Ein Theaterprojekt mit Geflüchteten im Berliner Theater im Delphi
Wir treten ein in den dicht gefüllten Zuschauerraum, klemmen uns hinter einen der Tische. Im Hintergrund – gegenüber von Bühne und Leinwand – liegt die Bar. Das klingt nach Luxuskino und tatsächlich ist dies ein früher 870 Plätze fassender Kinosaal, das ›Ehemalige Stummfilmkino Delphi‹ in Berlin-Weissensee – jenem Bezirk, der seit der gleichnamigen Fernsehserie deutschlandweit bekannt ist.
Heutzutage ist es selten, dass man der Neuinszenierung einer Oper oder eines Theaterstücks noch etwas abgewinnen kann – dass man von einem Gesamtkunstwerk tief berührt wird, ist noch seltener. Umso überraschender erscheint in diesem Sommer die Umsetzung des 2001 erschienenen Albums ›Vespertine‹ der isländischen Popsängerin Björk durch das Nationaltheater Mannheim.
Der Regisseur und Bühnenbildner Ulrich Rasche hat einen Inszenierungsstil entwickelt, mit dem er Furore macht. Gerade wurde er zum zweiten Mal in Folge zum Berliner Theatertreffen eingeladen, wo alljährlich die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen im deutschsprachigen Raum ausgezeichnet werden. 2017 waren es Schillers ›Die Räuber‹ an den Münchner Kammerspielen, dieses Jahr seine Baseler Inszenierung von Georg Büchners ›Woyzeck‹.
Zur Ausstellung ›Wanderlust: Von Caspar David Friedrich bis Auguste Renoir‹ in der Alten Nationalgalerie Berlin
Wer (heute) gekennzeichnete Wege geht, trifft auf andere Menschen, die schneller oder langsamer sind. Wer alleine wandert und sich unbekannte Pfade erschließt, begegnet neuen Räumen und: sich selbst. Die Begegnung mit sich selbst mag auch der Grund dafür sein, dass sich im 19. Jahrhundert – in einer Zeit zunehmender Ich-Stärkung und wachsender Bedeutung des persönlichen Gefühls im Kontrast zur Industrialisierung – fast schon explosionsartig in Europa die Bewegung des Wanderns entwickelte. Die damalige Sehnsucht nach Entschleunigung schlägt die Brücke zur heutigen Zeit, in der das Interesse am Wandern als Mittel der Besinnung wieder zugenommen hat. »Wandern ist ein perfektes Kontrastprogramm, die Rückkehr zum menschlichen Maß, dem Maß des Schrittes, und zum natürlichen Zeitgeber, dem Licht der Sonne«, formulierte treffend der Journalist und Nachhaltigkeitsexperte Ulrich Grober in einem Interview des ›Wander Magazins‹.
Ein Seminar im Forum 3 Stuttgart zur anthroposophischen Karmaforschung
Steffen Hartmann (*1976), Musiker, Buchautor, Verleger und Dozent für Anthroposophie aus Hamburg, hat im Jahre 2014 in der Zeitschrift ›Die Gegenwart‹ einen Aufsatz zur Karmaerkenntnis im Lichte der »Michaelprophetie« Rudolf Steiners veröffentlicht. In diesem Aufsatz äußerte er sich erstmals öffentlich über seine diesbezüglichen Einsichten und Erfahrungen. Rudolf Steiner beschrieb diese Prophetie im Jahre 1924 wie folgt: »Es ist etwas, was leben sollte in den Herzen, in den Seelen derjenigen, die sich Anthroposophen nennen. Und das wird einem die Kraft geben, nun weiter zu wirken; denn diejenigen, die heute Anthroposophen sind, im ehrlichen, wahren Sinne Anthroposophen sind, die werden einen starken Drang haben, bald wiederum zur Erde herunterzukommen. Und innerhalb der Michael-Prophetie sieht man voraus, wie zahlreiche Anthroposophenseelen mit dem Ende des 20. Jahrhunderts wiederum zur Erde kommen, um das, was heute mit starker Kraft als anthroposophische Bewegung begründet werden soll, zur vollen Kulmination zu bringen.«
Die »Stadt der Morgenröte« – Auroville – feiert dieses Jahr ihr 50-jähriges Bestehen, ist sie doch ein echtes 68er-Phänomen. Beruhend auf dem Integralen Yoga Sri Aurobindos (1872–1950) und seiner spirituellen Weggefährtin Mirra Alfassa (1878–1973), waren es in den ersten Jahren zumeist 68er aus dem globalen Nordwesten, auch Hippies, die vor einem halben Jahrhundert begannen, die südindische Wüste nördlich von Puducherry urbar zu machen, millionenfach Bäume zu pflanzen und – eine Zukunftsstadt aufzubauen.
