Artikel von Stefan Weishaupt
Betrachtungen zum Lebensgang Rudolf Steiners I
»[E]s war stets mein Bestreben, das, was ich zu sagen hatte, und was ich tun zu sollen glaubte, so zu gestalten, wie es die Dinge, nicht das Persönliche forderten. Es war zwar immer meine Meinung, daß das Persönliche auf vielen Gebieten den menschlichen Betätigungen die wertvollste Färbung gibt. Allein mir scheint, daß dies Persönliche durch die Art, wie man spricht und handelt, zur Offenbarung kommen muß, nicht durch das Hinblicken auf die eigene Persönlichkeit. Was aus diesem Hinblicken sich ergeben kann, ist eine Sache, die der Mensch mit sich selbst abzumachen hat.« – Die Aussage scheint einfach: Sachgemäß handeln und sich äußern, nicht aus persönlichen Motiven. Einsicht und Erkenntnis statt partikularer Interessen als Grundlage des Handelns bei gleichzeitiger Wertschätzung individueller Charakterzüge und Ausdrucksformen. Kaum eine Debatte zu Entscheidungsfragen, in der nicht diese Zielsetzung proklamiert würde. Persönliche Gründe sollen zurückstehen, sachliche Gründe haben Vorrang. Beginnt Rudolf Steiner am Ende seines Lebens seine autobiografischen Erinnerungen also mit einer Redensart? Oder muss nicht das Gesagte in seiner Bedeutung angesichts der Abendröte eines in seiner Fülle schier unermesslichen Lebens gerade an dessen Gehalt verständlich gemacht werden? Genau diesen Weg schlägt Rudolf Steiner bei der Niederschrift seines ›Lebensganges‹ ein.
Betrachtungen zum Lebensgang Rudolf Steiners IV
»Einmal gab es auf der Bahnstation etwas ganz ›Erschütterndes‹. Ein Eisenbahnzug mit Frachtgütern sauste heran. Mein Vater sah ihm entgegen. Ein hinterer Wagen stand in Flammen. Das Zugpersonal hatte nichts davon bemerkt. Der Zug kam bis zu unserer Station brennend heran. Alles, was sich da abspielte, machte einen tiefen Eindruck auf mich. In einem Wagen war Feuer durch einen leicht entzündlichen Stoff entstanden. Lange Zeit beschäftigte mich die Frage, wie dergleichen geschehen kann. Was mir meine Umgebung darüber sagte, war, wie in ähnlichen Dingen, für mich nicht befriedigend. Ich war voller Fragen; und mußte diese unbeantwortet mit mir herumtragen. So wurde ich acht Jahre alt.« – »Gegen Wiener-Neustadt und weiter gegen die Steiermark zu fallen die Berge in die Ebene ab. Durch diese schlängelt sich der Laytha-Fluß hindurch. Am Bergabhange lag ein Redemptoristen-Kloster. Den Mönchen begegnete ich oft auf meinen Spaziergängen. Ich weiß noch, wie gerne ich von ihnen wäre angesprochen worden. Sie taten es nie. Und so trug ich von der Begegnung nur immer einen unbestimmten, aber feierlichen Eindruck davon, der mir immer lange nachging. Es war in meinem neunten Lebensjahre, da setzte sich in mir die Idee fest: im Zusammenhange mit den Aufgaben dieser Mönche müssen wichtige Dinge sein, die ich kennen lernen müsse. Auch da war es wieder so, daß ich voller Fragen war, die ich unbeantwortet mit mir herumtragen mußte. Ja, diese Fragen über alles mögliche machten mich als Knaben recht einsam.«
Versuch einer Selbstverständigung
Die folgenden Überlegungen gehen der im Titel aufgeworfenen Frage in einem Sinn nach, dem das Streiten fern liegt. Die Entscheidung gegen ein »mit« und für ein »ohne Rudolf Steiner« ist ohnehin nicht auf der Grundlage von Wahlfreiheit zwischen »mit« und »ohne« zu treffen. Zudem ist man in Fragen der Gemeinsamkeit – und darin besteht für diesen Fall das Prekäre – auf eine gemeinsame Entscheidung angewiesen. Die Zustimmung des gewählten Partners muss also mitbedacht werden. Daher geht es mir um die Erkundung von Bedingungen und Voraussetzungen, welche aus eigener Erfahrung zu gewinnen sind, um in der Frage nach der Wirklichkeit dieser Gemeinschaft zu einem begründeten Ausblick auf die eigene Lebens- und Erkenntnislage zu gelangen. ...
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Betrachtungen zum Lebensgang Rudolf Steiners III
»Eine wundervolle Landschaft umschloß meine Kindheit. Der Ausblick ging auf die Berge, die Niederösterreich mit der Steiermark verbinden: Der ›Schneeberg‹, Wechsel, die Raxalpe, der Semmering. Der Schneeberg fing mit seinem nach oben hin kahlen Gestein die Sonnenstrahlen auf, und was diese verkündeten, wenn sie vom Berge nach dem kleinen Bahnhof strahlten, das war an schönen Sommertagen der erste Morgengruß. Der graue Rücken des ›Wechsel‹ bildete dazu einen ernst stimmenden Kontrast. Das Grün, das von überall her in dieser Landschaft freundlich lächelte, ließ die Berge gleichsam aus sich hervorsteigen. Man hatte in der Ferne des Umkreises die Majestät der Gipfel, und in der unmittelbaren Umgebung die Anmut der Natur. [...] Ich glaube, daß es für mein Leben bedeutsam war, in einer solchen Umgebung die Kindheit verlebt zu haben. Denn meine Interessen wurden stark in das Mechanische dieses Daseins hineingezogen. Und ich weiß, wie diese Interessen den Herzensanteil in der kindlichen Seele immer wieder verdunkeln wollten, der nach der anmutigen und zugleich großzügigen Natur hin ging, in die hinein in der Ferne diese dem Mechanismus unterworfenen Eisenbahnzüge doch jedesmal verschwanden.«
Rudolf Steiner schreibt hier über seine Zeit in Pottschach. Nach anderthalb Jahren in seinem Geburtsort Kraljevec wird der Vater an die Bahnstation in Mödling bei Wien versetzt, dann, bereits nach einem halben Jahr, nach Pottschach, an der Grenze von Niederösterreich zur Steiermark. Bis zu Steiners achtem Lebensjahr bleibt die Familie dort. Auf zwei Erlebnisfelder wird in den Schilderungen der Umgebung des Knaben hingewiesen: auf die Natur und auf die Eisenbahn als Gestalt mechanischer Technik. Die Natur wird in einem Verhältnis von anmutiger Nähe lieblicher Täler und erhabener Ferne der den Blick himmelwärts wendenden Bergketten in ihrer Farbigkeit skizziert.