Zu Frank Hörtreiter: ›Die Christengemeinschaft‹
Wie groß muss der Abstand zu Vorgängen und Verhältnissen in einem bestimmten sozialen Zusammenhang sein, um sie sinnvoll gliedern und »geschichtlich einordnen« zu können? Frank Hörtreiter hat zum abgeschlossenen ersten Jahrhundert der Christengemeinschaft ein Buch vorgelegt, in dem er eine Überschau über die spezifischen Entwicklungsschritte dieser im September 1922 gegründeten »Bewegung für religiöse Erneuerung« gibt, nachdem bereits vor vier Jahren seine wichtige Studie ›Die Christengemeinschaft im Nationalsozialismus‹ (Stuttgart 2021) erschienen war.
Zu Rudolf Steiner: ›Frühe Schriften zur Goethe-Deutung‹, Kritische Ausgabe Band 1 (SKA1)
Mit dem ersten Band der Kritischen Ausgabe von Rudolf Steiners Schriften (SKA 1) legt Christian Clement einen zentralen Baustein zur kritischen Erschließung von Rudolf Steiners Werk vor. Besonderes Augenmerk verdient diese Edition vor dem Hintergrund, dass nicht zuletzt im 100. Todesjahr Rudolf Steiners am 26. Juni erstmals am Goethe- und Schiller-Archiv der Klassik Stiftung Weimar eine öffentliche Tagung stattfand, die sich umfassend seiner Herausgeberschaft in Weimar widmete.
Der Band versammelt zwei grundlegende Texte aus Steiners früher Schaffensphase: die ›Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung mit besonderer Rücksicht auf Schiller‹ (1886) sowie die ‹Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften‹ (1884–1897), die Steiner für Joseph Kürschners Ausgabe in der Reihe ›Deutsche National-Litteratur‹ verfasste.
Die Verbildlichung der Wissenschaft als Verjüngungsimpuls
Auf unfruchtbaren Boden scheint heutzutage alles zu fallen, was die Menschen geistig hervorbringen. Die Gesellschaft wirkt taub gegenüber neuen Ideen, zukünftigen Impulsen und kultureller Nahrung, die sie doch so dringend brauchen würde. Ihr Boden bleibt hart und desinteressiert. Unfruchtbar.
Gleichzeitig ist unsere Zeit geistig so produktiv wie nie zuvor. Die Zahl der sogenannten »hyperproduktiven Wissenschaftler«, die mindestens alle fünf Tage einen neuen Artikel in einer renommierten Fachzeitschrift veröffentlichen, steigt. Dabei werden Forschungsergebnisse in immer kleinere Teile aufgedröselt, um sie auf möglichst viele einzelne Artikel verteilen zu können. Die Summe, das Output ist das Entscheidende. ChatGPT wird diese Tendenz vermutlich noch verst.rken. Und wer außerhalb der Wissenschaft geistig etwas zu sagen haben will, postet am besten jeden Tag ein neues Statement. Dabei taucht selten die Frage auf, wer eigentlich die zahlreichen Artikel und Posts lesen soll, wer den Schwall dieser geistigen Produktion zu schlucken vermag. Gerade bei der Wissenschaft lohnt es sich zu fragen, für wen eigentlich produziert wird und wer die scheinbar neuen Ergebnisse aufnehmen soll. Wen haben die Wissenschaftler im Blick, wenn sie forschen? Für wen arbeiten sie?
Ein Nachruf auf Ralf Sonnenberg (* 6. Januar 1968 in Münster; † 1. August 2025 in Berlin)
Ralf Sonnenberg war nicht nur seit 1997 regelmäßiger Autor von die Drei, sondern von 2000 bis 2007 auch Mitredakteur dieser Zeitschrift. Der Schreiber dieser Zeilen hatte die Redaktionsleitung im Herbst 1999 von Theo Stepp übernommen (bis 2015). Durch den Umzug der Redaktion im Januar 2000 von Stuttgart nach Frankfurt am Main war auch eine weitere personelle Neuaufstellung erforderlich. Auf eine entsprechende Anzeige hatte sich Ralf beworben, und wir haben dann nicht nur den Umzug gemeinsam gemeistert, sondern auch über sieben Jahre eng zusammengearbeitet – bis er auf eigenen Wunsch ausschied, um sich in Berlin, wo er bereits seit 1990 gelebt hatte, selbstständig zu machen, ab 2010 mit einem eigenen Lektoratsbüro.
