Biografische Spuren Georg Trakls
Georg Trakl (1887-1914), der von vielen als der größte deutschsprachige Lyriker seiner Generation angesehen wird, ging be täubt durch sein kurzes Erdenleben. Er sei nur halb geboren. In der Kindheit und Jugend habe von seiner Umgebung nur das Wasser einen Eindruck auf ihn gemacht Solche Äußerungen von ihm sind überliefert. Die Welt und vor allem sich selbst ertrug er nur betäubt durch starke Rauschmittel. Heruntergedämpft war sein Denken, gelähmt sein Wollen. Sein Fühlen entfaltete sich wie eine große, dunkle Blüte. Eine blaue Blume.
Zur Praxis der Solidargemeinschaften im Gesundheitswesen
Unser durchkommerzialisiertes Gesundheitssystem untergräbt sowohl das eigenverantwortliche Handeln der Betroffenen als auch die Ausbildung eines konkreten solidarischen Bewusstseins. Doch es gibt Alternativen: die Solidargemeinschaften. Die Redaktion hat die Samarita gebeten, ihr Anliegen zu skizzieren aber auch die Schwierigkeiten im Rahmen der gegenwärtigen gesetzlichen Situation darzulegen. Im Kampf um die rechtliche Klarstellung der Solidargemeinschaften haben sich Mitstreiter gefunden, bei denen vielleicht mancher eher ein klar geregeltes staatliches Versorgungssystem erwartet hätte.
Über die Anthroposophie, das Judentum und Israel
Die Anthroposophie setzt beim anthropos an. Der Mensch steht in ihrem Zentrum – und im Zentrum des Menschen sein Ich. So einzigartig dieses ist, so einzigartig können auch die Haltungen jener Individuen sein, die sich mit Rudolf Steiners Werk und seinem geistigen Erbe – bald hundert Jahre nach seinem Ableben – befassen. Das Ich, schreibt Steiner, lebt in der Seele; diese vermittelt ihm über die Sinneswahrnehmung die äußere Welt. Wahrnehmungen sind aber in ihrer seelischen Verarbeitung auch von kollektiven Konventionen geprägt. Die Individualpsychologie ist kein hermetisches Revier, ebensowenig wie die Prägung des individuellen Umgangs mit Spiritualität. An ihren Rändern bestehen fließende Übergänge zur Sozialpsychologie, zur Meinungsbildung und zum Verhaltensstil von Kollektiven. So entstehen persönliche Bezüge zur Anthroposophie, die von in einer Gemeinschaft gängigen Haltungen und kulturellen Konventionen beeinflusst und gestaltet sind.
Wer war der unbekannte Dionysius?
Welche Stellung haben die Schriften des Dionysius Areopagita innerhalb der Anthroposophie? Gab es eine historisch nicht nachweisbare Mysterienschule, durch die die Hierarchienlehre des Dionysius Hunderte von Jahren mündlich weitergegeben wurde, bevor sie ein Schüler schriftlich niedergelegt hat? Michiel ter Horst, der Übersetzer dieser Schriften ins Niederländische, geht im vorliegenden Beitrag diesen Fragen nach und kommt zu einer interessanten Lösung.
Im 6. Jahrhundert n. Chr. wurde ein Schriftwerkveröffentlicht, dessen Verfasser den Namen ›Dionysius Areopagita‹ verwendete. Der tatsächliche Autor der Werke ist trotz zahlreicher Untersuchungen unbekannt geblieben. Ihr Verfasser identifizierte sich intensiv mit dem biblischen Dionysius – jenem Dionysius also, der laut der Apostelgeschichte mit großer Hingabe der berühmten Rede des Paulus über den unbekannten Gott zuhörte, sich durch ihn taufen ließ und ihm nachfolgte. Er identifizierte sich sogar so sehr mit der Zeit des Paulus, dass er behauptete, die Sonnenfinsternis zur Zeit von Christi Kreuzigungstod gesehen zu haben und mit Paulus und den anderen Aposteln bei der »Entschlafung Mariens« anwesend gewesen zu sein. Und in Anlehnung an die vierzehn Paulusbriefe verfasste der Autor Dionysius seine Abhandlungen ebenfalls in Form von vierzehn an die Zeitgenossen des Paulus gerichtete Briefen.
