Zur Ausstellung ›Saxones‹ in den Landesmuseen Hannover und Braunschweig
Eines der schlichtesten Stücke der in Hannover ausgestellten Funde ist ein »Langsax« aus Eisen vom 8./9. Jahrhundert aus einem Grab in Dörverden, Landkreis Verden an der Aller. Mit dem Begriff »Sax« wurden in den germanischen Sprachen einschneidige kurze Schwerter oder Messer, später auch größere Schwerter bezeichnet. Es liegt nahe und wäre auch sprachlich korrekt, den Namen »Sachsen« daraus abzuleiten – die frühen Sachsen wären dann die »Messermenschen«, die in den ersten verlässlichen Quellen als arge Plünderer und Piraten beschrieben werden; Menschen, die den Sax als effektive Waffe anstelle der Spatha, des zweischneidigen Langschwertes, benutzten.
Zur Verleihung des Büchner-Preises 2020 an Elke Erb
Ich lese: »Wenn der Mensch / ans letzte Ende seines Weges kommt, / blickt er sich um nach der Erde / und, erfüllt von allem Menschlichen, / sagt er:/ Einmal lebten hier Vögel, / die Menschen waren.« An anderer Stelle lese ich: »Ich weiß, dass ich sterben werde beim Himmelsrot! / Bei welchem, mit welchem – das ist nicht auf Wunsch zu entscheiden. / Ach, käm meine Fackel löschen doch zweimal der Tod, / Beim Morgenrot und beim Abendrot ging ich mit beiden!« Die Verse sind nicht von Elke Erb – und ein bisschen doch. Das erste Zitat stammt von dem Weißrussen Ales Rasanaŭ (*1947), das zweite von der russischen Dichterin Marina Zwetajewa (1892–1941). Elke Erb (*1938) hat die Verse ins Deutsche übertragen oder besser: nachgedichtet. Wieviel Elke Erb in den deutschsprachigen Zeilen steckt, kann ich nicht beurteilen, da ich die Originalsprache nicht lesen kann – eine Verwandtschaft empfinde ich jedoch, besonders mit Rasanaus Kurzgedichten, die er »Punktierungen« nennt. Auch Elke Erb schreibt teilweise sehr knappe Gedichte – eines der kürzesten lautet: »Das Aus hat (wie / der Laut sagt) // keinen Garten.«3 Elke Erb hat zahllose Übersetzungen geschrieben, die Liste ist imponierend lang – vielleicht, weil das auch eine Ausweichmöglichkeit in DDR-Zeiten war? Wie viele Gedichte mag sie selbst seit etwa 1968 bis heute geschrieben haben?
Zur Ausstellung ›Karl Schmidt-Rottluff: expressiv – magisch – fremd‹ im Bucerius Kunst Forum Hamburg
Das ist schon kühn vom Bucerius Kunst Forum: eine Ausstellung mit einer kleinen Postkarte zu beginnen. 1909 im November hatte sie Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) aus Hamburg an seinen Künstler-Kollegen Erich Heckel nach Dangast geschrieben und auf der Vorderseite mit Tusche eine weibliche Figur aus Kamerun skizziert, die er offenbar in Hamburg bei einem Sammler oder Händler von außereuropäischer Kunst gesehen (oder gar erworben?) hat. Die Ausstellungen des Bucerius Kunst Forums, das bekanntlich keinen eigenen Werkbestand besitzt, haben sich immer schon durch einen besonderen Blickwinkel ausgezeichnet, der die Sehgewohnheiten angesichts der Kunst, die man zu kennen glaubt, verändert.
