Artikel von Walter Schafarschik
Die Geburtsstunde der deutschen Marienlyrik
Wahrscheinlich entstand schon in der frühen Christenheit das Bedürfnis, die vier Evangelien zu einer fortlaufenden Erzählung zusammenzufügen im Sinne einer Art Zusammenfassung der jeweils charakteristischen Stationen des Lebens Jesu. So schuf im 2. Jahrhundert n. Chr. der Syrer Tatian († um 170) eine solche ›Evangelienharmonie‹, die in einer lateinischen Übersetzung bis ins frühe europäische Mittelalter gewirkt hat und um 830 auch ins Althochdeutsche übersetzt wurde. Im Frankenreich der Karolinger ist, wohl auch im Zusammenhang mit der Christianisierung, ebenfalls ein solches Bedürfnis nach einer Zusammenfassung des Lebens Jesu vorhanden gewesen. Und so entstanden im 9. Jahrhundert gleich zwei Evangelienharmonien: der von einem unbekannten Verfasser stammende und für die Sachsenmission gedachte altsächsische ›Heliand‹ in germanischen Stabreimversen und der ›Liber evangeliorum‹ (Buch der Evangelien) des Mönchs Otfrid von Weißenburg in althochdeutsch-südrheinfränkischen Endreimversen – die erste deutsche Großdichtung mit Endreimen in Langzeilenform.
Zu Friedrich Schillers Geburtstag am 10. November und zur Gründung der Waldorfschule 1919
Die Schiller-Rezeption in Deutschland war im 19. Jahrhundert zunächst ein bürgerliches Unternehmen. Friedrich Schiller wurde zum Nationaldichter, zum Vorkämpfer für ein nationales Selbstbewusstsein und für die nationale Einheit. Dass er eine solche Vereinnahmung vehement zurückgewiesen hätte, wurde einfach ignoriert. Schiller hatte dazu, geradezu vorausschauend, an seinen Freund Christian Gottfried Körner geschrieben: »Es ist ein armseliges, kleinliches Ideal, für eine Nation zu schreiben; einem philosophischen Geist ist diese Grenze durchaus unerträglich. Dieser kann bei einer so wandelbaren zufälligen und willkürlichen Form der Menschheit, bei einem Fragmente (und was ist die wichtigste Nation anders?) nicht stille stehn.«