Artikel von Gerd Weidenhausen
Seit Jahren ist die Rede davon, dass das gesellschaftliche Klima rauer und die Art und Weise, diverse Themen und Problemfelder zu diskutieren, weniger von sachlichen Argumenten als von hitzigen Emotionen bestimmt wird. Eine Spielart der politischen Debatten, die immer mehr an Einfluss gewinnt, ist dabei die Frage des Umgangs mit Minderheiten, die sich in identitätspolitischen Diskursen artikuliert. Deren »rechte« und »linke« Varianten nisten sich zunehmend in das Lager einer sich als liberal verstehenden »Mitte« ein. Während nun über »rechte« Identitätspolitiken unzählige kritische Studien und Artikel vorliegen und sich rechte Identitätspolitik in ihrer imaginierten ethnisch-nationalen und kulturellen Identität als atavistisches Konstrukt selbst ad absurdum führt und auch kaum Resonanz erfährt, erfreut sich »linke« Identitätspolitik in ihrem Kampf gegen die Diskriminierung von Minderheiten einer breiteren gesellschaftlichen Akzeptanz. Das mag auch daran liegen, dass der mit der linken Identitätspolitik einhergehende Opferdiskurs Mitgefühl evoziert. Aber auch das hat eine Kehrseite. Was nämlich den »linken« mit dem »rechten« Identitätsdiskurs verbindet, ist der Glaube an die Macht der Kollektive – wie auch immer diese benannt und ideologisch aufgeladen werden. Und in dem Ensemble gegebener und unveränderbarer Gruppeneigenschaften, als deren Teil sich das Individuum zu begreifen hat, kommt dessen autonome Selbstbestimmung auf der Basis zu erringender Ideale nicht vor.
Politik-Inszenierung im Wahlkampf 2021 am Beispiel der Klimarettung
Eine unter den vielen Eigentümlichkeiten der alle vier Jahre stattfindenden Bundestagswahlen ist, dass die Wahlberechtigten von den um ihre Gunst buhlenden Parteien bei ihren privaten Unzufriedenheiten »abgeholt« werden. Die Politiker versprechen den Wählern, diese Probleme im Falle ihres Wahlsieges zu beheben – insofern und insoweit die mit dem künftigen Koalitionspartner einzugehenden Kompromisse das zulassen. In den Wahlprogrammen werden diese Probleme nach Themengebieten aufgelistet und Lösungskonzepte vorgestellt. Diese Vorstellungen über Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs-, Gesundheits- und Sicherheits- bis hin zur Außenpolitik sollen den Wahlberechtigten als Orientierung dienen. Die Politiker hoffen, auf diese Weise die Bevölkerung so beeinflussen zu können, dass ihre Partei durch die Stimmabgabe von den Wählern zum Vollzug ihrer Programme ermächtigt werden. Diese Form der Ermächtigung im Sinne eines Delegierens von politischer Handlungsvollmacht an die gewählten Volksvertreter macht den Kern der repräsentativen Demokratie aus. Die allseits gelobte und als beste aller Welten erachtete Staatsform besteht somit darin, dass Privatinteressen der Staatsbürger als gesellschaftliches Problem gewürdigt und in ein ideelles Gesamtinteresse überführt werden. Unter verschiedenen Slogans wie: »Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes«, »Vereinbarkeit von Klimaschutz und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit«, »globale Verantwortung für Demokratie und Menschenwürde« usw. firmieren dann solche als »Gesamtinteresse« ausgegebenen Bündel von Partikularinteressen. Der verantwortungsvolle Staatsbürger soll sich so mit einer »größeren Sache«, dem »nationalen Interesse« oder der »westlichen Wertegemeinschaft« identifizieren können. Die Wahlen garantieren in der repräsentativen Demokratie letztlich das Einvernehmen der Wahlberechtigten über die nach den Wahlen über sie verhängte Politik.
Für diejenigen inner- und außerhalb der Ukraine, die die Maidanbewegung mit dem darauf folgenden Sturz Viktor Janukowitschs mit positiven Erwartungen und Hoffnungen auf eine Demokratisierung der Ukraine unter dem Dach EU-Europas begleiteten, lohnt sich eine rückblickende Einschätzung der Lage ebenso wie für diejenigen, die dieser Art »demokratischer Revolution«, aus welchen Gründen auch immer, von Anfang an skeptisch gegenüberstanden. ...
Diesen Artikel können Sie sowohl kostenlos lesen als auch kaufen. Mit letzterem unterstützen Sie unsere Arbeit. Vielen Dank!