Selbstlosigkeit als Mitte einer Ästhesiosophie
»Sieghafter Geist / Durchflamme die Ohnmacht / Zaghafter Seelen. /Verbrenne die Ichsucht, / Entzünde das Mitleid, / Dass Selbstlosigkeit, / Der Lebensstrom der Menschheit, /Wallt als Quelle / Der geistigen Wiedergeburt.«Rudolf Steiner, 20 September 1919Dieser michaelisch gestimmte Spruch, den Marie Steiner bei der Erstveröffentlichung mit der Überschrift ‘Meditationsworte, die den Willen ergreifem versah, wurde von Rudolf Steiner am sechsten Jahrestag der Grundsteinlegung des ersten Goetheanums, am vierzehnten Tag nach der Eröffnung der ersten Waldorfschule verdichtet. Hier begegnen wir zwei Gebärden des Ich, die einen radikalen Gegensatz erzeugen.
Transhumanismus, künstliche Intelligenz und das Michaelzeitalter
Die entscheidende Frage des gegenwärtigen Michaelzeitalters ist, ob die Menschheit den Materialismus überwinden kann. Während die Anthroposophie eine Überwindung des Materialismus anstrebt, die für das gegenwärtige, am naturwissenschaftlichen Denken geschulte Bewusstsein angemessen ist, treibt ihn der Transhumanismus auf die Spitze, indem er den Menschen als ein Maschinenwesen definiert, das technisch optimiert werden soll. Dabei will er die drei Konstruktionsfehler dieser Maschine: Alter, Krankheit und Tod durch die Fortschritte in der Biotechnologie, Robotik und Nanotechnologie überwinden.
Das Faszinosum des Transhumanismus besteht darin, dass er tiefe spirituelle Sehnsüchte des Menschen, z.B. nach Unsterblichkeit, anspricht und für diese eine bequeme, materialistische Lösung anbietet, indem er ihm einen unsterblichen Leib verspricht. Die spirituelle Sehnsucht nach Unsterblichkeit der Seele wird dabei umgelenkt auf das materialistische Verlangen nach einem unsterblichen Leib.
Zu Bertrand Badiou: ›Paul Celan. Eine Bildbiographie‹
Paul Celan sei der bedeutendste Dichter deutscher Sprache nach 1945, so Klaus Reichert, der Lektor Celans im Suhrkamp-Verlag bei einem Vortrag im Haus am Dom in Frankfurt anlässlich des 100. Geburts- und 50. Todestages Celans. Wie kann man diese von Begeisterung und genauer Kenntnis fundierte Aussage verstehen? Dazu gibt die von Bertrand Badiou verfasste Bildbiografie über Celan reiche Auskunft. Sie fügt sich als wichtiges und tragendes Glied in eine Reihe von Publikationen zum Werk Celans, dessen sachgemäße Würdigung und Darstellung sich der Suhrkamp-Verlag zur Aufgabe gemacht hat. Dazu zählen Celans Briefwechsel, aber auch eine Edition seiner verstreuten Prosa sowie Studien zu seinem Werk, Erinnerungsliteratur und kommentierte Ausgaben seiner Gedichte. An vielen dieser Veröffentlichungen war Badiou beteiligt.
Drei Schlaglichter auf Leben und Werk
Zu Franz Kafkas 100. Todestag am 3. Juni 2024 wird ein Jahrhundert-Schriftsteller gefeiert. Ein Genie des Wortes. Ein Schriftsteller, der damals wie heute in die Zukunft wirkt und immer bekannter wird, je mehr unsere Zeit voranschreitet. Man hat nicht den Eindruck, dass nach Ablauf des Gedenkjahres Stille um ihn herrschen wird. Dafür sind zu viele Menschen hinzugekommen, die ihn jetzt erst richtig entdeckt haben, vor allem aus der älteren Generation, für die Kafkas Leben und Werk noch nicht zum Schulunterricht gehörte. Im Jahr 2024 gibt es dazu die verschiedensten Initiativen und Neuheiten. Aus vielem, vielem anderen sind hier ausgewählt: Die Ausstellung von Hans-Gerd Koch zu Kafkas Familie in der Berliner Staatsbibliothek; die neue, geistig orientierte Biografie von Rüdiger Safranski; und ein Abend in der Berliner Christengemeinschaft zum Thema Kafka, Mozart und Intuition.
