Die soziale Dreigliederung als Aufgabe der Waldorfpädagogik – Teil I
Ihr 100-jähriges Jubiläum feierten die Waldorfschulen in diesem Jahr mit großen, öffentlich wirksamen Veranstaltungen. Das rief notwendig auch die Kritiker auf den Plan. In besonders perfider Weise hat sich das ARD-Magazin ›Kontraste‹ diesen Feierlichkeiten gewidmet. Moderatorin Eva-Maria Lemke gratuliert zunächst süffisant zum Jubiläum, um im Anschluss die Vertreter dieser Pädagogik nach allen Regeln der Kunst zu diffamieren: Die Eltern wüssten wohl nicht genau, wo sie ihre Kinder da hinschicken. Sie hätten vielmehr ein »heiles Bio-Bild« oder glaubten an ein »Lernen ohne Leistungsdruck«. Dabei folgten die Anhänger dieser Pädagogik den Lehren des Okkultisten Rudolf Steiner.
Aspekte zur Sozialen Dreigliederung in methodischer Hinsicht
Im Rühjahr 1919 veröffentlicht Rudolf Steiner sein Buch »Die Kernpunkte der sozialen Frage - in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft« (CA 23). Bereits der Untertitel verdeutlicht, dass er mit dieser Schrift nicht allein eine Anregung für die Tagespolitik seiner Zeit geben wollte, sondern etwas viel Grundlegenderes für die weitere Sozialentwicklung. Dass Steine auf dem großen Wiener Ost-West-Kongress im Juni 1922 davor sprach, »daß diese Veröffentlichung im Grunde mißverstandet worden ist auf allen Seiten«, weil sie als übliche sozial-utopische Schrift gelesen wurde, obwohl sie «als ein Appell nicht at das Denken über allerlei Einrichtungen, sondern als ein Appel an die unmittelbare Menschennatur gemeint«' war, wird häufig zitiert. Noch deutlicher äußerte er sich wenige Monate später im Rahmen einer Vortragsreihe zu Erziehungsfragen in Oxford: »Derjenige, der die »Kernpunkte der sozialen Frage« als ein Buch des Verstandes nimmt, versteht es nicht. Allein derjenige versteht es. der es als ein Willensbuch, als ein Herzensbuch nimmt, das gesprochen ist aus dem Leben heraus, aus demjenigen, was heute überall unter der Oberfläche des Daseins als die wichtigsten sozialen Impulse der Gegenwart genommen werden können.« Auf welchem Wege nun aber kann dieser »Appell an die unmittelbare Menschennatur« erfahren und geprüft werden, um selbstbestimmt beurteilen zu können, inwiefern diese 100 Jahre alte Schrift Motive enthält, die den gegenwärtigen Lebensnotwendigkeiten Entwicklungsimpulse zu vermitteln vermag?
Über die Weihnachtstagung 1923/24 zur Gründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft
Über den Verlauf der sogenannten Weihnachtstagung 1923/24 brachte Marie Steiner zwanzig Jahre später eine ausführliche Dokumentation heraus. Im Vorwort führte sie aus, die Tagung sei der Versuch eines »Menschenerziehers« gewesen, »seine Zeitgenossen über das eigene kleine Selbst hinaus zu heben, sie zum bewußten Wollen wachzurufen, Werkzeug der weisen Weltenlenkung werden zu dürfen.« Marie Steiner fuhr dann fort: »Doch ist diese Weihnachtstagung zugleich mit einer unendlichen Tragik verbunden. Denn man kann nicht anders als sagen: Wir waren wohl berufen, aber nicht auserwählt. Wir sind dem Ruf nicht gewachsen gewesen. Die weitere Entwicklung hat es gezeigt.« Die Tagung stehe im »tragischen Lichte« für den, der die Möglichkeit habe, »die Geschehnisse zu überschauen. Von der Schwere und dem Leide dieses Geschehens haben wir nicht das Recht, unsere Gedanken abzuwenden.« Dieser Worte gilt es sich zu erinnern, wenn in der Anthroposophischen Gesellschaft der Gegenwart der historischen Weihnachtstagung festlich gedacht wird.