Kunstbetrachtung der Bewusstseinsseele
Ist es Zufall? Fast ein Jahrzehnt nach seinem zu frühen Hingang im Jahre 2009 sind an zwei verschiedenen Orten Werke zum Sehen und Denken Michael Bockemühls – sicher einer der interessantesten Kunstwissenschaftler der jüngeren Vergangenheit, zumal aus anthroposophischer Perspektive – vorgelegt worden. So erschien 2016 im transcript-Verlag eine Auswahl seiner theoretischen Schriften, herausgegeben und eingeleitet von Kollegen der Universität Witten- Herdecke, wo Bockemühl einen Lehrstuhl für Kunstwissenschaft, Ästhetik und Kunstvermittlung innehatte und einige Jahre das ›Institut für das Studium fundamentale‹ leitete; in diesem Jahr dann im Info3-Verlag die ersten drei Exemplare einer auf insgesamt 20 Bände veranschlagten Reihe von Bockemühls Vorträgen über Kunst und Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts, die er in den neunziger Jahren im Wittener Saalbau gehalten hat, herausgegeben u.a. von seinem langjährigen Assistenten David Hornemann. Beide Publikationen ergänzen sich ausgezeichnet, da sie zum einen den theoretischen Hintergrund seiner Arbeit mit den daraus hervorgehenden Konsequenzen entfalten, und zum anderen zeigen, wie fruchtbar die darin entwickelten und reflektierten Perspektiven für die Erschließung von künstlerischen Phänomenen sein können.
Annäherungen an Michael Bockemühl
Zu Beginn der Buchvorstellung eines Freundes anno 2017 stellte dieser dem versammelten Publikum eine Frage, die ich – wie eben jener Freund – aus Seminaren von Michael Bockemühl kannte. Während die Frage bei Bockemühl, wann immer ich sie ihn vor anderen aussprechen hörte, mehr oder weniger zündete, tat sie das an diesem Abend nicht. Warum? Ich sprach den Freund hinterher darauf an. Ihm war beides bewusst: dass, erstens, jene Frage von Bockemühl stammte, und, zweitens, sie nicht gezündet hatte. Aber warum? Darauf wusste er keine Antwort. Wäre es kraftvoller gewesen, wenn er auf den Urheber der Frage, also auf Bockemühl verwiesen hätte? Oder wenn er eine andere Frage bzw. einen ganz anderen Einstieg gewählt hätte? Jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass jene an diesem Abend nicht zündende Frage eben nicht die Frage meines Freundes gewesen war – oder anders: nicht von ihm in diesem Moment realisiert, aktualisiert, individualisiert worden war.
Zu Robert Delaunays ›Les Fenêtres simultanées sur la ville‹
In einem Brief an Wassily Kandinsky schrieb der französische Künstler Robert Delaunay (1885–1941), er habe »die Bewegung der Farbe« gefunden.1 Mit dieser Entdeckung und ihrer konsequenten Anwendung in der Malerei stand Delaunay zunächst noch recht alleine da – obwohl die Frage der Bewegung im Bild seinerzeit eine viel diskutierte war. Wie man ein Werk der bildenden Kunst, das an sich statisch ist, so ausführen kann, dass es den Eindruck von Bewegung erweckt, hat die Menschen schon seit der Renaissance immer wieder beschäftigt. Im 20. Jahrhundert schien diese Frage dann vielen durch die Kinematografie beantwortet zu sein: Einige Maler versuchten nun, die im Film auf mehrere Bilder verteilte Abfolge einzelner Bewegungsstadien in einem Bild anzuhäufen, um so einen Bewegungsablauf zu simulieren. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist Giacomo Ballas ›Dynamik eines Hundes an der Leine‹, auch bekannt als »Hund mit zwanzig Beinen«.
