes sein als das Erlangen der Einsicht, wie sich die geistige Welt mit der Sinnenwelt verbindet, – andererseits das Erlangen der Einsicht, wie wir uns selbst mit der geistigen Welt, wie wir diese mit uns verbinden.« Diese zeitgemäße Form der Meditation könne prinzipiell an jedem Gegenstand, in der Natur, aber auch ausgehend von geeigneten Kunstwerken oder Sinnbildern durchgeführt werden. Eine Hauptmethode der Meditation sei dabei – so Witzenmann mit Referenz auf Rudolf Steiners ›Philosophie der Freiheit‹ – »die Beobachtung der Wirklichkeitsentstehung durch unsere geistige Aktivität«
Zwei neue Bücher von und über Albert Steffen
Es mag übertrieben sein, von Albert Steffen als einem Unbekannten innerhalb der anthroposophischen Bewegung zu sprechen. Doch angesichts der Tatsache, dass Steffen nicht nur ein enger Mitarbeiter Rudolf Steiners war, sondern nach dessen Tod fast vierzig Jahre lang als Erster Vorsitzender die Anthroposophische Gesellschaft prägte, ist es eine höchst eigentümliche Tatsache, dass erst jetzt eine umfassende biografische Darstellung in Angriff genommen wird. Und auch sonst ist die Literatur dünn gesät. Seit 1984, als Steffens 100. Geburtstag mit mehreren Publikationen begangen wurde, sind ihm ganze drei Bücher gewidmet worden, von denen zwei sich mit den ›Kleinen Mythen‹ beschäftigen. Peter Selgs Studie: ›Albert Steffen – Begegnung mit Rudolf Steiner‹ (Dornach 2009) greift immerhin jenen Aspekt in Steffens Leben und Werk heraus, den dieser wohl auch selbst als zentral bezeichnet hätte.
Zu Lorenzo Ravagli: ›Selbsterkenntnis in der Geschichte – Anthroposophische Gesellschaft und Bewegung im 20. Jahrhundert. Band 2‹
Um zu verstehen, wie der Gründungsmythos der Anthroposophischen Gesellschaft entstanden ist und fortwirkte, muss einleitend kurz an den ersten Band des Gesamtwerks, der die Zeit ›Von den Anfängen bis zur zweiten Sezession 1875–1952‹ darstellt, angeknüpft werden. Die Anthroposophische Gesellschaft verselbstständigte sich zunächst aus der ›Theosophischen Gesellschaft‹ (Adyar) im Februar 1913. Die elf Jahre von 1913 bis 1923 erscheinen in der Rückschau – abgesehen von der Geistesforschung Rudolf Steiners – wie eine Vorgeschichte der später entstandenen ›Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft‹.
Zu Karl Ballmer: ›Elf Briefe über Wiederverkörperung‹
Mitte Mai 1953 erhält der für seine akademische Versiertheit bekannte Anthroposoph und Autor Hans Erhard Lauer eine Folge von Briefen, die sich auf dessen neueste Veröffentlichung zum Thema Wiederverkörperung beziehen. Bereits der erste Brief ist ein Affront. Er kommentiert nämlich Lauers gebildete Darstellung mit dem Satz: »Wie sich Tante Lieschen die Wiederverkörperung vorstellt – – ...« (S. 9). Lauer kennt den Absender, den hochgradig engagierten Anthroposophen und Maler Karl Ballmer, schon länger. Er hat ihn noch vor dem Krieg mehrmals in dessen Hamburger Atelier besucht, und bestimmt wurden damals intensive Gespräche über Wissenschaft und Anthroposophie geführt. Wohl deshalb antwortet er in seinem eigenen ersten Brief konziliant und bittet den Provokateur, nicht bloß mit seinen Äußerungen zu orakeln und zu kritisieren, sondern selbst einen »positiven und systematischen« (S. 65) Beitrag zum Thema Wiederverkörperung zu leisten. Und in einem zweiten Brief, wenig später, macht Lauer sogar einen besonnenen Vermittlungsvorschlag – den Ballmer indessen auf sich beruhen lässt. Es scheint Ballmer vielmehr nötig, weiter aus seiner eigenen Perspektive zu sprechen und zu versuchen, trotz aller erlebten und vollzogenen Zurückweisung verständlich zu werden. Und d.h. bei ihm: durch seine Begriffsbewegungen und denkerischen Ansatzpunkte, durch seine Schreibpraktiken und Ungehörigkeiten sichtbar und nachvollziehbar zu machen, was sein Erkenntnisethos antreibt und welche Wege es sich bahnt. Es kommt also zu keinem Austausch, wie wir ihn uns als Vertreter einer rationalen Diskursgemeinschaft wünschen würden. Lauer wird sich nach seinem zweiten, von Ballmer nur beiseite geschobenen Brief nicht mehr äußern.
Zu Rudolf Steiners Holzskulptur des ›Menschheitsrepräsentanten‹
Wer ist der »Menschheitsrepräsentant« – eine der vielen Begriffe, mit denen Rudolf Steiner die Mittelfigur seiner neun Meter hohen Holzplastik bezeichnete? Bin auch ich es? Ist es der durch Tod und Auferstehung gegangene Christus? Kann ich es werden, wenn ich mich mit ihm verbinde? Die Holzskulptur stellt diesen Menschheitsrepräsentanten in das Spannungsfeld zweier antagonistischer Kräfte, die zu Wesenheiten verdichtet sind: den sich ins Licht wie auflösenden Luzifer und den sich an die Erde bindenden Ahriman. Ersterer bleibt ganz im eigenen Innenraum von Kopf und Brust, ohne Verbindung zur äußeren Welt; mit ihm nimmt die schöpferische Phantasie ihren freien Lauf. Letzterer ergibt sich ganz den irdischen Kräften, die ihn zum Skelett erstarren lassen; seine fledermausartigen Flügel lassen keine geistigen Höhenflüge zu, wohl aber pragmatisches Denken und Handeln. Anders ausgedrückt: Folge ich allein Luzifer, gerate ich in eine Welt gefühlvoller Gedanken, die zur Illusion werden; folge ich ausschließlich Ahriman, schaffe ich eine automatenhafte Wirklichkeit, aus der das eigentlich Menschliche verschwindet.