Erst-Begegnungen mit Rudolf Steiner IV
Im Dezember 1920 fuhr ich nach Dornach. Mein Verhältnis zur Anthroposophie war inzwischen so geworden, daß ich den intensiven Wunsch hatte, Rudolf Steiner zu begegnen. Es wurde das entscheidende Ereignis. Im einzelnen ging es so vor sich, daß ich am 17. Dezember abends mit meiner Braut, die in Dornach Eurythmie studierte, in der Schreinerei saß. Wir genossen das Glück des Wiedersehens und erwarteten Rudolf Steiners Vortrag. Draußen war es bitterkalt; Dornach lag im Schnee. Plötzlich ging der blaue Vorhang neben der Bühne auf, und Rudolf Steiner, den ich aus Bildern kannte, ging zum Rednerpult. In diesem Augenblick hatte ich das unmittelbare Erlebnis des Wiedererkennens. Das ging so weit, daß gleichzeitig eine ganze Reihe von Bildern auftauchte, unbestimmt auf frühere Situationen hindeutend, als sähe ich ihn als meinen Lehrer durch die Jahrtausende. Es war das mächtigste Erlebnis, das ich in meinem ganzen Leben gehabt habe. Lange saß ich wie geistesabwesend da und bemerkte erst später, daß sein Vortrag bereits begonnen hatte, – der erste der drei Vorträge, die später unter dem Titel ›Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen Menschen‹ gedruckt wurden [...].
Eine der radikalsten Aussagen Rudolf Steiners, mit der er die Idee der Freiheit in seinem Werk ›Die Philosophie der Freiheit‹, beschreibt, lautet: »Der Freie lebt in dem Vertrauen darauf, daß der andere Freie mit ihm einer geistigen Welt angeh.rt und sich in seinen Intentionen mit ihm begegnen wird. Der Freie verlangt von seinen Mitmenschen keine Übereinstimmung, aber er erwartet sie, weil sie in der menschlichen Natur liegt.«
Erst-Begegnungen mit Rudolf Steiner III
Am nächsten Tage saß ich […] zum ersten Male vor diesem Manne, gespannt, was er aus einem irgendwie neuen Gesichtspunkt zu sagen haben würde über Naturbeobachtung, Mathematik und Experiment, alles Objekte gerade meines Studiums. Da hörte ich als ersten Satz, mit dem er das Ganze einleitete, ihn sagen: »Geisteswissenschaft muß sich in der Gegenwart ihr Recht, ihre Geltung im wahren Sinne des Wortes erkämpfen.« Ich war ja gekommen auf der Suche nach etwas, was Mut erforderte, und hier, so hieß es, würde etwas geboten, das sich seine Geltung erst erkämpfen muß! Gewiß, ich hatte an Mut im inneren seelischen Tun gedacht, und bekam davon in den folgenden Tagen auch Bestimmtes, meine Erwartung bestätigend, zu hören. Auf jeden Fall: Gleich von vorneherein fand man sich auf einen Boden versetzt, wo es um ein Erkämpfen des eigenen Daseinsrechtes ging. Das war in jenem Augenblick ein unmittelbarer Aufruf des eigenen Gefühls, das sich merklich anspannte und in dieser Haltung mich durch die folgenden Tage nicht losließ.
