»Man sieht nur, was man weiß.« Goethe
Ruth Renée Reif im Gespräch mit dem Schweizer Historiker Jakob Tanner
Die Geschichte der Schweiz lasse sich nicht als Selbsterschaffung des Landes im nationalsouveränen Alleingang einer Willensnation begreifen, betont der Schweizer Historiker Jakob Tanner. In seiner ›Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert‹ (C.H. Beck, München 2015) setzt er sich kritisch mit der vermeintlichen Sonderstellung der Schweiz auseinander. Er spürt den Spannungen zwischen Demokratie, Kapitalismus und Nationalmythologie nach und hinterfragt das Erzählmuster einer schweizerischen Erfolgsgeschichte.
Was ist gegenwärtige Michael-Kultur?
Die Jahrestagung der Anthroposophischen Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen am 7. November 2015 in Bochum wurde durch zwei Beiträge eingeleitet. Barbara Schiller von ›stART international‹ berichtete aus der Perspektive der Notfallpädagogik sehr bewegend und lebendig von den Schicksalen und Problemen der Flüchtlinge, vor allem der verzweifelten Lage vieler Kinder. Demgegenüber sollte das hier folgende – für die Wiedergabe im Druck gekürzte und bearbeitete – Referat aus geisteswissenschaftlicher Sicht gedankliche Hilfen zum Verstehen und Einordnen der Ereignisse in größere Zusammenhänge geben.
Der ISIS-Terror und die göttliche Isis
Der Autor entwickelt im Zusammenhang mit dem Terror des ISIS eine Hypothese, die eine andere Sichtweise und ein anderes Verständnis dieses weltgeschichtlichen Rätsels des Terrors ermöglicht als die der Medienberichte. Er wendet sich dabei an die Aktivität der Leserinnen und Leser, indem er mit Intervallen arbeitet. Die Überbrückung der nicht ausgesprochenen, aber im ganzen Duktus angesprochenen Zwischenräume ist somit der Gestaltung der Mitdenkenden anvertraut. Er sieht in den Menschen, die sich diesem »heiligen Krieg« weihen, Opfer und Täter zugleich. Die Projektion, die das verängstigte Bewusstsein auf die Täter richtet, kann sich durch die Arbeitshypothese aus der Umklammerung der Angst und des Nicht-Verstehens lösen und in ein Anteil nehmendes geistig getragenes Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Welt verwandeln.
Über die Abgründe der Seele hinweg zu »höheren Welten«
Der Grundtext der ab 1904 erschienenen Aufsatzreihe von Rudolf Steiner ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹ (GA 10) ist über einhundert Jahre alt. Trifft er noch die Seelenlage des modernen Menschen? Wohin führt dieser Übungsweg, wenn er gegangen wird? Schon im ersten Satz »Es schlummern in jedem Menschen Fähigkeiten, durch die er sich Erkenntnisse über höhere Welten erwerben kann«1 manifestiert sich eine signifikante Grundsignatur des Buches: Der Brückenbau zu »höheren Welten« erscheint in einem Zeitalter als Möglichkeit, in dem die abgründigen Tiefen wachsen, aber auch die Freiheit zunimmt sie zu überwinden.
Vom Verwandeln der Welt ins Herrliche
Wirkungen auf die Wesensglieder des Menschen
Die Wirkung der Meditation auf die Gesundheit des Meditierenden ist zwar bekannt, jedoch noch weitgehend unerforscht. Gesundheitsfördernde Wirkungen werden in verschiedenen Meditationsrichtungen propagiert; doch läuft die meditative Praxis auf diese Weise Gefahr, ihrem spirituellen Kontext entfremdet zu werden. Dieser spirituelle Zusammenhang ist bei der anthroposophischen Meditation indes entscheidend. Auf der Basis eines spirituellen Menschenbildes lassen sich dann verschiedene Wirkungen auf die Wesensglieder des Menschen aufzeigen.
