Ungewöhnlich umfangreich ist in diesem Heft der dem Zeitgeschehen gewidmete Teil. Das hängt mit unserem Schwerpunkt zusammen, der die Bedeutung geistiger Impulse für das gesellschaftliche Zusammenleben in den Blick nimmt. Historische Zusammenhänge, grundsätzliche Gesichtspunkte und aktuelle Entwicklungen werden dabei in verschiedenen Beiträgen dargestellt, die über das ganze Heft verteilt sind. Neben dem zweiten Teil der von Alain Morau und Stephan Eisenhut verfassten Betrachtung der Präsidentschaftswahl in Frankreich finden sich dort z.B. zwei Wortmeldungen von Ute Hallaschka und mir zur Bundestagswahl sowie ein Aufsatz von Matthias Wiesmann über ›Gesellschaftliche Resilienz‹. Darin wird der Frage nach gegangen, welchen Herausforderungen die Widerstandskraft eines Gemeinwesens heutzutage ausgesetzt ist und wie diese gestärkt werden kann.
2ère Partie:«Europe des États» ou bien «Europe des élites»?
Teil II: ›Europa der Staaten‹ oder ›Europa der Eliten‹?
Wie in Teil I gezeigt, war Emmanuel Macrons Wahl zum französischen Staatspräsidenten möglich, weil bestimmte Netzwerke im Hintergrund die entsprechenden Fäden gezogen haben. Der II. Teil beleuchtet anhand des Gegensatzes zwischen Charles de Gaulle und Jean Monnet die historischen Hintergründe dieser Netzwerke. De Gaulle hatte ein sehr gutes Gespür für die Intention Franklin D. Roosevelts und der mit ihm verbundenen Kreise. Nachdem es zunächst nicht gelang Frankreich zu einem amerikanischen Protektorat zu machen – der Widerstand de Gaulles war zu stark –, wurde diese Intention auf dem Weg der Schaffung transatlantischer Netzwerke verfolgt. Das Europa Jean Monnets ist das Europa dieser Netzwerke. Die Zukunft Europas wird davon abhängen, ob es gelingt, Geistesleben und Rechtsleben so zu trennen, dass die europäischen Staaten nicht unter den Einfluss wirtschaftlicher Gruppeninteressen gelangen können.
Die Idee einer sogenannten Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP fasziniert seit der Bundestagswahl 2005 wenn nicht die Bevölkerung, so doch die Protagonisten des politischen Diskurses in Deutschland. Der Begriff selbst wurde rund zehn Jahre früher im rheinischen Dormagen geprägt, als dem Redaktionsleiter eines örtlichen Anzeigenblatts, der gerade einen Karibik-Urlaub vorbereitete, die Ähnlichkeit zwischen der jamaikanischen Flagge und der Farbkombination einer möglichen Koalition im Stadtrat auffiel, dessen Wahl 1994 anstand. Aber erst 2005 verdrängte dieser Begriff den der »Schwarzen Ampel« oder »Schwampel«, der schon früher für dieselbe politische Konstellation erfunden worden war. Das war kein Zufall: »Schwampel« klingt nach einem widernatürlichen Hybrid, und als ein solches erschien die Verbindung von Christdemokraten und Grünen, solange jene noch von Helmut Kohl und diese von Alt-68ern angeführt wurden. Nachdem aber Angela Merkel durch politischen Vatermord an die Spitze ihrer Partei gelangt war und sie mit zäher Klugheit auf Modernisierungskurs gebracht hatte, erschien die Vorstellung eines solchen Bündnisses nicht mehr als abwegig, sondern als reizvolle, wenn auch ferne Perspektive. Dazu passte der Name der exotischen Karibikinsel viel besser.
