Über die Anthroposophie, das Judentum und Israel
Die Anthroposophie setzt beim anthropos an. Der Mensch steht in ihrem Zentrum – und im Zentrum des Menschen sein Ich. So einzigartig dieses ist, so einzigartig können auch die Haltungen jener Individuen sein, die sich mit Rudolf Steiners Werk und seinem geistigen Erbe – bald hundert Jahre nach seinem Ableben – befassen. Das Ich, schreibt Steiner, lebt in der Seele; diese vermittelt ihm über die Sinneswahrnehmung die äußere Welt. Wahrnehmungen sind aber in ihrer seelischen Verarbeitung auch von kollektiven Konventionen geprägt. Die Individualpsychologie ist kein hermetisches Revier, ebensowenig wie die Prägung des individuellen Umgangs mit Spiritualität. An ihren Rändern bestehen fließende Übergänge zur Sozialpsychologie, zur Meinungsbildung und zum Verhaltensstil von Kollektiven. So entstehen persönliche Bezüge zur Anthroposophie, die von in einer Gemeinschaft gängigen Haltungen und kulturellen Konventionen beeinflusst und gestaltet sind.
Ein Hinweis auf den anthroposophischen Kabbala-Forscher Ernst Müller
Dass Rudolf Steiner ein außerordentlich positives Verhältnis zu seinen jüdischen Schülern hatte, ist durch das Beispiel der beiden Stuttgarter Anthroposophen Carl Unger und Adolf Arenson weitläufig bekannt. Beide waren säkularisierte Juden, die wegen ihrer intellektuellen und philosophischen Begabungen schon in den frühen Jahren der anthroposophischen Arbeit Steiners Anerkennung und im Falle von Unger eine anhaltende, intensive Förderung erfahren haben. Beide waren überdies als Redner für die Verbreitung der Anthroposophie umfassend tätig. Während Unger nach dem Ersten Weltkrieg auch auf den wissenschaftlichen Kongressen der anthroposophischen Bewegung sprach, bemühte sich Arenson vor allem um die Erschließung des Vortragswerkes Rudolf Steiners. Unger publizierte überdies im Laufe seines Lebens zahlreiche philosophische Werke, die eine eigenständige Erschließung der Anthroposophie zum Ziel hatten und von Rudolf Steiner geschätzt wurden. Weniger bekannt ist hingegen, dass Rudolf Steiner auch religiöse Juden zu seinen Schüler zählte, die er ebenso förderte, und zwar im Hinblick auf die Erforschung des esoterischen Judentums, insbesondere der Kabbala. Um die Zusammenarbeit Rudolf Steiners mit einem solchen Schüler, dem aus Wien stammenden Ernst Müller, soll es im Folgenden gehen.
Über das Werden einer neuen Menschheit
Die Vorträge, die Rudolf Steiner über karmische Zusammenhänge im Jahre 1924 gehalten hat, stehen in einem besonderen Spannungsverhältnis zwischen Vergangenheit und Zukunft. Nicht nur werden darin einzelne schicksalhafte Beziehungen von der Vergangenheit her bis zum ersten Viertel des 20. Jahrhundert aufgerollt, sondern wir werden auch mit Fragen konfrontiert, die unsere Gegenwart und Zukunft betreffen. Das ist vor allem der Fall, wenn wir an das gegenwärtig verstärkte, evolutionswidrige Erwachen von Rasseninstinkten und Nationalismen denken oder an die angestrebten, technisch veränderten biologischen Lebensformen wie den Cyborg oder an den viel diskutierten Transhumanismus. Denn in diesen Vorträgen geht es auch um die Stellung des Sonnenerzengels Michael bei der Frage der Bildung einer neuen Menschheit, jenseits des luziferisch inspirierten Rassismus oder Nationalismus und ahrimanischer Zukunftsvisionen. Ersterer ist Erbe einer vorindividuellen Seelenentwicklung und letzteres die Vorschau einer entindividualisierten Menschheit.