Immanuel Kant zum 300. Geburtstag
Immanuel Kant wurde am 26. April 1724 geboren. Seine Bedeutung nach 300 Jahren gründet in seinem dreiteiligen Hauptwerk, dessen erster Teil, die »Kritik der reinen Vernunft 1781 veröffentlicht wurde. Kant war damals im 57. Lebensjahr, d.h. im dritten Mondknoten. Bis zu seinem Tod 1804 erschienen rund 2.000 Schriften zu dem philosophischen Neuansatz, den er vorgelegt hatte. Deshalb schreibt Friedrich Schiller unter dem Titel ›Kant und seine Ausleger‹ passend: »Wie doch ein einziger Reicher so viele Bettler in Nahrung / setztl Wenn die Könige baun, haben die Kärrner zu tun.« Zwischen dem Erscheinen der ›Kritik der reinen Vernunft‹ und uns hegen rund 240 Jahre, in denen sich eine weitere große Wirkungsgeschichte entfaltet hat. Dabei ist es der Philosophie Kants einigermaßen erspart gebheben, zu einer tradierten Lehre zu werden, wie der Aristo-teh'smus in der Scholastik oder der Thomismus in der Neuzeit. Es gab wohl keinen Philosophen unter denen, die sich an Kant orientiert hatten, der nicht wiederum produktive Kritik an ihm geübt oder ihn selbstständig interpretiert hätte.
Zur Skalierbarkeit von Imagination, Inspiration und Intuition
Die höheren Erkenntnisstufen sind nicht nur für Eingeweihte erreichbar. Die damit verbundenen Erfahrungen können unter bestimmten Bedingungen schon im alltäglichen Leben eintreten, nur werden sie dort oft nicht bemerkt, weil sie sehr unscheinbarer Natur sind. Man muss gewissermaßen seine Denkaktivität auf die richtige Größenordnung einstellen, um sie zu bemerken. Anders gesagt: Die Begriffe Imagination, Inspiration und Intuition lassen sich skalieren.
Zur Erinnerung an Paul Klein (1871–1957)
Anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Christengemeinschaft sollte auch an Paul Klein erinnert werden, der als einflussreicher evangelischer Stadtpfarrer in Mannheim und persönlicher Schüler Rudolf Steiners der jungen Gemeinschaft die Wege ebnete. Zugleich sei einiges aus seinem Wirken für die anthroposophische Gesamtbewegung mitgeteilt, wobei hier nur einzelne Aspekte und Ereignisse aus seinem Leben berührt werden können.
Liebe Anthroposophie der Zukunft, ich schreibe Dir einen Brief. Einmal, um mich Deiner zu vergewissern im Nachsinnen und Vordenken. Dann auch, weil ich gefragt wurde, was ich zu Deinem Wesen sagen könnte, im Angesicht des 100. Todestages Rudolf Steiners am 30. März 2025. Dieses Datum hat sicher auch für Dich eine Bedeutung. Ich empfinde es als Einschnitt, durch den vieles neu werden kann - wenn es Menschen gibt, die das wollen. Da hier noch andere mitlesen, versuche ich. diesen intimen Brief so zu gestalten, dass möglichst viele Menschen mitdenken und mitfühlen können.