Jeder sechste Bundesbürger lebt in Deutschland offiziell in Armut. Ein Fünftel der Erwerbstätigen ist im Niedriglohnsektor beschäftigt. Diese Elendsskala erfasst noch nicht die betroffenen Kinder und Jugendlichen. Diese nackten Zahlen hätten einen anderen Wahlausgang erwarten lassen. Doch was gab es zu wählen für dieses Land, das eine neue Sozialpolitik braucht? Außer der Linken, die weiterhin unter sozialistischem Ideologieverdacht steht, gibt es keine Partei, die sich radikal zur gesellschaftlichen Wirklichkeit bekennt. Die Linke trägt schwer an ihrem Erbe, ihre politische Theorie ist Vergangenheit, daher kommt sie mit ihren Zielen nicht in der Gegenwart an. Doch sie zeigt sich immerhin an der Realität orientiert. Alle anderen Parteien leiden mehr oder minder an Realitätsverlust. Ihre in der Vergangenheit konzipierten Identitäten sind weggebrochen.
Anmerkungen zu einer notwendigen Qualität
Wer kennt nicht die schnappschussartige Erinnerung an eine einzelne Szene oder an einen einzelnen ausgesprochenen oder geschriebenen Satz, vielleicht weit zurückliegend, aber noch lebendig, wie wenn es eben gewesen wäre? Die meisten damals erwachsenen Menschen erinnern sich beispielsweise genau an die konkrete Situation, in der sie sich befanden, als sie am 11. September 2001 die Nachricht von den brennenden und einstürzenden Wolkenkratzern in New York erreichte. Oft ist im Moment allerdings nicht einmal so klar, weshalb sich gerade diese Erinnerung so tief eingegraben hat. Viel später erst, im Rahmen eines selber oder von anderen thematisierten Zusammenhangs, taucht diese plötzlich wieder auf und fügt sich in ein aktuelles Thema ein. Von zwei solchen Erinnerungen ist hier die Rede – und anschließend von ihrer Einordnung in das Thema ›gesellschaftliche Resilienz‹.
Die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus und die Problematik des »bürgerlichen Denkens«
Im Februar 1919 wendet sich Rudolf Steiner in Zürich mit seinen Ideen zur Sozialen Frage das erste Mal an eine breite Öffentlichkeit. Im Wechsel mit seinen öffentlichen Vorträgen spricht er zu Mitgliedern des Züricher Zweiges der Anthroposophischen Gesellschaft. Die öffentlichen Vorträge finden sich im Zyklus ›Die Soziale Frage‹; die Mitgliedervorträge sind im Zyklus ›Der innere Aspekt des sozialen Rätsels‹ veröffentlicht. Das Stenogramm seiner Züricher öffentlichen Vorträge hat Rudolf Steiner der Ausarbeitung des im April 1919 erschienen Buches ›Die Kernpunkte der sozialen Frage‹ zugrunde gelegt. Im vorliegenden Beitrag wird versucht, die damals dargelegten inneren und die äußeren Aspekte der Dreigliederung zusammenzuschauen.
L’idée de la Dreigliederung de l’organisme social et la problématique de la «pensée bourgeoise»
Über die Notwendigkeit einer Neuauflage der ›Philosophie der Freiheit‹ im Jahre 1918
Die Vorrede zur Neuauflage der ›Philosophie der Freiheit‹ beginnt Rudolf Steiner mit dem einprägsamen Satz: »Zwei Wurzelfragen des menschlichen Seelenlebens sind es, nach denen hingeordnet ist alles, was durch dieses Buch besprochen werden soll.« Dieser Eröffnungssatz ist eingängig und zugleich etwas widerborstig. Ich liebe an ihm vor allem das Wort »Wurzelfragen«. Das von Steiner – der sonst nicht vor Wiederholungen zurückschreckte – nur hier verwendete Wort hat es in sich: Es ruft Bilder und Vorstellungen hervor, verführt zu Assoziationen und kann zu tiefen Gedanken – man könnte auch sagen: Meditationen – anregen. Benötigt man einen Anlass, sich mit diesem Wort zu befassen, so kann man sich unauffällig unter die Zelebranten großer und kleiner historischer Jubiläen mischen, denn es jährt sich nächstes Jahr das Erscheinen dieser Vorrede zum hundertsten Mal. Aus Christoph Lindenbergs Chronik wissen wir, dass Steiner im Frühjahr 1918 an die Überarbeitung des Buches ging. Gedenken wir stets der Wiederkehr jener Themen, die Steiner vor just hundert Jahren behandelte, dann steht jetzt das Weltkriegsjahr 1917 auf dem Proszenium, aber die Spieler des folgenden Jahres stehen für ihren Auftritt bereit in der Gasse, während die des Vorjahres ihren Text kaum zu Ende gesprochen haben.