Anmerkungen zur ›Straßenbahnhaltestelle‹
Die Menschheit wandert. Ihre Vorhut geht einem spirituellen Zeitalter entgegen. Hinter ihr liegt eine lange Epoche des Schweigens der geistigen Welt. In der oft entsagungsvollen Stille konnte das freie Selbstbewusstsein des Individuums heranreifen. Die allgemeinen Menschenrechte wurden schließlich proklamiert, aber sie sind längst nicht weltweit etabliert, geschweige denn gesichert und deshalb überall bedroht. Tatsächlich ist gegenwärtig das ganze Leben des Planeten und der Menschheit gefährdet. Eine Bewältigung dieser Gefahr kann von einem Erwachen zur nächsten an die Sinneswelt angrenzenden übersinnlichen Welt erhofft werden – doch das wird keinesfalls einfach sein.Mit neunzig Jahren hat der Sozialphilosoph Jürgen Habermas unlängst ein über anderthalbtausendseitiges zweites Hauptwerk veröffentlicht. Es behandelt das Verhältnis von Glauben und Wissen und repräsentiert das erwachte Selbstbewusstsein des Individuums. In jener Epoche, in der dieses Bewusstsein stark geworden ist, klaffte der Graben zwischen Glauben und Wissen immer weiter auseinander. Künftig wird er dadurch überwunden werden, dass anstelle des Glaubens zunehmend die spirituelleErfahrung treten wird. Die Geisteswissenschaft hat dazu die Grundlage geschaffen. Aber die Übergangszeit wird lange währen. Was Habermas immer noch in der Philosophie ist, war seinerzeit der acht Jahre ältere Beuys in der Kunst: Ein weltweit wirkender gebürtiger Deutscher. Beide stehen für die Aufgabe, jenes Denken und Tun voranzubringen, das einen Übergang zur nächsten Menschheits-Epoche in Freiheit ermöglicht.
Die Kunst und das Übersinnliche
Das Verhältnis von Joseph Beuys zu Rudolf Steiner und zur Anthroposophie ist bis heute ein heikles Thema. Auch in diesem Jahr, wo man den 100. Geburtstag des Künstlers zum Anlass nimmt, ihn noch einmal zu würdigen, wird es eher verschwiegen oder zur Polemik benutzt als differenziert ausgelotet. Kunsthistoriker und ehemalige Mitarbeiter von Beuys halten sich in diesem Punkt auffällig zurück und spielen dessen starke Verbindung zur Anthroposophie gern herunter. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die esoterische Weltsicht Steiners bis heute von einem Schatten umwölkt ist, dem viele lieber aus dem Weg gehen möchten. Waldorfschulen oder ›Demeter‹-und ›Weleda‹-Produkte werden zwar in der Öffentlichkeit durchaus geachtet, aber die Anthroposophie gilt vielen immer noch als dubiose Okkult-Lehre mit rassistischen Untertönen, die im Widerspruch zu unserer aufgeklärten Welt steht. Dazu hat auch die Beuys-Biographie des Schweizer Autors Hans-Peter Riegel beigetragen, der 2013 versuchte, Beuys als »braun« angehauchten Künstler zu entlarven, der seine Inspirationen dem »völkisch-nationalistischen Wertekanon« von Rudolf Steiner zu verdanken habe. Jüngst hat auch ›Der Spiegel‹ diese Vorwürfe wieder aufgegriffen und Steiner sogar in die Nähe zu dubiosen »Querdenkern« unserer Tage gestellt, die etwa als Verschwörungstheoretiker oder QAnon-Anhänger die Corona-Maßnahmen der Regierung bekämpfen. In dem Artikel wird behauptet, dass Beuys »seine Weltanschauung beim Großesoteriker Rudolf Steiner regelrecht abgeschrieben« und dessen völkischen »Geisterglauben ans Deutsche« mit seinem Werk fortgesetzt habe. Solche plakativen Anschuldigungen wie auch das Herunterspielen des anthroposophischen Hintergrundes des Künstlers an anderer Stelle zeigen nur die große Verlegenheit gegenüber dem komplexen Thema »Beuys und Steiner«, was ich zum Anlass nehmen möchte, einmal genauer hinzuschauen.
Annäherungen an die deutsche Volksgeistigkeit zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys
Die Stadt Utrecht in Holland war im 7. Jahrhundert ein Zentrum der iroschottischen und später der angelsächsischen Mission. Der Heilige Willibrord wirkte hier und wurde der erste Bischof von Utrecht. Bonifatius, der Willibrord aus England kannte, lernte bei ihm, als er seine Missionstätigkeit auf dem Kontinent begann. Die Friesen nördlich und nordöstlich von Utrecht, die sich lange der Christianisierung widersetzten, wurden von hier aus missioniert. Bonifatius – damals noch unter seinem Geburtsnamen Winfried – begann 716 in Utrecht seine Missionstätigkeit und beendete sie auch dort. 754 fand er, der als Apostel der Deutschen verehrt wird, bei Dokkum in Friesland einen gewaltsamen Tod. In Utrecht traf ich auch vor einiger Zeit einen 90-jährigen ehemaligen Waldorflehrer, der die Überzeugung vertrat, dass man, ohne die Bonifatius-Geschichte und die Bedeutung der Iroschotten im 6., 7. und 8. Jahrhundert zu kennen, die Verehrung Adolf Hitlers, dessen Machtergreifung und das nationalsozialistischen Terrorregime nicht verstehen könne. Damit sprach er etwas aus, das in meiner Seele lebte, und ermöglichte mir, meine Gedanken zu diesem Thema darzustellen.
