Offenbarung und Auserwählung im jüdischen Selbstverständnis – II. Teil
Sind die Juden ein Volk oder sind sie Angehörige eines religiösen Bekenntnisses? Wohl beides zugleich. Die Sachlage ist aber alles andere als eindeutig. Sofern sie ein Volk sind, ist das Atypische nicht zu übersehen, wo doch Juden zugleich Amerikaner, Russen oder Marokkaner sein können – oder auch Israelis, was andere Juden wiederum nicht sind, dafür aber viele Muslime und Christen. Und ob das Judentum eine Bekenntnisreligion sei, darf getrost hinterfragt werden. Die Konversion zum Judentum besteht ja im Kern nicht darin, einem Credo zuzustimmen, sondern beruht darauf, in die Schicksalsgemeinschaft des »Volkes Israel« aufgenommen zu werden – unabhängig davon, ob der Konvertit Chinese, Afroamerikaner oder sonst etwas ist und bleibt.
Aristoteles war der erste Denker, der das Herz naturwissenschaftlich erforschte. Allerdings konnte er dieses noch als einen Mittler zwischen übersinnlicher und irdischer Welt begreifen. Die moderne Naturwissenschaft hingegen schaut das Herz rein unter äußeren Gesichtspunkten an. Ein zentrales Anliegen von Joseph Beuys war es, Kunst und Naturwissenschaft zu verbinden. Der vorliegende Beitrag zeigt, wie er in dieser Intention an den Herzbegriff des Aristoteles anknüpfte.
Erfahrungen mit René Magritte in der Frankfurter Schirn
Die Bilder von René Magritte (1898-1967) sind kühl und wirken auf den ersten Blick höchst realistisch. Obwohl sie den Regeln der Perspektive zu folgen scheinen, lassen sie kein Erlebnis von Tiefe aufkommen; das verhindert schon die auf pure Oberflächengestaltung angelegte Malweise. So geht es auch nicht um Innerlichkeit oder Stimmungen, in die ich mich hineinleben kann. Was bleibt, sind Irritationen, die nur denkend aufzulösen sind, und allein darin liegt die Transzendenz dieser Bilder: Ich lerne an ihnen etwas über mein Sehen und Vorstellen. Was ich auf dem Bild sehe, bleibt jedoch irritierend, und genau das macht Magrittes Kunst aus.
Immanuel Kants kategorischer Imperativ und Rudolf Steiners Grundmaxime. Ein Vergleich
Immanuel Kants und Rudolf Steiners Ethiken offenbaren einem tieferen Blick – wie im Oktoberheft kenntnis- und lehrreich gezeigt wurde– viel mehr Affinitäten, als eine nur oberflächliche Wahrnehmung empfinden könnte. Im Folgenden möchte ich zeigen, wie der kategorische Imperativ Kants und Steiners Grundmaxime des freien Menschen trotz der soeben angedeuteten Affinitäten doch einen wesentlichen Unterschied in der Gebärde, die der Wahrnehmung des ethischen Handelns zugrunde liegt, manifestieren.
und die Finanzierung der freien geistigen Arbeit (16b)
Die Leistungen, die ein freies Geistesleben der Gesellschaft erbringen kann, werden systematisch unterschätzt. Ein Kernanliegen Rudolf Steiners war, für ein Verständnis dieser freien Geistestätigkeit so zu werben, dass auch eine sachgemäße Finanzierung derselben möglich wird. Der vorliegende Beitrag skizziert, wie Rudolf Steiner seine Gedanken zur Sozialen Frage zwischen 1904 und 1922 fortentwickelte. Der 13. Vortrag des Nationalökonomischen Kurses verdeutlicht, dass dem Geistesleben die Arbeit an der Natur erspart werden muss, wenn es fruchtbar sein soll. Das rein dem irdischen Leben zugewandte Geistesleben erzwingt diese Ersparnis in einer Form, die zu Not und Elend führt.
Claudius Weise im Gespräch mit Marcelo da Veiga
Für die Frage der Vereinbarkeit von Anthroposophie und akademischer Wissenschaft ist die Alanus Hochschule gegenwärtig ein wichtiges Beispiel. 1973 als freie anthroposophische Kunststudienstätte gegründet, strebte die Alanus-Hochschule seit den späten 90er Jahren die staatliche Anerkennung an, die 2002 von Marcelo da Veiga verhandelt und erreicht wurde. Von diesem Jahr an prägte da Veiga den weiteren Entwicklungsprozess, der 2010 mit der Erstakkreditierung als Hochschule durch den Wissenschaftsrat und die Verleihung eines beschränkten Promotionsrechts einen Meilenstein verzeichnete. Nach 15 Jahren legte er im April 2017 sein Amt als Rektor nieder. Im Gespräch mit ›die Drei‹ zieht er Bilanz und blickt nach vorne.
