Artikel von Klaus J. Bracker
Zu Erdmut-M. W. Hoerner: ›Vom Urbeginn christlicher Esoterik‹
Im Februar dieses Jahres erschien in den Schneider Editionen eine ambitionierte Studie, die sich dem ›Urbeginn christlicher Esoterik‹ widmet. Der Autor Erdmut-Michael Hoerner, Pfarrer der Christengemeinschaft, verweist bereits im Untertitel darauf, dass er »Johannes und Maria« an diesem Urbeginn gemeinsam unter dem Kreuz stehen sieht. Während bisher eine ganze Reihe anthroposophischer Autoren Johannes den Evangelisten und seine Bedeutung für die christliche Spiritualität behandelt haben, wird die vorliegende Studie als die erste anthroposophische Untersuchung nach Rudolf Steiner herausgestellt, in der die Mutter Jesu, Maria, in das Zentrum der Betrachtung mit einbezogen werden soll. Das lässt aufhorchen.
Eine österlich-michaelische Betrachtung
Michaeli und Ostern bilden miteinander eine kosmisch-terrestrische Polarität – im Spannungsfeld zwischen Sommer und Winter. Man kann sie, vom Tageserleben her, mit den Lichtsituationen des Abends und des Morgens vergleichen – den Zonen zwischen Tag und Nacht. Wie diese in den Dämmerungen leben, den Bereichen der Schwelle zwischen Nachtdunkel und Tageshelle, so gehen mit Michaeli und Ostern zwei verschiedene Welten ineinander über: die Welt des sommerlich auswärts gekehrten und die des winterlich nach innen gewendeten Lichtlebens – dort viel äußeres Licht bei einer möglichen inneren Dumpfheit, hier viel äußere Dunkelheit, oft begleitet von hellerem, klarerem Bewusstsein. Der Mensch, der diese Schwellenübergänge vollzieht, bleibt mit sich selbst identisch, seine Lebensvollzüge aber sind von der gerade vorherrschenden Intro- oder Extravertiertheit beeinflusst, die sich infolge des Zusammenlebens mit der natürlichelementarischen Mitwelt in der dunklen oder in der lichten Jahreshälfte ergeben. Die Selbstidentität zu wahren, in ihr zu erwachen, sie immer bewusster zu verwirklichen, stellt sich gerade mit diesen Übergängen als Aufgabe – zu Michaeli wie um Ostern. Das schon angedeutete Motiv, das solches Erwachen begünstigt, liegt darin, dass beispielsweise auf der herbstlichen Seite das äußere Zurückgehen des Lichts durch das Anwachseninneren Lichtes beantwortet wird – eines Lichtes, das weitgehend dem individuellen Bewusstseinslicht entspricht. Das drückt sich in dem vormichaelischen Wochenspruch des ›Anthroposophischen Seelenkalenders‹ aus, der den Wechsel vom schwindenden Außen- zum zunehmenden Innenlicht behandelt.
Die »Stadt der Morgenröte« – Auroville – feiert dieses Jahr ihr 50-jähriges Bestehen, ist sie doch ein echtes 68er-Phänomen. Beruhend auf dem Integralen Yoga Sri Aurobindos (1872–1950) und seiner spirituellen Weggefährtin Mirra Alfassa (1878–1973), waren es in den ersten Jahren zumeist 68er aus dem globalen Nordwesten, auch Hippies, die vor einem halben Jahrhundert begannen, die südindische Wüste nördlich von Puducherry urbar zu machen, millionenfach Bäume zu pflanzen und – eine Zukunftsstadt aufzubauen.
Zu Sergej O. Prokofieff: ›Rudolf Steiner – Fragment einer spirituellen Biografie‹
Wie das vor zwei Jahren hier ebenfalls besprochene Buch ›Rudolf Steiner und die Meister des esoterischen Christentums‹1 erschien im vergangenen Jahr posthum ein weiterer Titel von der Hand Sergej O. Prokofieffs: ›Rudolf Steiner – Fragment einer spirituellen Biografie‹. Fragment blieb diese 1984 begonnene Arbeit über frühere Inkarnationen Rudolf Steiners, weil der Autor die geplanten Kapitel über Ephesos, Athen, die Gralszeit und das scholastische Hochmittelalter zu Lebzeiten nicht hatte ausführen können. Zu den erhaltenen drei Kapiteln über die Menschheitslehrer und die Mission Rudolf Steiners, über das Gilgamesch-Epos sowie über Enkidu und die nathanische Seele fügte er im Jahr 2014, kurz vor seinem Tod, ein viertes Kapitel hinzu, in dem er den karmischen Werdegang Rudolf Steiners zusammenfassend betrachtet – anstelle der ungeschriebenen Teile. Dieses letzte Kapitel verfasste er in deutscher Sprache, während die drei zuerst genannten Kapitel von Hans Hasler aus dem Russischen übersetzt wurden. Das ist erwähnenswert, weil die durch Hasler erreichte deutsche Sprachform dem Leser erfreulich entgegenkommt.