Zu ›First Reformed‹ von Paul Schrader
Das Münchner Filmfest ist das südliche Pendant zur weltbekannten Berlinale. Ein höchst merkwürdiges Werk feierte während dessen 36. Auflage im vergangenen Juli seine Deutschlandpremiere: ›First Reformed‹ von Paul Schrader, gezeigt jeweils einmal zu Beginn und zum Ende des einwöchigen Festivals – wie ein Rahmen zur großen Gegenwartsfrage: Was ist bloß los in Amerika?
Paul Klee zu Gast in Max Liebermanns Villa am Wannsee
»Einmal, es war in Klees Feiernacht, legte er an geheimster Stelle den Keim zu seinem selbstbeschlossenen Ich. Von damals an wurden alle Fäden, die er zu spannen gesonnen war, zu zarten Würzelchen. Und was er seitdem seiner Seele zu erzeichnen vermag, wird Wurzelung. Er sollte sein Sonnenjahr in Tunis erleben. Sofort schoss die Pflanze schlank empor. Nun trägt sie Blüten: seine feurigen Aquarelle. Das Ich entfaltet sich aber weiter: wenn Paul Klee zeichnet, so treibt es neue Wurzeln; und bunte Blumen strahlen auf, wenn er malt, in Farben dichtet.« – Theodor Däubler, 1919
James Turrell in Baden-Baden
Um das Licht zu sehen, tritt man zunächst in die Dunkelheit. Ein schmaler, schwarzer, verwinkelter Gang ist einer der ersten Erfahrungsräume, den man in der aktuellen Ausstellung im Frieder Burda Museum in Baden Baden betritt: ›James Turrell – The Substance of Light‹. Das grelle Sommerlicht der Außenwelt legt sich wie ein Schleier vor das Auge und flimmert. Gerade dieser angestrengte Augenblick, während dem man nichts, scheinbar nichts sieht und doch so aktiv schaut, birgt eine Erfahrung, die sonst oft hinter allem »Zu-Sehenden« verborgen bleibt: das eigene Sehen.
Zum VIII. Forschungskolloquium Meditationswissenschaft am 9. Juni 2018 im Rudolf Steiner-Haus Stuttgart
Es ist Nacht geworden, und er hat sich im Hoggargebirge mitten in der Sahara verlaufen, hat seine Reisegruppe verloren, nichts Warmes anzuziehen, fast nichts mehr zu trinken: Es geht ums nackte Überleben. Denn die Nächte in der Sahara sind gnadenlos kalt und ohne entsprechende Ausrüstung kaum zu überleben. Eric Emanuel Schmitt ist 28 Jahre alt und erzählt 25 Jahre später in seinem Roman ›Nachtfeuer‹ (Frankfurt a.M. 2017) von den Erlebnissen dieser abenteuerlichen Nacht in der Sahara. Wie er sich im heißen Wüstensand eingrub, um nicht zu erfrieren, wie er sich plötzlich außerhalb seines Leibes, über sich schwebend empfand, und wie er dadurch unmittelbar die Erfahrung eines unabhängig vom Leib Existierenden machen konnte, die aus ihm, dem materialistisch gesinnten jungen Mann, einen spirituell suchenden Menschen gemacht hat.