In der letzten Reihe des Deutschkurses der 12. Klasse sitzt eine Schülerin, die sich grundsätzlich am Unterricht nicht beteiligt, immer gelangweilt und abwesend wirkt, desinteressiert und überfordert. Die Klassenarbeit fällt unterdurchschnittlich aus. Es ist ganz deutlich: Diese Schülerin kann mit Gedichten nichts anfangen, sie sitzt hier in der falschen Veranstaltung. Dann kommt der letzte Tag der Unterrichtseinheit, ich verabschiede mich vom Kurs (es war während meines Referendariats an einem Gymnasium), alle gehen hinaus, da steht plötzlich diese Schülerin vor mir. Sie fragt mich etwas zögerlich: »Sie mögen doch Gedichte?« Das muss ich nicht mehr extra bestätigen, und dann fährt sie fort: »Ich hab’ da was für Sie – können Sie da mal hineinschauen?« Sie übergibt mir eine Mappe und es stellt sich heraus, dass sie Gedichte enthält – von ihr selbst geschrieben. Ich bedanke mich und verspreche, mich bald wieder zu melden.
Welche Bedingungen benötigt ein zeitgemäßes Mysterienwesen? (2. Teil)
Der in drei Klassen gegliederte Hochschulorganismus, deren Einrichtung Rudolf Steiner mit der Weihnachtstagung 1923 in Angriff nahm, sollte eine irdische Erscheinungsform der übersinnlichen Michaelschule werden und die verschiedenen Lebenszweige impulsieren. Welche Konsequenzen hat es für die Gegenwart, dass dieser Einrichtungsprozess nur bis zum 1. Abschnitt der ersten Klasse durchgeführt werden konnte? Und was bedeutete dies für die Menschen, die diese Tragik unmittelbar miterlebt haben?
Eine tiefe Wahrheit unserer Zeit hat mit dem Ereignis zu tun, von dem Rudolf Steiner sagte, es sei das wichtigste für die gegenwärtige Menschheit. Wenn sie es verschlafen würde, müsste sie sehr, sehr lange warten, bis es wieder eintreten könnte -eine ganze Menschheitsentwicklung lang! Dieses Ereignis ist das Wiedererscheinen des Christus in der ätherischen Welt. Zu Beginn der Offenbarung des Johannes wird dieses Ereignis bereits angekündigt: »Siehe, er kommt mit den Wolken, und schauen wird ihn jedes Auge, auch alle, die ihn durchstochen haben; und wehklagen werden um ihn alle Geschlechter auf Erden. Ja, Amen. Ich bin das Alpha und das Omega, Urbeginn und Ziel, spricht Gott der Herr der ist und der war und der kommt, der Alldurchwalter.« (Offb 1,7f.)
Die ein Jahrhundert lang gepflegten zahlreichen Reflexionen zur Weihnachtstagung, die in so manchen Interessierten eher Widerwillen als Interesse hervorgerufen haben, beginnen meist mit dem angenommenen »Höhepunkt« dieser Tagung: mit der viel gepriesenen »Grundsteinlegung«. Ich selbst gehöre zu diesen Widerwilligen; die veröffentlichten Schriften und Aussagen dazu erinnerten mich allzu sehr an die inhaltsleeren Partei-Reden in der DDR, die ich einen Großteil meiner Jugend über mich hatte ergehen lassen müssen. Wie eine Ansammlung von leeren, nichtssagenden Worten erschienen mir die Berichte und Darstellungen der Weihnachtstagung, die mit Vehemenz vorgetragen wurden. Erst als ich entdeckte, dass der am 25. Dezember 1923 einsetzenden Grundsteinlegung ein Eröffnungsvortrag am 24. Dezember voran gegangen war, und ich in diesem die geistig-seelische Grundlegung der darauffolgenden Ereignisse erkennen durfte, begann sich mein Interesse für die Weihnachtstagung zu regen.
