»Die Natur ist nie traditionell«

Zur Wiederentdeckung des schwedischen Dichters Harry Martinson

Er ist sechs Jahre alt, als sein Vater stirbt, die Mutter nach Amerika auswandert und ihre Kinder der Fürsorge übergibt. Als Verdingkind, später Kleinknecht, verdient er sein Leben auf Bauernhöfen, eingelassen in die schwedische Natur und die ländlichen Verrichtungen. Mit sechzehn heuert er als Matrose an, fährt Jahre als Heizer zur See, legt unterwegs längere Stationen ein, in Indien, Brasilien, anderswo. Mit dreiundzwanzig ist Schluss mit der Seefahrt, eine Lungenkrankheit zwingt ihn dazu. Er, früh schon Weltnomade, reist viel zu Fuß durch die schwedischen Lande, schreibt Gedichte. Zwei Jahre später, er ist jetzt fünfundzwanzig, erscheinen erstmals einige davon in Buchform. Es ist das Jahr, in dem er die etwas ältere Arbeiterdichterin Helga Swartz, genannt Moa, heiratet und mit ihr für zwölf Jahre in einem kleinen, einsam gelegenen Bauernhäuschen leben wird. Er entwickelt sein Schreiben durch die täglichen Aufenthalte in der Natur und den gemeinsamen Austausch. Er nennt sich Buddhist, nicht im Sinn der Religionszugehörigkeit, aber des praktischen Ethos. Auch bekennt er sich immer dazu, Autodidakt zu sein. Und über eine Reihe von Jahren gilt sein Interesse dem Kommunismus; wohl bis zur Reise nach Moskau anlässlich jenes Schriftstellerkongresses im Jahr 1934, auf dem die Partei den »Sozialistischen Realismus« dekretiert.

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die Drei 1, 2023

Du musst dein Denken ändern