Zu ›Unheimliches Tal / Uncanny Valley‹ von ›Rimini Protokoll‹
Sie sind dramatische Zeitzeugen: Das Theaterkollektiv ›Rimini Protokoll‹ ist mit seinen Aktionen immer am Puls der Zeit und an gesellschaftlichen Wundrändern zugange. Die aktuelle Performance, eine Uraufführung in den Münchner Kammerspielen, trifft thematisch wieder den kairós – den Augenblick, in dem Kunst der Realität begegnet. ›Unheimliches Tal / Uncanny Valley‹ heißt das Bühnenprogramm, in dem der einzige Darsteller durch einen Roboter vertreten wird. Zeitgleich wird weltweit die Sensation gefeiert, dass erstmals eine Maschine ein Bild »gemalt« hat. Dahinter steckt natürlich (noch) der Mensch, ebenfalls ein Künstlerkollektiv. Die französische Gruppe ›Obvious‹ hat den Algorithmus mit 15.000 Kopien klassischer Werke gefüttert – aus dieser Einspeisung wurde das Bild kreiert. Nun gilt es erstens als Original, und zweitens verfügt das selbstlernende Programm jetzt über die einverleibten Daten und könnte munter seine »Kreativität« weiterentwickeln. Werden wir also mit KI bald nicht mehr »künstliche«, sondern »künstlerische« Intelligenz meinen?
Eurythmie als ein Weg zu einem erweiterten Sprach- und Lautverständnis
Nach Jahren der toneurythmischen Dominanz auf der Bühne wächst derzeit wieder ein neues Interesse an der Sprache in der Eurythmie: Rechtzeitig zur Dornacher Eurythmietagung ›Sprach-Bewegung‹ zu Ostern 2018 (mit über 700 Teilnehmern aus über 40 Ländern) waren zwei neue Bücher zum Thema erschienen. Beide suchen und finden ihr Material in der Vergangenheit, in der Entstehungszeit der Eurythmie – es entwickeln sich daraus aber erstaunlich moderne und zeitgemäße Perspektiven für den Umgang mit eurythmischen Angaben.
Das kulturpessimistische Evolutionsverständnis des Yuval Noah Harari – Teil I
Yuval Noah Harari, 1976 in Israel geboren, hat 2002 in Oxford promoviert und lehrt an der ›Hebrew University of Jerusalem‹ Geschichte. Gleichzeitig war er Schüler des indischen Vipassana- Lehrers Satya Narayan Goenka (1924–2013), einem der einflussreichsten Lehrer dieser buddhistischen Meditationsform im Westen. Auf diesen Hintergrund Hararis – den er vor allem in ›Homo deus‹ sehr deutlich betont, indem er Goenka nicht nur sein Buch widmet, sondern ihm auch für den Unterricht in der Vipassana-Meditation als hauptsächliche Inspirationsquelle seiner Bücher dankt– und auf die hierin aufscheinende Problematik des Einklangs buddhistischer Meditation mit einem reduktionistisch-materialistischen Evolutionsverständnis sowie einen Kulturpessimismus, für die Harari nicht das einzige Beispiel ist, wird noch genauer einzugehen sein.
500 Jahre Melanchthons Antrittsrede in Wittenberg
Im Lutherjahr 2017 wurde viel über Martin Luther und den Thesenanschlag gesprochen, auch viel Unwesentliches. Denn es war ja nicht das Anschlagen der Thesen wichtig, sondern ihr Inhalt, der den Nerv der Zeit vor 500 Jahren traf. Über Philipp Melanchthon (1497–1560) jedoch sprach kaum einer. Wie so oft, auch während seines Lebens, stand er – der äußerlich zart, klein und unscheinbar war – im Schatten Luthers, obwohl ohne ihn die Reformation kaum möglich gewesen wäre.
Zur Begrifflichkeit des Kosmischen und des Irdischen im Landwirtschaftlichen Kurs
Rudolf Steiners Kurs für die Landwirte ist klar strukturiert: In den ersten drei Vorträgen werden die Grundbegriffe entwickelt und in den folgenden fünf die daraus hervorgehenden praktischen Anweisungen. So stellt Steiner zuerst den Grundbegriff der »Landwirtschaftlichen Individualität« vor und führt seine Zuhörer zum Erkennen der Einheitlichkeit, die den Erscheinungen der Natur zugrundeliegt. Daraus werden dann die Begriffe des »Kosmischen« und des »Irdischen« als »ABC« für das Verständnis des Pflanzenwachstums und der Organisation der Tiere entwickelt, wobei als Ausgangspunkt dieser Betrachtung gilt, dass »der Mensch zur Grundlage gemacht« wird. Der Landwirt soll derart im Buch der Natur lesen lernen, so dass ihm sein Betrieb als eine Ganzheit erfassbar wird, die er verständnis- und hingebungsvoll gestalten kann.