Als Hegel vor den Schweizer Gletschern stand, war er nicht allein. Es gab aber noch gar nicht so viele vor ihm, die sich so weit zu Fuß vorwagten. In einer verkürzten Mentalitätsgeschichte und mit Betrachtung individueller Erlebnisse möchte ich versuchen, den Gefühls- und Empfindungshorizont gegenüber der Alpenwelt in Übergängen aufzuhellen. Wir folgen der Entwicklung eines neuen Sinns, dem Alpen- und Landschaftssinn, der Entdeckung eines neuen Gefühls, dem Heimweh, und dem Aufkommen der Touristen.
Der rein physikalische Akt des Fotografierens hat für die Lebenssphäre einer Landschaft stets etwas Ruinöses. Die Betätigung des Auslösers und damit verbundene Fixierung des Abbildes (gleichviel ob auf einem Chip oder einem Film) ertötet etwas in der Landschaft. Es wird etwas von den Lebenskräften herausgerissen, pulverisiert. Die Landschaft fühlt sich dann wie durchlöchert an. Wie ein Gewebe, in das mit einem Luftgewehr kleine Löcher hineingeschossen wurden. Dessen muss man sich als Fotograf bewusst sein – und der daraus resultierenden moralischen Verantwortung.
Am 24. Juli 2015 stieg ich mit Katharina Mayumi Okamura auf Japans schönsten und höchsten Berg, den Fuji, im Deutschen auch als Fujiyama bekannt, der sich 3.776 Meter über den Meeresspiegel erhebt, um von dort am Morgen den Sonnenaufgang zu sehen. Lange vorher schon, als die ersten Ideen zu meiner ersten Japanreise im Gespräch mit meinen Freunden Emi und Kazuhiko Yoshida bewegt wurden, sprach ich von meinem Wunsch, diesen meiner Ansicht nach schönsten aller Berge zu besteigen. Damals erfuhr ich, dass man den Aufstieg gut an einem Tag schafft und oben auch übernachten kann.
Erfahrungen in der Corona-Zeit
Seit 1999 gibt es eine Tradition von Inspirationswanderungen, bei denen mehrere Gruppen in verschiedenen Ländern zu jedem der vier großen Jahresfeste – Weihnachten, Ostern, Johanni und Michaeli – sich auf den Weg machen. Bei diesen methodisch schon seit über 40 Jahren weiterentwickelten Wanderungen wird versucht, in meditativer Langzeitaufmerksamkeit zu imaginativen, inspirativen und intuitiven Erfahrungen der evolutionären Aktualisierungsversuche der geistigen Welt zu kommen. In der Corona-Zeit wurden dabei interessante neue Phänomene erlebt, die hier mitgeteilt werden sollen.
Vier Erzählungen über den Wind und die Vergänglichkeit
In Châtelet-sur-Ville, wo ich in den siebziger Jahren lebte, in den Räumen der Alten Schule, gewann ich Zeit – nicht durch Beschleunigung, sondern durch Verlangsamung. Sie wurde mir zugetragen vom Wind, der als Fallwind herüberkam von Riom ès-Montagnes, Laub und Schnee aufwirbelte und meine Haut wie mit Messern schnitt, von den wärmenden Hauchen, die weither aus dem Tal der Dordogne aufstiegen, die Busch und Wiese streichelten, mein Haar und das Fell der Hunde, und vom großen patriarchalischen Wind, der am Tag wie in den Nächten über die Höhen hinging, von den Monts Dômes über die Berge der Margeride bis hin zu den Causses und weiter zum südlichen Meer, schiebend und drängend, immer darauf bedacht, zu ebnen: die Senken zu füllen und die Zinnen zu schleifen.
Die Geburtsstunde der deutschen Marienlyrik
Wahrscheinlich entstand schon in der frühen Christenheit das Bedürfnis, die vier Evangelien zu einer fortlaufenden Erzählung zusammenzufügen im Sinne einer Art Zusammenfassung der jeweils charakteristischen Stationen des Lebens Jesu. So schuf im 2. Jahrhundert n. Chr. der Syrer Tatian († um 170) eine solche ›Evangelienharmonie‹, die in einer lateinischen Übersetzung bis ins frühe europäische Mittelalter gewirkt hat und um 830 auch ins Althochdeutsche übersetzt wurde. Im Frankenreich der Karolinger ist, wohl auch im Zusammenhang mit der Christianisierung, ebenfalls ein solches Bedürfnis nach einer Zusammenfassung des Lebens Jesu vorhanden gewesen. Und so entstanden im 9. Jahrhundert gleich zwei Evangelienharmonien: der von einem unbekannten Verfasser stammende und für die Sachsenmission gedachte altsächsische ›Heliand‹ in germanischen Stabreimversen und der ›Liber evangeliorum‹ (Buch der Evangelien) des Mönchs Otfrid von Weißenburg in althochdeutsch-südrheinfränkischen Endreimversen – die erste deutsche Großdichtung mit Endreimen in Langzeilenform.