und sein Zusammenhang mit dem Ereignis der Begegnung Goethes mit Schiller
Am 1. September 1919 schrieb Rudolf Steiner seinem jungen Mitarbeiter Hans Kühn einen vierzeiligen Spruch als Widmung in dessen Exemplar seiner im Frühjahr 1919 erschienenen Schrift ›Die Kernpunkte der sozialen Frage‹. Auch im Kontext des gesamten Reichtums der sogenannten ›Wahrspruchworte‹ Rudolf Steiners zeigt dieser Spruch eine besondere Beziehung zur sozialen Frage, weil er in methodischer Klarheit die Notwendigkeit »innerer« Seelenentwicklung mit dem zu entwickelndenVermögen »äußerer« sozialer Gestaltung verbindet: »Suche im Innern das Lichtvolle / Und du findest die Welt; / Suche im Äußern das Sinnvolle / Und du findest dich selbst.« Es ist kein Zufall, dass Steiner diesen Spruch mit dem Weg nach »Innen« beginnt, vielmehr zeigt sich darin etwas Grundlegendes seiner »Freiheitsmethode«. In seinem philosophischen Hauptwerk ›Die Philosophie der Freiheit‹ bemerkt er in Bezug auf Schillers an Goethe gerichtetes Gedicht ›Die Übereinstimmung‹: »Von Schillers bekannten zwei Wegen: ›Wahrheit suchen wir beide; du außen im Leben, ich innen / In dem Herzen, und so findet sie jeder gewiß. / Ist das Auge gesund, so begegnet es außen dem Schöpfer, / Ist es das Herz, dann gewiß spiegelt es innen die Welt‹ wird der Gegenwart vorzüglich der zweite frommen. Eine Wahrheit, die uns von außen kommt, trägt immer den Stempel der Unsicherheit an sich. Nur was einem jeden von uns in seinem eigenen Innern als Wahrheit erscheint, daran mögen wir glauben.«
Klaus J. Bracker im Gespräch mit Karl-Heinz Ohlig
Seit der Jahrtausendwende sind einige Publikationen historisch-kritischer Art zu den Anfängen des Islam erschienen, namentlich Christoph Luxenbergs Abhandlung ›Die syro-aramäische Lesart des Koran‹ (Schiler-Verlag, Berlin 2000). Seither wird öffentlich die These diskutiert, dass das heilige Buch des Islam ursprünglich nicht das Produkt einer wie auch immer gearteten Inspiration, sondern eine Sammlung frühchristlicher Texte gewesen sei, deren Entstehung sich über Jahrhunderte hingezogen habe. Diese auch in der Fachwelt sehr umstrittene These wird seit einigen Jahren von der ›Inârah‹-Forschungsgruppe – einem internationalen Zusammenschluss von Islamologen, Religionswissenschaftlern, Linguisten und Philologen – bearbeitet. Für die Drei sprach Klaus J. Bracker exklusiv mit Prof. Dr. Karl-Heinz Ohlig, einem der profiliertesten Vertreter dieser Gruppe.
Biografische Spuren Georg Trakls
Georg Trakl (1887-1914), der von vielen als der größte deutschsprachige Lyriker seiner Generation angesehen wird, ging be täubt durch sein kurzes Erdenleben. Er sei nur halb geboren. In der Kindheit und Jugend habe von seiner Umgebung nur das Wasser einen Eindruck auf ihn gemacht Solche Äußerungen von ihm sind überliefert. Die Welt und vor allem sich selbst ertrug er nur betäubt durch starke Rauschmittel. Heruntergedämpft war sein Denken, gelähmt sein Wollen. Sein Fühlen entfaltete sich wie eine große, dunkle Blüte. Eine blaue Blume.
Zur Praxis der Solidargemeinschaften im Gesundheitswesen
Unser durchkommerzialisiertes Gesundheitssystem untergräbt sowohl das eigenverantwortliche Handeln der Betroffenen als auch die Ausbildung eines konkreten solidarischen Bewusstseins. Doch es gibt Alternativen: die Solidargemeinschaften. Die Redaktion hat die Samarita gebeten, ihr Anliegen zu skizzieren aber auch die Schwierigkeiten im Rahmen der gegenwärtigen gesetzlichen Situation darzulegen. Im Kampf um die rechtliche Klarstellung der Solidargemeinschaften haben sich Mitstreiter gefunden, bei denen vielleicht mancher eher ein klar geregeltes staatliches Versorgungssystem erwartet hätte.
Über die Anthroposophie, das Judentum und Israel
Die Anthroposophie setzt beim anthropos an. Der Mensch steht in ihrem Zentrum – und im Zentrum des Menschen sein Ich. So einzigartig dieses ist, so einzigartig können auch die Haltungen jener Individuen sein, die sich mit Rudolf Steiners Werk und seinem geistigen Erbe – bald hundert Jahre nach seinem Ableben – befassen. Das Ich, schreibt Steiner, lebt in der Seele; diese vermittelt ihm über die Sinneswahrnehmung die äußere Welt. Wahrnehmungen sind aber in ihrer seelischen Verarbeitung auch von kollektiven Konventionen geprägt. Die Individualpsychologie ist kein hermetisches Revier, ebensowenig wie die Prägung des individuellen Umgangs mit Spiritualität. An ihren Rändern bestehen fließende Übergänge zur Sozialpsychologie, zur Meinungsbildung und zum Verhaltensstil von Kollektiven. So entstehen persönliche Bezüge zur Anthroposophie, die von in einer Gemeinschaft gängigen Haltungen und kulturellen Konventionen beeinflusst und gestaltet sind.
