Öffnung für die Mitmenschen

Zu Ralf Matti Jäger: Steiners Denkweg und die Fähigkeiten des Fühlens, die Drei 2/2014, S. 23

Eine kritische Diskussion der Konzepte Rudolf
Steiners ist schwierig. Zwei Sätze aus Goethes
Faust sind für mich diesbezüglich leitend: »Es irrt
der Mensch solang er strebt.« Aber: »Wer immer
strebend sich bemüht, den können wir erlösen.«
Einem Punkt aus der Reaktion von Salvatore
Lavecchia möchte ich dennoch direkt entgegentreten.
Am Ende seines Beitrages kommt
er zu folgender Schlussfolgerung: »Konsequent
gegangen, führt der von Jäger angedeutete Weg
sehr schnell zu jenem ›Bauchhellsehen‹, das
heute sehr viele Menschen sogar als Anlage mitbringen
… Die Schäden, die diese Menschen an
sich selbst und an der Welt deswegen anrichten
… sind mittlerweile unermesslich.« Aber,
welcher »Weg« ist es denn, den ich »andeute«?
Drei Stellen in meinem Aufsatz können davon
Aufschluss geben. In Fußnote 16 schreibe ich,
dass es für den Kunstschaffenden darum geht,
sich »in den lebendigen Strom der produktiven
Verwandlung der Welt« hineinzubegeben. Auf
Seite 31f. schreibe ich, dass für mich das Üben
der Verwandlungskräfte, die im Kunstschaffen
lebendig sind, von zentraler Bedeutung ist, um
auf diese Weise die Fähigkeiten des Fühlens
auszubilden. In diesem Zusammenhang erwähne
ich explizit, dass ich auch die Ausbildung
des Denkens durch die Auseinandersetzung mit
der Philosophie für notwendig erachte. Zentral
ist mir, die Öffnung für und die Einfühlung in
die Menschen auszubilden, da der Mensch ein
mit seinen Mitmenschen verbundenes Wesen
ist. Zuletzt benenne ich in Fußnote 21 die Liebe
als den Grund allen Strebens. Ganz abgesehen
davon, dass meine Ausführungen keineswegs
zu einem »Bauchhellsehen« führen sollen, ist
mir nicht nachvollziehbar, wie Lavecchia zu
der Auffassung kommen kann, dass das Beschreiten
dieses von mir skizzierten Weges zu
»Schäden an sich selbst und der Welt« führen
könnte. Ralf Matti Jäger

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die Drei 4, 2014

Testfall Ukraine