Zum trinitarischen Wesen des Ich
Die erste explizite, bisher nie angemessen betrachtete Vertiefung des Verständnisses der Trinität durch Rudolf Steiner erfolgte schon in den ersten Jahren seiner Tätigkeit innerhalb der Theosophischen Gesellschaft. Bereits 1903 bis 1905 finden wir, sowohl in Niederschriften als auch in Aufzeichnungen aus Vorträgen und privaten Lehrstunden zahlreiche Hinweise und Erläuterungen zu der Trinität »Bewusstsein/Vater – Leben/Sohn – Form/Heiliger Geist«. Der Vater ist hier das aus dem Nichts schaffende, noch unmanifestierte, seiner selbst bewusste All(Welt)bewusstsein. Er ist, anders ausgedrückt, das Übersein, der schöpferische Ungrund,6 aus dem die Welt ohne Warum – weil ein Warum Zwang bedeuten würde –, durch eine freie Opfertat entsteht. Er ist »in sich ruhend, da und nicht da, über dem Sein, niemals wahrnehmbar [...], das absolut Verborgene, Okkulte [...], weil über alle Offenbarung erhaben«. Der Vater ist, in anderen Worten, der Offenbarer9 – gleichsam das absolute Selbst/Ich in jeder Offenbarung –, die »in sichselbst leuchtende Unendlichkeit« vor jeder »Differenzierung und Individualisierung«.
Rudolf Steiner, Hegel und die Theosophische Gesellschaft
Als Rudolf Steiner 1897 in dem von ihm redigierten ›Magazin für Litteratur‹ einen Aufsatz über die Theosophen, bzw. über die Repräsentanten der 1875 in New York von Helena P. Blavatsky und Henry Steel Olcott gegründeten Theosophischen Gesellschaft schrieb, hätte keiner der Leser gedacht, dass Steiner wenige Jahre später selbst Mitglied dieser Gesellschaft werden würde. Die Theosophen, so heißt es darin, sähen mit Achselzucken auf die ganze europäische Wissenschaft herab und belächelten deren Verstandes- und Vernunftmäßigkeit. In harten, durchaus polemischen Sätzen fällt Steiner ein geradezu vernichtendes Urteil: »[D]ie Zahl derer, die sich lieber dem dunklen Gerede vom Erleben der Gottheit im Innern zuwenden als der klaren, lichten, begrifflichen Erkenntnis des Abendlandes ist nicht gering.« Steiner beschließt den Aufsatz mit einem Plädoyer für die freie, auf Vernunft und Beobachtung sich stützende Wissenschaft der Neuzeit und gegen trübe Geisterlebnisse.
Bemerkungen zur Genese des »Mottos der Sozialethik« von 1920
Zwischen der Erstfassung der ›Philosophie der Freiheit‹ vom Jahre 1893 und der Neuauflage von 1918 liegt ein Entwicklungsweg. Der unverbindlich-leichtfüßige Satz im IX. Kapitel: »Leben und Lebenlassen ist die Grundmaxime der freien Menschen«, erhält nach einem Vierteljahrhundert zwei gewichtige Einfügungen. Die Zeitumstände haben sich dramatisch verändert. Mit dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten von Amerika und der Oktoberrevolution in Russland steht die »Welt von gestern« (Stefan Zweig) unmittelbar vor einem völligen Zusammenbruch. Die anthroposophische Bewegung – zunächst im Rahmen der Theosophischen Gesellschaft theoretisch begründet und dann durch den Goetheanum-Bauimpuls und die Anfänge der Eurythmie künstlerisch belebt – hat sich auf eine breite Wirksamkeit in allen Bereichen des Lebens vorzubereiten, wie sie nach dem katastrophalen Ende des Krieges gefordert sein wird. Jetzt schreibt Rudolf Steiner: »Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime der freien Menschen.«
Wie in unserer Gesellschaft zunehmend materialistisch-utilitaristisches Denken bestimmend wird
Wer, wenn nicht die Liberalen, sollte in der deutschen Politik als Bollwerk gegen das gegenwärtige Abschleifen der Grundrechte und als Hüter der freiheitlichen Verfassungswerte betrachtet werden dürfen? Dies galt zumindest bis zur Verkündung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur »Bundesnotbremse« am 30. November des vergangenen Jahres. Als Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, zwei Tage nach dessen Verkündung verlautbaren ließ: »Wir müssen uns öffnen für eine solche Impfpflicht. Es ist ein scharfes Schwert, aber ich glaube, es ist verhältnismäßig«, da beging er mit Blick auf die verfassungsmäßigen Freiheitsrechte den vielleicht schwerwiegendsten politischen Wortbruch in der deutschen Geschichte der letzten Jahrzehnte. Im Bundestagswahlkampf hatte sich Lindner noch in aller nur denkbaren Deutlichkeit gegen eine Corona-Impfpflicht ausgesprochen, sowohl gegen eine direkte als auch gegen eine indirekte: »[I]ch bin dennoch gegen eine Impfpflicht, auch gegen eine Impfpflicht, indem man den Menschen, die nicht geimpft sind, den Alltag so schwer wie möglich macht. Das wäre eine mittelbare Impfpflicht. Impfen muss eine Frage der Selbstbestimmung bleiben.« Lindners Argument gegen eine Corona-Impfpflicht war die Patientenautonomie, die unbedingt gewahrt bleiben müsse. Nach dieser unzweideutigen Positionierung durfte man die Liberalen in dem guten Glauben wählen, dass diese die Grundrechte standhaft gegenüber etwaigen Anfechtungen durch sich weiter zuspitzende äußere Verhältnisse oder Forderungen anderer Parteien verteidigen würden. Doch weit gefehlt: Schon im Dezember, kaum im Sessel der ersehnten Regierungsmacht, waren Lindner und Teile der FDP nicht nur bereit, im Bundestag einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht zuzustimmen, sie haben zudem angekündigt, im neuen Jahr sogar für eine allgemeine Impfpflicht zu stimmen. Angesichts dieser 180-Grad-Kehrtwende in kürzester Zeit müssen sich nicht nur die Stammwähler der Liberalen vor den Kopf gestoßen fühlen, sondern auch jeder Bürger, für den das Versprechen eine moralische Institution darstellt.