Hegels Christusbegriff
Als Hegel mit 18 Jahren in das Tübinger Stift eintrat, um dort Theologie zu studieren, begann er bald, mit dem dort gelehrten Protestantismus zu hadern. Es war die Rede von der Theologie als einem hundertköpfigen Ungeheuer, das aus jedem Rachen Feuer speit, und der obligatorischen Sonntagspredigt wurde vielfach mit entschiedener Gleichgültigkeit begegnet.1 Gemeinsam mit Hölderlin und Schelling bewohnte er zeitweise ein Zimmer, und zusammen formulierten sie ihr Ideal einer »unsichtbaren Kirche«2. Die Französische Revolution war Vorbild und eine willkommene Gelegenheit, Freiheit in den Mittelpunkt allen Strebens zu stellen. Hegels Jugendschriften beinhalten noch eine Auseinandersetzung mit Theologie und Christentum, die dann in seinen Hauptwerken, der ›Phänomenologie des Geistes‹, der ›Wissenschaft der Logik‹ und der ›Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften‹ zurücktritt. Immer wieder betont Hegel, dass Philosophie und Religion denselben Inhalt haben, die Religion sich diesem jedoch mehr mit schlichten Vorstellungen des Glaubens, die Philosophie dagegen mit dem begreifenden Denken, das allein Freiheit ermöglicht, nähere. Das Ziel von Hegels Philosophieren ist der absolute Geist, und dieser wiederum ist Inhalt der wahrhaften, geoffenbarten Religion. Im reinen Wissen offenbart sich der Geist als Geist, dem Wesen einer absoluten Religion entsprechend. Hegel geht in diesem Zusammenhang auch auf die verschiedenen Manifestationen des Religiösen in der Kulturgeschichte der Menschheit ein, eine tiefere Auseinandersetzung mit dem realen Wirken des Christus findet sich dann in seinen ›Vorlesungen über die Philosophie der Religion‹, die er erstmals 1821 und dann erneut 1824, 1827 und in seinem Todesjahr 1831 in Berlin hielt.
Rudolf Steiner, Hegel und die Theosophische Gesellschaft
Als Rudolf Steiner 1897 in dem von ihm redigierten ›Magazin für Litteratur‹ einen Aufsatz über die Theosophen, bzw. über die Repräsentanten der 1875 in New York von Helena P. Blavatsky und Henry Steel Olcott gegründeten Theosophischen Gesellschaft schrieb, hätte keiner der Leser gedacht, dass Steiner wenige Jahre später selbst Mitglied dieser Gesellschaft werden würde. Die Theosophen, so heißt es darin, sähen mit Achselzucken auf die ganze europäische Wissenschaft herab und belächelten deren Verstandes- und Vernunftmäßigkeit. In harten, durchaus polemischen Sätzen fällt Steiner ein geradezu vernichtendes Urteil: »[D]ie Zahl derer, die sich lieber dem dunklen Gerede vom Erleben der Gottheit im Innern zuwenden als der klaren, lichten, begrifflichen Erkenntnis des Abendlandes ist nicht gering.« Steiner beschließt den Aufsatz mit einem Plädoyer für die freie, auf Vernunft und Beobachtung sich stützende Wissenschaft der Neuzeit und gegen trübe Geisterlebnisse.