Mit seinem erkenntniswissenschaftlichen Grundwerk hat Rudolf Steiner die Basis der Anthroposophie in Form einer immanenten, spirituell orientierten Bewusstseinsforschung gelegt. Diese Tatsache ist für ein zeitgemäßes Verständnis der Anthroposophie notwendig, kann aber auch für eine Weiterentwicklung heutiger Wissenschaft relevant werden. Anhand des Philosophen Jean Gebser und der Introspektionsforscherin Claire Petitmengin wird skizzenhaft gezeigt, wie zentrale Motive von Steiners Ansatz in nicht-anthroposophischen Kontexten anfänglich realisiert worden sind. Es wird die These entwickelt, dass sich die fehlende Brücke zwischen solchen Ansätzen und Steiners Anthroposophie statt durch ein Tradieren und simplifizierendes Popularisieren ihrer Wissensbestände nur durch eine Neurealisierung ihres methodischen Fundaments bauen lässt. Den methodischen und damit zugleich konzeptionellen Grundzug in Steiners Werk hat Herbert Witzenmann in seiner Strukturphänomenologie explizit gemacht. Allerdings fehlen auch hier noch weitgehend Bezüge zu anderen zeitgenössischen Forschungsansätzen, zum Teil auch, weil letztere zu Witzenmanns Lebzeiten erst im Entstehen waren. Ein Weg, das schlummernde Potenzial der Anthroposophie für eine moderne Bewusstseinsforschung zu entfalten, wären das Studium und eine meditativ-beobachtende Praxis der Strukturphänomenologie, weil von hier aus die Bemühungen und Ergebnisse aktueller Forschungsansätze in ihrem Zusammenhang begriffen und kooperativ gebündelt werden können.
Wege zu einer spirituellen Psychologie
In der heutigen universitären Psychologie stellt die Frage nach Seele und Geist ein grundlegendes Problem dar. Eine wissenschaftlich fundierte spirituelle Psychologie existiert bisher erst in Anfängen, ebenso eine Methodologie zur Erforschung des Bewusstseins aus einer Ersten-Person-Perspektive. Rudolf Steiner hat es gegenüber Franz Löffler als»eine anthroposophische Aufgabe« bezeichnet, »eine neue Psychologie zu schaffen«, die vor allem eine »spirituelle Betätigung« sein werde. Darin liegt bis heute eine wichtige Zukunftsaufgabe. Der vorliegende Artikel soll zeigen, ob und in welcher Weise Anthroposophie bereits eine spirituelle Psychologie in sich enthält und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssten, um eine wissenschaftliche Anschlussfähigkeit zu erreichen.
Zur Ausstellung ›Einfühlung und Abstraktion – Die Moderne der Frauen in Deutschland‹, Kunsthalle Bielefeld
Ein Vortrag über den Islam am 20. November 2015 in Paris
Ruth Renée Reif im Gespräch mit dem Nahost-Experten Bruno Schirra
Die dschihadistische Terrorgruppe ISIS bedroht die arabische Welt. Sie zieht eine Blutspur durch den Irak und Syrien. Ihr Ziel ist die Errichtung eines Islamischen Staates im Irak und in den historischen Grenzen Großsyriens. Am 29. Juni 2014 ernannte sich ISIS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi in der irakischen Stadt Mossul zum Kalifen und postulierte damit seinen Anspruch als Nachfolger des Propheten Mohammed. ISIS nennt sich seither ›Islamischer Staat‹ (IS) und unterstreicht nach Einschätzung des Nahost-Experten Bruno Schirra damit »den globalen Anspruch seiner Herrschaft«. Ausnahmslos jedes Land, in dem jemals Muslime die Herrschaft innehatten, solle seinem Kalifat unterworfen werden. Das bedeute die Gefahr eines Flächenbrandes, der über Syrien und den Irak hinaus die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens erfassen könne. In seinem Buch ›ISIS. Der globale Dschihad. Wie der »Islamische Staat« den Terror nach Europa trägt‹ (Econ, Berlin 2015) analysiert Schirra, wie es zum fulminanten Aufstieg von ISIS kommen konnte und welche Gefahr – auch für Europa – von der Organisation ausgeht.