Der Philosoph Aldous Huxley und die Gegenwart
Ursprünglich war es ein Zitat aus einem Drama William Shakespeares, bevor es zum Titel eines Romans und darauf folgend zu einem geflügelten Wort wurde: Aldous Huxley schrieb mit seinem 1932 erschienenen Roman [›Schöne neue Welt‹] (engl. ›Brave New World‹) nicht nur einen Weltklassiker, sondern er gab tiefgehenden Befürchtungen einer dystopischtechnokratischen Zukunftsgesellschaft einen Namen, die nun im Kontext der seit einigen Jahren von gewissen Kreisen angestrebten »Vierten industriellen Revolution« neue Brisanz gewinnen. Angeregt zu seinem Roman hatte Huxley insbesondere die Autobiografie des Automobilmagnaten und Mitbegründers der Fließbandfertigung Henry Ford (1863-1947), in der Ford eine zentral geführte und hoch technisierte Massenproduktion propagierte. Huxley ahnte sofort die ungeheure Wirkmächtigkeit dieser Fortschrittsutopie und die damit einhergehenden Konsequenzen für das gesellschaftliche Leben. So lässt er seine »Schöne neue Welt« im Jahre »632 A.F.«, d.h. »Anno Fordii« beginnen, also 632 Jahre nach 1908 (2540), als das erste Ford T-Modell vom Band lief. Huxleys Dystopie ist eine Gesellschaft, in der die einseitig technologischen Prinzipien bereits restlos die soziale Wirklichkeit beherrschen: Durch künstliche Fortpflanzung werden die Menschen genetisch manipuliert und planwirtschaftlich zur Erfüllung bestimmter, eingegrenzter Tätigkeiten herangezüchtet, um letztendlich - durch die Droge Soma, Propaganda, sowie vielfältige Indoktrinations- und Zwangsmittel zu Gliedern eines perfekt funktionierenden Gesellschaftsapparates konditioniert – ihr Leben als Industriesklaven zu fristen.
Die Corona-Pandemie hat zum weltwaten, milliardenfachen Einsatz neuartiger Impfstoffe geführt. Von ihrer Einführung zum Jahreswechsel 2020/21 bis Ende Dezember 2021 wurden weltweit 4.5 Mrd. Menschen, mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft. Seit Ende 2020 haben diese Impfstoffe eine »bedingte« oder »Notfallzulassung« in vielen Ländern der Erde. Der Abschluss der regulären Sicherheits- und Wirksamkeitsstudien ist für Mai 2023 terminiert. Allerdings werden die Zulassungsstudien auch dann keine eindeutigen Ergebnisse tiefem, denn die dafür erforderliche. verbündete Kontrollgruppe von Ungeimpften wurde bereits seit Dezember 2020 aufgelöst, indem den Mitgliedern der Kontrollgruppe von den Impfstoffherstellen »angeboten« wurde, sich impfen zu lassen. Wissenschaftliche Aussagen über die Wirksamkeit und Sicherheit der Covid-19-Impfstoffe lassen sich deshalb aktuell nur aus Beobachtungsstudien gewinnen. bei denen man Geimpfte und Ungeimpfte vergleicht, wobei bei solchen Studien die Auswahlkriterien für die beiden Gruppen das Ergebnis beeinflussen können. Hier werden Daten aus solchen Studien referiert. Aufgrund der Fülle von Untersuchungen kann dabei keine Vollständigkeit erreicht werden. Es ist auch zu bedenken, dass weitere Studien neue Bewertungen und auch noch ganz andere Aspekte der Impfungen zeigen können, wie es aktuell im Zusammenhang mit der Omikron-Variante geschieht. Das betrifft auch mögliche Langzeitfolgen, wobei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Folgen meist nur schwer nachweisbar ist.