Zur Ausstellung ›Eckersberg – Faszination Wirklichkeit. Das Goldene Zeitalter der dänischen Malerei‹
Navid Kermani, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 2015
Zur Ausstellung ›Fantastische Frauen‹ in der Frankfurter Schirn
Wäre ich unmittelbar nach dem Besuch der Ausstellung nach meinen Empfindungen gefragt worden, hätte ich es schwer gehabt, die richtigen Worte zu finden. Offenbar haben mich die vielen Bilder, die bei den Künstlerinnen aus dem Unterbewussten emporgestiegen sind und die vielleicht ein Tor zur geistigen Welt aufgestoßen haben, sehr berührt und auch bei mir selbst Unbewusstes aufscheinen lassen. Ich war verwirrt – nein, das trifft es nicht ganz, es klingt zu negativ. »Gefesselt« wäre richtiger, aber auch das könnte negativ, als einengend verstanden werden. Doch ist das Gegenteil der Fall: Wer sich darauf einlässt, in Ruhe die ausgebreitete Fülle der Bilder zu betrachten, mit Interesse im Sinne des inneren Dabeiseins, wer sich der Fantasie der Künstlerinnen und der eigenen öffnet, dabei ab und zu eine Pause zum Durchatmen einlegt – die oder der wird zwar angestrengt sein, aber dennoch ein Gefühl der Freiheit empfinden. Die ganze Ausstellung wirkt wie vom Atem der Freiheit durchweht.
Zur Ausstellung ›Facing India‹ im Kunstmuseum Wolfsburg
Beim Eintritt fällt der Blick auf eine 14 m lange Weltkarte an der Wand, die aus Elektrokabeln geknüpft wurde: Stacheldrahtähnliche Kabel zwischen den Kontinenten zeigen Migrationswege an, sie verbinden und trennen zugleich. Eine Metapher für die Ambivalenz jeglicher Grenzziehung, die immer auch die Möglichkeit zur Kommunikation und zu (weiblichen) Netzwerken bietet? Nach der Überwindung von Hindernissen? ›Woven Chronicle‹ von Reena Saini Kallat (*1973) ist eine »Handarbeit«, wie sie weltweit immer noch mit dem weiblichem Rollenmuster verknüpft wird.
Drei Ausstellungen zum 100. Todestag in Bremen und Hannover.
Zur Ausstellung ›Picasso – Fenster zur Welt‹
Eine Lesung mit Bildern im Sprengel Museum Hannover
Das Sprengel Museum Hannover, eines der weltweit bedeutendsten Museen für moderne Kunst, hat vor zwei Jahren einen Erweiterungsbau erhalten, der seine Fläche um 5.300 qm vergrößert, davon 1.400 qm Ausstellungsfläche – bei Kosten von 35,8 Mio. Euro. Da stellt sich die Frage: Was hat das allgemeine Publikum davon? Wie können die jetzt zusätzlich sichtbar gemachten Teile der Sammlung am besten vermittelt werden? In großem Stil geschieht das zur Zeit durch die Sonderausstellung ›130% Sprengel‹, die teilweise zur Dauerausstellung werden soll. Rund 800 Werke werden dabei im ganzen Haus präsentiert, und in den großzügigen Naturlichträumen des Erweiterungsbaus sind die Meisterwerke der Klassischen Moderne zu sehen. Sie unterstreichen den außerordentlichen Rang dieser Sammlung, deren Grundstock einst der Schokoladenfabrikant Bernhard Sprengel und seine Ehefrau Margit gelegt hatten – angeregt von einem Besuch der Nazi-Ausstellung über ›Entartete Kunst‹. Doch auch in kleinem Rahmen wird das Sprengel Museum seinem Bildungsauftrag gerecht. Davon möchte ich hier ein Beispiel geben.
Zu Edvard Hoem: ›Die Hebamme‹
Kaum jemals habe ich ein Umschlagbild so passend gefunden wie das zu diesem Roman: steil aufragende Felsen, unüberwindbar für den Menschen ohne Hilfsmittel, ein schmaler Streifen steiniger Boden, Wasser am Grunde der Schlucht, darauf ein Ruderboot, das von einer Frau mit Kopftuch bewegt wird, Stille, Einsamkeit. Ohnmacht des Menschen, Übermacht der Natur oder umgekehrt – in einem Bild zusammengefasst. Ein Bild, das viele weitere Bilder in meinem Inneren aufblättern lässt.