Erwachen in ein neues Leben
Eine weihnachtliche Bildbetrachtung
In einer mittelalterlichen Miniatur gibt es ein Bild der Begegnung von Maria und Elisabeth, die beide ihr Kind unter dem Herzen tragen. Der Maler hat das Herz der Frauen jedoch geöffnet, so dass die Kinder selbst sichtbar werden. Was er gemalt hat, ist nicht nur die Geschichte von Maria und Elisabeth, die sich begegnen und deren Kinder sich – in Wirklichkeit – im Bauch bewegen, sondern er hat ein eigentliches Herzbild gemalt. Er zeigt uns die Kraft und Fähigkeit des Herzens, und er führt uns mit diesem Bild in jenen Bereich, der einst in der Begegnung der beiden Frauen und ihrer Kinder sich öffnete und der (in der Zeit vor Weihnachten) immer wieder neu aufgesucht werden kann.
Anmerkungen zu einem Deutungsproblem
Rudolf Steiners durchaus ambivalente Haltung gegenüber Ernst Haeckel und dessen Monismus spielte in der steinerkritischen Literatur seit jeher eine große Rolle. Schon zu seinen Lebzeiten wurde Steiner vorgeworfen, er habe durch zahlreiche Textänderungen in den Neuauflagen seiner Schriften seine ideologische Kehrtwende vom monistischen Materialisten zum dualistischen Esoteriker nachträglich verschleiern wollen. Vertreter des ›Deutschen Monistenbundes‹ (DMB) glaubten gar beweisen zu können, dass sein Beitritt zur Theosophischen Gesellschaft nur aus einer finanziellen Notlage heraus erfolgt sei. Der folgende Aufsatz möchte einige noch immer kursierende Falschbehauptungen richtigstellen. Wenn der Haeckel- und Steinerbiograph Johannes Hemleben feststellt: »Haeckel hat sich [die] Schützenhilfe Steiners gerne gefallen lassen, bis er erfuhr, daß derselbe ›Theosoph geworden‹ sei (1902)«, so ist das korrekturbedürftig. Das vermeintliche Haeckelzitat (»Theosoph geworden«) ist eine Erfindung des Haeckelschülers Heinrich Schmidt, und die Datierung von Haeckels »Rückzug« muss bezweifelt werden, gehörte doch Steiner noch 1903 zu den Empfängern eines Widmungsexemplars der Volksausgabe von Haeckels ›Die Welträtsel‹.
Die Erneuerung des sozialen Lebens durch die Verwandlung der Seelenkräfte
Das soziale Beziehungsgefüge wird maßgeblich von der Form der Begegnung geprägt, die den Menschen aufgrund der Beschaffenheit ihres Seelenlebens möglich ist. In der Vergangenheit fand dieses Seelenleben Halt in äußeren Formen des sozialen Lebens. Diese tragen immer weniger. Das Seelenleben der Menschen steht dadurch schutzlos den äußeren und inneren Einflüssen gegenüber. Neue, tragfähige Formen können nicht einfach von außen eingeführt werden. Sie müssen sich in sozialen Prozessen herausbilden. Der Artikel beschreibt, welche Hindernisse dabei im Alltag zu überwinden sind und welche Entwicklungshilfen aus der Geisteswissenschaft in Anspruch genommen werden können. Im Arbeitsalltag kann der Umgang mit den 12 Monatstugenden eine besondere Hilfe für die Selbsterziehung werden.
Teil 1: Zur Bedeutung der Präsidentschaftswahl in Frankreich 2017
Alain Morau hatte im Sommer der Redaktion seine Beobachtungen zu den französischen Wahlen und seine Einschätzung von deren Hintergründen vorgelegt. Daraus ist mit Stephan Eisenhut ein deutsch-französicher Dialog entstanden, dessen Ergebnis wir in zwei Teilen vorstellen wollen. Der erste Teil lenkt den Blick auf die Umstände der Präsidentschaftswahl und die dahinter stehenden Netzwerke. Am Beispiel einer vollkommen unbekannten Partei wird gezeigt, dass politische Strömungen, welche die Souveränität Frankreichs gegenüber einer langfristig angelegen Europa-Strategie bestimmter Kreise verteidigen, keine Chance haben, ihre Positionen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der zweite Teil wird anhand des Gegensatzes zwischen Charles de Gaulle und Jean Monnet aufzeigen, wie diese EU-Politik von langer Hand angelegt wurde und systematisch die Auflösung der souveränen Staaten anstrebt.