Die folgenden Darstellungen lassen sich von zwei grundsätzlichen Elementen meines ärztlichen Blicks auf jede Form des Krankseins leiten: Krankheit ist sinnvoll; und sie ist eine Gabe der uns wohlwollenden geistigen Führung. Mein meditativer Weg wurde geleitet durch die von Rudolf Steiner vermittelten Meditationsworte, die er den Teilnehmern des sogenannten Pastoralmedizinischen Kurses (GA 318) im September 1924 übergab. Und darin wird mit Blick auf die Trinität ausgesprochen, dass der VATER die Krankheit schickt zum Ausgleich des Karma.
Zukunftsfähigkeit erringen in pandemischen Zeiten
Im Folgenden möchte ich versuchen, meine persönlichen Erfahrungen mit Covid-19, das Leben und Leiden mit der Zeitlage sowie einige Bücher und Texte, die mir im letzten Jahr begegnet sind, aphoristisch miteinander zu verknüpfen und vor dem Hintergrund der Anthroposophie nach Zukunftsperspektiven in einer verworrenen Zeit zu suchen.
Persönliche Erfahrungen und Erkenntnisse
Der vorliegende Text besteht aus zwei Teilen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden sind. Der erste stammt aus dem Sommer 2021 und blickt aus der damaligen Perspektive auf das pandemische Geschehen, den gesellschaftlichen Umgang damit und die eigenen Erfahrungen des Autors zurück. Der zweite wurde im Herbst desselben Jahres verfasst, nachdem der Autor an Covid-19 erkrankt war. Zusammen ergeben sie ein persönliches Bekenntnis, das keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit oder Allgemeingültigkeit erhebt, sondern als Gesprächsbeitrag verstanden werden will.
Warum Wirtschaftssanktionen kein sinnvolles Instrument der Politik sein können
Der für viele Beobachter völlig überraschende Einmarsch Russlands in die Ukraine hat eine Welle von Wirtschaftssanktionen ausgelöst. Insbesondere glaubt man, Russland dadurch hart treffen zu können, dass die meisten russischen Bankhäuser aus der ›Society for Worldwide Interbank Financial Telecommuni-cation‹ (SWIFT) ausgeschlossen werden sollen. Diese Einrichtung leitet Finanztransaktionen zwischen ca. 11.000 Banken, Brokerhäusern, Börsen usw. in etwa 200 Ländern über SWIFT-Nachrichten weiter und wickelt damit den Nachrichten- und Zahlungsverkehr der angeschlossenen Firmen und Institutionen ab. Da ein juristisch abgesicherter Zahlungsverkehr über Ländergrenzen hinweg heute praktisch nur noch mit SWIFT möglich ist, glaubt man, mit dieser Maßnahme Russland ökonomischen Schaden zufügen zu können. Schließlich hatte man mit ähnlichen Maßnahmen schon den Iran empfindlich getroffen. Eine weiterer finanzieller »Nuklearschlag« gegen Russland soll das Einfrieren der russischen Devisenreserven im internationalen Zentralbanksystem sein. Nach zuletzt verfügbaren Statistiken lagen 630 Mrd. Dollar Devisenreserven entweder bei anderen Notenbanken, der [›Basler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich‹ (BIZ) sowie dem Internationalen Währungsfonds. Russland hatte diese Reserven in den letzten Jahren systematisch erhöht, d.h. es hat Jahr für Jahr weniger Leistungen vom Ausland in Anspruch genommen, als es diesem - vor allem durch seine umfangreichen Rohstoffverkäufe - geleistet hat. Theoretisch könnte Russland ein Jahr lang seine Importe damit bezahlen, ohne irgendetwas exportieren zu müssen. Da aber sowohl die USA als auch die EU Geschäfte mit der russischen Zentralbank verboten haben, kann es einen großen Teil dieser Reserven nicht mehr nutzen. »Der Rubel ist im freien Fall. Die Kriegskasse von Wladimir Putin ist empfindlich getroffen«, verkündete Deutschlands Finanzminister Christian Lindner am 8. März nach Gesprächen mit seinen G7-Kollegen. Doch Russland rechnet komplett anders als die westliche Welt. Und es könnte sein, dass die russische Rechnung am Ende aufgeht.