Die Weihnachtstagung zur Neugründung der Anthroposophischen Gesellschaft 1923/24 und Rudolf Steiners Hochschulimpuls
Noch unter dem unmittelbaren Eindruck der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« stehend, wie der Historiker George F. Kennan den die Geschichte dieses Jahrhunderts prägenden Ersten Weltkrieg charakterisiert, gab Rudolf Steiner im Jahr 1918 ›Die Philosophie der Freiheit‹ neu heraus. Der Autor versah sein damals weitgehend in Vergessenheit gesunkenes Hauptwerk bei dieser Gelegenheit mit erläuternden Zusätzen und einer ›Vorrede‹. Offenbar war es ihm, der zu diesem Zeitpunkt seit mehr als einem Jahrzehnt in der theosophisch-anthroposophischen Bewegung als vielbeanspruchter Vortragsredner, Lehrer und Berater unterwegs war, wichtig, auf die Grundlagen der von ihm vertretenen Geisteswissenschaft zu verweisen. Es galt, das Ideal eines »ethischen Individualismus« ins Bewusstsein seiner spirituell meist hochmotivierten Schülerinnen und Schüler zu rücken. Diese waren aufgrund ihres Hangs zu mystischen Traditionen und unter dem Eindruck der Autorität des »Meisters« sowie der von diesem übermittelten »Offenbarungsinhalte« stets gefährdet, ihr selbstständiges Denken und Beobachten zumindest partiell einzubüßen.
Zu Christoph Hueck: ›Evolution im Doppelstrom der Zeit‹
Schon im Vorfeld, bevor dieses Buch 2012 in erster Auflage im Verlag am Goetheanum erschien, gab es heftige Auseinandersetzungen, die insbesondere um die Frage kreisten, ob Evolution als etwas zu denken sei, was in die Zukunft hin offen ist, oder ob dem evolutiven Prozess eine Teleologie innewohnt. Ob es also ein Ziel, eine ideell-geistige Richtung gebe, die im evolutiven Prozess mitbestimmend ist. Wolfgang Schad, der den ersten Standpunkt vertrat und verhindert hatte, dass das Buch wie ursprünglich geplant im Verlag Freies Geistesleben erschien, kritisierte es – zusammen mit anderen – ausführlich auf den Seiten dieser Zeitschrift. Schad starb im Herbst 2022. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Christoph Hueck, der von Anfang an die Teleologie als mitgestaltendes Element im evolutiven Prozess ins Spiel gebracht hatte, an der nun vorliegenden zweiten Auflage seines Buches. Er erwähnt die Auseinandersetzung mit Schad im Vorwort zur Neuauflage und erklärt, dass er ihm viel verdanke. Sein Buch sei zwar »im inhaltlichen Dissens, aber auch in einem inneren Dialog« (S. 13) mit dessen Werk entstanden.
Zur Tagung ›Civilization: Death and Resurrection‹ vom 5. bis 7. April 2023 in Stroud
Stroud – ein malerisches, südwestenglisches Städtchen zwischen Hügeln, von denen aus man bis zur Mündung des Severn in die Keltische See blicken kann. Hierhin hatten vom 5. bis 7. April dieses Jahres Gregers Brinch und Richard Ramsbotham zu einer ›Fourfold Living Arts‹-Tagung eingeladen. Gemeinsam mit ca. 60 Teilnehmenden wurde in sehr lebendigen künstlerischen Darbietungen, Vorträgen und vielen Gesprächen der 100. Geburtstag der Ostertagung 1924 in Dornach und zweier Initiativen gefeiert und bedacht. Angesichts der schwierigen ökologischen und ökonomischen Lage, in der wir uns als Menschheit befinden, sind alle drei Impulse noch ebenso notwendig und umkämpft wie damals!