Zu Eva Kovacheva: ›Die Weiße Bruderschaft des Peter Danov‹
Mit der hier besprochenen Arbeit promovierte die bulgarische Autorin Eva Kovacheva 2010 an der Universität Marburg im Fachbereich Evangelische Theologie. Ihre Schrift ›Die Weiße Bruderschaft des Peter Danov‹ verdient Aufmerksamkeit nicht allein vor dem akademischen Forum. Insbesondere gibt es Bezüge zwischen dem Exponenten des Buches, Peter Danov, dessen spiritueller Name Beinsa Duno lautet, und Rudolf Steiner bzw. der anthroposophischen Bewegung. Kovacheva ist seit ihrer Schulzeit an einem deutschsprachigen Gymnasium mit der deutschen Kultur vertraut und seit ihrer Jugend interessiert an Esoterischem – Rosenkreuzertum, Theosophie und Anthroposophie.
Wer bewegt das menschliche Herz?
Zu Sergej O. Prokofieff: ›Rudolf Steiner und die Meister des esoterischen Christentums‹
Einundzwanzig Jahre vergingen von den ersten Anfängen des hier zu besprechenden Buches bis zu seiner Veröffentlichung zu Weihnachten 2018. In der Zwischenzeit verstarben 2005 die sehr mit Sergej O. Prokofieffs Werk verbundene Übersetzerin Ursula Preuß und 2014 auch der Autor selbst. Es kam immer wieder zum Stillstand und zu Verzögerungen in der Arbeit an dem Buch, bis Ute E. Fischer sich Ende 2017 an die Übersetzung der von Preuß noch nicht übertragenen Teile machte. Dass Prokofieff selbst das Ganze der deutschen Fassung nicht mehr einer Endredaktion unterziehen konnte, möge der Leser bei der Lektüre berücksichtigen.
Versuch einer Antwort auf Martin Basfeld
Klaus J. Bracker im Gespräch mit Karl-Heinz Ohlig
Seit der Jahrtausendwende sind einige Publikationen historisch-kritischer Art zu den Anfängen des Islam erschienen, namentlich Christoph Luxenbergs Abhandlung ›Die syro-aramäische Lesart des Koran‹ (Schiler-Verlag, Berlin 2000). Seither wird öffentlich die These diskutiert, dass das heilige Buch des Islam ursprünglich nicht das Produkt einer wie auch immer gearteten Inspiration, sondern eine Sammlung frühchristlicher Texte gewesen sei, deren Entstehung sich über Jahrhunderte hingezogen habe. Diese auch in der Fachwelt sehr umstrittene These wird seit einigen Jahren von der ›Inârah‹-Forschungsgruppe – einem internationalen Zusammenschluss von Islamologen, Religionswissenschaftlern, Linguisten und Philologen – bearbeitet. Für die Drei sprach Klaus J. Bracker exklusiv mit Prof. Dr. Karl-Heinz Ohlig, einem der profiliertesten Vertreter dieser Gruppe.
und die Sophia in den Sternen – Teil I
Während der Generalversammlung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, die im März 2018 am Goetheanum in Dornach stattfand, wurden mit großer Mehrheit Dr. Ita Wegman und Dr. Elisabeth Vreede, die 1935 aus dem Vorstand dieser Gesellschaft ausgeschlossen worden waren, rehabilitiert. Am 22. März 2018 wurde der Versammlung vorgeschlagen, den »Beschluss der Generalversammlung vom 14. April 1935« aufzuheben, »welcher zur Abberufung Wegmans und Vreedes aus dem Vorstand führte«. Und am 24. März 2018 wurde der betreffende Antrag »mit überwältigendem Mehr« angenommen. Justus Wittich erinnerte für den derzeitigen Vorstand allerdings auch daran, dass dies nur ein Schritt auf dem Wege der Rehabilitierung Wegmans und Vreedes sein könne. Indes, die Aufhebung des Beschlusses von 1935 sei »ab sofort« gültig.
Zu ›Die Meisterfrage bei Sergej O. Prokofieff‹ von Klaus J. Bracker in die Drei 7-8/2019
Ein Blick auf Zwier Willem Leene
Es mag fraglich erscheinen, wozu in einer anthroposophisch ausgerichteten Zeitschrift wie die Drei ein Buch besprochen wird, das den Pionier einer Gruppierung vorstellt, die viele Jahrzehnte hindurch jede Berührung mit der anthroposophischen Bewegung mied: des ›Lectorium Rosicrucianum‹. – Der Rezensent sieht die Erfordernis dazu in Entwicklungen der letzten Jahre begründet, die als Versuch einer energischen Annäherung von dieser Seite an die anthroposophische Bewegung zu verstehen sind. Das Instrument, um diese Annäherung voranzubringen, ist die vielerorts agierende ›Stiftung Rosenkreuz‹, eine Vorhoforganisation des ›Lectorium‹, durch die Begegnungen mit Vertretern der Anthroposophie gesucht werden. Und so enthält denn auch das hier zu besprechende Buch zahlreiche Verweise auf Rudolf Steiner und die Anthroposophie.