Antwort auf Martin Basfelds kritische Anmerkungen zu meinem Buch Evolution im Doppelstrom der Zeit in die Drei 11/2013
Zu Rudolf Steiner: ›Organisches Denken‹
Der Tag, an dem ich dies geschrieben habe, war besonders merkwürdig. Mein täglicher Gang führt mich in ein kleines Landschaftsschutzgebiet mitten in der Stadt, mit Fließgewässer, See, Büschen, Bäumen und wenigen offenen Flächen. Wenig attraktiv für Kolkraben, welche die Weite brauchen; vereinzelt ruft einer das Jahr über. An diesem Tag aber riefen gleich zwei im Wechselgesang, ließen sich von mir durch Nachahmung des Rufes anlocken und kreisten über mir. Nach einer Weile bemerkte ich, dass sogar vier Raben rufend über mich hinwegflogen. Warum gerade an diesem Tag? Das Wetter war zunehmend windig; für die Küste war Sturm vorausgesagt. Durch meine Freude an dem Schauspiel der Raben war meine melancholische Stimmung wie fortgeblasen. Haben sie mir wirklich geantwortet? Ist es organisch gedacht, wenn ich mich frage, was ein Naturereignis wie dieses für einen kosmischen Zusammenhang hat, und darüber, was es mit mir zu tun hat? Gewiss, ein einfaches Beispiel.
Zu Lorenzo Ravagli: ›Selbsterkenntnis in der Geschichte – Anthroposophische Gesellschaft und Bewegung im 20. Jahrhundert. Band 1‹
Ende 2020 ist der erste Band von Lorenzo Ravaglis auf drei Bände angelegtem Werk über die Geschichte der anthroposophischen Gesellschaft erschienen. Der erste Band trägt einen zweiteiligen Titel: ›Selbsterkenntnis in der Geschichte – Anthroposophische Gesellschaft und Bewegung im 20. Jahrhundert‹. Daraus ergeben sich erste Fragen: Wessen Selbsterkenntnis ist gemeint? Geht es um die kollektive, wissenssoziologisch definierbare Selbsterkenntnis der Anthroposophischen Gesellschaft oder um individuelle Erreichnisse der Mitglieder? Gibt es einen stabilen Begriff der »anthroposophischen Bewegung«? Handelt es sich dabei um Gemeinschaftsintentionen der lebenden Gesellschaftsmitglieder, oder sind Verstorbene und andere Geistwesen einzubeziehen? Beabsichtigt der Verfasser, seine Darstellung nur bis zum letzten Jahrhundertende zu führen, oder wird er in den beiden nächsten Bänden auch die Gesellschaftsentwicklung danach berücksichtigen? (Durchlitt die anthroposophische Gesellschaft doch in den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrtausends und bis in die Gegenwart hinein neue krisenhafte Veränderungen.)
Annäherungen an Karl König
Der Arzt und Heilpädagoge Karl König war eine herausragende Figur des vergangenen Jahrhunderts und der anthroposophischen Bewegung. Lange Jahre war er auch ein Flüchtling in Europa. Zwei Neuerscheinungen zu Königs 50. Todestag geben Anlass, diese besondere Persönlichkeit neu ins Bewusstsein zu rücken.
Zu ›Zwischen Himmel und Erde: Die Finanzkrise‹ von Jose Martinez
Es gibt Themen, die sind gefährlich. Zu den gefährlichsten Themen in Mitteleuropa gehören sicherlich das Schicksal des deutschen Volkes und die Wirksamkeit der westlich geprägten Finanzwelt. Wer sich in diesem Themenbereich mit kritischen Fragen bewegt, läuft Gefahr, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Dafür gibt es durchaus Gründe, denn zum einen stützen sich Ideologen aus dem rechten Spektrum zum Teil auf ähnliche Beobachtungen, die schon Rudolf Steiner am Anfang des 20. Jahrhunderts gemacht hat, und zum andern gibt es im anthroposophischen Umfeld Menschen, die dazu neigen, geisteswissenschaftliche Beobachtungen und rechte Ideologie zu einer kruden, vitalistischen Welt- und Lebensauffassung zu verbinden. Das ruft Gegenreaktion hervor, die wiederum ebenso radikal ausfallen können wie das, was Claudius Weise in dieser Zeitschrift als »identitäre Anthroposophie« bezeichnet hat. So gibt es auch Vertreter einer Art »linksliberaler Anthroposophie« die auf ihrem Feldzug gegen die Vereinnahmung der Anthroposophie durch rechte Gesinnungen gleich alle zeitgeschichtlichen Aussagen Rudolf Steiners mitentsorgen wollen und jeden, der deren Sinn nachspürt, der rechtspopulistischen Hetze bezichtigen, dabei jedoch in der Plumpheit der Argumentation ihren rechten Antagonisten in nichts nachstehen. Das Buch ›Zwischen Himmel und Erde: Die Finanzkrise‹ dürfte diesen Wächtern einer »reinen Anthroposophie«, also einer Anthroposophie, die von allem gereinigt ist, was ihrem linksliberalen Weltbild widerspricht, genug Material für neue Feldzüge geben.