Ein stummer Winter?

Über den Kulturverlust in Zeiten der Pandemie

Im Jahre 1962 erschien in den Vereinigten Staaten Rachel Carsons Buch ›Der stumme Frühling‹. Es löste damals eine Art von Aufschrei aus und befeuerte die Anfänge der ökologischen Bewegung. Worum ging es? Auch zu jener Zeit war die zivilisierte Welt keineswegs still oder stumm – im Gegenteil! Aber die Menschen spürten auf einmal: Ein wesentliches Element zum Erleben des Frühlings fehlte: die Vogelstimmen. Sie waren verstummt, denn die Zivilisation hatte den Vögeln die Lebensgrundlage genommen. Das betraf damals (und auch heute noch!) die Natur, das Naturerleben. Wenn ich jetzt 2020/21 in Analogie dazu von einem »stummen Winter« spreche, geht es um die Kultur – also das, was in der modernen Zivilisation das öffentliche In-Erscheinung-Treten und Sich-Ausleben von »Kultur« ist: Musik und Konzerte, Bildende Kunst und Ausstellungen, Theater, Schauspiel und vieles mehr, soweit es sich öffentlich im aktuellen Sich-Begegnen und Agieren der Menschen untereinander abspielt. Öffentliches Sich-Begegnen der Menschen sei aber – so heißt es – in den Zeiten der Corona- Pandemie gefährlich! Überdies sei das »öffentliche Ausleben« von Kultur nichts so Lebenswichtiges wie Essen und Trinken, Gesundheit und Hygiene, wie Produktion und Handel der für’s Leben »unverzichtbaren« Güter. Kultur sei Unterhaltung, etwas für die Freizeit! »Kultur« ist also im Sinne der um uns besorgten Politiker und ihrer Ratgeber aus Kreisen der »Wissenschaft« bloß Unterhaltung; sie wird also dem nicht-essenziellen Bereich des Lebens zugeschlagen!

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