Artikel von Sharon Karnieli
Vom Vatergöttlichen zum Ich
Man kann das Vaterunser unter dem Gesichtspunkt betrachten, wie sich die Menschheit darin findet – die alte Menschheit und die neue. Beim Beten des Vaterunsers kann man einen Weg erleben, der mit einem großen kosmischen Teil beginnt, sich dann verinnerlicht, zur eigenen Mitte führt und im letzten Teil, der Doxologie, einen Aufschwung herbeiführen kann. Die Autorin hat sich immer wieder gefragt, was es mit den drei Teilen des Gebets auf sich hat. Im Folgenden entwickelt sie dazu einige Gesichtspunkte.
Imagination, Inspiration, Intuition im Vaterunser und im ›Friedenstanz‹ von Rudolf Steiner
Heute sind wir als Menschheit über die Schwelle gegangen, wir befinden uns quasi im Grenzbereich zwischen Himmel und Erde. Achim Noschka sagte, wir befinden uns »zwischen dem Unsichtbaren und Sichtbaren«, einem Gebiet, das noch unbekannt ist, und das doch jeder mehr oder weniger aus eigener Erfahrung kennt. Meistens ist es schwer zu orten, wo man sich gerade befindet. Mit welchen Mitteln erkennt man das Gebiet, »die geistigen Bewegungen«, die da sozusagen als Landschaften auftauchen? Welche Begriffe braucht es dazu, wie ist die Landschaft zu fassen? »Im Schaffen dieser [neuen] Begrifflichkeiten [...], in dem Augenblick, wo ich an der Grenze bin zwischen dem Unsichtbaren und Sichtbaren, berge ich die geistigen Bewegungen durch entsprechende Worte«, sagte Achim Noschka in die Drei 2012.1 Die neuen Begrifflichkeiten, die entsprechenden Worte, die die geistigen Bewegungen – Achim Noschka folgend – bergen, können in den drei von Rudolf Steiner oftmals beschriebenen Stufen der höheren Erkenntnis gesucht werden. Damit ist sicher nicht ausgeschöpft, was Achim Noschka in der oben zitierten Aussage meinte. Aber wenn wir die Begrifflichkeiten in der Imagination, Inspiration und Intuition wirklich schaffen, dann erschließt sich das Gebiet, das sich auftut »zwischen dem Unsichtbaren und Sichtbaren«.
Rudolf Steiner verband mit der Grundsteinmeditation die Erneuerung des alten Mysterienspruches »Erkenne dich selbst«. Sie tönte in ihrer Dreigliedrigkeit an die Ohren der auf der Weihnachtstagung 1923/24 versammelten Anthroposophen. Sie tönte als inspirierte Dreigestaltung des »Erkenne dich selbst«. Um dies wirklich zu erkennen, zu erfühlen und zu erleben, müssen die Gliedmaßen sich im tätigen Erfassen der Welt erkennen, muss das Herz ein Erkenntnisorgan werden und das Haupt mit Herzenswärme durchströmt werden.