Erst-Begegnungen mit Rudolf Steiner II
Während ich mit Rudolf Steiner sprach, aber auch während anderer gehobener Augenblicke meines damaligen Aufenthaltes in Dornach hatte ich die Empfindung, das Sehvermögen meiner Augen sei höher gerückt und dringe durch meine Stirn nach außen. Meinen Augen selbst war nur ein undeutliches Wahrnehmen verblieben, etwa wie im dichten Nebel oder taumelnder Erschöpfung. Jenes andere Sehen nahm freilich die äußeren Gegenstände auch kaum deutlicher wahr, mit Ausnahme solcher, die es sich ohne meinen bewußten Willen auswählte und zum Range des Wesentlichen erhob. Diese erschienen dann, wie aus einem Dunstmeer auftauchend, in einer mir bisher nicht bekannten Klarheit, Farbigkeit und Bedeutung. Das Seltsam-Erhebende dieses Sehens aber war, daß vor ihm alles Seelische offenlag, ohne daß es sich dessen Kenntnis erschlich, und daß dieses zu ihm durch den vermittelnden Stoff des Vertrauens sprach, der anstelle der Luft, deren das physische Auge bedarf, dieses Vermögen zu den Wahrnehmungen trug, denen sich mein Erblicken zuwandte. Ich kannte dieses Sehen auch aus früheren Zuständen, doch niemals war es mir so lange und in solcher Stärke zu eigen gewesen wie jetzt. Ich übersah mit diesem gewandelten Sinn Vieles, was zur physischen Ordnung gehört, nichts aber entging mir von den Regungen der menschlichen Innenwelt und dem Geisteshauch, der sie umspülte. Die hohe Festlichkeit, die ich empfand, gab sich in diesem Sehen glückseligen Ausdruck.
Zu Annemarie Jost & Thomas Brunner: ›Perspektiven für den Wandel‹
»Nach den gesellschaftlichen Verwüstungen der letzten Jahre wächst die Sehnsucht nach einem echten Aufbruch und Wandel – aber wo und wie lässt sich mit der gesellschaftlichen und kulturellen Erneuerung beginnen? Wie stellen sich denkende und fühlende Einzelpersonen auf und wie finden wir zusammen, um gemeinsam Initiativen zu entwickeln und engagiert dabei zu bleiben?« (S. 9) So lauten die Eingangsfragen des umfangreichen Bandes, herausgegeben von dem Autor und Sozialforscher Thomas Brunner und der Professorin für Sozialpsychiatrie Annemarie Jost, mit dem Titel: ›Perspektiven für den Wandel. Wege zu menschlicher Entwicklung zu Freiheit und zu sozialer Verantwortung‹. Erschienen ist der Band in der ›edition immanente‹.
Zu Rudolf Steiner: ›Das architektonische Werk II‹
Nachdem Roland Halfen im ersten Band zum architektonischen Werk Rudolf Steiners die Goetheanum-Bauten und ihre Vorläufer – vom Münchner Kongress 1907 über den Modellbau in Malsch 1909, das Stuttgarter Zweighaus 1911 und das Johannesbau-Projekt in München 1911-1913 – behandelt hatte, widmet sich der zweite Band den sogenannten Wohn- und Zweckbauten, die Steiner für den Dornacher Hügel entworfen hat, aber auch den Bauten in Arlesheim (Wohnhäuser Wegman und Vreede) sowie dem Stuttgarter Eurythmeum.
Mutmaßungen einer nachdenklichen Mutter und Anthroposophin
Von Lehrern hört man im Verlauf der Schulzeit immer wieder, dass die Oberstufe als »Krönung« der Waldorfschulzeit betrachtet werden könne, dass sich hier »der Kreis schließe«, sich etwas »runde«, und dass die Ernte für jahrelanges Bemühen eingefahren werde. Von früheren Schülergenerationen erhält man oft begeisterte Erinnerungen an die Oberstufenzeit im obengenannten Sinne.
Der Blick auf Oberstufenschüler des 21. Jahrhunderts zeigt eher unbegeisterte, unter Druck stehende, Noten hinterherjagende, interesselose, zum Teil sogar tendenziell oder echt depressive junge Menschen. – Was ist los?
Gedanken zu Rudolf Steiners letzten Schriften
Rudolf Steiner schreibt im März 1925 Gedanken nieder, die so deutlich auf den Umgang mit der Technik eingehen, dass sie offenbar nicht nur für die damalige Zeit, sondern auch für unsere Gegenwart und eine weite Zukunft gelten.
