Artikel von Renatus Derbidge
Wie entsteht Raum im Bewusstsein? Oder: Vom Ende des Paradieses
Landschaft als solche zu sehen, ist nichts Natürliches, sondern eine Kulturleistung. Landschaft sehen ist ein Denkanteil in der Wahrnehmung. Dieses Denken unterliegt einer Kulturentwicklung. Ruedi Bind hat das in dieser Zeitschrift anschaulich für Hegel und Goethe dargestellt. Es sei daran erinnert, wie der Dichter und Denker Francesco Petrarca (1304–1374) wohl als einer der ersten Europäer bei seiner berühmt gewordenen Besteigung des Mont Ventoux bei Avignon im Jahr 1336 Landschaft »entdeckte«. Landschaft als solche zu erleben ist nicht etwas, das der Mensch schon immer konnte, sondern erst nach und nach sich erschloss. Das liegt daran, dass Landschaft bereits ein Konzept ist bzw. eine gedankliche Verarbeitung der Sinneswahrnehmung. Ganzheiten zu erfassen ist eine rationale Verarbeitung, welche nachfolgend der reinen Wahrnehmung stattfindet. Die primäre Wahrnehmung ist, wie Immanuel Kant sagte, »blind«. Erst die verstandesgestützte Denktätigkeit verarbeitet das Wahrgenommene zu etwas, das wir »sehen«. Wir nehmen viel mehr wahr, als uns bewusst wird. Das Denken filtert aus, selektiert, verstärkt bestimmte Sinnesdaten, unterdrückt andere, um so etwas zu gestalten, das wir verstehen können: »Aha, das ist es, ein Wald, ein See, ein Stein« usw. Im Sehen wird der Sinn wie mitgesehen. Gemeint ist hier Denken nicht als Grübeln über etwas, sondern als vorbewusster, blitzschneller Akt, der in uns vorgeht, bevor Bewusstsein davon entsteht. Steiner beschreibt diese Vorgänge, und wie wir sie beobachten können, in seiner ›Philosophie der Freiheit‹.
Wesenszüge des keltischen Christentums und ihr Hineinwirken in die heutige Zeit
Wenn heute von »keltischen Heiligen« die Rede ist, begegnen uns Gestalten aus Irland, Schottland und den angrenzenden Regionen der britischen Inseln, die zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert lebten. Keltisches Christentum meint dabei keine eigene Religion, sondern eine besondere Prägung des frühen Christentums im Nordwesten Europas: naturverbunden, gemeinschaftsbezogen und weniger hierarchisch organisiert als die römische Kirche. Kennzeichnend war die Peregrinatio, das freiwillige Verlassen der Heimat um Christi willen, sowie ein klösterliches Leben, das asketische Übung, Bildung, soziale Fürsorge und Landschaftspflege miteinander verband. Im Folgenden werden Grundzüge dieses Christentums skizziert und an exemplarischen Heiligen – Columba, Brigit und Kolumban(us) – konkretisiert. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer Identitätsbesinnung auf die Ursprünge Europas.