Teil II: ›Europa der Staaten‹ oder ›Europa der Eliten‹?
Wie in Teil I gezeigt, war Emmanuel Macrons Wahl zum französischen Staatspräsidenten möglich, weil bestimmte Netzwerke im Hintergrund die entsprechenden Fäden gezogen haben. Der II. Teil beleuchtet anhand des Gegensatzes zwischen Charles de Gaulle und Jean Monnet die historischen Hintergründe dieser Netzwerke. De Gaulle hatte ein sehr gutes Gespür für die Intention Franklin D. Roosevelts und der mit ihm verbundenen Kreise. Nachdem es zunächst nicht gelang Frankreich zu einem amerikanischen Protektorat zu machen – der Widerstand de Gaulles war zu stark –, wurde diese Intention auf dem Weg der Schaffung transatlantischer Netzwerke verfolgt. Das Europa Jean Monnets ist das Europa dieser Netzwerke. Die Zukunft Europas wird davon abhängen, ob es gelingt, Geistesleben und Rechtsleben so zu trennen, dass die europäischen Staaten nicht unter den Einfluss wirtschaftlicher Gruppeninteressen gelangen können.
Zwei neue Bücher von und über Albert Steffen
Es mag übertrieben sein, von Albert Steffen als einem Unbekannten innerhalb der anthroposophischen Bewegung zu sprechen. Doch angesichts der Tatsache, dass Steffen nicht nur ein enger Mitarbeiter Rudolf Steiners war, sondern nach dessen Tod fast vierzig Jahre lang als Erster Vorsitzender die Anthroposophische Gesellschaft prägte, ist es eine höchst eigentümliche Tatsache, dass erst jetzt eine umfassende biografische Darstellung in Angriff genommen wird. Und auch sonst ist die Literatur dünn gesät. Seit 1984, als Steffens 100. Geburtstag mit mehreren Publikationen begangen wurde, sind ihm ganze drei Bücher gewidmet worden, von denen zwei sich mit den ›Kleinen Mythen‹ beschäftigen. Peter Selgs Studie: ›Albert Steffen – Begegnung mit Rudolf Steiner‹ (Dornach 2009) greift immerhin jenen Aspekt in Steffens Leben und Werk heraus, den dieser wohl auch selbst als zentral bezeichnet hätte.
Das Wesen des Ichs an der Schwelle
Die Geburt des höheren Ichs im Menschen und der Umgang mit dem eigenen Doppelgänger stehen in einem unmittelbaren Verhältnis zueinander. Ohne das Anschauenlernen und Verwandeln des eigenen Doppelgängers kann das höhere Ich nicht in einer guten und gesunden Art zur Geburt gebracht werden. Warum, kann man fragen, haben diese beiden Dinge einen so engen Zusammenhang? Andere Weltanschauungen, die das Ich nur mit dem Egoismus identifizieren, kennen den Doppelgänger und die Schwelle nicht.
Erinnerungen an ein früheres Leben
Ich und Europa III
1. »Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da« – diese Aussage Antigones stammt aus dem gleichnamigen Stück des griechischen Tragikers Sophokles. Der Chor teilt mit: »Sie [Antigone] ist autonómos.« Autonom und individuell handelnd ist Antigone nicht nur aufgrund der Widersetzlichkeit gegen das Verbot der Bestattung ihres Bruders, sondern vor allem deshalb, weil sie mitlieben und eben nicht mithassen will. Antigone vollzieht die Doppelbewegung von Autonomie und Liebe. Die Doppelbewegung des Ich, das in der zentrischen Freiheit und in der sphärischen Liebe lebt, in Selbstbestimmung und Weltoffenheit, im Weg nach innen und im Weg nach aussen, im freilassenden Tun und in der tätigen Gelassenheit.
