Artikel von Johannes Kiersch
Bemerkungen zur Genese des »Mottos der Sozialethik« von 1920
Zwischen der Erstfassung der ›Philosophie der Freiheit‹ vom Jahre 1893 und der Neuauflage von 1918 liegt ein Entwicklungsweg. Der unverbindlich-leichtfüßige Satz im IX. Kapitel: »Leben und Lebenlassen ist die Grundmaxime der freien Menschen«, erhält nach einem Vierteljahrhundert zwei gewichtige Einfügungen. Die Zeitumstände haben sich dramatisch verändert. Mit dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten von Amerika und der Oktoberrevolution in Russland steht die »Welt von gestern« (Stefan Zweig) unmittelbar vor einem völligen Zusammenbruch. Die anthroposophische Bewegung – zunächst im Rahmen der Theosophischen Gesellschaft theoretisch begründet und dann durch den Goetheanum-Bauimpuls und die Anfänge der Eurythmie künstlerisch belebt – hat sich auf eine breite Wirksamkeit in allen Bereichen des Lebens vorzubereiten, wie sie nach dem katastrophalen Ende des Krieges gefordert sein wird. Jetzt schreibt Rudolf Steiner: »Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime der freien Menschen.«