Zu Edwin Hübner: ›ChatGPT – Symptom einer technischen Zukunft‹
Der Verfasser des hier zu besprechenden Buches hat den Wunsch, dass seine Leser verstehen, wieso eine Maschine in der Lage ist, auf schwierige Fragen komplexe und sinnvolle Antworten zu geben. Um dieses Ziel zu erreichen, wird u.a. erklärt, was künstliche neuronale Netze sind, wie sie gebaut werden und wie sie funktionieren. Im Folgenden einige Sätze aus dem Kapitel ›Zur Grundidee von ChatGPT‹: »Das Prinzip ist schnell formuliert. Die Maschine hat die Aufgabe, zu einem eingegebenen Text nur das nächste sinnvoll passende Wort zu finden. Wird also bei ChatGPT eine Frage, ein sogenanntes Prompt, eingegeben, dann hat der daraufhin erfolgende Rechenaufwand nur eine einzige Aufgabe: das Wort zu finden, das die größte Wahrscheinlichkeit besitzt, den sinnvollen Anfang eines Antwortsatzes zu bilden. […] Man kann es auch so formulieren: Das Sprachmodell GPT versucht in bestmöglicher Nähe die bedingte Wahrscheinlichkeit des Wortes Wn zu bestimmen, wenn die anderen Wörter W1, W2, W3 … Wn-1 bereits vorliegen.« (S. 21)
Zur letzten Phase der Beziehung zwischen Christian Morgenstern und Friedrich Kayssler
Am 5. April 1914, einen Tag nach der Trauerfeier für den am 31. M.rz verstorbenen Christian Morgenstern, schrieb Friedrich Kayssler an die Witwe Margareta: «Es hat mir so wohl getan, daß ich mit ihm [Rudolf Steiner] gesprochen habe [...]. Von dem gestrigen Tage geht ein Licht aus, ein Friede, der unbeschreiblich ist. Wir tragen ihn in uns wie ein seliges Glück, es ist nicht anders zu nennen. Es ist, als hätte alles, unser Leben, eine Weihe bekommen. Aber diese Worte sind arm.« Dem Brief war ein mit ›Meinem hingegangenen Freunde‹ überschriebenes Gedicht beigefügt: »Einst schien der Tod ein Abgrund, uferlos und leer, / daran wir, die Verlassenen, hilflos stehn. / Da sah ich Dich, Geliebtester, hinübergehn. / Nun weiß ich mehr. // Ein Abgrund war. Es stürzte eine Welt. / Doch als Dein Bild in Tränenschleiern schwand – / ward uns das innere Auge sanft erhellt, / und eine neue Gegenwart erstand. // Noch fern dem Tode – früher – sagtest Du, / nicht Trauer zieme uns bei Freundes Tod. / Nun halfst Du selber uns aus aller Not / und strahltest sterbend Gegenwart uns zu. // Du wolltest keine Tränen. Nun hab Dank. / Nicht Trauer ziemt uns, denn wir sehn Dich ja. / Der Abgrund blüht, aus Schweigen steigt Gesang. / Der Tod ward uns ein Gleichnis: Du bist da.«
Über die Weihnachtstagung 1923/24 zur Gründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft
Über den Verlauf der sogenannten Weihnachtstagung 1923/24 brachte Marie Steiner zwanzig Jahre später eine ausführliche Dokumentation heraus. Im Vorwort führte sie aus, die Tagung sei der Versuch eines »Menschenerziehers« gewesen, »seine Zeitgenossen über das eigene kleine Selbst hinaus zu heben, sie zum bewußten Wollen wachzurufen, Werkzeug der weisen Weltenlenkung werden zu dürfen.« Marie Steiner fuhr dann fort: »Doch ist diese Weihnachtstagung zugleich mit einer unendlichen Tragik verbunden. Denn man kann nicht anders als sagen: Wir waren wohl berufen, aber nicht auserwählt. Wir sind dem Ruf nicht gewachsen gewesen. Die weitere Entwicklung hat es gezeigt.« Die Tagung stehe im »tragischen Lichte« für den, der die Möglichkeit habe, »die Geschehnisse zu überschauen. Von der Schwere und dem Leide dieses Geschehens haben wir nicht das Recht, unsere Gedanken abzuwenden.« Dieser Worte gilt es sich zu erinnern, wenn in der Anthroposophischen Gesellschaft der Gegenwart der historischen Weihnachtstagung festlich gedacht wird.
Unterschiede als Gleichheit betrachtend
Immanuel Kant zum 300. Geburtstag
Immanuel Kant wurde am 26. April 1724 geboren. Seine Bedeutung nach 300 Jahren gründet in seinem dreiteiligen Hauptwerk, dessen erster Teil, die »Kritik der reinen Vernunft 1781 veröffentlicht wurde. Kant war damals im 57. Lebensjahr, d.h. im dritten Mondknoten. Bis zu seinem Tod 1804 erschienen rund 2.000 Schriften zu dem philosophischen Neuansatz, den er vorgelegt hatte. Deshalb schreibt Friedrich Schiller unter dem Titel ›Kant und seine Ausleger‹ passend: »Wie doch ein einziger Reicher so viele Bettler in Nahrung / setztl Wenn die Könige baun, haben die Kärrner zu tun.« Zwischen dem Erscheinen der ›Kritik der reinen Vernunft‹ und uns hegen rund 240 Jahre, in denen sich eine weitere große Wirkungsgeschichte entfaltet hat. Dabei ist es der Philosophie Kants einigermaßen erspart gebheben, zu einer tradierten Lehre zu werden, wie der Aristo-teh'smus in der Scholastik oder der Thomismus in der Neuzeit. Es gab wohl keinen Philosophen unter denen, die sich an Kant orientiert hatten, der nicht wiederum produktive Kritik an ihm geübt oder ihn selbstständig interpretiert hätte.
Biografische Spuren Georg Trakls
Georg Trakl (1887-1914), der von vielen als der größte deutschsprachige Lyriker seiner Generation angesehen wird, ging be täubt durch sein kurzes Erdenleben. Er sei nur halb geboren. In der Kindheit und Jugend habe von seiner Umgebung nur das Wasser einen Eindruck auf ihn gemacht Solche Äußerungen von ihm sind überliefert. Die Welt und vor allem sich selbst ertrug er nur betäubt durch starke Rauschmittel. Heruntergedämpft war sein Denken, gelähmt sein Wollen. Sein Fühlen entfaltete sich wie eine große, dunkle Blüte. Eine blaue Blume.
Otto Heinrich Jaeger und seine Freiheitslehre
Mit dem Siegeszug der modernen materialistischen Naturwissenschaften und ihrem Durchsetzen als alleinige Erklärungsinstanz gerieten jene Denker in Vergessenheit, dieals Nachfolger, Fortsetzer und Überwinder des Idealismus von 1820 bis 1860 auftraten und eine Brücke zur Anthroposophie hätten bauen können. Rudolf Steiner spricht indiesem Zusammenhang von einem »verschütteten Geistesleben«1. Der vorliegende Aufsatz widmet sich den Gedanken des Philosophen Otto Heinrich Jaeger (1828–1912) undbeleuchtet insbesondere seinen Freiheitsbegriff sowie seinen Reihenbegriff, wie sie sich im Verlauf seines geistigen Weges bildeten.
Zu Bernd Rosslenbroich: ›Properties of Life‹
»Was also ist das Leben?« Mit dieser Frage beschäftigt sich das neueste wissenschaftliche Buch von Bernd Rosslenbroich, Leiter des Instituts für Evolutionsbiologie der Universität Witten/Herdecke. Man könnte darin eine Abwandlung der Frage des Augustinus nach dem Wesen der Zeit sehen, auf die der Kirchenvater geantwortet hat: »Wenn keiner mich fragt, weiß ich es; wenn einer mich fragt und ich es erklären soll, weiß ich es nicht mehr.« Denn so ist es mit dem Lebendigen: Wir kennen es selbstverständlich und intuitiv, aber um eine befriedigende wissenschaftliche Erklärung ringt die Biologie seit über 2.000 Jahren.
