Platonisches und aristotelisches Denken

Rudolf Steiners Karmavorträge von 1924 als Denkkunstwerk

Erkenntnis, in alten Zeiten als Offenbarung eine Gottesgabe, ist immer mehr individuelle menschliche Leistung geworden. Am Beginn dieser Entwicklung steht Sokrates mit seinem schockierend radikalen Zurückweisen aller überlieferten Weisheit: »Ich weiß, dass ich nichts weiß.« Sein Erkenntnisinstrument ist die Frage, als Einladung an den einzelnen Menschen, selbst zu denken. Dies führt zu der Einsicht und Grundregel der Philosophie, dass Weisheiten sekundär sind und nicht zu Dogmen erstarren sollten, dass Gedanken nicht das Denken ersetzen können. Das Denken selbst ist das Primäre, das lebendige Huhn, das immer neue Eier legt. In der Konsequenz entscheidet sich Lessing, wenn Gott ihm in der einen Hand die Wahrheit, in der anderen die Suche nach der Wahrheit zur Wahl bieten würde, für die Suche; nicht für die Produkte, die Erkenntnisse, sondern für die Erkenntnisfähigkeit als menschliche Produktionskraft. Und wenig spater stellt Hölderlin diese Umwendung im menschlichen Erkennen in einen großen Zusammenhang: »Denn nicht vermögen / Die Himmlischen alles. Nemlich es reichen / Die Sterblichen eh' an den Abgrund. Also wendet es sich, das Echo, / Mit diesen. Lang ist / Die Zeit, es ereignet sich aber / Das Wahre.«

Zurück