Lebensbedingungen der Menschenwürde – II. Teil
Im ersten Teil dieser Betrachtung (vgl. die Drei 6/2019) wurde die Frage gestellt, was notwendig ist, um den goldenen Maßstab der Menschenwürde europäisch zu fassen. Dabei wurde an ein Bild des Philosophen Jürgen Habermas angeknüpft, der das Verhältnis von Wissenschaft, Kunst und Religion (bzw. Ethik) mit einem Mobile vergleicht, das sich ineinander verhakt hat. Wenn man dieses Bild auf das gesellschaftliche Ganze überträgt, stellt sich die Frage, wie Wirtschaft, Recht und Kultur in ein freies Spiel zueinander finden können – und ob zu diesem Zweck die Europäische Union neu verfasst werden muss.
Zur Dreigliederung bei Mensch, Tier und in der Kulturgeschichte Ägyptens
Betrachtet man das menschliche Skelett, seine Formen und die Gestalt der einzelnen Knochen, so trifft man auf bemerkenswerte Verhältnisse. Einerseits finden sich flache Knochen, welche eine sphärische Gestalt zeigen, also kugelartige Formen oder Segmente von Kugeln. Am deutlichsten ist dieses Gestaltelement am Gehirnschädel ausgebildet, welcher aus zahlreichen Knochen besteht, die unbeweglich miteinander verwachsen sind und zusammen eine Kugelform bilden. Aber auch Becken und Schulterblätter bestehen aus flachen Knochen, welche Kugelsegmenten ähneln. Andererseits finden sich stangenförmige, axial gestreckte Knochen, die durch Gelenke beweglich miteinander in Verbindung stehen. Diese Röhrenknochen bilden die Gliedmaßen. Sie strahlen in die Peripherie aus, wobei mit zunehmender Distanz vom Zentrum die Anzahl ihrer Strahlen von eins auf fünf zunimmt. Allein schon durch diese Formgebung zeigen sich hier echte Polaritäten, wie man sie zeichnerisch beispielsweise als Kugel und Linie bzw. Kreis und Radius festhalten kann.
Betrachtungen zur Menschenähnlichkeit
Die vier Stufen der christlich-mystischen Meditation
»Meditation« ist heute weltweit zu einem Schlagwort geworden, unter dem sich die meisten Menschen etwas vorstellen, das im östlichen Buddhismus seinen Ursprung hat. Dass es aber ebenso in der westlichen Tradition, insbesondere im christlichen Mittelalter bereits sehr differenzierte Meditationsanweisungen und Methoden gegeben hat, ist nur wenigen Menschen bekannt. Der folgende Beitrag soll einen Einblick in eine sehr gut dokumentierte Meditationsweise geben, die in ihrem vierstufigen Aufbau eine deutliche Verwandtschaft zu den ›Stufen der höheren Erkenntnis‹ Rudolf Steiners zeigt.
Ein Blick auf Rudolf Steiners Wirken in den Jahren 1917/18
2019 werden viele anthroposophische Einrichtungen die 100-Jahr-Feier des Impulses der Dreigliederung des sozialen Organismus begehen. Dessen spirituelle Grundlagen werden vermutlich kaum beachtet. Dabei beruht dieser Impuls darauf, dass eine genügend große Anzahl von Menschen ein Denken entwickelt, durch das eine konkrete, individuelle Beziehung zum Geist hergestellt wird. Von 1917 an hat Rudolf Steiner seinen Schülern mit großem Ernst verdeutlicht, was eintreten muss, wenn zu wenige Menschen ein solches geist-offenes Denken entwickeln können. Darauf lenkt der folgende Artikel den Blick.
