Artikel von Ulrich Kaiser
Zu Emanuele Coccia: ›Metamorphosen – Das Leben hat viele Formen‹
Der heute 45-jährige Philosoph Emanuele Coccia kann schon auf eine Reihe bemerkenswerter, zum Teil mit Auszeichnung versehener Bücher zurückblicken. Sie sind nicht nur Zeugnis einer interkulturellen Vernetzung zwischen italienischen, französischen, spanischen und deutschen Orten des Studiums und der Lehre, die durch Auseinandersetzungen in Japan, Brasilien oder den Vereinigten Staaten angereichert wurden. Auch das Maß der historischen und sachlichen Spanne seiner Themen ist ungewöhnlich. In Paris hat er einen Lehrstuhl für Geschichte der mittelalterlichen Philosophie. Er schrieb je ein Buch über Werbung, das Leben der Pflanzen und die Rolle der Bilder in der heutigen Alltagskultur sowie in der Philosophie des Averroes. Er kuratierte zuletzt eine Kunst-Ausstellung zu Aspekten der Ökologie der Bäume. Vor zwölf Jahren gab er zusammen mit Giorgo Agamben den ersten Sammelband zur Bedeutung der Engel in der christlichen, islamischen und jüdischen Tradition heraus. – Das sich so dokumentierende, weit gespannte und zugleich dichte Netz seines Denkens rückt nun in ein neues Areal vor, den Bereich der Metamorphose, in dem Coccia mit Hilfe der Insekten über die Pflanzenwelt hinaus denkt und einige ganz universelle und überraschende Thesen über uns, unsere Zeit und die Erde ausbreitet.
Zu Wilfried Sommer: ›Resonanzfiguren des verkörperten Selbst‹
Der Physikdidaktiker und Waldorflehrer Wilfried Sommer hat ein schmales Bändchen mit Untersuchungen zu anthropologischen Perspektiven der Waldorfpädagogik vorgelegt, die in ihrem besonderen Ansatz und im Duktus der Gedankenführung neue Wege einschlagen. Neu ist die Radikalität, mit der er darauf verzichtet, seine Überlegungen aus den mannigfachen Darstellungen Rudolf Steiners abzuleiten, zu erläutern und daraus wiederum zu erklären. Er vermeidet diesen Zirkel und setzt vielmehr anderswo an. Da ist vor allem der Bereich schulpädagogischer Diskussionen zu dem von Hartmut Rosa eingeführten Paradigma der Resonanz. Da ist im engeren Sinn die Anthropologie der Verkörperung, wie sie in den letzten Jahren der Arzt und Philosoph Thomas Fuchs ausgearbeitet hat. Sommer verankert seine Studien in jenem akademischen Feld aktueller Diskurse, das in der Methode nicht reduktionistisch ansetzt, sondern im Blick auf den Menschen sorgsam differenziert die Reichhaltigkeit gegebener Gesichtspunkte im Blick behält.
Rassismuskritische Hermeneutik der Anthroposophie
Es war eine bemerkenswerte Intuition, welche die deutsch-iranische Komikerin Enissa Amani dazu brachte, als Reaktion auf den unsäglichen WDR-Talk ›Die letzte Instanz‹ vom 29. Januar 2021 ein eigenes Fernsehformat aus dem Boden zu zaubern und über ›Youtube‹ anzubieten. Nicht nachhallende Kritik an der Tatsache, dass in besagter Talk-Show Vertreter der Mehrheitskultur verständnis- und geschmacklos über diskriminierungssensible Themen palaverten, sollte es sein. Nein, etwas Konstruktives: ein Gespräch mit profilierten Vertreterinnen und Vertretern von Minderheitskulturen, deren Stimmen an solcher Stelle allererst gefragt sind. Die Sendung wurde, auf diesen Anlass anspielend, kurzerhand und selbstbewusst ›Die beste Instanz‹ betitelt. Wofür dieser Vorgang und diese Sendung ein Exempel bot, das war, ein Feld der Lernerfahrungen und der Bewusstwerdung von Haltungen und Urteilsgewohnheiten zu schaffen, die unsere Mehrheitskultur durchziehen und die besonders sensibel in Schulen, im öffentlichen Leben und in jeder Begegnung zwischen Menschen wirksam sein können.