Es geht zunächst um den Unterschied von Erkenntniswegen und Lebenswegen: Man sage, schreibt er, das naturwissenschaftliche Denken des 19. Jahrhunderts habe zu »gewissen philosophischen Intentionen wieder zurückgefunden.« Man kann dabei an die Entwicklung der Relativitätstheorie und der Quantentheorie im 20. Jahrhundert denken, die das bisherige naiv-materialistische Weltbild unhaltbar erscheinen ließen, es kamen auch Modelle des Denkens in »Energien« verschiedenster Art auf. Dennoch befinde sich der Mensch in seinem Willensleben so stark »in einer Mechanik des technischen Geschehens, dass dies dem naturwissenschaftlichen Zeitalter seit lange eine ganz neue Nuance gegeben hat.
Bemerkenswerterweise konnte man anlässlich verschiedener Veröffentlichungen zum 100. Todestag von Rudolf Steiner beobachten, dass die Frage: »Wer war Rudolf Steiner?« etwas zurücktrat vor derjenigen nach seiner Wirkung. Man fragte etwa: »Was bedeutet Ihnen Rudolf Steiner?« oder auch: »Was bedeutet Ihnen die Anthroposophie?« Der Unterschied verweist bereits auf etwas Wesentliches, nämlich: Die Anthroposophie Rudolf Steiners ist kein abgeschlossenes historisches Phänomen, das sich als solches erschöpfend erklären lässt, sie ist kein »Ist« oder »War«, sondern ein dynamisch zu begreifendes »Werden« als ein sich in der Zeit Entfaltendes. Dieser Aspekt entgeht freilich all denen, die es sich ohnehin mit gängigen Vorurteilen und kurzgeschlossenen Assoziationen bequem machen. Sie finden sich überdies bestätigt durch die vorgefertigt klingenden Meinungsproduktionen öffentlicher Medien.
Erst-Begegnungen mit Rudolf Steiner I
In einem länglichen, blau ausgemalten Saal versammelte sich ein merkwürdiges Publikum: vorwiegend Damen, zumeist nicht ganz jung – viele trugen absonderliche hemdartige Kleider mit gerader Stola darüber –, auch hatten viele Ketten mit merkwürdigen Anhängern um den Hals. Doch auch da, wo Prätention sich geltend machte, konnte man keine geschmackvolle Erscheinung bemerken. Auffallend war der Mangel an Schminke. Sympathisch berührte vielfach ein menschlich warmer Gesichtsausdruck. Einen gemeinsamen Zug konnte man bei diesen Menschen empfinden: Es war kein zufälliges Publikum, sondern eine Gemeinschaft. Nur eine abseitsstehende Gruppe jüngerer Menschen schien weltlicher.
Zu Wolfgang Gädeke: ›Die Gründung der Christengemeinschaft‹
Drei Jahre nach seinem ursprünglich geplanten Erscheinungstermin liegt dieses Buch nun vor. Seinen enormen Umfang verdankt es einer Vielzahl von Dokumenten, die Wolfgang Gädeke zusammengetragen hat. Gädeke hat für die Christengemeinschaft jahrzehntelang als Gemeinde-Pfarrer und (für die Region Norddeutschland verantwortlicher) »Lenker« sowie als Autor gewirkt, und betätigt sich – verstärkt nach seiner Emeritierung – als ein mit Ausdauer und detektivischer Präzision arbeitender Sammler archivarisch relevanter Briefe, Berichte etc. sowie als Chronist. Schon lange vor dieser Publikation hat er intern vieles Neue und Erhellende zu den Vorgängen rund um die Gründungsereignisse zur Verfügung gestellt.