Ein neues Experiment zu Goethes Farbenlehre
Betrachtungen zu Sinnesatmung und Lichtseelenprozess
Wenn wir in der Verfassung unseres modernen Alltagsbewusstseins einen Gegenstand wahrnehmen, z.B. einen Stein ansehen, dann erleben wir diesen draußen, »gegenständlich«, mit uns unverbunden. Der Sinnesprozess selbst haftet am Gegenstand, bannt diesen und ist zugleich in sich vereinzelt, nur sehend, isoliert. Wir grenzen uns auf diese Weise von der Welt ab, was, wie sich bei genauem Hinschauen zeigt, einen Kraftaufwand erfordert. Zunächst agiert hier der Doppelgänger in uns, und die Abgrenzung vollzieht sich aus einer Angst heraus. Wir können uns jedoch auch aus freiem Willen dazu entschließen, diese Basisstufe des Wahrnehmens bewusst zu betreten. Dann kann sie zum Ausgangspunkt und Sprungbrett eines vom Ich geführten Übweges zur Beseelung der Sinnesvorgänge werden.
Welche Bedingungen benötigt ein zeitgemäßes Mysterienwesen?
Das Goetheanum ist eine Esoterische Hochschule, die als geistige Realität existiert. Die auf der Weihnachtstagung 1923 neu konstituierte Anthroposophische Gesellschaft hatte das Ziel, dieser geistigen Realität einen irdischen Boden zu verschaffen. Sie sollte zur Seele dieser Gesellschaft werden. Der folgende Artikel versucht, ein Bild dieses in drei Klassen gegliederten esoterischen Hochschulorganismus zu entwerfen. Die große Zukunftsfrage wird sein, wie dieser geistige Organismus in einer irdischen Gesellschaft, wie es die Anthroposophische Gesellschaft sein will, zur Erscheinung gebracht werden kann.
und die sechs Eigenschaften der Übung »Ich denke die Rede«
Viel wird vom Herzen geschrieben, vom Herzen gesprochen. Gerade weil das Herz weit mehr ist als das, was wir als physisches Organ in uns tragen, sprechen wir von ihm. Es ist auch viel mehr als das, was wir in unserer Mitte als Quell und Schale erleben können. Ätherisch betrachtet ist es so groß wie der ganze Organismus des Blutkreislaufes. Geistig gesehen ist das Herz die Schwelle in uns. Bereits physiologisch tritt diese Tatsache dadurch in Erscheinung, dass sich im Herzen der Lungenblutkreislauf und der Blutkreislauf des übrigen Organismus begegnen. Der eine Blutkreislauf kommt aus der Weite der Lunge – würde man dieses Organ entfalten, hätte es eine Fläche von 80 bis 100 m² –, der andere Blutkreislauf kommt zurück aus unserem Handlungs-, unserem Tätigkeitsmenschen. Der eine empfängt – physiologisch betrachtet – Sauerstoff, der andere schafft und wirkt in die Welt hinein. (Mit »Welt« meine ich nicht nur unsere sichtbare Welt, sondern Welt überhaupt, auch die Gedankenwelt, oder die Welt der seelischen Tätigkeit.)
Zur Wandlung von Wille, Widerstand und Wirklichkeitserleben auf dem imaginativen Erkenntnisweg
Der anthroposophische Schulungsweg wird von Rudolf Steiner als ein dreistufiger Weg beschrieben, als Erscheinen einer neuen Wirklichkeit zunächst in den Bildern der Imagination, die sich dann in der Inspiration in ihrer Bedeutung zu erhellen und auszusprechen beginnen und zuletzt in der Intuition zur Begegnung mit bestimmten, sehr verschieden gearteten Wesen und ihren Intentionen führt. Diese drei Stufen erweisen sich jedoch nicht unbedingt als ein Nacheinander, sondern ebenso als ein Ineinander. Schon bei der ersten Stufe der Imagination zeigt sich, wie diese eine Dreifaltigkeit ist, indem auch Inspiration und Intuition in einer bestimmten Form in sie hineinwirken.