Sich als Mensch neu erfahren
Zu ›Adam’s Passion‹ von Robert Wilson und Arvo Pärt
›Adam’s Passion‹ heißt ein Musiktheater von Robert Wilson nach Werken von Arvo Pärt. Es wurde während der Karwoche 2018 im Berliner Konzerthaus dreimal aufgeführt. Die Uraufführung hatte drei Jahre vorher in Tallinn stattgefunden. Die musikalische Leitung hatte jeweils der estnische Dirigent Tonu Kaljuste. Auch die Schauspieler waren, bis auf die Kinder, dieselben. Von der Weltpremiere existiert ein Film, in dem die Bilder des von Wilson inszenierten Licht- und Bewegungstheaters im Vordergrund stehen. In Berlin war hingegen das Musikerlebnis stärker, obwohl Orchester und Chor verborgen blieben. Schon im September 2015 war die Filmaufnahme von ›Adam’s Passion‹ zusammen mit ›The Lost Paradise‹, einer Dokumentationen von Pärts Zusammenarbeit mit Wilson, im Wolff-Saal der Berliner Philharmonie gezeigt worden. An den beiden aufeinanderfolgenden Abenden war Wilson selbst anwesend und erzählte viel. So beruht dieser Bericht neben der Berliner Aufführung auch auf den genannten Filmen und Wilsons Erzählungen.
Der Nahe Osten zwischen den Weltkriegen – Teil I
Die Neuordnung des Nahen Ostens nach dem Ersten Weltkrieg war durch das Sykes-Picot-Abkommen sowie die Konferenz von San Remo nur insofern vorgenommen worden, als Frankreich und Großbritannien ihre Einflusszonen voneinander abgrenzten. Was innerhalb dieser Zonen geschah, musste erst noch geklärt werden. Der folgende Artikel betrachtet die Entstehung des Irak und (Trans-)Jordaniens.
Zur Geschichte eines Symbols an den Schwellen des Lebens
›Der letzte Granatapfel‹, ›Das Haus der Granatäpfel‹, ›Tausendundein Granatapfelkern‹, ›Granatapfel – Frucht der Götter‹: Solche Buchtitel aus den letzten Jahren zeigen, welche Faszinationskraft von dieser aus dem Vorderen Orient stammenden Frucht ausgeht. Auch dort ist sie schon immer mehr als nur ein selbstverständliches Lebensmittel. Es gibt wohl kaum eine Frucht, deren Symbolkraft im Hinblick auf das menschliche Leben sich so augenfällig an ihrer sinnlichen Erscheinung festmacht, an ihrer auffälligen Färbung, ihrer äußeren Form und inneren Struktur und nicht zuletzt an ihrem Geschmack und Duft. – An dieser Stelle gehe ich den Bedeutungen dieser Frucht in ihrem Ursprungsraum nach sowie ihren Transformationen ins christliche Europa.
Das Herzzerreißende der Dinge
Endlich wieder erhältlich
Eine Ausstellung in Bad Homburg
Holz. Behauenes Holz. Gehöhltes Holz. Eingeschnittenes Holz. Durchbrochenes Holz. Verkohltes Holz. In Bronze gegossenes Holz … Ort des Begegnung: Die Jakobshallen der Galerie Scheffel, mit der David Nash schon seit zwanzig Jahren zusammenarbeitet. Im großen, gewölbten, 300 Jahre alten Hauptraum – ursprünglich ein Kirchenraum, der die letzten 100 Jahre als Turnhalle genutzt wurde – entsteht durch die Anordnung der Werke eine regelrechte Installation.
Ingolf Lindel im Gespräch mit Benedikt Zweifel und Severin Fraser
Zur neuen Spielzeit des Stuttgarter Else-Klink Ensembles ist die Leitung der Eurythmeum-Bühne von Benedikt Zweifel auf Severin Fraser übergegangen. Ingolf Lindel traf beide zu einem Gespräch über die Vergangenheit, gegenwärtige Aufgaben und künftige Herausforderungen.
Kann das Nichtseiende uns strafen?
Vom Vatergöttlichen zum Ich
Man kann das Vaterunser unter dem Gesichtspunkt betrachten, wie sich die Menschheit darin findet – die alte Menschheit und die neue. Beim Beten des Vaterunsers kann man einen Weg erleben, der mit einem großen kosmischen Teil beginnt, sich dann verinnerlicht, zur eigenen Mitte führt und im letzten Teil, der Doxologie, einen Aufschwung herbeiführen kann. Die Autorin hat sich immer wieder gefragt, was es mit den drei Teilen des Gebets auf sich hat. Im Folgenden entwickelt sie dazu einige Gesichtspunkte.