Rudolf Steiners Auffassung der Evolution von Mensch und Tier II
Wie und warum haben sich Menschen auf der Erde entwickelt? Seit Charles Darwin scheint diese Frage für wissenschaftlich Denkende prinzipiell geklärt zu sein. Fragt man aber einzelne Menschen, ob sie wirklich glauben, dass sie ein Produkt des Zufalls sind, so fällt die Antwort oft nicht so eindeutig aus. Aber wie lässt sich das Entstehen des Menschen mit naturwissenschaftlichen Fakten vereinbaren, wenn man nicht den Zufall und einen blinden Selektionsmechanismus als Ursachen der Evolution annehmen will? Rudolf Steiner bietet zu dem letztlich trostlosen Darwinismus eine auf spiritueller Anschauung beruhende Alternative, die in einem vorangehenden Aufsatz in ihren Grundzügen dargestellt wurde. Nach Steiner existierte der Mensch geistig schon von Anfang der Erdentwicklung an und hat die Tiere nach und nach aus seinem Wesen herausgesondert. Durch die aufsteigende Tierreihe bildete sich eine körperliche Organisation aus, in der zuletzt der Mensch – sein geistiges Wesen ausdrückend – auch in physischer Gestalt erscheinen konnte. Damit verkörpert er nicht nur sein eigenes, sondern auch das wirkende Urbild des gesamten Tierreiches.
Zur Neuherausgabe von Rudolf Steiners »Volksseelenzyklus«
Größe und Bedeutung des Werkes Rudolf Steiners geben sich nicht allein in seinen Inhalten und Wirkungen zu erkennen, sondern zeigen sich auch an Werkindividualitäten mit besonderen Werkbiographien. Als herausragende Beispiele können die ›Philosophie der Freiheit‹, die ›Theosophie‹ oder die ›Geheimwissenschaft‹ genannt werden, deren Publikations- und Rezeptionsgeschichte in gut dokumentierter Weise vorliegen. Aber auch einige Vortragsreihen, die vom Autor selbst überarbeitet wurden, tragen diesen besonderen Charakter.
Jan Patočkas Tod vor 40 Jahren und seine Begegnung mit der Anthroposophie
Im Dezember 1976 stand der 75. Geburtstag des Physikers Werner Heisenberg bevor. Zu diesem Jubiläum hatte die Alexander von Humboldt-Stiftung, deren Präsident Heisenberg Jahrzehnte lang war, ihre ehemaligen ausländischen Stipendiaten gebeten, kleine Texte aus ihrem Wissensgebiet zu einer Festschrift beizutragen. Zu den Angefragten gehörte auch der damals fast 70-jährige tschechische Philosoph, Phänomenologe und Comeniologe Jan Patočka. In seiner Jugend durfte er dank dem Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung bei Edmund Husserl in Freiburg studieren, dessen Werk er sich lebenslang sehr verbunden fühlte. Patočka entschied sich, für Heisenberg über ›Ursprung und Sinn des Unsterblichkeitsgedankens bei Plato‹ zu schreiben. Dabei beschäftigte er sich anhand von Platons Dialogen intensiv mit den tiefen Rätseln des Todes, der Natur, der Seele und der Beziehung ihres ewig-unsterblichen Teils zum Leib, wie sie sich u.a. im Gesetz der Wiederverkörperung zeigt. Während er sich mit diesen Schwellenfragen befasste, überschritt er selbst die Schwelle und starb unter dramatischen Umständen am 13. März 1977. Sein Text erschien posthum. So haben wir es hier mit dem vermutlich letzten – erschütternd testamentarischen – Text Patočkas zu tun, der gerade aus dem platonischen Todesverständnis heraus ein besonnenes, engagiertes Stehen und Wirken im Leben folgert. »Es wäre ein Kurzschluss, [...] eine Weltflucht als Folge zu postulieren«, heißt es darin.
