Artikel von Jürgen Raßbach
Anmerkungen zu Heiner Müller (1929–1995)
Ich habe ihn in der Tat erst in den vorrevolutionären Wochen von 1989 für mich entdeckt; natürlich nicht den ganzen Heiner Müller. Vorerst waren es, wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, die Teile I bis III der ›Wolokolamsker Chaussee‹, packend inszeniert vom Ensemble des Potsdamer Hans-Otto-Theaters, das damals noch im bald für marode erklärten Haus in der Zimmerstraße auftrat. So dicht, so auf uns zugeschnitten – das gilt auch für die zur selben Zeit gezeigten Stücke der Perestroika-Autoren Tschingis Aitmatow und Wladimir Tendrjakow – habe ich Theater nie wieder erlebt, meilenweit entfernt von der nachrevolutionären Beliebigkeitskost, die mich erstmals veranlasste, eine Vorstellung vorzeitig zu verlassen.
Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Borchert (1921–1947)
Dass ein politischer Witz – unvorsichtig genug, wer ihn in den humorlosen Zeiten der Diktatur wagt – zum Verhängnis werden kann, ist eine Erfahrung, die ich mit Wolfgang Borchert teile. Allerdings (und das sei unterstrichen) waren die Konsequenzen, die ihn trafen, unvergleichlich härter, unvergleichlich. Der Krieg hat tief und verheerend in die Biografie des bei Ausbruch der Katastrophe Neunzehnjährigen eingegriffen. Sein Jugendfreund Isot Kilian beschreibt ihn als »voller Ideale, rebellisch und zukunftsgläubig« Er wollte Schauspieler werden und trat 1940 sein erstes Engagement an, bei der Landesbühne Osthannover. Nach wenigen Monaten schon reißt ihn die Einberufung in die 3. Panzer-Nachrichtenersatz- Abteilung und im November an den baldigen Fronteinsatz nach Russland.
Zum 100. Geburtstag Friedrich Dürrenmatts
Im Lehrplan der DDR-Schulen, zumindest solange ich Schüler war, kam dieser Name nicht vor. Später dann, als Lehrer, schuf ich den ›Physikern‹ zumindest ein Schlupfloch: Im Zusammenhang mit Bertolt Brechts ›Leben des Galilei‹ durften sie, als sp.tbürgerlicher Gegenentwurf, kurz in Erscheinung treten. Immerhin gab es 1965 eine Ausgabe beim Verlag ›Volk und Welt‹, die vier seiner Komödien enthielt, ein Band mit Erzählungen erschien 1980. Natürlich gab es Aufführungen im Theater, ein ›Besuch der alten Dame‹ in Rostock ist mir noch in Erinnerung. Die unterrichtliche Verbannung Friedrich Dürrenmatts endete für mich 1986, als ich meine Arbeit am nichtstaatlichen Potsdamer Kirchlichen Oberseminar begann. Diese unterschiedlichen Rezeptionsvoraussetzungen sind nicht unwesentlich, wenn von Dürrenmatts literarischem Einfluss gesprochen wird.