Artikel von Christoph Hueck
Krisenbewältigung und aktuelles Sprachgeschehen
Wie auch in anderen Ländern der westlichen Welt herrscht in Deutschland eine seltsame neue Atmosphäre. Obwohl sich an der traditionellen Meinungsfreiheit hierzulande nichts geändert hat, macht sich das Gefühl breit, man könne bestimmte Dinge nur noch hinter vorgehaltener Hand sagen. Sonst werde einem unversehens Extremismus, Rassismus, Homophobie, Realitätsverweigerung, Fortschrittsfeindlichkeit oder dergleichen unterstellt. Die Liste der verbalen Waffen, mit denen Menschen und Meinungen täglich angegriffen werden, ist lang. So lesen wir z.B. von »Wissenschaftsleugnern«, »Frauenverächtern«, »Klimasündern«, »Sicherheitsgefährdern« oder »Feinden der Demokratie«. Da ist es verständlich, dass friedliebende Zeitgenossen vorsichtig geworden sind, sich auf das Schlachtfeld des »freien« Meinungsaustauschs zu begeben, wo man gefährlichen Verletzungen und Verleumdungen ausgesetzt ist.
Die Rede ist von einem Phänomen, das als Radikalisierung und Polarisierung der Kommunikation bezeichnet wird. Sogar in neutralen Berichten ist ständig von »Kampf« die Rede, als wären die Menschen grundsätzlich gegeneinander eingestellt, als müsse man sich ständig gegen irgendwelche Gegner und Feinde durchsetzen. Das gipfelt in Pauschalurteilen wie: Die Politik »versagt«, die Wirtschaft »betrügt« oder die Presse »lügt«.
Zu Mark Rothkos Gemälde ›Rot, Orange‹ (1968)
Wie sich die Musik ans Ohr wendet, so wendet sich die Malerei ans Auge. Der Maler malt Bilder, damit sie angeschaut werden. Ist die Dauer des Musik-Hörens jedoch an den Ablauf des Musikstückes gebunden, so ist der zeitliche Rahmen, in dem ein Gemälde betrachtet wird, nicht vorgegeben. Der Maler kann daher bloß hoffen, dass der Betrachter sich die Zeit nimmt, das Bild so lange anzuschauen, dass möglichst viele der Gestaltungskomponenten in ihm »erklingen« können. Denn die Wirklichkeit des Bildes offenbart sich erst dann, wenn die künstlerische Gestalt des Werkes innerlich tätig nachempfunden wird.
Johannes
Stüttgen und
Christoph
Schlingensief:
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