zu den Planetensäulen Rudolf Steiners
Die »Säulenworte« gehören zu den rätselhaftesten Dingen, die Rudolf Steiner hinterlassen hat. Auf zwei Zetteln aus dem Jahr 1911 oder 1912 sind Zeichnungen von Säulen, Kapitellen und Architraven zu sehen, wie sie später in den beiden Kuppelsälen des Goetheanum in Dornach gebaut worden sind. Die Kapitellformen des großen Kuppelsaales gleichen denen von Malsch und von Stuttgart. Als gezeichnete Säulen zierten sie allerdings bereits 1907 während des Münchner Kongresses die Wände des Saales. Offenbar hat Steiner die einmal entwickelten Formen stets beibehalten. Aber nur auf jenem Zettel ist in den Schaft jeder Säule der großen Kuppel jeweils ein Wort eingeschrieben: »DAS ES« - AN ES« - »IN ES« - »ICH« - »VOM ICH« - »AUS MIR« - »ICH INS ES«. Was sollen diese Worte besagen? Nirgends im gesamten Werk Rudolf Steiners scheint es einen Hinweis in Bezug auf diese Worte zu geben.
Die Frauenbewegung, das Matriarchat und ein neues Naturverhältnis
Ende des 19. Jahrhunderts, als die erste Frauenbewegung in Europa immer stärker anwuchs, wurde in der männlich dominierten Wissenschaft viel über die »Natur des Weibes« geschrieben: ob Weiber eine Seele hätten und überhaupt im vollen Sinne Menschen seien. Auch, ob die Frau im harten Berufsleben stehen will oder ob sie z.B. »ihrer natürlichen Veranlagung nach sich nicht zum praktischen juristischen Beruf eignet«. Rosa Mayreder (1858–1938) und Rudolf Steiner drehten den Spieß um: »Was die Frau ihrer Natur nach wollen kann, das überlasse man der Frau zu beurteilen. […] Sie [die Frauen] müssen es aber selbst entscheiden können, was ihrer Natur gemäß ist.« – »Man wird erst wissen, was die Frauen sind, wenn ihnen nicht mehr vorgeschrieben wird, was sie sein sollen.« Neben dem Kampf der Frauen um das Wahlrecht sowie die Zulassung zu Berufsausbildungen und Berufen musste damals auch eine Identitätsfindung beginnen. Immer mehr Frauen erwachten zu ihrer Individualität – basierend auf ihrem Geschlecht, aber nicht abhängig davon. Darin kann auch ein Impuls gesehen werden, der zum »Anbruch des Michael-Zeitalters« gehört, das laut Rudolf Steiner um 1879 begonnen hat und in dem die Menschen sich aus Gruppenhaftigkeit und biologischen Bestimmungen herauszulösen streben.
Eine Betrachtung des Bildes ›Merkur und Argus‹ von Peter Paul Rubens
Argos (lat. Argus), ein Riese der griechischen Mythologie, ist noch heute aufgrund seines scharfen Blickes im Volksmund lebendig. Weniger bekannt ist Io, die Tochter des Flussgottes Inachos, obwohl die hundert Argusaugen auf sie gerichtet waren. Interessant ist dieses Paar, weil es scheint, dass sich Io der erwachenden Gemütsseele zuwandte, während Argos diese durch seinen übersteigerten Sinnesprozess unterdrückte. Diese Polarisierung führte zu einer Blockade, die Hermes zu überwinden vermochte. Peter Paul Rubens zeigt uns in seinem großformatigen Gemälde ›Merkur und Argus‹ diese Schlüsselszene. In der hier vorgelegten Betrachtung wird ein faszinierendes Übereinstimmen von Inhalt und Form in diesem Bild vermutet. Die Vertiefung in das Kunstwerk kann zu einem erweiterten Erleben und Verstehen des Hermes-Mysteriums führen.
