Artikel von Renatus Derbidge
Eine Reise durch den Osten Europas im Januar 2018 – Teil II
S. begrüsst uns auf dem Bahnsteig von Grosny. Ein großer, etwas stämmiger, leicht untersetzter, aber agiler und fröhlicher Endvierziger, mit schwarzer Fellmütze, Jeans und einem schwarzen Anorak; leger, normal, und doch sofort mit Lokalkolorit. Als er mich sieht, freut er sich und sagt, dass er sich geehrt fühle: Für uns habe er den landestypischen Bart abgeschnitten – und nun hätte ich solch einen Bart! Ich sähe aus wie ein Tschetschene. S. strahlt meinen Bart an und hat fast Tränen in den Augen. Er wird mich in den nächsten Tagen immer wieder auf Tschetschenisch ansprechen, da er es nicht hinzubekommen scheint, mich nicht als Tschetschenen anzusehen. Marija, die mit mir reisende Führerin und Übersetzerin, muss ihn dann gelegentlich daran erinnern, dass ich ihn nicht verstehe, und dass sie Pausen braucht, um zu übersetzen. Aber auch, wenn ich ihm auf Englisch etwas erwidere, scheint ihn das glücklich zu machen. S. wird sich während unseres Besuchs um uns kümmern. Stolz scheint ihn das zu machen. Zuerst förmlich und etwas steif, dann zunehmend herzlich. Jetzt steht er noch gewissermaßen dienstlich da – am Ende, gleicher Bahnsteig, vier Tage später, verabschiedet S. uns als Privatmensch, der Freunden schweren Herzens gute Reise wünscht.
Eine Reise durch den Osten Europas im Januar 2017 – Teil I
Am Grenzübergang Die russische Seite der Grenze zur Ost-Ukraine. Wir Passagiere unseres Busses sollen alle raus, alles mitnehmen, uns in einem Raum in Reih und Glied aufstellen, Gepäck auf den Boden vor uns. Ein Soldat mit Hund kommt herein und läuft die Reihe entlang. Der Hund schnüffelt und findet nichts. Wir dürfen weiter. Gepäck durchleuchten, Leibesvisite, Passkontrolle. Die Frau hinterm Glas schaut nicht einmal zu mir hoch, und doch fühle ich mich geprüft. Strenge Miene und das Gewicht der Macht auf ihren mit Abzeichen geschmückten Schultern. Der Busfahrer wollte mich in Rostow nicht mitnehmen, obwohl ich ein Ticket hatte: »Das gibt Probleme an der Grenze.« Da müsse er dann Stunden warten, bis er weiterkönne. Schließlich, mit schmollender Gebärde, ließ er mich doch hinein. Jetzt steht er auf der anderen Seite der Grenze und schaut nervös zu den Wartenden in der Schlange herüber. Die Frau prüft, wendet, scannt und scheint nicht weiterzukommen. Tippt in einen Computer, schaut, prüft, wendet. Dann geht sie zum Schalter nebenan, berät sich. Nun muss man auch dort lange warten, bis es weitergeht. Schließlich kommt sie zurück, macht einen Eintrag mit Kugelschreiber neben mein Russlandvisum und reicht mir den Pass, als ob alles wie immer sei – streng, normal, ordentlich.