Sternverkehr

Zwei Menschen giften sich im Straßenverkehr an. Heftig, derb, beleidigend. Vielleicht raste einer mit dem Rad den Bürgersteig entlang, vielleicht der andere auch, sie kreuzten beide zu achtlos, egoistisch und ungeschickt den Weg des anderen, ein Dritter wird fast von ihnen über den Haufen gefahren, das sofort schlechte Gewissen macht sie beide wütend, man kennt das, so schimpft man auch als Eltern reflexhaft sein Kind aus, wenn es sich unvorsichtig verhalten hat, man hatte ja einfach nur panische Angst und kompensiert es als Zorn auf den Anlass. Die Biker werfen sich also, alles in zehn Sekunden, gegenseitig die Schuld an den Kopf, sie sind beide im Recht und beide sofort im Stress (weniger wegen des Dritten als wegen ihres Selbstbildes), authentisch explosiv fahren sie sich an, schreien sie sich Verwünschungen an den Kopf, rund fünfzehn Sekunden kopfloser Zorn, nah am Hass, noch in der Bewegung, noch im kurz wackligen Weiterfahren.Hinterher, hundert Meter weiter, das Herz schlägt noch wild, Abstand entsteht zum Passierten, fällt ihnen beiden auf, oder fällt ihnen ein, siedend heiß, wie man so sagt, dass sie einander kannten, dass sie einander vor wenigen Tagen kennengelernt hatten, dass sie sich sympathisch gewesen waren und sich mal auf einen Kaffee hatten treffen wollen.

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die Drei 6, 2025

Heilige / Bücher

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