Wer war der unbekannte Dionysius?
Welche Stellung haben die Schriften des Dionysius Areopagita innerhalb der Anthroposophie? Gab es eine historisch nicht nachweisbare Mysterienschule, durch die die Hierarchienlehre des Dionysius Hunderte von Jahren mündlich weitergegeben wurde, bevor sie ein Schüler schriftlich niedergelegt hat? Michiel ter Horst, der Übersetzer dieser Schriften ins Niederländische, geht im vorliegenden Beitrag diesen Fragen nach und kommt zu einer interessanten Lösung.
Im 6. Jahrhundert n. Chr. wurde ein Schriftwerkveröffentlicht, dessen Verfasser den Namen ›Dionysius Areopagita‹ verwendete. Der tatsächliche Autor der Werke ist trotz zahlreicher Untersuchungen unbekannt geblieben. Ihr Verfasser identifizierte sich intensiv mit dem biblischen Dionysius – jenem Dionysius also, der laut der Apostelgeschichte mit großer Hingabe der berühmten Rede des Paulus über den unbekannten Gott zuhörte, sich durch ihn taufen ließ und ihm nachfolgte. Er identifizierte sich sogar so sehr mit der Zeit des Paulus, dass er behauptete, die Sonnenfinsternis zur Zeit von Christi Kreuzigungstod gesehen zu haben und mit Paulus und den anderen Aposteln bei der »Entschlafung Mariens« anwesend gewesen zu sein. Und in Anlehnung an die vierzehn Paulusbriefe verfasste der Autor Dionysius seine Abhandlungen ebenfalls in Form von vierzehn an die Zeitgenossen des Paulus gerichtete Briefen.
In der letzten Reihe des Deutschkurses der 12. Klasse sitzt eine Schülerin, die sich grundsätzlich am Unterricht nicht beteiligt, immer gelangweilt und abwesend wirkt, desinteressiert und überfordert. Die Klassenarbeit fällt unterdurchschnittlich aus. Es ist ganz deutlich: Diese Schülerin kann mit Gedichten nichts anfangen, sie sitzt hier in der falschen Veranstaltung. Dann kommt der letzte Tag der Unterrichtseinheit, ich verabschiede mich vom Kurs (es war während meines Referendariats an einem Gymnasium), alle gehen hinaus, da steht plötzlich diese Schülerin vor mir. Sie fragt mich etwas zögerlich: »Sie mögen doch Gedichte?« Das muss ich nicht mehr extra bestätigen, und dann fährt sie fort: »Ich hab’ da was für Sie – können Sie da mal hineinschauen?« Sie übergibt mir eine Mappe und es stellt sich heraus, dass sie Gedichte enthält – von ihr selbst geschrieben. Ich bedanke mich und verspreche, mich bald wieder zu melden.
Welche Bedingungen benötigt ein zeitgemäßes Mysterienwesen? (2. Teil)
Der in drei Klassen gegliederte Hochschulorganismus, deren Einrichtung Rudolf Steiner mit der Weihnachtstagung 1923 in Angriff nahm, sollte eine irdische Erscheinungsform der übersinnlichen Michaelschule werden und die verschiedenen Lebenszweige impulsieren. Welche Konsequenzen hat es für die Gegenwart, dass dieser Einrichtungsprozess nur bis zum 1. Abschnitt der ersten Klasse durchgeführt werden konnte? Und was bedeutete dies für die Menschen, die diese Tragik unmittelbar miterlebt haben?