Dietrich von Freiberg (*um 1240; †um 1318) zum 700. Todesjahr
Dietrich von Freiberg war nie ganz vergessen, aber erst die Mittelalterforscher Loris Sturlese und Kurt Flasch holten ihn nachhaltig in die Erinnerung zurück. Auf Sturleses bahnbrechendes Werk: ›Dokumente und Forschungen zu Leben und Werk Dietrichs von Freiberg‹ (Hamburg 1984) beziehen sich sowohl der Philosoph Kurt Flasch mit seiner umfangreichen Monografie ›Dietrich von Freiberg‹ (Frankfurt a. M. 2007) als auch der Theologe Karl-Hermann Kandler mit ›Dietrich von Freiberg. Philosoph – Theologe – Naturforscher‹ (Freiberg 2010). Beide Autoren werden hier in erster Linie zu Rate gezogen, um zu versuchen, ein Bild dieses bedeutenden Mannes zu entwerfen.
Ackerbau und Viehhaltung (einschließlich Hühner und Bienen), Obst- und Gemüsebau, Züchtung und Forschung, Landbauschule und Schulbauernhof, Käserei, Bäckerei, Café, tägliche Marktstände, ein supermarktähnlicher Hofladen und ein Blumenfeld zum Selbstpflücken: Nicht nur diese Vielfalt macht den von einer Betriebsgemeinschaft biologisch-dynamisch bewirtschafteten und einer Landwirtschaftsgemeinschaft begleiteten Dottenfelderhof einzigartig. Er liegt bei Bad Vilbel, in einem Bogen des im Vogelsberg entspringenden und bei Höchst in den Main mündenden Flüsschen Nidda, zwischen der von Intensivlandwirtschaft geprägten Wetterau und dem Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main.
Zu ›Adam’s Passion‹ von Robert Wilson und Arvo Pärt
›Adam’s Passion‹ heißt ein Musiktheater von Robert Wilson nach Werken von Arvo Pärt. Es wurde während der Karwoche 2018 im Berliner Konzerthaus dreimal aufgeführt. Die Uraufführung hatte drei Jahre vorher in Tallinn stattgefunden. Die musikalische Leitung hatte jeweils der estnische Dirigent Tonu Kaljuste. Auch die Schauspieler waren, bis auf die Kinder, dieselben. Von der Weltpremiere existiert ein Film, in dem die Bilder des von Wilson inszenierten Licht- und Bewegungstheaters im Vordergrund stehen. In Berlin war hingegen das Musikerlebnis stärker, obwohl Orchester und Chor verborgen blieben. Schon im September 2015 war die Filmaufnahme von ›Adam’s Passion‹ zusammen mit ›The Lost Paradise‹, einer Dokumentationen von Pärts Zusammenarbeit mit Wilson, im Wolff-Saal der Berliner Philharmonie gezeigt worden. An den beiden aufeinanderfolgenden Abenden war Wilson selbst anwesend und erzählte viel. So beruht dieser Bericht neben der Berliner Aufführung auch auf den genannten Filmen und Wilsons Erzählungen.
Im Rudolf Steiner Archiv befinden sich einige Jahrgänge der von Alexander von Bernus herausgegebenen Zeitschrift ›Das Reich‹. Der Dichter und Alchemist Alexander von Bernus (1880–1965) begegnete 1910 in München erstmals Rudolf Steiner. Bernus stand in Kontakt mit vielen Künstlern und Literaten, darunter Detlev von Liliencron, Frank Wedekind, Karl Thylmann, Thomas und Heinrich Mann, Rainer Maria Rilke und Ricarda Huch. Steiner schätzte Bernus wegen dessen eigenständigen Wesens. So war er 1916 gerne bereit, bei Bernus’ neugegründeter Vierteljahresschrift ›Das Reich‹ mitzuwirken, die sich zum Ziel gesetzt hatte, einen Beitrag zu einer neuen deutschen Geisteskultur zu geben. Für die erste Nummer lieferte Steiner im April 1916 den eröffnenden Aufsatz ›Die Erkenntnis vom Zustand zwischen dem Tode und einer neuen Geburt‹, eine Fortsetzung folgte im Januar 1917. Insgesamt publizierte er fünf Aufsätze erstmals im ›Reich‹.
