Artikel von Stefan Schmidt-Troschke
100 Jahre Anthroposophische Medizin
100 Jahre Anthroposophische Medizin. Wir begehen dieses Jubiläum in einer Zeit der Pandemie (von griech. pandēmia = das ganze Volk). Nicht nur das ganze Volk eines Landes, sondern die Weltgemeinschaft steht unter Schock durch ein Virus. Es betrifft uns – mehr oder weniger direkt – alle, weltweit. Millionen von Menschen gelten als gefährdet durch ein Virus, das aller Wahrscheinlichkeit nach von Fledermäusen, womöglich über weitere Wirtsorganismen, hin zum Menschen gelangt ist und sich nun pandemisch ausbreitet. Mit der Corona-Krise wird ein Vorhang gelüftet. Dem Blick öffnet sich eine Art Fratze, ein Gesicht, das in seiner Versehrtheit bloßliegt. Wir blicken auf die Züge einer Gesellschaft, einer Medizin und eines Gesundheitswesens, wie wir das sonst nur punktuell tun, wenn überhaupt.
Wir leben in einer paradoxen Situation. Die Europäische Integrationsbewegung, der Verfassungsstaat, unsere repräsentative Demokratie, unser Gesundheits- und Sozialsystem und nicht zuletzt die moderne wissenschaftliche Medizin ermöglichen Formen der Selbstbestimmung, wie sie die Menschheit nie zuvor gekannt hat. Auf der anderen Seite sind es eben diese Bedingungen und Instrumente, durch die wir uns um das zu bringen drohen, was sie uns ermöglichen sollen: ein Zusammenleben in und eine menschliche Entwicklung aus Freiheit. Das, was eigentlich erst den Entfaltungsraum für die Entwicklung der menschlichen Freiheit herstellen sollte, wendet sich mit Macht gegen den Menschen selber. Undurchschaubare Verflechtungen zwischen Staat, Wirtschaft und Kulturbereich, mächtige Institutionen, Sicherheitsmaßnahmen, flächendeckende Präventionsprogramme und politisch wie ökonomisch gesetzte Handlungsanreize stehen (um nur einige Beispiele zu nennen) für einen diffus um sich greifenden und subtilen Entzug von Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten.