Eine unter den vielen Eigentümlichkeiten der alle vier Jahre stattfindenden Bundestagswahlen ist, dass die Wahlberechtigten von den um ihre Gunst buhlenden Parteien bei ihren privaten Unzufriedenheiten »abgeholt« werden. Die Politiker versprechen den Wählern, diese Probleme im Falle ihres Wahlsieges zu beheben – insofern und insoweit die mit dem künftigen Koalitionspartner einzugehenden Kompromisse das zulassen. In den Wahlprogrammen werden diese Probleme nach Themengebieten aufgelistet und Lösungskonzepte vorgestellt. Diese Vorstellungen über Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs-, Gesundheits- und Sicherheits- bis hin zur Außenpolitik sollen den Wahlberechtigten als Orientierung dienen. Die Politiker hoffen, auf diese Weise die Bevölkerung so beeinflussen zu können, dass ihre Partei durch die Stimmabgabe von den Wählern zum Vollzug ihrer Programme ermächtigt werden. Diese Form der Ermächtigung im Sinne eines Delegierens von politischer Handlungsvollmacht an die gewählten Volksvertreter macht den Kern der repräsentativen Demokratie aus. Die allseits gelobte und als beste aller Welten erachtete Staatsform besteht somit darin, dass Privatinteressen der Staatsbürger als gesellschaftliches Problem gewürdigt und in ein ideelles Gesamtinteresse überführt werden. Unter verschiedenen Slogans wie: »Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes«, »Vereinbarkeit von Klimaschutz und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit«, »globale Verantwortung für Demokratie und Menschenwürde« usw. firmieren dann solche als »Gesamtinteresse« ausgegebenen Bündel von Partikularinteressen. Der verantwortungsvolle Staatsbürger soll sich so mit einer »größeren Sache«, dem »nationalen Interesse« oder der »westlichen Wertegemeinschaft« identifizieren können. Die Wahlen garantieren in der repräsentativen Demokratie letztlich das Einvernehmen der Wahlberechtigten über die nach den Wahlen über sie verhängte Politik.