Geisterspiele

Lebensbedingungen eines Virus

Im Schweizer ›Tagesanzeiger‹ vom 17. April schreibt Kia Vahland, dass es hinsichtlich der kulturellen Bedeutung der Maske – ›Stoff der Zukunft‹ ist der Artikel überschrieben – eines ideologischen Abrüstens bedürfe. Das Tragen von Masken sei ein Zeichen der Hoffnung, die Maske eine »Vorbotin eines möglichen Sieges über die Seuche«. Doch wer Dankbarkeit für ein offenes menschliches Gesicht zu empfinden vermag, wer Ehrfurcht hat vor dem Antlitz des Individuums, wer Freude und Freiheit erlebt unter einander freundlich anlächelnden Mitmenschen – der kann eigentlich nichts Zukünftiges in der gegenwärtigen Entwicklung erkennen, auch wenn die Verordnung oder Empfehlung, eine Maske zu tragen, vom Kopf her als solidarische und der allgemeinen Sicherheit dienende Tat verstanden wird. Das unmittelbare Erlebnis von maskierten Bürgern, von Gleichschaltung und Anonymität, spielt der guten Absicht indes fortwährend einen Streich. Wer muss sich nicht einen Ruck geben, um sich in solch einer Umgebung, in solch einer Art Alltag mit seinen Nächsten wirklich frei und wohlzufühlen? Es strahlt unwillkürlich etwas Unangenehmes und Negatives aus, das zuallererst Kinder spüren und intuitiv als Verstörung und als angstmachend erleben. Was mag es in ihrem Innerem anrichten, wenn sie die Welt als maskiert erfahren, die Maske als das kühl Normale und nicht das spielerisch Verzaubernde? Vor allem, wenn sie auch selbst eine solche Maske aufsetzen müssen.

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die Drei 6, 2020

Gesellschaftsfragen