Zu Andreas Laudert: ›Unter den Augen des Himmels‹
Ein persönliches Buch über Steiner; und eine persönliche Rezension. Ich habe es gerne gelesen. Mit den Augen des Himmels durfte ich es lesen. Manchmal gingen meine Augen über – zu einem anderen Buch oder auch von Rudolf Steiner, dessen Leben hier erzählt wird, zum Autor, Andreas Laudert. Sein Ringen, Suchen und Bejahen Steiners ist stets spürbar. Immer bezogen auf die Gegenwart erscheint hier Rudolf Steiner. So heißt es am Anfang über unser Heute: »Aber eines dürfte sehr wahrscheinlich sein: dass er Anteil nähme. Dass er, inkarniert oder nicht, interessiert wäre. Daran, dass gut werde, was er damals hatte mithelfen wollen zu erschaffen, zu begründen, zu leben: anthroposophia, ein gemeinsames Bewusstsein davon, was es heißt, Mensch zu sein.« (S. 23)
Immer wieder neu stehe ich tief erschüttert vor dem unfassbaren Wunder von Rudolf Steiners Erdenwirken. Es ist das umfangreichste Werk, das jemals ein Mensch hinterlassen hat. Nicht ein einziger Gedanke, ein Satz oder eine Tat finden sich darin, die Rudolf Steiner eigennützig für sich selbst intendierte: Es ist ein reines Geschenk. Es stellt die Philosophie erstmals seit Plato und Aristoteles auf eine ganz neue Grundlage; es beantwortet die tiefsten Lebens- und Daseinsfragen der Menschheit in einer modernen, nachvollziehbaren Weise. Was ist der Mensch? Woher kommt die Welt? Was ist die Natur? Warum ist alles entstanden und wohin wird es führen? Wie verstehen wir Christus? Es inspiriert neue Künste, die Eurythmie, Sprach- und Theaterkunst, Malerei, Plastik, Architektur, und eine neue Praxis in Pädagogik, Heilpädagogik, Medizin, Landwirtschaft, christlicher Kirche und vielen anderen Lebensbereichen.
Zur ›Worldwide Biography Conference‹ vom 2. bis 6. November 2024 in Kyoto/Japan
Kyoto – die Kaiserstadt. Die Tempelstadt. Japan. Kirschblüten. Allerhand Assoziationen und innere Bilder breiteten sich in mir aus, als ich die Ankündigung lese: ›World Biography Conference 2024‹ in Kyoto. Da muss ich hin!
Ein Essay
Seit Jahren stoße ich an einer unsichtbaren Wand an, ich weiß nicht, ob es eine gläserne Decke ist oder in Wahrheit nur ein sanfter Schleier oder Vorhang, der keinen Schlitz, keine Öffnung hat und den man mit Gewalt zerreißen müsste, oder ob es eine Mauer ist aus Vorurteil und Furcht; ich weiß auch nicht, ob diese unüberwindbare Schwelle in mir selber ist oder den Anderen, der Welt. Ich ahne nur, dass sie darüber entscheidet, ob ich von so etwas wie der »Michael-Prophetie« gemeint bin oder nicht.
Zu Volker Fintelmann & Steffen Hartmann: ›Auf der Suche nach dem Ich‹
›Auf der Suche nach dem Ich‹ – so lautet der Titel einer Schrift von Volker Fintelmann und Steffen Hartmann. Eine bemerkenswert geistreiche, anregende Wirksamkeit geht von ihr aus. Hier haben zwei Autoren ihre Suche nach dem Heilmittel für manche soziale Krankheit schriftlich niedergelegt. Das Vorwort weist hin auf die unterschiedlichen Betrachtungsweisen beider Verfasser, die bei näherer Sicht auch hervortreten, was eine kontrastreiche Spannung bewirkt. Mit der Methode der Ausschließung wird sodann aufgezeigt, was das Ich gewiss nicht ist: Es ist nicht die Außenwelt und nicht die eigene Leiblichkeit, nicht meine Gefühle, nicht meine Erinnerungen, nicht meine Gedanken und nicht meine Ideale. Auch das Selbstgefühl, das mir Gewissheit meiner leiblichen Präsenz verleiht, ist nicht das Ich. Das Selbstgefühl zeugt aber von der Anwesenheit des Ich im Leib. All dies wird in klarer Gedankenführung und mit sprachlicher Intensität, zugleich aber ganz allgemeinverständlich vorgetragen. Ein meditativer Weg der Ich-Besinnung, eine Übung der Bewusstseinsseele für jeden Leser, wird hier vorgeführt. Aufmerksam mitvollzogen wird diese Übung zum Erlebnis der geistigen Wesenheit und Wirksamkeit des Ich leiten.
