Artikel von Ute Hallaschka
Zu einer Weiterbildung in Sprachgestaltung und Schauspiel am Goetheanum
Eine Reise nach Dornach ist immer ein Abenteuer. Man weiß nie, was einen erwartet. Das liegt daran, dass man so viel Sehnsucht an diesen Ort trägt. Heimlich die Hoffnung, es könnte sich ereignen, dass ein äußeres Geschehen sich genauso zuträgt, wie es sich anfühlt im eigenen Gemüt. Das ist natürlich eine Illusion. Im Grunde erwartet man ja, sich selbst zu begegnen – in der Liebe zur Anthroposophie. Damit hängt das bekannte Dilemma zusammen, wie leicht diese Liebe, die doch alle Anthroposophen eint, umschlagen kann in ihr Gegenteil. Eifersüchtig die Geliebte verteidigend, wird der andere als Nebenbuhler plötzlich zum Feind. Schon sind wir mitten drin im Drama. Was wir aus Herzen gründen und aus Häuptern zielvoll führen wollen – damit kann ja nur das Herz und das Haupt jedes Einzelnen gemeint sein. So ist es auch, ganz im Sinne der ›Philosophie der Freiheit‹. Dennoch kann keine Rede davon sein, dass der ethische Individualismus ein liebevolles anthroposophischen Gemein(schafts)wesen hervorgebracht hätte. Das wissen wir alle. Und doch könnte angesichts dieser Tatsache auf der Stelle ein Streit entbrennen und zur übersinnlichen Schlägerei führen. Wie sonderbar!
Zum 10-jährigen Jubiläum des Frauenrats derAnthroposophischen Gesellschaft in Deutschland
Im Rudolf Steiner Haus in Frankfurt wurde am 3. Juni 2023 ein Jubil.um gefeiert: 10 Jahre Frauenrat der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland (AGiD). Barbara Messmer, eine der Gründerinnen, die seit ihrer Jugend in der Frauenbewegung aktiv ist, bringt die damalige Reaktion aus dem anthroposophischen Umfeld auf den Punkt: .Muss das sein?. Brauchen wir wirklich – in der Gesellschaft freier Geister – diese geschlechtsspezifische Vertretung? Nicht etwa, um diese rhetorische Frage zu beantworten, sondern um ihren Hintergrund auszuleuchten, ein kleiner Ausflug in Welt und Zeit.
Vom Eros des Denkens
Es gibt ein schöpferisches Verstehen, ein kreatives Anschauen, das nichts zu tun hat mit Interpretation. Darin sind sich zwei so unterschiedliche Geister wie Bertolt Brecht und Rudolf Steiner einig. Brecht: »›Was tun Sie‹, wurde Herr K. gefragt, ›wenn Sie einen Menschen lieben?‹ ›Ich mache einen Entwurf von ihm‹, sagte Herr K., ›und sorge, da. er ihm ähnlich wird.‹ ›Wer? Der Entwurf?‹ ›Nein‹, sagte Herr K., ›der Mensch.‹. Und Steiner: »Man sagt: die Liebe mache blind für die Schw.chen des geliebten Wesens. Die Sache kann auch umgekehrt angefaßt werden und behauptet: die Liebe öffne gerade für dessen Vorzüge das Auge. Viele gehen ahnungslos an diesen Vorzügen vorbei, ohne sie zu bemerken. Der eine sieht sie, und eben deswegen erwacht die Liebe in seiner Seele. Was hat er anderes getan: als von dem sich eine Vorstellung gemacht, wovon hundert andere keine haben. Sie haben die Liebe nicht, weil ihnen die Vorstellung mangelt.«
Wie stehen wir heute in der Welt?
Ein kleiner Ausflug in die Sprache zu Beginn. Denn das Wort, das geteilte – an dem man miteinander Anteil nimmt – ist unsere In-Formation. Darin sind wir, wie die Zugvögel, auf Himmels- und Erdenreise. Wer fragt, nimmt Anteil am Leben des anderen. Wer dazu etwas sagt, spricht nicht über sich, sondern von sich aus – in den anderen hinüber. Darin sind beide eins im Gespräch. In der Formation, im Geist der Reise, im Unterwegssein des geistigen Lebens. Letzteres ist Begegnung: Intuition von Wesen, die einander durchdringend sich selbst erkennen, eins im anderen. Dieses große Du-Geschehen üben wir im Ich auf Erden, im Wort. Darum danke ich dir für deine Frage, die diesen Text entstehen lässt.Im Grunde sind es deine Worte, die – geistig ausgeflogen mit mir – nun wieder heimkehren zu dir. Aber es ist noch ein Dritter im Spiel, und wie wunderbar, dass du mit diesem ebenfalls in Kontakt stehst und so seinem Wort unmittelbar begegnen kannst: Rudolf Steiner, dem die zunächst folgenden Gedanken verdankt sind.
Zu David Marc Hoffmann u.a. (Hrsg.): ›Rudolf Steiner 1861–1925‹*
Ein buchstäblich gewichtiges Werk – Großformat, rund 500 Seiten, kiloschwer – ist der neue Bildband aus dem Rudolf Steiner Verlag: ›1861 –1925 Rudolf Steiner. Eine Bildbiografie‹, herausgegeben von David Marc Hoffmann, Albert Vinzens, Nana Badenberg und Stephan Widmer. Sie haben in langjähriger Recherche-, Kompositions- und Redaktionstätigkeit die über 800 Abbildungen (hauptsächlich aus dem Archiv in Dornach) zusammengestellt. Diese Zusammenstellung folgt einem Motto von Goethe aus dem Vorwort zur Farbenlehre: »Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten.«
Zu Besuch im ersten Goetheanum (als Modell)
Ich kann es kaum glauben: Ich verlasse nach einer gefühlten Ewigkeit wieder mein Haus, sitze im Zug und fahre nach Dornach … Ich weiß noch, wie ich das erste Mal hinfuhr, mit 21 Jahren, als ahnungsloser Neuankömmling in der Anthroposophie, und völlig verblüfft vor dem Goetheanum stand. Niemand hatte mich auf diesen Betonbau vorbereitet. Ein Elefantenhaus, dachte ich, und das war keineswegs respektlos gemeint. Eher als hilfloser Versuch, das Große, das damit zusammenhing, zum Ausdruck zu bringen. Aber Beton? Der kam in der romantischen Flower-Power-Welt von damals nur als Inbegriff der Nüchternheit vor. Gehwege und Gesamtschulen gab es aus Waschbeton. Ich war ratlos.