Zur ›Eigentumskonferenz‹ am 30. und 31. Oktober 2018 im Berliner Allianz Forum
Es war schon ein starkes Stück, direkt gegenüber der Botschaft der USA am Brandenburger Tor in Berlin, eine »Eigentumskonferenz« abzuhalten. Ziel der Konferenz im Allianz Forum war es, Bewusstsein für ein zukunftsfähiges Eigentumsverständnis für Unternehmungen zu schaffen und Unternehmern Möglichkeiten aufzuzeigen, wie dieses Eigentumsverständnis auf der Grundlage des gegenwärtig geltenden Rechtes schon heute umgesetzt werden kann. Zugleich sollte aber auch grundlegend auf Erneuerungen im Eigentumsrecht hingewirkt und diesbezüglich Politiker angesprochen werden. Vom Standpunkt der Ökonomie wurde die Frage gestellt, wie sinnvoll es ist, Unternehmen wie ein Handelsgut zu kaufen oder zu verkaufen.
Hingebungsvoll, doch ohne Erdung
Das Wesen des leibfreien Bewusstseins und einige Kriterien zu seiner Erkenntnis
In letzter Zeit gab es mehrfach Anlass, sich mit dem Thema des leibfreien, übersinnlichen Erkennens auseinanderzusetzen. Eine der Fragen, die dabei entstehen, ist: Führt das, was in diversen anthroposophischen Seminaren als Meditationsübungen praktiziert wird, zu übersinnlichen Erkenntnissen eines leibfreien Bewusstseins, oder handelt es sich lediglich um verfeinerte Sinneserfahrungen? Sind beispielsweise die inneren Bewegungseindrücke und Erlebnisse, die man an der Beobachtung von sprießenden oder welkenden Pflanzen bekommen kann, übersinnlich, oder sind es in das Bewusstsein hinaufgeholte und ästhetisch verfeinerte Eindrücke der »unteren« Sinne, des Tast-, Lebens-, Bewegungs- und Gleichgewichtssinnes?
Ein Seminar im Forum 3 Stuttgart zur anthroposophischen Karmaforschung
Steffen Hartmann (*1976), Musiker, Buchautor, Verleger und Dozent für Anthroposophie aus Hamburg, hat im Jahre 2014 in der Zeitschrift ›Die Gegenwart‹ einen Aufsatz zur Karmaerkenntnis im Lichte der »Michaelprophetie« Rudolf Steiners veröffentlicht. In diesem Aufsatz äußerte er sich erstmals öffentlich über seine diesbezüglichen Einsichten und Erfahrungen. Rudolf Steiner beschrieb diese Prophetie im Jahre 1924 wie folgt: »Es ist etwas, was leben sollte in den Herzen, in den Seelen derjenigen, die sich Anthroposophen nennen. Und das wird einem die Kraft geben, nun weiter zu wirken; denn diejenigen, die heute Anthroposophen sind, im ehrlichen, wahren Sinne Anthroposophen sind, die werden einen starken Drang haben, bald wiederum zur Erde herunterzukommen. Und innerhalb der Michael-Prophetie sieht man voraus, wie zahlreiche Anthroposophenseelen mit dem Ende des 20. Jahrhunderts wiederum zur Erde kommen, um das, was heute mit starker Kraft als anthroposophische Bewegung begründet werden soll, zur vollen Kulmination zu bringen.«
Verdienstvoll und hilfreich
Eine Bildbegegnung
Zur Vorosterzeit war ich im Basler Kunstmuseum, und als ich vor dem Bild ›Jesus und die Samariterin‹ von Bonifacio de’ Pitati stand, kam mir eine Mitschrift von A. Lindeberg Östersund zum Vortrag vom 12. Januar 1910 in den Sinn, den Rudolf Steiner im Rahmen seiner damaligen Vortragsreihe zum Johannes-Evangelium gehalten hat, und an deren Herausgabe als GA-Band 117a ich gerade arbeitete.
Der Schriftsteller und Regisseur Henning Mankell (1948-2015)
Henning Mankell, geboren am 3. Februar 1948 in Stockholm, war einer der erfolgreichsten Kriminal-Autoren unserer Zeit. Mit seinem Kommissar Wallander erschuf er eine Figur, die den Leser zur Empathie verführt – weil er ein gebrochener Held ist, der das Zeitenschicksal miterleidet, der, oft erfolgreich, gegen das Böse kämpft und dennoch resigniert und pessimistisch ist, weil er eine Woge über sich hinwegrollen fühlt, gegen die Widerstand zwecklos erscheint. Wallander bemüht sich dennoch, zu widerstehen. Er trinkt zu viel Kaffee, isst fett und ungesund, schläft schlecht, ist Diabetiker, steht immer kurz vorm Herzinfarkt, ist einsam und sehnt sich nach Beziehungen zu Frauen, in denen er, wenn sie denn zustandekommen, sich ungelenk verhält und so das Gefühl der Einsamkeit hinterher noch vergrößert. Nur eine große Freude gibt es in seinem Leben: die herzerwärmende Kraft der großen italienischen Opernarien. In die flüchtet er sich, wenn das Leben ihm zu sehr zugesetzt hat.