Zu Annette Pichler: ›Kreis und Punkt‹
Das vorliegende Buch setzt sich von einem erfahrenen und fachlich fundierten Standpunkt aus mit dem ›Heilpädagogischen Kurs‹ Rudolf Steiners auseinander. Es ist eine zum Teil kritische, aber auch selbstreflektierende Haltung, aus der heraus geschrieben wurde. Eine seltene, mutige und hochaktuelle Erscheinung im Genre der sogenannten »anthroposophischen Sekundärliteratur«. Im Sinne des gegenwärtigen Trends der Inklusion im sozialen Fachbereich legt die Autorin das Dilemma dar, nach dem es nicht länger üblich ist, über Menschen zu sprechen und deren Aktionen in Frage zu stellen, wenn diese nicht anwesend sind. Doch jene Personen, die in diesem Steinerschen Kurs beschrieben wurden und agierten, sind längst gestorben. Sie hinterfragt aus heutiger Sicht den Weg von der Diagnose zur Therapie – ein Weg, der wegen seiner zum Teil spirituellen Orientierung Fragen und .berlegungen hervorruft, die im Jahre 1924 und in Anwesenheit Rudolf Steiners nicht gestellt wurden. So schreibt sie zu einem Thema, das weiter noch besprochen wird, sie könne diese »Situation nicht unbesprochen lassen, weil Anthroposophie meines Erachtens nicht einfach unhinterfragt tradiert werden sollte, sondern mit heutigen Diskursen und Paradigmen aktiv in Dialog treten muss, um zeitgemäß und sinnvoll wirken zu können und ihr volles Potential zu entfalten« (S. 87).
Zu Dead Centre: ›Die Erziehung des Rudolf Steiner‹ im Schauspielhaus Stuttgart
Vor der Premiere hatte auf dem Stuttgarter Hügel noch stille Besorgnis geherrscht. »Für ihre erste Arbeit am Schauspiel Stuttgart nimmt sich das britisch-irische Theaterkollektiv Dead Centre der Figur des Philosophen und Reformpädagogen Rudolf Steiner und des von ihm entwickelten Waldorfschulsystems an«, textete die Presseabteilung des Schauspielhauses: »Woher stammen die Strahlkraft und Ambivalenz dieser Figur, die von den einen als Prophet vergöttert und von anderen als Urheber realitätsferner Glaubenstheorien verurteilt wird?« Fehlte nur noch das Adjektiv »umstritten«.
Über Paolo Gentilli: ›Der Ruf des Montecorvo‹
Paolo Centilli (geb. am 6. Dezember 1890 in Wien, gest. am 22. Juli 1961 in Mailand) war Maschinenbauingenieur, Erfinder, ein Kenner des Templerordens und der ›Divina Commedia‹ von Dante sowie ein Schüler Rudolf Steiners. 1922 reiste er zum ersten Mal nach Dornach, und 1924 nahm Rudolf Steiner ihn in die Erste Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft auf. Im Jahre 1943 - als der Zweite Weltkrieg seinem Höhepunkt zuging und mit Ita Wegman und Elisabeth Vreede zwei wichtige Repräsentanten der anthroposophischen Bewegung kurz hintereinander überraschend starten, schrieb Paolo Centilli das Drama ›Der Ruf des Montecorvo‹. Es wurde 1944 von Hugo Reimann ins Deutsche übersetzt und erschien 1945 in Basel, 1947 in Mailand. Die Uraufführung fand am 28. Oktober 1962 in Ulm statt.