Zur Ausstellung ›Elementarteile‹ im Sprengel Museum Hannover
Was ist Kunst? Wie entsteht sie? Woraus besteht sie? Worauf bezieht sie sich? Wovon erzählt sie? – Diese Ausstellung wirft unzählige Fragen auf und gebiert mit jedem Versuch einer Antwort doch nur neue Fragen. Der Titel ›Elementarteile‹ allerdings könnte zu einer falschen Antwort verleiten – als ob Kunst aus der Summe der Teile erklärbar wäre. Das ist sie eben nicht. Es gehört vielmehr zu ihrem Wesen, dass künstlerische Werke als Ganzes wirken und sich nicht durch Zerpflücken erklären lassen.
Zur Retrospektive der rumänischen Künstlerin Geta Brǎtescu in der Hamburger Kunsthalle
Zu Edvard Hoem: ›Der Geigenbauer‹
Zugegeben, ich musste inneren Widerstand überwinden, als es darum ging, nach der ›Hebamme‹ (Stuttgart 2021) ein weiteres Werk des Norwegers Edvard Hoem vorzustellen. Wieder ein Roman, der den Spuren eines bzw. einer Verwandten folgt? Ist das die Masche eines Bestseller-Autors? Mag sein. Auf den zweiten Blick aber zeigte sich, dass die Ansätze der beiden Romane grundverschieden sind, und das machte sie für mich dann doch interessant. Kurz gesagt werden zwei unterschiedliche Wirkensöglichkeiten des Schicksals vorgestellt: Die ›Hebamme‹ weiß von Jugend an, dass sie Hebamme werden will; Lars Olsen Hoem, der spätere Geigenbauer, hat einen ganz anderen Wunsch, nämlich den, ein eigenes Schiff, eine Schute zu besitzen und zu führen, und findet erst nach verschlungenen Pfaden zu seinem eigentlichen Schicksalsauftrag. Den klar zu erkennen und anzunehmen gelingt den wenigsten. Manchen gelingt es rückblickend in die Vergangenheit; anderen in der Gegenwart, aber nicht für die Zukunft. Alle Varianten sind möglich. Manchmal sind helfende Hände beteiligt und nötig (vgl. S. 334), doch gibt es auch herausragende Menschen, die das, wofür sie ausgewählt wurden, als Auftrag an sie persönlich empfinden, unwiederholbar und nicht übertragbar. Meistens gibt es Widerstände – sie müssen überwunden werden, dazu sind sie da. In der Regel offenbart sich der Schicksalsauftrag in menschlichen Begegnungen.
Zur Ausstellung ›revonnaH. Kunst der Avantgarde in Hannover 1912-1933‹ im Sprengel Museum Hannover
Nach meiner ersten Besichtigung der Ausstellung habe ich mich gefragt: Welche Art der Darstellung war für dich am eindrücklichsten, welches Werk wirst du als Besonderheit in Erinnerung behalten? Das dunkle Ölgemälde mit den ausdrucksstarken Gesichtern oder die archetypisch wirkende Maske? Die in Öl auf Sperrholz gemalte alte Frau im Bett oder der Frauenkopf aus rotem Stein? Die völlig abstrakte Komposition mit Holzrahmenfragment und Holzkugelsegment oder das Foto von einem dürren Bäumchen in karger Winterlandschaft? Das realitätsnahe Bild einer Menschenschlange vor dem Arbeitsamt oder das stark vereinfachte, von Farbflächen geprägte Plakat? Was muss das für eine gärende Zeit in Hannover gewesen sein, in der all diese unterschiedlichen Werke geschaffen oder ausgestellt wurden!