Die Umwandlung des Bewusstseins
Die illusionäre Welt der Wohlstandsgesellschaft zerbricht gerade vor unseren Augen. Corona-Krise, Umweltkrise, Bildungskrise, Wirtschaftskrise ... Die Auswahl ist groß. Was geschieht da mit uns? Hat das alles eine Bedeutung? Ich behaupte: Ja. Das eigentliche Geschehen ist, dass die Umwandlung des menschlichen Bewusstseins durch innere Arbeit schon längst fällig ist, wir uns aber mit allem anderen beschäftigen, nur damit nicht.
Eine tiefe Wahrheit unserer Zeit hat mit dem Ereignis zu tun, von dem Rudolf Steiner sagte, es sei das wichtigste für die gegenwärtige Menschheit. Wenn sie es verschlafen würde, müsste sie sehr, sehr lange warten, bis es wieder eintreten könnte -eine ganze Menschheitsentwicklung lang! Dieses Ereignis ist das Wiedererscheinen des Christus in der ätherischen Welt. Zu Beginn der Offenbarung des Johannes wird dieses Ereignis bereits angekündigt: »Siehe, er kommt mit den Wolken, und schauen wird ihn jedes Auge, auch alle, die ihn durchstochen haben; und wehklagen werden um ihn alle Geschlechter auf Erden. Ja, Amen. Ich bin das Alpha und das Omega, Urbeginn und Ziel, spricht Gott der Herr der ist und der war und der kommt, der Alldurchwalter.« (Offb 1,7f.)
Eine Betrachtung zum Impuls des Johannes-Markus
Am 20. Januar 1479 begibt sich der berühmte Diplomat Giovanni Emo nach Udine, um dort als Statthalter von Venedig zu wirken. Mit sich bringt er das Geschenk, das er von Sultan Mehmed II. dem Eroberer am Ende von nicht so glücklichen Friedenverhandlungen bekommen hat, die zwischen 1474/75 stattgefunden haben: Der legendenhaft gewordene Eroberer von Konstantinopel hat ihm eine Marien-Ikone geschenkt, die im Kaiserpalast von Konstantinopel aufbewahrt wurde und Mariens Gesichtszüge getreu darstellen soll. Zunächst bewahrt Giovanni Emo die Ikone bei sich im Schloß von Udine, dem Sitz des Statthalters, nach einem mit ihr verbundenen Wunder lässt er sie jedoch am 8. September 1479 - am Fest von Mariens Geburt - zur Kirche der Heiligen Gervasius und Protasius verlegen. Die intensive devotionale Bewegung, die sich um dieses Bild rasch entwickelt, führt dazu, eine größere Kirche zu bauen, und diese größere, Madonna delle Grazie (Maria der Gnaden) genannte Kirche bewahrt noch heute die Ikone aus Konstantinopel. Die hier betrachtete, vielleicht im 14. Jahrhundert gemalte Ikone ist nicht nur deshalb eine besondere, weil sie aus dem Kaiserpalast in Konstantinopel stammt. Eine viel wichtigere Besonderheit liegt darin, wie sie - als älteste und in dieser Form womöglich einzig erhaltene - die Maria darstellt. Das sonst verbreitete Motiv der Maria als stillende Mutter (griech. galak-totmphousa, latein. lactans), welches an das ägyptische Bild der den Horusknaben stillenden Isis ankniipft - wird hier nämlich dadurch vertieft, dass Maria in der linken Hand eine goldene Kose hält. Diese Kose in der Herzenshand hebt genau die Herzgegend Mariens hervor und wirkt gleichsam als Urbild der auf derselben Linie liegenden rechten Brust, an der das Kind trinkt, die eigene Herzenshand der Kose entgegenstreckend.
Hegels Christusbegriff
Als Hegel mit 18 Jahren in das Tübinger Stift eintrat, um dort Theologie zu studieren, begann er bald, mit dem dort gelehrten Protestantismus zu hadern. Es war die Rede von der Theologie als einem hundertköpfigen Ungeheuer, das aus jedem Rachen Feuer speit, und der obligatorischen Sonntagspredigt wurde vielfach mit entschiedener Gleichgültigkeit begegnet.1 Gemeinsam mit Hölderlin und Schelling bewohnte er zeitweise ein Zimmer, und zusammen formulierten sie ihr Ideal einer »unsichtbaren Kirche«2. Die Französische Revolution war Vorbild und eine willkommene Gelegenheit, Freiheit in den Mittelpunkt allen Strebens zu stellen. Hegels Jugendschriften beinhalten noch eine Auseinandersetzung mit Theologie und Christentum, die dann in seinen Hauptwerken, der ›Phänomenologie des Geistes‹, der ›Wissenschaft der Logik‹ und der ›Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften‹ zurücktritt. Immer wieder betont Hegel, dass Philosophie und Religion denselben Inhalt haben, die Religion sich diesem jedoch mehr mit schlichten Vorstellungen des Glaubens, die Philosophie dagegen mit dem begreifenden Denken, das allein Freiheit ermöglicht, nähere. Das Ziel von Hegels Philosophieren ist der absolute Geist, und dieser wiederum ist Inhalt der wahrhaften, geoffenbarten Religion. Im reinen Wissen offenbart sich der Geist als Geist, dem Wesen einer absoluten Religion entsprechend. Hegel geht in diesem Zusammenhang auch auf die verschiedenen Manifestationen des Religiösen in der Kulturgeschichte der Menschheit ein, eine tiefere Auseinandersetzung mit dem realen Wirken des Christus findet sich dann in seinen ›Vorlesungen über die Philosophie der Religion‹, die er erstmals 1821 und dann erneut 1824, 1827 und in seinem Todesjahr 1831 in Berlin hielt.