So eigentümlich es klingen mag: Schauspieler sind eigentlich Maler. Sie fertigen Portraits von Menschen an – Portraits von handelnden Menschen, wie Aristoteles sagen würde. Doch sind sie keine Maler, die ihre Bilder mit einem Pinsel auf eine Leinwand auftragen, vielmehr sind ihr Körper, ihre Stimme, die Zeit und der Raum ihr Pinsel und die Fantasie der Zuschauer ihre Leinwand. Und der Maler? Das ist der Schauspieler selbst. Er beobachtet feinfühlig, ob das, was er in die Luft zaubert, vom Publikum auch »gesehen« und erlebt werden kann, und ob es mit dem Ensemble zusammenklingt.
Zu Reiner Kunzes 85. Geburtstag
»Welches Glück, einen Dichter zu haben ...« Das ist der immer wiederkehrende Stoßseufzer der Hauptfigur des Romans ›Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge‹ von Rainer Maria Rilke. Brigge ist eine biografische Figur, der Autor lässt ihn in Paris unter seinen eigenen Lebensumständen wohnen, identisch bis zur Hausnummer. Auch seine Ängste und Sorgen gibt er der Figur mit – Rilke, der im Grunde sein Leben lang obdachlos war, ohne eigene Wohnung und ohne gesichertes Einkommen, ständig angewiesen auf Unterstützung durch Gönner und Mäzene. Malte, der Romanheld erfährt das soziale Elend des damaligen Paris der Jahrhundertwende. Immer wenn er es in der Winterkälte der ungeheizten Wohnung nicht mehr aushält, geht er in die Bibliothek. Draußen auf der Straße die Bettler, die ihm zu verstehen geben: Bald könntest du einer von uns sein … Diese bedrohliche Vision, die seine eigene ist, bekämpft Rilke nicht mit dem Gefühl: »Welches Glück, ein Dichter zu sein!« Seine soziale Randlage empfindet er als Auslieferung und die Pflicht des »Dennoch« in der Notwendigkeit künstlerischen Schaffens.
Eine Tagung zu den Herausforderungen des Transhumanismus am Goetheanum in Dornach
Christiane Haid und Ariane Eichenberg hatten für die Sektion für Schöne Wissenschaften zu dieser groß angelegten und prominent besetzten öffentlichen Tagung vom 7. bis zum 9. September 2018 ans Goetheanum eingeladen und waren damit auch ein Wagnis eingegangen: Wie würden sich die drei Schriftsteller Galsan Tschinag, Sibylle Lewitscharoff und Patrick Roth mit den drei Hochschulprofessoren Roland Benedikter, Christian Kreiß und Michael Hauskeller sowie dem anthroposophischen Arzt René Madeleyn und der Priesterin der Christengemeinschaft Yaroslawa Black-Terletzka verstehen? Und welches Bild würde dabei nicht nur vom Transhumanismus, sondern auch von der Anthroposophie entstehen?
Eurythmie als ein Weg zu einem erweiterten Sprach- und Lautverständnis
Nach Jahren der toneurythmischen Dominanz auf der Bühne wächst derzeit wieder ein neues Interesse an der Sprache in der Eurythmie: Rechtzeitig zur Dornacher Eurythmietagung ›Sprach-Bewegung‹ zu Ostern 2018 (mit über 700 Teilnehmern aus über 40 Ländern) waren zwei neue Bücher zum Thema erschienen. Beide suchen und finden ihr Material in der Vergangenheit, in der Entstehungszeit der Eurythmie – es entwickeln sich daraus aber erstaunlich moderne und zeitgemäße Perspektiven für den Umgang mit eurythmischen Angaben.
Eine Midsommar-Reise
In Schweden sind die meisten Fahrten weit. Von Helsingborg nach Stockholm sind es allein schon 500 km, nach Falun noch etliche mehr, aber da ist man noch lange nicht in Nordschweden, sondern erst in der Hauptstadt der schwedischen Provinz Dalarna. »Dalarna« heißt übrigens nichts weiter als »Täler«. Ich war auf einer Reisebüro-Reise nach Falun, von wo aus die Häuser der bekannten Maler Anders Zorn in Mora und das von Carl Larsson in Sundborn besucht werden sollten. Am meisten freute ich mich auf die Teilnahme an einem echt schwedischen Midsommarfest, wie man es heute noch am schönsten in Dalarna feiern kann.