Zur Ausstellung ›Max Beckmann. weiblich-männlich‹ in der Hamburger Kunsthalle
Oft sind es Kleinigkeiten, die bei einem Kunstwerk viel aussagen. Es empfiehlt sich, genau hinzuschauen, mit einem zweiten und dritten Blick dem Werk noch näher zu kommen, vielleicht gefördert von hilfreichen Hintergrundinformationen. Das wurde mir einmal mehr bei dieser Ausstellung klar, besonders an einem Beispiel: dem ›Bildnis Ludwig Berger‹ (Abb. 1), das Max Beckmann (1884-1950) im Jahre 1945 geschaffen hat. Auf den ersten Blick scheint das Ölgemälde zu der üblichen Vorstellung zu passen, die sich zu Beckmann herausgebildet hat: betont männlich, tatmenschenhaft. Der berühmte Theater- und Filmregisseur pflegte im Amsterdamer Exil engen freundschaftlichen Kontakt zum Ehepaar Beckmann. Berger hatte das Porträt selbst veranlasst, aber es gefiel ihm nicht. Warum? Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass Berger in der rechten Hand eine Blume hält, mit der er offenbar sanft über den linken Handrücken streift. Die Beigabe von Blumen ist in Beckmanns Porträts sonst Frauen vorbehalten. Bei Berger ist es ausgerechnet eine Lotusblüte, Symbol der Fruchtbarkeit, der Weisheit und spirituellen Erleuchtung – und des göttlichen wie menschlichen Hermaphroditen (laut Helena Petrovna Blavatskys ›Geheimlehre‹, die der Katalog auf S. 121f. zitiert). Berger war (verdeckt) homosexuell und hat die weiblich anmutende Geste vielleicht als Anspielung darauf empfunden. Dass Beckmann davon wusste, ist aber nicht nachweisbar; vielleicht wollte er nur auf den feinen Kunstsinn des Freundes anspielen. Die Gestaltung der Hände spricht auch dafür. Als Berger Beckmann fragte, ob er sich mit der Blume über ihn habe lustig machen wollen, antwortete der: »Nee-nee ... So SIND Sie!« (Zitiert im Katalog auf S. 122)
Zur Ausstellung ›Poesie der venezianischen Malerei‹ in der Hamburger Kunsthalle
Bei Regenwetter nach Hamburg zu fahren ist kein Vergnügen, schon gar nicht bei leichtem Regen, der kaum durchnässt, aber alles grau in grau erscheinen lässt und das Gemüt niederdrückt. Nur gut, dass die Kunsthalle nahe am Bahnhof liegt, und dass die Binnenalster durch die Spiegelung ein wenig Licht herüberwirft. Nach meiner Besichtigung der Ausstellung sah die Welt ganz anders aus. Die Leuchtkraft der über vierhundert Jahre alten Bilder hatte meine Wahrnehmung verändert. (Nicht besonders nachhaltig übrigens, denn nach einem Fußweg hinüber zum Bucerius-Kunstforum – es regnete weiterhin – und nachdem ich die dortige, noch bis zum 1. Mai geöffnete Paula-Modersohn- Becker-Ausstellung besichtigt hatte, war meine Wahrnehmung ein weiteres Mal verändert.) Mich ließ das einmal mehr nachdenken über das Verhältnis zwischen Kunst und Leben.
Zur Fotoausstellung in Wolfsburg
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Zur Ausstellung ›Venedig – Stadt der Künstler‹ im Bucerius Kunstforum
Stadt der Künstler? Stadt der Touristen? Stadt – nicht zuletzt – ihrer Bewohner? Überrascht war ich schon beim ersten Rundgang, wie viel in dieser Ausstellung auch von Menschen gezeigt wird, obwohl nicht immer aus allen gesellschaftlichen Schichten – ein Spektrum menschlicher Möglichkeiten, gespiegelt in der Stadt. Zwei polar einander gegenüberstehende Bildbeispiele mögen das symbolisieren: einerseits das Porträt des Dogen Leonardo Loredan, um 1501-1505 wohl von Vittore Carpaccio gemalt, und die ›Venezianische Zwiebelverkäuferin‹ von John Singer Sargent, um 1880-1882 entstanden, auf der anderen Seite. Bilder einzelner Menschen sind jedoch selten, meistens werden in der Ausstellung Gruppen dargestellt. Oft sind die so gezeigten Menschen mehr oder weniger Staffage, vor allem in den frühen Vedutenbildern. (Eine Vedute ist ein wirklichkeitsgetreues Abbild einer Stadt oder Landschaft, heute wird der Begriff meist synonym mit »Stadtbild« verwendet.) In manchen anderen Bildern aber ist die jeweilige Gruppe das Thema, wie etwa Spieler, maskierte Menschen im Karneval oder Gaukler vor dem Dogenpalast.