Zur Dreigliederung bei Mensch, Tier und in der Kulturgeschichte Ägyptens
Betrachtet man das menschliche Skelett, seine Formen und die Gestalt der einzelnen Knochen, so trifft man auf bemerkenswerte Verhältnisse. Einerseits finden sich flache Knochen, welche eine sphärische Gestalt zeigen, also kugelartige Formen oder Segmente von Kugeln. Am deutlichsten ist dieses Gestaltelement am Gehirnschädel ausgebildet, welcher aus zahlreichen Knochen besteht, die unbeweglich miteinander verwachsen sind und zusammen eine Kugelform bilden. Aber auch Becken und Schulterblätter bestehen aus flachen Knochen, welche Kugelsegmenten ähneln. Andererseits finden sich stangenförmige, axial gestreckte Knochen, die durch Gelenke beweglich miteinander in Verbindung stehen. Diese Röhrenknochen bilden die Gliedmaßen. Sie strahlen in die Peripherie aus, wobei mit zunehmender Distanz vom Zentrum die Anzahl ihrer Strahlen von eins auf fünf zunimmt. Allein schon durch diese Formgebung zeigen sich hier echte Polaritäten, wie man sie zeichnerisch beispielsweise als Kugel und Linie bzw. Kreis und Radius festhalten kann.
Die »Russische Welt« und das geistige Russland
Unter dem Titel ›Darf es eine freie Ukraine geben?‹ versuchte der Verfasser im März/April-Heft dieser Zeitschrift – noch ganz unter dem Schock des russischen Überfalls auf die Ukraine stehend – dem Grund des Handelns von Präsident Wladimir Putin nachzuspüren. Ausgangspunkt war die Analyse seiner Kriegserklärung, der langen »historiosophischen« Ansprache vom 21. Februar 2022. Umrisshaft trat als Ergebnis das Bild eines – bei aller mörderischen Aktualität – atavistischen, autokratischen, russisch-ostslawischen Staates in Erscheinung, der sich die Rettung, Verteidigung und Ausbreitung der »russkij mir«, der »Russischen Welt« – auf die Fahnen geschrieben hatte.Wenn wir von »Putins Krieg« oder »Russlands Krieg« sprechen, dann sind das Abstraktionen, hinter denen als Konkretum der Begriff (oder das »Wesen«) dieser »Russischen Welt« steht. Was aber ist die »russkij mir«? (Wobei »mir« ja im Russischen doppeldeutig ist und sowohl »Welt« als auch »Frieden« bedeuten kann.
Wo westliches und östliches Licht einander begegnen
Einmal erzählte mir ein Bekannter, der in Triest arbeitet, jedoch von Turin, seiner Heimatstadt, pendelt, er würde bei jeder Rückkehr den Eindruck empfinden, in Turin wäre der Himmel im Vergleich mit Triest dunkel, und alles gleichsam im Abendlicht umhüllt, gleichgültig wie hoch und klar die Sonne strahlen würde. Dies charakterisierte er überhaupt nicht im Sinne einer negativen Bewertung, sondern einfach als unbefangen beobachtetes Phänomen – Turins klares voralpines Licht ist übrigens zutiefst berührend, schön und aufrichtend.
Die Soziale Dreigliederung als Mysterienweg – Teil I
Vor genau 100 Jahren beschrieb Rudolf Steiner auf dem ›West-Ost-Kongress‹ in Wien, wie das soziale Denken der Vergangenheit eine Allmacht des Geisteslebens begründete. Das moderne Geistesleben darf diesen Allmachtsanspruch nicht aufrechterhalten. Andernfalls entstehen neue Formen der alten Ständegesellschaft. Der erste Teil des Artikels zeigt, wie sich im Osten und im Westen polare ständische Strukturen entwickelt haben, die heute unvermittelt aufeinandertreffen. Es ist das der Ausdruck eines alt gewordenen Geiseslebens, welches mit Notwendigkeit Niedergangskräfte hervorbringen muss. Ein den Bedürfnissen der Gegenwart angepasster sozialer Organismus gliedert sich in drei relativ selbstständige Glieder. Das bedeutet, dass das Geistesleben seine Impulse nicht mit Macht innerhalb des Rechts- und Wirtschaftslebens durchsetzt.