Eine tiefe Wahrheit unserer Zeit hat mit dem Ereignis zu tun, von dem Rudolf Steiner sagte, es sei das wichtigste für die gegenwärtige Menschheit. Wenn sie es verschlafen würde, müsste sie sehr, sehr lange warten, bis es wieder eintreten könnte -eine ganze Menschheitsentwicklung lang! Dieses Ereignis ist das Wiedererscheinen des Christus in der ätherischen Welt. Zu Beginn der Offenbarung des Johannes wird dieses Ereignis bereits angekündigt: »Siehe, er kommt mit den Wolken, und schauen wird ihn jedes Auge, auch alle, die ihn durchstochen haben; und wehklagen werden um ihn alle Geschlechter auf Erden. Ja, Amen. Ich bin das Alpha und das Omega, Urbeginn und Ziel, spricht Gott der Herr der ist und der war und der kommt, der Alldurchwalter.« (Offb 1,7f.)
Die ein Jahrhundert lang gepflegten zahlreichen Reflexionen zur Weihnachtstagung, die in so manchen Interessierten eher Widerwillen als Interesse hervorgerufen haben, beginnen meist mit dem angenommenen »Höhepunkt« dieser Tagung: mit der viel gepriesenen »Grundsteinlegung«. Ich selbst gehöre zu diesen Widerwilligen; die veröffentlichten Schriften und Aussagen dazu erinnerten mich allzu sehr an die inhaltsleeren Partei-Reden in der DDR, die ich einen Großteil meiner Jugend über mich hatte ergehen lassen müssen. Wie eine Ansammlung von leeren, nichtssagenden Worten erschienen mir die Berichte und Darstellungen der Weihnachtstagung, die mit Vehemenz vorgetragen wurden. Erst als ich entdeckte, dass der am 25. Dezember 1923 einsetzenden Grundsteinlegung ein Eröffnungsvortrag am 24. Dezember voran gegangen war, und ich in diesem die geistig-seelische Grundlegung der darauffolgenden Ereignisse erkennen durfte, begann sich mein Interesse für die Weihnachtstagung zu regen.
Hegels Christusbegriff
Als Hegel mit 18 Jahren in das Tübinger Stift eintrat, um dort Theologie zu studieren, begann er bald, mit dem dort gelehrten Protestantismus zu hadern. Es war die Rede von der Theologie als einem hundertköpfigen Ungeheuer, das aus jedem Rachen Feuer speit, und der obligatorischen Sonntagspredigt wurde vielfach mit entschiedener Gleichgültigkeit begegnet.1 Gemeinsam mit Hölderlin und Schelling bewohnte er zeitweise ein Zimmer, und zusammen formulierten sie ihr Ideal einer »unsichtbaren Kirche«2. Die Französische Revolution war Vorbild und eine willkommene Gelegenheit, Freiheit in den Mittelpunkt allen Strebens zu stellen. Hegels Jugendschriften beinhalten noch eine Auseinandersetzung mit Theologie und Christentum, die dann in seinen Hauptwerken, der ›Phänomenologie des Geistes‹, der ›Wissenschaft der Logik‹ und der ›Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften‹ zurücktritt. Immer wieder betont Hegel, dass Philosophie und Religion denselben Inhalt haben, die Religion sich diesem jedoch mehr mit schlichten Vorstellungen des Glaubens, die Philosophie dagegen mit dem begreifenden Denken, das allein Freiheit ermöglicht, nähere. Das Ziel von Hegels Philosophieren ist der absolute Geist, und dieser wiederum ist Inhalt der wahrhaften, geoffenbarten Religion. Im reinen Wissen offenbart sich der Geist als Geist, dem Wesen einer absoluten Religion entsprechend. Hegel geht in diesem Zusammenhang auch auf die verschiedenen Manifestationen des Religiösen in der Kulturgeschichte der Menschheit ein, eine tiefere Auseinandersetzung mit dem realen Wirken des Christus findet sich dann in seinen ›Vorlesungen über die Philosophie der Religion‹, die er erstmals 1821 und dann erneut 1824, 1827 und in seinem Todesjahr 1831 in Berlin hielt.