Eine bilderreiche Existenz: Zum 100. Geburtstag der finnlandschwedischen Künstlerin
Zur Ausstellung ›Thomas Gainsborough: Die moderne Landschaft‹ in der Hamburger Kunsthalle
Erst bei genauerem Hinsehen sind sie mir aufgefallen: die Zäune in dem Bild ›Mr. und Mrs. Andrews‹, einem der bekanntesten Werke der englischen Malerei. Die porträtierten Auftraggeber sind an den linken Bildrand gesetzt, rechts geben sie den Blick in die Kulturlandschaft frei. Es wirkt, als habe sich der Künstler nicht recht entscheiden können: Porträt oder Landschaft? Tatsächlich spiegelt sich darin ein lebenslanger Konflikt des Künstlers wider: Er hatte sich einen guten Ruf als Porträtmaler erworben und konnte damit gut Geld verdienen, besonders seit er sich 1759 im Badeort Bath niedergelassen hatte. Seine Vorliebe aber galt der Landschaftsmalerei, die er experimentierend und höchst innovativ weiterentwickelte.
Zur Ausstellung ›ZERO und Nouveau Réalisme – Die Befragung der Wirklichkeit‹ in der Stiftung Ahlers Pro Arte / Kestner Pro Arte in Hannover
Ein junger Mann schält eine Birne. Er ist von halb rechts zu sehen, trägt eine dunkle Weste über einem hellen Hemd und einen locker gebundenen dunklen Schlips, der tätige rechte Arm im hellen Hemdsärmel ragt in den Vordergrund. Gut beleuchtet ist das Gesicht, halb nach links gewendet; der Blick ist ein wenig nach innen gerichtet, scheint aber auch den Betrachter wahrzunehmen, ganz sicher ist das nicht auszumachen. Der leicht nach oben gerichtete Kopf mit kantigen Gesichtszügen und einem leichten Oberlippenbärtchen drückt ein gewisses Selbstbewusstsein aus. Édouard Manet hat den ›Birnenschäler‹ 1868 gemalt. Dargestellt ist Léon, der Sohn seiner Frau Suzanne.
Eva Hesse und Gego in der Hamburger Kunsthalle
Zur Ausstellung ›Wanderlust: Von Caspar David Friedrich bis Auguste Renoir‹ in der Alten Nationalgalerie Berlin
Wer (heute) gekennzeichnete Wege geht, trifft auf andere Menschen, die schneller oder langsamer sind. Wer alleine wandert und sich unbekannte Pfade erschließt, begegnet neuen Räumen und: sich selbst. Die Begegnung mit sich selbst mag auch der Grund dafür sein, dass sich im 19. Jahrhundert – in einer Zeit zunehmender Ich-Stärkung und wachsender Bedeutung des persönlichen Gefühls im Kontrast zur Industrialisierung – fast schon explosionsartig in Europa die Bewegung des Wanderns entwickelte. Die damalige Sehnsucht nach Entschleunigung schlägt die Brücke zur heutigen Zeit, in der das Interesse am Wandern als Mittel der Besinnung wieder zugenommen hat. »Wandern ist ein perfektes Kontrastprogramm, die Rückkehr zum menschlichen Maß, dem Maß des Schrittes, und zum natürlichen Zeitgeber, dem Licht der Sonne«, formulierte treffend der Journalist und Nachhaltigkeitsexperte Ulrich Grober in einem Interview des ›Wander Magazins‹.