Zur Ausstellung ›Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht‹ im Frankfurter Städel Museum
Sie gehört zu der sogenannten verschollenen Generation der Künstler aus der Zeit der Weimarer Republik: Lotte Laserstein, deren Werk das Frankfurter Städel Museum nun in einer umfassenden Einzelausstellung präsentiert. Es ist mehr als eine Wiederentdeckung, was die Frankfurter Schau ermöglicht – man könnte es eine künstlerische Rehabilitation nennen.
Zur Ausstellung ›Paula Becker & Otto Modersohn. Kunst und Leben‹ im Paula Modersohn-Becker Museum zu Bremen
Schützenfest in Worpswede, mit einem Karussell im Mittelpunkt. Aus der Ferne schon sind die Musik und das Gelächter der Menschen zu hören, in der Abenddämmerung ist das Karussell von weitem als warmer Lichtpunkt vor dunklen Bäumen sichtbar. Wer näher herangeht oder sich gar in den Trubel stürzt, erlebt das Fest ganz anders, das Karussell mit den vergnügten Menschen auf den sich drehenden Pferden rückt in den Vordergrund. Distanz oder Nähe: Paula und Otto Modersohn haben 1904 in ihren Gemälden unterschiedliche Sichtweisen eingenommen, um die Stimmung des Schützenfestes zum Ausdruck zu bringen. ›Schützenfest mit Karussell in Worpswede‹ (Abb. 1) von Otto Modersohn ist im Grunde ein Landschaftsbild mit Karussell; in Paula Modersohn-Beckers ›Schützenfest mit Karussell II‹ (Abb. 2) füllt das Karussell fast zwei Drittel des Bildes aus, die Landschaftselemente treten in den Hintergrund. »In der Grundanschauung verwandt – kunstdurchglühtes Leben –, in den Äußerungen verschieden. Sonst [wäre es] langweilig« – so hat Otto Modersohn in einer Tagebuchnotiz ihre künstlerischen Positionen gekennzeichnet (8. Dezember 1900). Immer wieder haben die beiden seit Mai 1901 verheirateten Partner sich dasselbe Motiv vorgenommen. Beispielsweise sind sie beide zum nahegelegenen Armenhaus gegangen und haben die alte Anna Schröder porträtiert, die wegen ihres Gehstocks »Dreebeen« genannt wurde. So können in dieser Ausstellung mehrfach Bilder der beiden Künstler, die demselben Motiv gewidmet sind, miteinander verglichen werden
Mariano Pensottis ›Diamante‹ auf der Ruhrtriennale 2018 in Duisburg
Ruhrtriennale 2018. In der riesigen, 170 Meter langen Halle der früheren Kraftzentrale des einstigen Hüttenwerks in Duisburg-Meiderich wird ›Diamante. Die Geschichte einer Free Private City‹ uraufgeführt. Wir wollten eigentlich nicht hingehen. Zu überspannt schien uns das, was im Programmheft der Ruhrtriennale darüber zu lesen war: Das Stück sei ein sechsstündiger »Parcours« durch den Nachbau dieser fiktiven utopischen Stadt im argentinischen Urwald, ein »bizarres Dschungel-SiliconValley«, geschrieben und inszeniert von dem argentinischen Schriftsteller, Filmregisseur und Theatermacher Mariano Pensotti.
Zu Ulrich Meier (Hrsg.): ›Ethik des Anleitens‹
Ulrich Meier, der das Hamburger Priesterseminar der Christengemeinschaft leitet, hat ein Buch herausgegeben, das vom Anleiten handelt. Es versammelt vier Beiträge – von dem Organisationsberater Adriaan Bekman, dem Unternehmer Erich Colsman, der Prozessbegleiterin Jutta Hodapp und Meier selbst –, die das Ideal einer Führung von Menschen und Gemeinschaften verbindet, »das sich auf die Liebe zum Individuum und das Vertrauen in das Potential von Zusammenarbeit gründet«.