Zu einer Weiterbildung in Sprachgestaltung und Schauspiel am Goetheanum
Eine Reise nach Dornach ist immer ein Abenteuer. Man weiß nie, was einen erwartet. Das liegt daran, dass man so viel Sehnsucht an diesen Ort trägt. Heimlich die Hoffnung, es könnte sich ereignen, dass ein äußeres Geschehen sich genauso zuträgt, wie es sich anfühlt im eigenen Gemüt. Das ist natürlich eine Illusion. Im Grunde erwartet man ja, sich selbst zu begegnen – in der Liebe zur Anthroposophie. Damit hängt das bekannte Dilemma zusammen, wie leicht diese Liebe, die doch alle Anthroposophen eint, umschlagen kann in ihr Gegenteil. Eifersüchtig die Geliebte verteidigend, wird der andere als Nebenbuhler plötzlich zum Feind. Schon sind wir mitten drin im Drama. Was wir aus Herzen gründen und aus Häuptern zielvoll führen wollen – damit kann ja nur das Herz und das Haupt jedes Einzelnen gemeint sein. So ist es auch, ganz im Sinne der ›Philosophie der Freiheit‹. Dennoch kann keine Rede davon sein, dass der ethische Individualismus ein liebevolles anthroposophischen Gemein(schafts)wesen hervorgebracht hätte. Das wissen wir alle. Und doch könnte angesichts dieser Tatsache auf der Stelle ein Streit entbrennen und zur übersinnlichen Schlägerei führen. Wie sonderbar!
Welche Bedingungen benötigt ein zeitgemäßes Mysterienwesen? (2. Teil)
Der in drei Klassen gegliederte Hochschulorganismus, deren Einrichtung Rudolf Steiner mit der Weihnachtstagung 1923 in Angriff nahm, sollte eine irdische Erscheinungsform der übersinnlichen Michaelschule werden und die verschiedenen Lebenszweige impulsieren. Welche Konsequenzen hat es für die Gegenwart, dass dieser Einrichtungsprozess nur bis zum 1. Abschnitt der ersten Klasse durchgeführt werden konnte? Und was bedeutete dies für die Menschen, die diese Tragik unmittelbar miterlebt haben?
zu den Planetensäulen Rudolf Steiners
Die »Säulenworte« gehören zu den rätselhaftesten Dingen, die Rudolf Steiner hinterlassen hat. Auf zwei Zetteln aus dem Jahr 1911 oder 1912 sind Zeichnungen von Säulen, Kapitellen und Architraven zu sehen, wie sie später in den beiden Kuppelsälen des Goetheanum in Dornach gebaut worden sind. Die Kapitellformen des großen Kuppelsaales gleichen denen von Malsch und von Stuttgart. Als gezeichnete Säulen zierten sie allerdings bereits 1907 während des Münchner Kongresses die Wände des Saales. Offenbar hat Steiner die einmal entwickelten Formen stets beibehalten. Aber nur auf jenem Zettel ist in den Schaft jeder Säule der großen Kuppel jeweils ein Wort eingeschrieben: »DAS ES« - AN ES« - »IN ES« - »ICH« - »VOM ICH« - »AUS MIR« - »ICH INS ES«. Was sollen diese Worte besagen? Nirgends im gesamten Werk Rudolf Steiners scheint es einen Hinweis in Bezug auf diese Worte zu geben.