Die Dreigliederung des Sozialen Organismus als mögliche Alternative zur multipolaren (Un-)Ordnung
Irak. Libyen, die Ukraine, Syrien. Venezuela. Korea und wieder Libyen und wieder die Ukraine - immer enger folgen die Konflikte aufeinander, in denen sich die Interessen der die Welt beherrschenden westlichen Staaten - allen voran die der USA -mit denen Jener Staaten uberschneiden, welche diese E ominanz in frage stellen: Das ist das wiedeterstarkende Russland, das ist China, das entlang der »Neuen Seidenstiaße« üt*er Eurasien und Afrika in globale Dimensionen ausgreift, das sind aber auch Indien und der Iran souie eine Vielzahl kleinerer Staaten, die sich hinter ihnen versammeln. Doch neuer Nationalismus und die Missachtung nationaler Sou-\reränität lähmen sich in diesem Prozess gegenseitig. Die Notwendigkeit prinzipieller Veränderungen im Zusammenleben der Völker und der ihm zugrunde liegenden Ordnung, die es vom Diktat einer alles deformierenden Ökonomie und dem Gespenst Orwellscher Staatstealitäten befreien könnte - tritt immer drängender zutage. Die am weitesten reichende Perspektive liegt heute in einer Entflechtung des nationalen Einheitsstaates. Sie bringt die nach dem Ersten Weltkrieg aufgekommene Idee einer Dreigliederung des sozialen Organismus wieder in den Blick. Welche Botschaft enthält diese Idee für heute, nachdem bisherige Ansätze zur Überwindung der zerstörerischen Herrschaft des Kapitals nicht die ersehnten Ergebnisse gebracht haben?
»A gift« ist im Englischen ein Geschenk. Im Deutschen ist »Gift« eine krank machende oder tödliche Substanz. Die meisten Geschenke, die an Weihnachten ausgepackt werden, verdanken wir dem Denken. Dieses Denken ist selber ein Geschenk, das die Menschheit im Laufe der vergangenen Jahrtausende empfangen hat. Wie von der Sonne die Erde Licht und Leben empfängt, so haben wir das Denken empfangen, das erst mythische Bilder in die Seelen zauberte, wie das die Sonne am Morgen- und Abendhimmel tut – bis in Aristoteles die Sonnenstrahlen des Denkens die Erde erreichten und in sie eindrangen. Das »Lichtgeschenk« wurde zur Naturwissenschaft. In der Neuzeit mutierte diese dann aber zur »Wissenschaft schlechthin«, die für alle Erfahrungsbereiche des Menschen methodisch die Alleinherrschaft beansprucht. Wissenschaft wurde Ideologie, das »gift« wurde zum Gift, das heißt: zum totalitären Machtanspruch staatlich verwalteter Universitäten mit den entsprechenden sozialen Folgendes gelebten Materialismus.
Die Impulse zur Gründung der Christengemeinschaft
Der Beginn der Impulse, die zur Gründung der Christengemeinschaft führten, bestand in einer Frage. Eine richtig gestellte Frage trägt die Kraft ihrer Beantwortung in sich. Auf das Stellen solcher Fragen kommt es an, wenn sich etwas ändern soll in der Welt. In der Zeit vor rund 100 Jahren, als Rudolf Steiner jene Kurse und Vorträge über verschiedene Lebensgebiete hielt, die durch die Anthroposophie eine Erneuerung und Befruchtung erfuhren, wurden zahlreiche solcher Fragen gestellt.
Annäherungen an die deutsche Volksgeistigkeit zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys
Die Stadt Utrecht in Holland war im 7. Jahrhundert ein Zentrum der iroschottischen und später der angelsächsischen Mission. Der Heilige Willibrord wirkte hier und wurde der erste Bischof von Utrecht. Bonifatius, der Willibrord aus England kannte, lernte bei ihm, als er seine Missionstätigkeit auf dem Kontinent begann. Die Friesen nördlich und nordöstlich von Utrecht, die sich lange der Christianisierung widersetzten, wurden von hier aus missioniert. Bonifatius – damals noch unter seinem Geburtsnamen Winfried – begann 716 in Utrecht seine Missionstätigkeit und beendete sie auch dort. 754 fand er, der als Apostel der Deutschen verehrt wird, bei Dokkum in Friesland einen gewaltsamen Tod. In Utrecht traf ich auch vor einiger Zeit einen 90-jährigen ehemaligen Waldorflehrer, der die Überzeugung vertrat, dass man, ohne die Bonifatius-Geschichte und die Bedeutung der Iroschotten im 6., 7. und 8. Jahrhundert zu kennen, die Verehrung Adolf Hitlers, dessen Machtergreifung und das nationalsozialistischen Terrorregime nicht verstehen könne. Damit sprach er etwas aus, das in meiner Seele lebte, und ermöglichte mir, meine Gedanken zu diesem Thema darzustellen.
In ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?‹, seinem Grundlagenwerk für die geistige Schulung, spricht Rudolf Steiner im Kapitel über die »Ausbildung des Ätherleibes« von vier Eigenschaften, Tugenden oder Fähigkeiten, die »der Seele so einverleibt werden [müssen], daß sie innere Gewohnheiten begründen«: »Es ist die erste davon die Fähigkeit, in den Gedanken das Wahre von der Erscheinung zu scheiden, die Wahrheit von der bloßen Meinung. Die zweite Eigenschaft ist die richtige Schätzung des Wahren und Wirklichen gegenüber der Erscheinung. Die dritte Fähigkeit besteht in der […] Ausübung der sechs Eigenschaften: Gedankenkontrolle, Kontrolle der Handlungen, Beharrlichkeit, Duldsamkeit, Glaube und Gleichmut. Die vierte ist die Liebe zur inneren Freiheit.« Im Zusammenspiel mit den Meditations- und Konzentrationsübungen bilden diese Gewohnheiten den Ätherleib so aus, dass ein Mittelpunkt für seine Strömungen geschaffen wird, der sich allmählich – gemäß der Ausbildung der vier Eigenschaften oder Tugenden – vom Kopf über den Kehlkopf in die Herzgegend verlagert.
Dionysius Areopagita und die Anthroposophie II
Die Abhandlung über ›Die Himmlische Hierarchie‹ des Dionysius Areopagita enthält die erste systematische Beschreibung der Engel als eine dreigegliederte, in sich jeweils dreifache Ordnung. Für diese Ordnung prägte er ein neues griechisches Wort: Hierarchie – aus hieros (= heilig) und arché (= Ursprung, Prinzip, Leitungsprinzip, Leitung). Diese »Chöre der Engel« sollten später zahllose Ikonen, Kirchentüren, Kirchenfenster und Bibeln schmücken. Die griechischen Namen, die Dionysius für die Engelhierarchien gewählt hat, sind aber auch in mehr als 150 Bänden der Rudolf Steiner Gesamtausgabe zu finden. Und wenn wir bedenken, dass Steiner diese Namen außerdem in bildhafte deutsche Begriffe übersetzt hat und dass er wahlweise einfach nur von »Göttern« spricht, dann können wir sagen, dass die Engelhierarchien des Dionysius in fast jedem Band der Gesamtausgabe vorkommen.
Anthroposophische Bewegung und Bewegung für religiöse Erneuerung als die Pole des freien Geisteslebens
Die Gründung der Christengemeinschaft bezeichnete Rudolf Steiner als »wichtigstes Ereignis der anthroposophischen Geschichte«. Allerdings wusste er, dass dadurch die Gegner der anthroposophischen Bewegung noch weiter herausgefordert werden würden. Der vorliegende Artikel untersucht, wie die beiden großen Gegenimpulse der Verstandes- oder Gemütsseelenepoche mit den unterschiedlichen Aufgaben der Bewegung für religiöse Erneuerung und der anthroposophischen Bewegung in der Gegenwart zusammenhängen. Der Goetheanumbrand erscheint wie ein Bild dafür, dass diese Aufgabe noch nicht gelöst werden konnte.