In der Silvesternacht vor 100 Jahren brannte das erste Goetheanum bis auf das Fundament ab. Schon vier Jahre zuvor, bei seiner Ansprache zur fünfjährigen Grundsteinlegung am 20. September 1918 in Dornach, richtete Rudolf Steiner eine eindringliche Mahnung an die Zuhörer, von denen sicherlich viele selbst am Bau mitarbeiteten. Während sich wenige Kilometer weiter die Völker in den Schützengräben kämpfend gegenüberlagen – der Erste Weltkrieg endete erst im November 1918 –, kamen zur Errichtung dieses Menschheitsbaus die verschiedensten Nationalitäten zusammen, sodass tagtäglich ein kontrastreiches Bild den dort tätigen Zeitgenossen erlebbar war: Im Umkreis Kampf und Zerstörung, der von den damaligen Medien, genau wie heute, in schärfster Weise befeuert wurde; am Bauplatz in der neutralen Schweiz ein weitgehend friedliches Zusammenwirken von Menschen, deren Angehörige womöglich gleichzeitig in Kampfhandlungen verstrickt waren. Doch Rudolf Steiner ahnte, dass mit dem absehbaren Ende des Krieges die Zerstörungskräfte sich unmittelbar auf das Zentrum der anthroposophischen Bewegung richten werden. Denn diese Kräfte sind eine Weltnotwendigkeit in der Evolution der Menschheit. Sie müssen wirken. Es hilft nicht, diese zu beklagen, sondern es kommt setzen kann. Nur so kann die Wirkung dieser Zerstörungskräfte neutralisiert werden. Daher richtete Rudolf Steiner bei seiner Ansprache einen ernsten Appell an seine Mitarbeiter: »Ich möchte sagen, wir dürften eigentlich keine Freude, keine Befriedigung haben an dem Bau, wenn wir nicht zu gleicher Zeit alle Kraft daransetzen würden, für die anthroposophische Sache einzutreten. Denn der Bau würde die Veranlassung sein für die Zerstörung unserer Sache, wenn sich nicht genügend verteidigende Kraft finden würde. Ich möchte sagen, wenn wir keinen Bau hätten, könnten wir uns den Luxus gönnen, der an throposophischen Sache nur anzugehören, denn sie hätte eben nicht das sichtbare Zeichen, das auch diejenigen Menschen aufmerksam macht, die sichtbare Zeichen brauchen. Aber wenn wir Freude haben am Bau, wenn wir Befriedigung haben über den Bau, dann müssen wir auch damit eine gewisse Verpflichtung verbinden, für die anthroposophische Sache einzutreten.« Rudolf Steiners Appell verhallte ungehört. Er stellte auch eine hohe Erkenntnisherausforderung an alle Beteiligten: Wie setzt man sich denn richtig für die anthroposophische Sache ein?