Kleist und Büchner

Zwei Findlinge in der deutschsprachigen Literatur und der Mysterienhintergrund ihrer Werke – Teil I

Heinrich von Kleist (1777-1811) und Georg Büchner (1813-1837) gehören wie Friedrich Hölderlin und Franz Kafka zu den seltenen Dichtern, deren Wirkung lange nach ihrem Tod größer ist als diejenige zu ihren Lebzeiten, und deren Sprache unübertrefflich den Kern des Gesagten trifft - bei Kleist sogar im auch schriftlichen Stottern und bei Büchner als jugendliche Leistung nebenher in einem auf wenige Jahre begrenzten Erwachsenenleben als Akademiker und politisch Verfolgter. Beide waren als Künstler ihrer Zeit weit voraus.Kleist und Büchner erlebten denselben Kulturraum, aber in vollständig voneinander getrennten, wenn auch dicht aufeinander folgenden Zeiträumen. Beide waren sie noch Zeitgenossen Goethes; Kleist gehörte zur Generation seines Sohnes, Büchner zu der seiner Enkel. Als Kleist starb, war Büchner noch nicht geboren; als Büchner starb, nur fünf Jahre nach Goethes Tod, wäre Kleist, hätte er sich nicht das Leben genommen, sechzig Jahre alt gewesen. Ihre Biografien zeigen als Gemeinsamkeit den Scharfsinn des Journalisten und die Ruhelosigkeit beider Persönlichkeiten; im Ganzen können wir jedoch an ihren Werken vor allem eine Polarität erleben: Kleist stellt den Menschen als Mittelpunkt ohne Peripherie dar; Büchner sieht die Menschen aus einer Peripherie, die keinen Mittelpunkt hat. Diese Polarität ist es, worauf im Folgenden die Aufmerksamkeit gelenkt werden soll: bei Kleist im Wesentlichen aus der Perspektive seiner weiblichen Dramengestalten, bei Büchner in der Perspektive auf die männlichen.

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