Das Grundeinkommen: Pathologie und Wirkung einer sozialen Bewegung II
Im 1. Teil dieser Serie (vgl. die Drei 1-2/2018) wurde begründet, warum ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht auf die Annahme gestützt werden kann, Maschinen würden Menschen von der Arbeit freistellen. Der Zwang zur Arbeit ist in der Natur der arbeitsteiligen Weltwirtschaft begründet und kann daher nicht abgeschüttelt werden. Daneben gibt es Abhängigkeiten von Rechtsformen, die bewirken, dass der »Mehrwert« der voranschreitenden Arbeitsteilung zunehmend einer kleinen Personengruppe zufließt. Die Grundeinkommensbewegung möchte eigentlich diese Einkommen umverteilen, verliert dabei aber die Bedeutung der materiellen Arbeit aus dem Blick. Der II. Teil zeigt auf, wie falsch gestellte Fragen in eine Ökonomisierung des Geisteslebens hineinführen, anstatt die Klärung des Verhältnisses von Geistesleben und Wirtschaftsleben als Dreh- und Angelpunkt der zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung zu begreifen.
Das Grundeinkommen – Pathologie und Wirkung einer sozialen Bewegung III
Es gibt einen Zwang zur Arbeit, der in der Natur des Menschen begründet ist. Wie kann dieser von der Gemeinschaft so getragen werden, dass er keinen Widerspruch zur Freiheit darstellt? Was bedeutet es, wenn der »freie Geistesarbeiter« nicht mehr nach den Bedingungen seines Einkommens fragen muss? Die beiden ersten Teile der Serie haben gezeigt, dass eine Vereinigung von Wirtschaft und Freiheit nur möglich ist, wenn die vorhandene Gesamtarbeitszeit so geteilt wird, dass jeder neben der Arbeit noch seinen geistigen Impulsen folgen kann. Teil III der Serie verdeutlicht, warum dies nicht im Interesse vieler Kapitaleigentümer liegt. Sie benötigen die Spaltung der Gesellschaft in Arbeitslose und Arbeitende für den eigenen Machterhalt – und treiben gerade deshalb die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens voran.
Denkanstöße und Hilfestellungen
Die Symptomatologie der Gegenwart und Salvatore Lavecchias Buch ›Ichsamkeit‹
Am Helmholtzplatz in Berlin-Prenzlauer Berg, buchstäblich vor meiner Tür, wurde am frühen Abend des 17. April ein Kippa tragender junger Mann von einem arabischen Jugendlichen angegriffen und gedemütigt. Das Opfer filmte den Täter; es hatte die Kippa als Experiment getragen. Der Vorfall brachte es bis auf die Titelseiten aller Zeitungen. Antisemitische Übergriffe nehmen in der deutschen Hauptstadt bis in Grundschulen hinein zu. Einen Zusammenhang mit dem seit 2015 zunehmenden Zuzug von Muslimen herzustellen, ist weder bös- noch mutwillig, sondern dieser besteht objektiv. Juden in Berlin fühlen sich nicht mehr sicher und befinden sich mit ihrer Sorge im feuilletonistischen Abseits, denn den folgenlosen politischen Betroffenheitsfloskeln stehen die Rechtfertigungsmuster plötzlich um ihren Ruf bangender Institutionen gegenüber: Man möchte sich nicht Rassismus und Ausgrenzung von Muslimen nachsagen lassen. Deshalb wird systematisch bagatellisiert, dass 80 Jahre nach dem Holocaust das Judentum in Deutschland im Alltag wieder als Problem angesehen wird. Dies mag freilich nur auf dem Boden eines noch immer latenten Ressentiments quer durch alle Schichten gedeihen können. Umso gedankenloser, ja fast wahnsinnig mutet es an, die Gefahr eines sozusagen zusätzlich importierten islamistischen Antisemitismus (inklusive eines nicht minder aggressiv-höhnischen Antifeminismus) politisch derart ausgeblendet zu haben. Auf dieser Begriffsstutzigkeit – oder Strategie? – der Entscheidungsträger kocht eine Gruppierung wie die AfD ihr fades Süppchen, das Gift der eigenen hassgetränkten Gedanken und rein destruktiven Rhetorik noch hineinmischend.