Zur Internationalen Jahreskonferenz ›Living Light – Licht wirkt‹ der Medizinischen Sektion am Goetheanum
Will man heute erleben, was die Anthroposophie zu sagen hat und bewirken kann, dann besuche man eine der großen internationalen Tagungen der verschiedenen Sektionen der Freien Hochschule am Goetheanum. Wie auch schon auf der Tagung der Eurythmisten und Sprachgestalter zu Ostern, wurde auf dieser Jahreskonferenz der Medizinischen Sektion ganz deutlich, dass die Anthroposophie heute vor allem durch die Lebensfelder in der Welt wirksam ist. Etwa 800 Ärzte, Therapeuten, Pflegende und am Thema Interessierte aus etwa 30 Nationen hatten sich vom 13. bis 16. September 2018 am Goetheanum versammelt, um nach der Wärme, die im letzten Jahr Thema war, sich dem Licht und seinen Wirkungen zuzuwenden.
Ein Gedenkbuch für Werner Sundermann
Im Folgenden möchte ich anthroposophisch orientierten Lesern eine Forscherpersönlichkeit näherbringen, die stärker als bisher ihre Aufmerksamkeit verdient: Werner Sundermann. Im anthroposophischen Umfeld wird dem Manichäismus von jeher viel Interesse entgegengebracht. Sundermann wiederum gilt unter Kennern als eine zentrale Gestalt der jungen Wissenschaft der Manichäologie.
Zu Muhammad Sameer Murtaza: ›Schalom und Salam. Wider den islamisch verbrämten Antisemitismus‹
Bereits die vorangestellte »Widmung« weist das neue Buch von Muhammad Sameer Murtaza als ein klar bekenntnisgebundenes aus: Sie besteht aus der Basmala, der Anrufungsformel, mit der – bis auf die neunte – alle Suren des Korans beginnen. Dass Murtaza sein Buch als Muslim schreibt, findet außerdem im Text immer wieder Erwähnung (z.B. S. 12, 32, 89, 113, 130 und 131). Offenbar scheint es ihm wichtig zu sein, dass der Leser darüber in Kenntnis gesetzt ist. Vielleicht verspricht sich Murtaza dadurch mehr Respekt bei muslimischen Lesern. Die erste Irritation, die sein Buch auslöst, findet sich bereits im Untertitel: »islamisch verbrämt«. Lange, zu lange ist nicht klar, was Murtaza damit genau meint, da er diese Charakterisierung zunächst ohne weitere Erklärung verwendet (S. 47, 50, 70 und 77). Erst auf Seite 88 löst er dieses Rätsel auf. Man fragt sich, weshalb dies erst nach der Hälfte des Buches geschieht – kognitive Orientierung für den Leser sieht zumindest anders aus.
Max Brod zum 50. Todestag
Oft ist davon berichtet worden, wie der Abend des 13. August 1912 bei der Familie Brod in der Prager Schalengasse für Franz Kafka verlaufen ist, zumal dieser es selbst notiert hat. Für Max Brod war der Abend wohl nicht so wichtig, aber immerhin war Felice Bauer aus Berlin die Cousine seines Schwagers Max Friedmann, und sie achtete ihn als einen schon berühmten Schriftsteller. Das tat ihm sicherlich gut. Als Kafka um neun Uhr abends erschien, hatte Brod vielleicht schon gebangt, ob dieser überhaupt käme, denn es ging ihm um die Ordnung von Texten für den Rowohlt Verlag. Insofern war Felice für Max eine Abhaltung von der Arbeit, und der Abend – mit Gespräch, Essen und auch noch Klavierspiel – eine Anstrengung, obwohl er tagsüber nur in »einfacher Frequenz« bei der Post arbeitete, um genug Zeit zum Schreiben zu haben. Dafür spricht auch, dass er nicht mitging, als sein Vater und Kafka Felice spätabends zu ihrem Hotel begleiteten.