Rudolf Steiner, Hegel und die Theosophische Gesellschaft
Als Rudolf Steiner 1897 in dem von ihm redigierten ›Magazin für Litteratur‹ einen Aufsatz über die Theosophen, bzw. über die Repräsentanten der 1875 in New York von Helena P. Blavatsky und Henry Steel Olcott gegründeten Theosophischen Gesellschaft schrieb, hätte keiner der Leser gedacht, dass Steiner wenige Jahre später selbst Mitglied dieser Gesellschaft werden würde. Die Theosophen, so heißt es darin, sähen mit Achselzucken auf die ganze europäische Wissenschaft herab und belächelten deren Verstandes- und Vernunftmäßigkeit. In harten, durchaus polemischen Sätzen fällt Steiner ein geradezu vernichtendes Urteil: »[D]ie Zahl derer, die sich lieber dem dunklen Gerede vom Erleben der Gottheit im Innern zuwenden als der klaren, lichten, begrifflichen Erkenntnis des Abendlandes ist nicht gering.« Steiner beschließt den Aufsatz mit einem Plädoyer für die freie, auf Vernunft und Beobachtung sich stützende Wissenschaft der Neuzeit und gegen trübe Geisterlebnisse.
Lebensbedingungen der Menschenwürde – II. Teil
Im ersten Teil dieser Betrachtung (vgl. die Drei 6/2019) wurde die Frage gestellt, was notwendig ist, um den goldenen Maßstab der Menschenwürde europäisch zu fassen. Dabei wurde an ein Bild des Philosophen Jürgen Habermas angeknüpft, der das Verhältnis von Wissenschaft, Kunst und Religion (bzw. Ethik) mit einem Mobile vergleicht, das sich ineinander verhakt hat. Wenn man dieses Bild auf das gesellschaftliche Ganze überträgt, stellt sich die Frage, wie Wirtschaft, Recht und Kultur in ein freies Spiel zueinander finden können – und ob zu diesem Zweck die Europäische Union neu verfasst werden muss.
Zur Dreigliederung bei Mensch, Tier und in der Kulturgeschichte Ägyptens
Betrachtet man das menschliche Skelett, seine Formen und die Gestalt der einzelnen Knochen, so trifft man auf bemerkenswerte Verhältnisse. Einerseits finden sich flache Knochen, welche eine sphärische Gestalt zeigen, also kugelartige Formen oder Segmente von Kugeln. Am deutlichsten ist dieses Gestaltelement am Gehirnschädel ausgebildet, welcher aus zahlreichen Knochen besteht, die unbeweglich miteinander verwachsen sind und zusammen eine Kugelform bilden. Aber auch Becken und Schulterblätter bestehen aus flachen Knochen, welche Kugelsegmenten ähneln. Andererseits finden sich stangenförmige, axial gestreckte Knochen, die durch Gelenke beweglich miteinander in Verbindung stehen. Diese Röhrenknochen bilden die Gliedmaßen. Sie strahlen in die Peripherie aus, wobei mit zunehmender Distanz vom Zentrum die Anzahl ihrer Strahlen von eins auf fünf zunimmt. Allein schon durch diese Formgebung zeigen sich hier echte Polaritäten, wie man sie zeichnerisch beispielsweise als Kugel und Linie bzw. Kreis und Radius festhalten kann.
Betrachtungen zur Menschenähnlichkeit
Die vier Stufen der christlich-mystischen Meditation
»Meditation« ist heute weltweit zu einem Schlagwort geworden, unter dem sich die meisten Menschen etwas vorstellen, das im östlichen Buddhismus seinen Ursprung hat. Dass es aber ebenso in der westlichen Tradition, insbesondere im christlichen Mittelalter bereits sehr differenzierte Meditationsanweisungen und Methoden gegeben hat, ist nur wenigen Menschen bekannt. Der folgende Beitrag soll einen Einblick in eine sehr gut dokumentierte Meditationsweise geben, die in ihrem vierstufigen Aufbau eine deutliche Verwandtschaft zu den ›Stufen der höheren Erkenntnis‹ Rudolf Steiners zeigt.
Ein Blick auf Rudolf Steiners Wirken in den Jahren 1917/18
2019 werden viele anthroposophische Einrichtungen die 100-Jahr-Feier des Impulses der Dreigliederung des sozialen Organismus begehen. Dessen spirituelle Grundlagen werden vermutlich kaum beachtet. Dabei beruht dieser Impuls darauf, dass eine genügend große Anzahl von Menschen ein Denken entwickelt, durch das eine konkrete, individuelle Beziehung zum Geist hergestellt wird. Von 1917 an hat Rudolf Steiner seinen Schülern mit großem Ernst verdeutlicht, was eintreten muss, wenn zu wenige Menschen ein solches geist-offenes Denken entwickeln können. Darauf lenkt der folgende Artikel den Blick.