Spätaufklärer und Romantikerfreund
Innenansichten der Regierung Trump
Von allen Rivalen Donald Trumps im republikanischen Vorwahlkampf galt John Kasich, seines Zeichens Gouverneur des Bundesstaates Ohio, allgemein als der ernsthafteste und vernünftigste. Wenige Wochen nachdem er Anfang Mai 2016 als letzter aus dem Rennen ausgeschieden war und damit Trump der Weg zur Nominierung offenstand, erhielt einer seiner Berater angeblich einen Anruf von Trumps ältestem Sohn: Ob Kasich daran interessiert sei, der mächtigste Vizepräsident aller Zeiten zu werden? Auf die Frage, wie das denn aussehen solle, habe Donald Trump jr. erklärt, dass der Vizepräsident für die Aussen- und Innenpolitik verantwortlich sein solle. Und wofür sei Trump dann verantwortlich? Worauf die lässige Antwort erfolgt sei: »Make America great again.«
Zu ›Ein Koran ohne Mohammed?‹ in die Drei 8-9/2016
Zum 100. Todestag von Franz Brentano
Am 17. März dieses Jahres 2017 jährt sich der Todestag von Franz Brentano zum hundertsten Male. Der Philosoph und Psychologe hat an den Grundlagen des Gebietes der seelischen Phänomene geforscht und maßgeblich zur Entwicklung der Psychologie als eigenständige Wissenschaft beigetragen. Brentano zählt zudem zu den wichtigsten Vorreitern der philosophischen Phänomenologie. Der Artikel möchte an die Persönlichkeit Brentanos erinnern und Grundgedanken sowie wichtige Entdeckungen seiner Seelenlehre umreißen. Dabei soll das Schwergewicht auf sein methodisches Hauptwerk ›Psychologie vom empirischen Standpunkte‹ (1874) gelegt werden. Gegen Ende des Beitrags wird Rudolf Steiners Würdigung des Philosophen in seinem Nachruf auf Brentano von 1917 zur Sprache gebracht und es werden einige darin enthaltene Grundeinsichten in ihrer Relevanz für die Möglichkeit zukünftiger geisteswissenschaftlicher Forschung skizziert.
Zur Kontroverse um den Einsturz des World Trade Centers
In der Zeitschrift ›europhysics news‹ (EPN), die von der ›European Physical Society‹ (EPS) herausgegeben wird, erschien im August 2016 unter dem Titel: ›15 Years Later: on the Physics of High-Rise Building Collapses‹ ein Artikel, der die Hypothese einer kontrollierten Sprengung der drei Türme des World Trade Center am 11. September 2001 wissenschaftlich zu belegen sucht. Die ›European Physical Society‹ (EPS) ist ein Zusammenschluss von 42 europäischen physikalischen Gesellschaften (unter anderen der ›Deutschen Physikalischen Gesellschaft‹) und repräsentiert damit über 100.000 Physiker in ganz Europa. Die ›europhysics news‹ haben eine Auflage von 25.000 Exemplaren. Weil damit zum ersten Mal ein der offiziellen Theorie widersprechender Artikel in einem angesehenen wissenschaftlichen Medium publiziert wurde, lohnt sich eine genauere Betrachtung dieses bemerkenswerten Vorgangs.
Syrischer Bürgerkrieg und Islamischer Staat
Neue Versuche zur Willensfreiheit
Lässt das Gehirn Willensfreiheit zu oder sind wir vom Gehirn gesteuert? Ist das menschliche Handeln dem Zufall überlassen oder ist der Mensch frei, über sein Tun und Lassen zu entscheiden? Dieser Fragekomplex ist durch neue Experimente einer Arbeitsgruppe an der Berliner Charité um eine interessante Variante bereichert worden. Die Versuche zeigen, dass man sowohl fest geplante als auch unwillkürlich impulsive Handlungen unterlassen kann, wenn vor dem Vollzug noch mindestens 1/5 Sekunde Zeit bleibt. Es gibt somit eine Freiheit des negativen Handelns oder Unterlassens. Ist allerdings dieser Zeitpunkt überschritten, gibt es kein Zurück mehr (»Point of No Return«).
Ruth Renée Reif im Gespräch mit Alex Perry
Afrika befindet sich im Aufbruch. Der britische Afrika-Experte Alex Perry bereiste zehn Jahre lang den Kontinent, sprach mit Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft und erlebte ein Afrika, das nicht nur von Hunger, Katastrophen und Kriegen bestimmt wird, sondern selbstbewusst seinen Weg sucht. Den Menschen südlich der Sahara prognostiziert Perry ein Entkommen aus der Armut und eine Befreiung von westlicher Einmischung und Bevormundung. Aus eigener Kraft werden die Menschen den wirtschaftlichen Aufschwung schaffen. Damit werde auch dem Rassismus der Boden entzogen. In seinem Buch ›In Afrika. Reise in die Zukunft‹ (S. Fischer, Frankfurt a. M. 2016) zeigt Perry, dass der Prozess der Veränderung längst begonnen hat. Was hinterherhinkt, ist unsere Sicht auf Afrika.