Ambivalente Erfahrungen eines Lehrers
»DIE NACHZUSTOTTERNDE WELT,bei der ich zu Gastgewesen sein werde, ein Name,herabgeschwitzt von der Mauer,an der eine Wunde hochleckt.«Paul CelanAus: ›Schneepart‹
»Es ist ein Gott in uns, […] der lenkt, wie Wasserbäche,das Schiksaal, und alle Dinge sind sein Element.«Friedrich HölderlinAus: ›Hyperion‹
Zur Choreografie der Erfahrung
Sie gehören zum Alltäglichsten, mit dem wir zu tun haben, und zumeist haben wir uns sosehr daran gewöhnt, dass es sie gibt und dass wir sie benutzen, dass wir sie gar nicht mehrwahrnehmen. Und dennoch sind sie voller Überraschungen und Wunder, selbst dort, wowir sie täglich begehen: die Wege.
Persönlich-überpersönliche Bemerkungen
Im Herbst 1992 kaufte ich mir mein erstes Buch von RudolfSteiner, ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹,und ich begann sogleich, mit Interesse und innerer Spannungdarin zu lesen. Ich war damals 15 Jahre alt. Ich erinnere michnoch gut an das leicht Geheimnisvolle und Mystische, das vomersten Moment an von diesem Buch für mich ausging. Auch einenHauch von Fremdheit verspürte ich den sprachlichen WendungenRudolf Steiners gegenüber.Das Grunderlebnis allerdings war: Das ist mir alles irgendwievertraut und bekannt – es war wie ein geistiges Nach-Hause-Kommen. Dieses Erlebnis steigerte sich noch durch mein zweitesBuch von Rudolf Steiner, ›Die Philosophie der Freiheit‹, welcheich zu meinem 16. Geburtstag geschenkt bekam. Mit diesenbeiden Werken begann nun ein intensives Steiner-Studium, dasbis heute andauert.Im Nachhinein scheint es mir kein bloßer Zufall zu sein, dassich diesen beiden Werken zuerst begegnete, eben auch in dieserReihenfolge. Von den »höheren Erkenntnissen« zur Freiheitsphilosophie,vom esoterischen Erkenntnisweg zum freien Handeln.Zwischen diesen beiden Werken spannte sich für mich die Beschäftigungmit der Anthroposophie auf. Den meditativen Schulungswegwollte ich aus Freiheit begreifen und beschreiten, unddie ›Philosophie der Freiheit‹ wollte ich spirituell erschließenund praktisch geistig erwandern.
Eine Artikelserie zu Rudolf Steiners Schrift ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹
Zur Darstellung der Selbsterkenntnis in Rudolf Steiners ›Geheimwissenschaft im Umriss‹
»So habe ich den Ort gefunden, an dem Du unverhüllt gefunden werdenkannst. Er ist vom Ineinsfall der Gegensätze umgeben. Er ist die Mauer desParadieses, in dem Du wohnst. Seine Pforte bewacht der höchste Geist desVerstandes. Wird dieser nicht besiegt, wird der Zugang nicht offen sein.«Nicolaus CusanusAus: ›De visione Dei‹, Kap. 9
Von der geopolitischen Machtpolitik zum geokulturellen Menschheitsverständnis
Deutschland ist eine wirtschaftliche und politische Scheinmacht. Die wirklich relevanten Entscheidungen fallen an anderen Orten. Dennoch laufen in Mitteleuropa jahrtausendealte Entwicklungslinien in einer Weise zusammen, die es geradezu prädestinert erscheinen lassen, ein ganz neues, menschheitliches Geistesleben auszubilden. Dazu müssen allerdings die Kräfte der Vergangenheit erkannt und umgearbeitet werden. Unverwandelt wirken diese Kräfte in den geopolitischen Machtbestrebungen weiter.
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Zu Andreas Neider: ›Der Ost-West-Gegensatz‹, die Drei 9/2015