Ein Atlantis-Roman von Karl zu Eulenburg
Karl Kuno Eberhard Wend Graf zu Eulenburg-Hertefeld (l885-l975), der jüngere Bruder des durch die ›Brücke über den Strom‹ bekannt gewordenen Botho Sigwart zu Eulenburg (I884-1915) veröffentlichte I926 seinen Roman ›Die Brunnen der großen Tiefe‹ mit dem Untertitel: ›Ein Atlantis-Roman‹. Durch meine Beschäftigung mit Botho Sigwart zu Eulenburg stieß ich auf dieses Werk und bin davon so tief beeindruckt, dass ich es dem Vergessen entreißen möchte.
Über Anna-Katharina Dehmelt: ›Kreuz und Rose‹
Über zwei Tagungen zur Neuimpulsierung des Wirtschaftslebens
Zwei unterschiedliche Blicke auf das Wirken von Daniel Nicol Dunlop (1868-1935) vermittelten zwei Tagungen, die im August und September dieses Jahres in Berlin und Dornach stattgefunden haben. Während beim Symposium des Instituts für soziale Gegenwartsfragen der Blick auf die ökonomischen Grundfragen im Vordergrund standen, war der Ausgangspunkt beim >World Goetheanum Forum< in Dornach die Inititiative, mit der neue Impulse in die Welt getragen werden können. Durch die Impulsreferate leuchteten aber auch die spiritutellen Hintergründe dieser eigentlich noch sehr unbekannten Persönlichkeit hindurch, die 1924 ein bis heute wichtiges Organ an der Schnittstelle zwischen Geistesleben und Wirtschaftsleben begründet hat.
Zu Markus Sommer u.a.: ›Plastisch-therapeutsches Gestalten‹
In seinen Händen lebt der Mensch von Anbeginn so, wie er die Welt ergreift und begreift. In unserer Zeit, in der die Menschen mit ihren Fingerspitzen Glasscheiben betasten, um durch elektrisch leuchtende Zeichen ihre Wege, ihre Heilmittel und ihre Orientierung zu finden, tritt ein schweres, gewissermaßen aus feuchtem Ton geborenes, aber hellwach und einfühlsam geschriebenes Buch ans Licht und sagt: »Ergreife Erde und gestalte sie!« Gegen Ende des Buches heißt es zusammenfassend: »Schon das bloße Ergreifen und plastische Gestalten von Substanz kann therapeutisch wirksam sein. So wurden schwer beeinträchtige, neurologisch erkrankte, an Schlaganfällen sowie an Epilepsie leidende Patienten im Rahmen einer Studie gebeten, einen Klumpen Ton frei zu gestalten. Dabei zeigte sich, dass allein durch ein solches unsystematisches schöpferisches Tun und das Erfahren von Selbstwirksamkeit eine signifikante und anhaltende Besserung ihres Befindens bewirkte, was auf der Beck Hopelessness Scale (BHS) als signifikanter Therapieeffekt dokumentiert werden konnte.« (S. 294)
Zur Pfingsttagung ›Neue Wege‹ in Budapest anlässlich des 100. Geburtsjahres von Georg Kühlewind
Man traf sich vom 17. bis zum 19. Mai 2024 in Budapest, der Geburtsstadt Georg Kühlewinds, in den großzügigen Räumen einer Schule an einem grünen Hang über der lebhaften Stadt. Eine pfingstliche »hohe Zeit« war es, ein wahres Fest – des gemeinsamen Übens, der Begegnungen mit alten Freunden, des Entstehens neuer Freundschaften und der Besinnung auf di zukunftsweisenden Impulse, die Georg Kühlewind mit seinem Lebenswerk gegeben hat. Und der »Zufall« wollte es, dass wir uns dabei in der Nähe des Hauses befanden, wo er über etliche Jahre mit Freunden meditiert hatte.
Wenn ein Kind auf die Welt kommt, dann hat es ein natürliches Vertrauen, ein »Urvertrauen« zu seinen Eltern. Das kleine Kind kennt eine Zeit lang noch keine Angst. In ihm tritt ein geistiges Wesen in die geformte Welt seines Leibes, lebt aber noch im Urvertrauen zu seinem Ursprung, zur geistigen Welt. Erst durch die Bildung der Seele, dem Bindeglied zwischen Leib und Geist, lernt es die Angst und später auch den Zweifel kennen.