Zur gegenwärtigen Aufarbeitung der Corona-Politik – Teil II
Im ersten Teil dieses Artikels habe ich mich mit einem im Januar 2024 von dem deutschen Soziologen Klaus Kraemer an der Universität in Graz veranstalteten Podiumsgespräch beschäftigt, an dem auch der in Kassel lehrende Soziologe Heinz Bude teilnahm. Bude hat bei diesem Versuch einer Aufarbeitung der Corona-Politik ein Narrativ vertreten, das – wie ich schrieb – »eine nationale Gemeinschaft umfassende staatliche Ordnung als den Souverän« ansieht, »der im Falle einer Pandemie qua Exekutive das individuelle Handeln einschränken und zugunsten der allgemeinen Gesundheit vor allem durch Überwachungsmaßnahmen, aber auch durch Ausgangssperren bis hin zu sogenannten ›Lockdowns‹ regulieren kann.« Das zweite Narrativ, »das bis heute nur von einer Minderheit der Bevölkerung getragen wurde, sieht hingegen die freie Entfaltung der Persönlichkeit auch dann an erster Stelle, wenn die allgemeine Gesundheit einer Menschengemeinschaft durch eine Virusepidemie bedroht wird. Dieses Narrativ sieht den Souverän mithin in jedem einzelnen Individuum, in dessen individuelle Verantwortlichkeit auch das Verhalten in einer Pandemie gestellt ist.« Im Folgenden soll es nun um einen weiteren Versuch zur Aufarbeitung der Corona-Politik gehen, nämlich um die Rezeption der im März 2024 veröffentlichten »RKI-Protokolle«.
Aspekte ihres Wesens und ihrer heutigen Bedeutung
»In der alten Atlantis waren die meisten Menschen instinktiv hellseherisch, sie konnten hineinsehen in die Gebiete des Geistigen. Diese Hellsichtigkeit konnte sich nicht fortentwickeln, sie musste sich zurückziehen zu einzelnen Persönlichkeiten des Westens. Sie wurde da geleitet von einem Wesen, das in tiefer Verborgenheit lebte einstweilen, zurückgezogen selbst hinter denen, die auch schon zurückgezogen und Schüler waren eines großen Eingeweihten, [eines Wesens] das sozusagen zurückgeblieben war, bewahrend dasjenige, was aus der alten Atlantis herübergebracht werden konnte, bewahrend es für spätere Zeiten. Diesen hohen Initiierten, diesen Bewahrer der uralten atlantischen Weisheit, die tief hineinging sogar in alles dasjenige, was die Geheimnisse des Physischen Leibes sind, kann man Skythianos nennen, wie es im frühen Mittelalter üblich war. Und es blickt derjenige, der das europäische Mysterienwesen kennt, zu einem der höchsten Eingeweihten der Erde hinauf, wenn der Name Skythianos genannt wird.« – Rudolf Steiner
Der in dem obenstehenden Zitat aufgezeigte Zusammenhang um den Eingeweihten Skythianos bildet einen wichtigen Hintergrund für die Beschäftigung mit den hybernischen Mysterien. Einigen Grundmotiven dieser Mysterien bin ich bereits an anderer Stelle nachgegangen. So erschien zum 200. Geburtsjahr Herman Melvilles 2019 in dieser Zeitschrift ein Artikel, der die moderne Fortschreibung eines Motivs der westlichen, der hybernischen Mysterien beinhaltete: das Rätsel des mephistophelischen Doppelgängers, der in Melvilles ›Moby Dick‹ das Ich der Hauptperson Käpt’n Ahab überwuchert. Es ist dies ein Thema, das Rudolf Steiner zufolge für die Zukunft im Sozialen immer wichtiger zu beachten sein wird und das Melville wie prophetisch für die Entwicklung der damals frisch geborenen amerikanischen Kultur in monumentaler Weise vor uns hinstellt.