Ich und Europa IX
Als ich noch ein Kind war, wirkten Grenzen auf ambivalente Weise anziehend auf mich, sie waren Schwellen zu unbekannten Ländern, und wer eingelassen wurde, hatte den ersten Schritt der »Initiation« geschafft. Deshalb war das Warten vor dem Zoll immer mit der Spannung verbunden: Werden wir eingelassen oder nicht? Und wenn uns der Zöllner mit einer Handbewegung durchgewinkt hatte, war das ein kleiner Sieg – ein fröhlicher Triumph über das Prinzip der Ausgrenzung, das jeder Grenze innewohnt.
Zum 100. Todestag von Auguste Rodin (12. November 1840 in Paris - 17. November 1917 in Meudon)
Es ist ein extrem heißer Augusttag, als wir die kleine bergige Strasse in Meudon, einem Ort südlich von Paris, emporsteigen. Ein hohes Gitter begrenzt einen weitläufigen Garten. Die halbrunde Pforte ist einladend geöffnet, und eine schattige, leicht abwärts führende Kastanienallee empfängt uns. Im halb verdorrten Gras stehen einige Antiken. Da ist schon das Haus zu sehen: ein kleines Gartenhaus im Stil Louis-treize, aus roten Backsteinen, mit weißem Naturstein abgesetzt, und hohem Giebeldach aus Schiefer. Ab 1894 arbeitete Rodin vor allem hier. Ein paar Stufen führen zum Eingang des Hauses. Wir lösen die Eintrittskarten und sind bei Rodin daheim.
›Maria Sibylla Merian und die Tradition des Blumenbildes‹ – Eine Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum
Betritt man den durch geschickte Untergliederung erstaunlich groß wirkenden Ausstellungsraum, so stößt man zuerst auf das kleine farbige Blatt ›Buschrose mit Miniermotte, Larve und Puppe‹ von Maria Sibylla Merian: eine rosafarbene »Große hundertblätterichte Rose«, deren geöffnete oberste Blüte sich an einem nach rechts ausschwingenden Stängel nach links neigt. Auf diese hat die sie eine echte getrocknete Raupe geklebt. Eine weitere – jetzt gezeichnete – grüne Raupe kriecht auf einer der noch knospigen Blüten, eine dritte schaut mit ihrem schwarzen Köpfchen aus einer Blütenknospe, durch sie sich gerade gefressen hat, heraus. Auf dem Stiel eines nach rechts herunterhängenden Fiederblattes ist die kleine bräunliche Puppe zu erkennen – wie ein fein segmentierter »Dattelkern«, während ein geschlüpftes »Mottenvögelein« (Merians Worte!) oben auf der grossen Blüte sitzt, deren gelbliche Flügel mit dem Gold, das am Grunde eines nach außen gebogenen Blütenblattes sichtbar wird, korrespondieren. Von links kommt eine weitere Motte, die Flügel ausbreitend, angeflogen.