Ein neues Experiment zu Goethes Farbenlehre
Betrachtungen zu Sinnesatmung und Lichtseelenprozess
Wenn wir in der Verfassung unseres modernen Alltagsbewusstseins einen Gegenstand wahrnehmen, z.B. einen Stein ansehen, dann erleben wir diesen draußen, »gegenständlich«, mit uns unverbunden. Der Sinnesprozess selbst haftet am Gegenstand, bannt diesen und ist zugleich in sich vereinzelt, nur sehend, isoliert. Wir grenzen uns auf diese Weise von der Welt ab, was, wie sich bei genauem Hinschauen zeigt, einen Kraftaufwand erfordert. Zunächst agiert hier der Doppelgänger in uns, und die Abgrenzung vollzieht sich aus einer Angst heraus. Wir können uns jedoch auch aus freiem Willen dazu entschließen, diese Basisstufe des Wahrnehmens bewusst zu betreten. Dann kann sie zum Ausgangspunkt und Sprungbrett eines vom Ich geführten Übweges zur Beseelung der Sinnesvorgänge werden.
Welche Bedingungen benötigt ein zeitgemäßes Mysterienwesen?
Das Goetheanum ist eine Esoterische Hochschule, die als geistige Realität existiert. Die auf der Weihnachtstagung 1923 neu konstituierte Anthroposophische Gesellschaft hatte das Ziel, dieser geistigen Realität einen irdischen Boden zu verschaffen. Sie sollte zur Seele dieser Gesellschaft werden. Der folgende Artikel versucht, ein Bild dieses in drei Klassen gegliederten esoterischen Hochschulorganismus zu entwerfen. Die große Zukunftsfrage wird sein, wie dieser geistige Organismus in einer irdischen Gesellschaft, wie es die Anthroposophische Gesellschaft sein will, zur Erscheinung gebracht werden kann.
und die sechs Eigenschaften der Übung »Ich denke die Rede«
Viel wird vom Herzen geschrieben, vom Herzen gesprochen. Gerade weil das Herz weit mehr ist als das, was wir als physisches Organ in uns tragen, sprechen wir von ihm. Es ist auch viel mehr als das, was wir in unserer Mitte als Quell und Schale erleben können. Ätherisch betrachtet ist es so groß wie der ganze Organismus des Blutkreislaufes. Geistig gesehen ist das Herz die Schwelle in uns. Bereits physiologisch tritt diese Tatsache dadurch in Erscheinung, dass sich im Herzen der Lungenblutkreislauf und der Blutkreislauf des übrigen Organismus begegnen. Der eine Blutkreislauf kommt aus der Weite der Lunge – würde man dieses Organ entfalten, hätte es eine Fläche von 80 bis 100 m² –, der andere Blutkreislauf kommt zurück aus unserem Handlungs-, unserem Tätigkeitsmenschen. Der eine empfängt – physiologisch betrachtet – Sauerstoff, der andere schafft und wirkt in die Welt hinein. (Mit »Welt« meine ich nicht nur unsere sichtbare Welt, sondern Welt überhaupt, auch die Gedankenwelt, oder die Welt der seelischen Tätigkeit.)
Zur Wandlung von Wille, Widerstand und Wirklichkeitserleben auf dem imaginativen Erkenntnisweg
Der anthroposophische Schulungsweg wird von Rudolf Steiner als ein dreistufiger Weg beschrieben, als Erscheinen einer neuen Wirklichkeit zunächst in den Bildern der Imagination, die sich dann in der Inspiration in ihrer Bedeutung zu erhellen und auszusprechen beginnen und zuletzt in der Intuition zur Begegnung mit bestimmten, sehr verschieden gearteten Wesen und ihren Intentionen führt. Diese drei Stufen erweisen sich jedoch nicht unbedingt als ein Nacheinander, sondern ebenso als ein Ineinander. Schon bei der ersten Stufe der Imagination zeigt sich, wie diese eine Dreifaltigkeit ist, indem auch Inspiration und Intuition in einer bestimmten Form in sie hineinwirken.