Über Paolo Gentilli: ›Der Ruf des Montecorvo‹
Paolo Centilli (geb. am 6. Dezember 1890 in Wien, gest. am 22. Juli 1961 in Mailand) war Maschinenbauingenieur, Erfinder, ein Kenner des Templerordens und der ›Divina Commedia‹ von Dante sowie ein Schüler Rudolf Steiners. 1922 reiste er zum ersten Mal nach Dornach, und 1924 nahm Rudolf Steiner ihn in die Erste Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft auf. Im Jahre 1943 - als der Zweite Weltkrieg seinem Höhepunkt zuging und mit Ita Wegman und Elisabeth Vreede zwei wichtige Repräsentanten der anthroposophischen Bewegung kurz hintereinander überraschend starten, schrieb Paolo Centilli das Drama ›Der Ruf des Montecorvo‹. Es wurde 1944 von Hugo Reimann ins Deutsche übersetzt und erschien 1945 in Basel, 1947 in Mailand. Die Uraufführung fand am 28. Oktober 1962 in Ulm statt.
»A gift« ist im Englischen ein Geschenk. Im Deutschen ist »Gift« eine krank machende oder tödliche Substanz. Die meisten Geschenke, die an Weihnachten ausgepackt werden, verdanken wir dem Denken. Dieses Denken ist selber ein Geschenk, das die Menschheit im Laufe der vergangenen Jahrtausende empfangen hat. Wie von der Sonne die Erde Licht und Leben empfängt, so haben wir das Denken empfangen, das erst mythische Bilder in die Seelen zauberte, wie das die Sonne am Morgen- und Abendhimmel tut – bis in Aristoteles die Sonnenstrahlen des Denkens die Erde erreichten und in sie eindrangen. Das »Lichtgeschenk« wurde zur Naturwissenschaft. In der Neuzeit mutierte diese dann aber zur »Wissenschaft schlechthin«, die für alle Erfahrungsbereiche des Menschen methodisch die Alleinherrschaft beansprucht. Wissenschaft wurde Ideologie, das »gift« wurde zum Gift, das heißt: zum totalitären Machtanspruch staatlich verwalteter Universitäten mit den entsprechenden sozialen Folgendes gelebten Materialismus.
Zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich (5. September 1774 in Greifswald – 7. Mai 1840 in Dresden)
Greifswald, die Stadt am Meer. Hier wurde vor 250 Jahren Caspar David Friedrich, der bedeutendste Künstler der deutschen Romantik, geboren. Ich kenne Greifswald aus den 60er Jahren; es ist ein Wiedersehen nach langer Zeit. Doch au.er der markanten Silhouette der Kirchen – Marienkirche, Dom St. Nikolai und Jakobskirche – ist die Stadt kaum wiederzuerkennen. Aus einer grauen, fast verfallenen Altstadt durch Renovierung und Restaurierung auferstanden, ist sie so schön wie nie zuvor.
Liebe Leserinnen und Leser, mit dieser Ausgabe verabschiede ich mich nach 8 1/2 Jahren als Herausgeberin der Zeitschrift DIE DREI. Da ich zuvor 11 Jahre in der Redaktion mitgewirkt hatte, bin ich nunmehr seit fast 20 Jahren mit den Geschicken der Zeitschrift eng verbunden. Mit meinem Ausscheiden aus dem Arbeitskollegium der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland im Sommer letzten Jahres steht seither selbstverständlich auch meine Herausgeberschaft zur Disposition. Um die notwendige Umstrukturierung der Aufgabengebiete im verbleibenden Arbeitskollegium an dieser Stelle zunächst zu entlasten, hatte ich mich bereit erklärt, für eine Übergangszeit von einem Jahr noch weiter als Herausgeberin tätig zu bleiben.
Zur gegenwärtigen Aufarbeitung der Corona-Politik – Teil III
Die Corona-Krise und die in derselben ausgeübte Pandemie-Politik wurden bislang weder in der allgemeinen Öffentlichkeit noch in den anthroposophischen Zusammenhängen grundlegend aufgearbeitet. Mit Teil I und II dieser Artikelfolge sollte dazu ein Beitrag geleistet werden. In diesem abschließenden dritten Teil geht es vor allem um die Grundlagen einer Freiheitsauflassung, wie sie aus anthroposophischer Sicht dem zweiten Narrativ2 der Corona-Zeit zugrunde gelegen hat und auch noch heute liegen kann, nämlich die des »ethischen Individualismus«.