Dreigliederung: gemalt, geschrieben, gesprochen
Augenweide und Erkenntnisfreude
Krönung eines Lebenswerkes
Spätaufklärer und Romantikerfreund
Zu ›Identitäre Anthroposophie‹ von Claudius Weise in die Drei 10/2017
Während die politischen Entwicklungen unserer Zeit zunehmend von Unvorhersehbarkeit geprägt sind, scheint der technische Fortschritt unaufhaltsam seinen Gang zu gehen – hin zu künstlich erzeugten Welten, die das menschliche Bewusstsein immer mehr in Beschlag nehmen, während die Wirklichkeit zunehmend von Maschinen beherrscht wird. Inwiefern diese Zukunftsvision aber nicht nur höchst fragwürdig ist, sondern auch irreführend und illusionär, zeigen Ulrike Wendt und Roland Halfen in ihren einleitenden Essays – bevor erstere in einem weiteren Beitrag den eigentlichen Schwerpunkt dieses Heftes eröffnet, der alten und neuen Wegen zum Geist gewidmet ist.
Ein Samstag in Stuttgart
Ein freier Samstag in Stuttgart und die Möglichkeit, bei der ›VR Expo‹ in virtuellen Welten herumspazieren zu können – ein Fingerzeig, sich doch einmal mit einem verhältnismäßig unvertrauten Ambiente auseinanderzusetzen? Neugierig machten wir uns auf den Weg. Ein Einkaufszentrum – das ›Gerber‹ – als Ausstellungsort. Hinter bunten Turnschuhen befanden sich verschiedene Stände, ein paar Aufsteller mit bunten Bildern und spacig klingenden Namen – und Tische mit Computern. Ziemlich unspektakulär auf den ersten Blick.
Anthropomorphe und kryptoreligiöse Motive des Transhumanismus
»Die Wissenschaft denkt nicht«: Dieser starke Satz Martin Heideggers kam mir schon während meiner Studienzeit in München des Öfteren in den Sinn, wenn mein anfänglicher Respekt vor Mathematik- oder Physikstudenten bei gemeinsamen Verständnisbemühungen in Philosophie-Arbeitskreisen wie Butter in der Sonne dahinschmolz. Gerade neuerdings drängte sich mir der Satz erneut auf, diesmal aber nicht angesichts verzeihlicher studentischer Unreife, sondern angesichts eines Artikels mit dem Titel ›Unsere Nachfahren werden Maschinen sein‹, der am 23. Oktober in der ›Neuen Zürcher Zeitung‹ erstmals in deutscher Übersetzung ganzseitig publiziert wurde. Bei seinem Autor, Martin Rees, handelt es sich jedoch nicht um einen wissenschaftlichen Anfänger, sondern um einen der renommiertesten Wissenschaftler der Gegenwart. Der 1942 in York geborene Astronom der Cambridge University wurde seit 1984 aufgrund seiner wissenschaftlichen Arbeit mit hochdotierten Auszeichnungen − vom Albert Einstein World Award of Science (2003) bis zur Isaac Newton Medaille (2012) − geradezu überhäuft, schliesslich sogar in den Adelsstand erhoben worden (Baron Rees of Ludlow) und war ein halbes Jahrzehnt, von 2005 bis 2010, Präsident der Royal Society (PRS), der bedeutendsten britischen Gelehrtengesellschaft.
Vom Suchen und Finden bei Rudolf Steiner und anderswo
Auch wenn Rudolf Steiner eine eigentliche Atemschulung deutlich ablehnt, gibt er eine reichliche Anzahl von Übungen dazu. Wie ist das zu verstehen? Was kann man dabei erfahren? Und in welchem Verhältnis stehen diese Übungen zu anderen Traditionen sowie zur Eurythmie und den ihr innewohnenden besonderen Möglichkeiten der Atembewegung und -gestaltung?
Atemübungen spielen in vielen Meditations- und Körperschulungen eine wichtige Rolle. Der kontrollierende Umgang mit der Atmung kann eine starke Wirkung auf die Körperlichkeit wie auf das seelische Befinden haben. Von Krankenkassenprogrammen gegen Rückenschmerzen oder erhöhten Blutdruck, zur Regeneration und zum Stressabbau bis zu diversen alternativen Atemtherapieverfahren sind Atemübungen deshalb heute integraler Bestandteil eines bewussten Umgangs mit der eigenen Leiblichkeit. Auch in so gut wie jeder Meditationsschule gibt es ein Kapitel zur Atmung.