Rudolf Steiner ging allem Anschein nach von der historischen Existenz des Propheten Mohammed aus.
Zu Sergij Bulgakov: ›Aus meinem Leben‹
In der sechsten Generation orthodoxer Priester, zuvor jedoch, im jüngeren Lebensalter (und mit Schwerpunkt in den 1890er Jahren) einer der führenden Köpfe unter den Marxisten im vorrevolutionären Russland: Diese Spanne markiert nur einen der starken Gegensätze, die das Leben und Wirken Sergij Bulgakovs (1871–1944) bestimmen sollten. Während ein Vladimir Solov’ev im deutschsprachigen Raum weithin bekannt ist und hierzulande auch die Werke des 1937 in stalinistischer Lagerhaft ermordeten Priesters Pavel Florenskij einige Beachtung finden, ist der Name des dritten bedeutenden Lehrers der russischen Sophiologie bislang nur einigen wenigen Interessierten ein Begriff. Dabei könnte man, etwa, was die Ausbildung einer lehrmäßigen Systematik angeht, gerade bei Bulgakov von einer Kulmination der russischen Sophia-Verkündigung sprechen. Grund für seine relative Unbekanntheit ist vor allem, dass bisher kaum Übersetzungen seiner zahlreichen Schriften ins Deutsche vorliegen. Hier Abhilfe zu schaffen, haben sich die Herausgeberinnen auch des vorliegenden zweiten Bandes einer deutschen (in Teilen zweisprachigen) Werkausgabe vorgenommen: Regula M. Zwahlen und Barbara Hallensleben, die das Editionsvorhaben in der Reihe ›Epiphania‹ von der ›Université de Fribourg‹ aus betreiben.
Ein Gedenkbuch für Werner Sundermann
Im Folgenden möchte ich anthroposophisch orientierten Lesern eine Forscherpersönlichkeit näherbringen, die stärker als bisher ihre Aufmerksamkeit verdient: Werner Sundermann. Im anthroposophischen Umfeld wird dem Manichäismus von jeher viel Interesse entgegengebracht. Sundermann wiederum gilt unter Kennern als eine zentrale Gestalt der jungen Wissenschaft der Manichäologie.
Zu Peter Selg: ›Die Auseinandersetzung mit dem Bösen‹
Peter Selg hielt im Mai 2019 in Zürich einen Vortrag vor Mitgliedern der ersten Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, in dem die Bedeutung der Mächte des Bösen für den Schulungsweg dieser 1923/24 erneuerten esoterischen Schule eingehend untersucht wird. Der hier besprochene schmale Band gibt das Autoreferat dieses Vortrages wieder.
Zur Gnosis in Spätantike und Gegenwart
Das 20. Jahrhundert gab, bei all seinen abgründigen, schier endlosen Verfinsterungen, doch auch Aussichten frei auf Vergangenheiten, auf die nun – durch entsprechende Entdeckungen – ganz neues, helles Licht fallen kann. Die Existenz von Essenern oder Therapeuten, von Manichäern und eben auch frühchristlichen Gnostikern war immer schon, aus spätantiken Überlieferungen, leidlich bekannt. Dann aber kamen, durch Forschungsexpeditionen oder Zufallsfunde, zahlreiche Schriftrollen und Kodizes ans Licht, welche die Sprache jener religiösen Gruppen unverfälscht wiederzugeben versprachen: Manichäisches fand sich im zentralasiatischen Turfan und in Dunhuang (1902-1913) wie auch im ägyptischen Terenouthis nahe Medinet Madi (Ende der 1920er Jahre); Essenisches im heute israelisch-palästinensischen Qumran am Toten Meer (1947-1956); Zeugnisse dann auch der christlichen Gnosis in der Nähe des ebenfalls ägyptischen Nag Hammadi (1945/46).
Zu Henrik Steffens: ›Einleitung in die philosophischen Vorlesungen‹
Die romantische Bewegung, von Jena ausstrahlend, hatte einen bedeutenden Anteil daran, wie im 19. Jahrhundert in ganz Europa Ethnien, Sprachengruppen und Völker zu einem Selbstgefühl erwachten. In der romantischen Musik ist das fast mit Händen zu greifen – etwa bei Modest P. Mussorgski, Pjotr I. Tschaikowski und Nikolai A. Rimskij-Korsakow in Russland, Bedřich Smetana und Antonin Dvořák in Tschechien, Edward Elgar in England, Edvard Grieg in Norwegen und Jean Sibelius in Finnland. Entsprechende Parallelen finden sich auch in der Literatur. Das vorliegende Buch über den Norweger Henrik Steffens handelt von einem, der als Naturforscher und Philosoph bei der Geburt der Romantik dabei war und dem zugeschrieben wird, sie schon 1802/03 von Jena nach Skandinavien getragen zu haben.