Wie war dieser Bau gemeint?
Es ist bekannt, dass der Bau des zweiten Goetheanums nicht in jener Höhe errichtet werden konnte, die dem ursprünglichen Entwurf Rudolf Steiners entsprach. Doch welche Höhe war vorgesehen und wichtiger noch: Wie hätte der Bau dann gewirkt? In dieser Frage hatte ich mich immer an das von Rudolf Steiner gefertigte Baumodell bzw. seinen Gipsabguss gehalten. Günstige Umstände hatten mir erlaubt, von diesem Modell Fotos in einer dem realen Baueindruck entsprechenden Perspektive zu machen. Sie lassen eine Aufrichtekraft erkennen, die dem schließlich entstandenen Bau entschieden abgeht.
Wegmarken einer Verirrung
Was wir zur Zeit an Kriegsereignissen erleben, ist kaum noch zu fassen. Nach all unserer Kenntnis über das Grauen des Kolonialismus, der beiden Weltkriege, des Korea- und des Vietnamkrieges, des Jugoslawien- und des Tschetschenienkriegs, des »Krieges gegen den Terror« usw. geschehen nun wieder Gräuel, die den früheren nicht nachstehen. Auch wenn keine sogenannten Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden, sterben dennoch Massen von Menschen durch militärische Gewalt. Russland hat durch die Unterstützung der Donbass-Republiken die Ukraine noch tiefer ins Elend getrieben, während durch die Ukraine selbst – wie auch durch Israel – der Begriff der »Selbstverteidigung« ad absurdum geführt wird. Die Ukraine verteidigt sich gewissermaßen zu Tode, eine »soziale Verteidigung« des Landes (als passiver Widerstand gegen die Besatzer) hätte erträglichere Zustände herbeigeführt; und selbst wenn Israel in Gaza Zerstörungen unvorstellbaren Ausmaßes bewirkt, wird es den Hass seiner Feinde nicht auslöschen und somit sein eigenes ständiges Bedrohtsein nicht beenden. Beide Kriege sind die Folge nicht ergriffener Chancen oder fehlenden Willens, vorab sinnvolle Lösungen zu suchen oder vorliegende vernünftige Vorschläge anzunehmen. Aber auch die Eroberung der armenischen Enklave Bergkarabach durch Aserbaidschan und die Vertreibung von ca. 100.000 Armeniern aus ihrer Heimat, die türkische Okkupation kurdischer Gebiete in Nordsyrien mit Zerstörung der Energie- und Wasserversorgung sowie Vertreibung der Bevölkerung, und alle anderen Kriege in verschiedenen Teilen der Welt zeugen weiterhin von hemmungsloser Gewaltanwendung für fragwürdigste Ziele. Und in allen diesen Konflikten werden die Not und das elende Sterben unzähliger Soldaten und Zivilisten in Kauf genommen. Mitleid mit den gequälten Menschen fehlt den Verantwortlichen.
Der plötzliche Regen hat uns an diesem eigentlich sonnigen Mainachmittag überrascht, sodass wir uns nach einem Unterstand umsahen. Ringsum sprie.ten zwar schon frische, hellgrüne Blättchen an den Birken und Buchen des Botanischen Gartens, waren aber noch lange nicht breit und flächig genug, um den Regen abzuhalten. Doch über und durch das maigrüne, flirrende Blätternetz hindurch ragten glänzende, regennasse Dachschindeln – eine kleine Kuppel? Aber mit einer nach oben ausgezogenen Spitze, wie ein halb aufgeklappter Regenschirm? Erst aus der Nähe sahen wir, wie dieses Dach sich an seinem unteren Ende an acht Zipfeln wieder schräg nach oben wandte – wie der hüpfende Rock eines tanzenden Kindes – und dass es wirklich fast nur ein Dach war: ein chinesischer Teepavillon ohne Wände auf acht zierlichen, dunkelrot gestrichenen Holzsäulen.