Andreas Heertsch hat in die Drei 11/2016 einen höchst willkommenen Beitrag ›Zur Skalierbarkeit von Imagination, Inspiration und Intuition‹ gegeben. Wie er überzeugend darstellt, können wir von unterschiedlichen Tiefen dieser Begriffe sprechen. Imagination, Inspiration und Intuition »fangen im alltäglichen Bewusstsein an und hören bei dem von Rudolf Steiner Beschriebenen nicht auf«. In einem früheren Aufsatz habe ich auf einen Bereich der höheren Erkenntnis hingewiesen, der sich zwischen dem Normalbewusstsein und den höheren Bewusstseinszuständen befindet. Neben den Stufen der höheren Erkenntnis können wir also drei Bereiche der höheren Erkenntnis unterscheiden. Im Weiteren werde ich meinen früheren Ansatz mit dem von Heertsch zusammenfügen: Imagination, Inspiration und Intuition können so skaliert werden, dass sie jeweils drei Arten von Tiefe haben, die den drei Bereichen entsprechen.
Zur Gnosis in Spätantike und Gegenwart
Das 20. Jahrhundert gab, bei all seinen abgründigen, schier endlosen Verfinsterungen, doch auch Aussichten frei auf Vergangenheiten, auf die nun – durch entsprechende Entdeckungen – ganz neues, helles Licht fallen kann. Die Existenz von Essenern oder Therapeuten, von Manichäern und eben auch frühchristlichen Gnostikern war immer schon, aus spätantiken Überlieferungen, leidlich bekannt. Dann aber kamen, durch Forschungsexpeditionen oder Zufallsfunde, zahlreiche Schriftrollen und Kodizes ans Licht, welche die Sprache jener religiösen Gruppen unverfälscht wiederzugeben versprachen: Manichäisches fand sich im zentralasiatischen Turfan und in Dunhuang (1902-1913) wie auch im ägyptischen Terenouthis nahe Medinet Madi (Ende der 1920er Jahre); Essenisches im heute israelisch-palästinensischen Qumran am Toten Meer (1947-1956); Zeugnisse dann auch der christlichen Gnosis in der Nähe des ebenfalls ägyptischen Nag Hammadi (1945/46).
Wer war der unbekannte Dionysius?
Welche Stellung haben die Schriften des Dionysius Areopagita innerhalb der Anthroposophie? Gab es eine historisch nicht nachweisbare Mysterienschule, durch die die Hierarchienlehre des Dionysius Hunderte von Jahren mündlich weitergegeben wurde, bevor sie ein Schüler schriftlich niedergelegt hat? Michiel ter Horst, der Übersetzer dieser Schriften ins Niederländische, geht im vorliegenden Beitrag diesen Fragen nach und kommt zu einer interessanten Lösung.
Im 6. Jahrhundert n. Chr. wurde ein Schriftwerkveröffentlicht, dessen Verfasser den Namen ›Dionysius Areopagita‹ verwendete. Der tatsächliche Autor der Werke ist trotz zahlreicher Untersuchungen unbekannt geblieben. Ihr Verfasser identifizierte sich intensiv mit dem biblischen Dionysius – jenem Dionysius also, der laut der Apostelgeschichte mit großer Hingabe der berühmten Rede des Paulus über den unbekannten Gott zuhörte, sich durch ihn taufen ließ und ihm nachfolgte. Er identifizierte sich sogar so sehr mit der Zeit des Paulus, dass er behauptete, die Sonnenfinsternis zur Zeit von Christi Kreuzigungstod gesehen zu haben und mit Paulus und den anderen Aposteln bei der »Entschlafung Mariens« anwesend gewesen zu sein. Und in Anlehnung an die vierzehn Paulusbriefe verfasste der Autor Dionysius seine Abhandlungen ebenfalls in Form von vierzehn an die Zeitgenossen des Paulus gerichtete Briefen.