Artikel von Christoph Hueck
Rudolf Steiners Erkenntnisbiografie und der Beginn des neuen Michael-Zeitalters
Rudolf Steiner hat das Jahr 1879 als den Beginn eines neuen Zeitalters beschrieben, dessen Name mit dem Erzengel Michael verbunden ist. In der Anthroposophie denkt man dabei an ein geistiges Wesen und eine geistige Kraft, die den Menschen in seinem Einsatz für Wahrheit und Güte anspornt und ihm hilft, Einflüsse in seiner Seele zu überwinden, die gegen die volle Entfaltung seines Menschentums wirken. Ins Bild gebracht wird diese Auseinandersetzung als Michaels Kampf mit dem Drachen, wie er z.B. von Albrecht Dürer in seinen Holzschnitten zur Apokalypse so dramatisch dargestellt wurde. Das jährlich wiederkehrende Michaels-Fest, von Papst Gelasius I. im 5. Jahrhundert auf den 29. September gelegt, ist in anthroposophischem Verständnis daher vor allem ein Fest des Willens. Doch handelt es sich bei Michael nicht nur um ein Wesen, das den moralischen Willen anspricht, sondern zugleich um eine geistige Kraft, die mit einer besonderen Art von Erkenntnis verbunden ist, nämlich einer willensgetragenen. Sie besteht in einer inneren Doppelbewegung: dem aktiven Produzieren von Gedankenformen und dem Empfangen der Gedankeninhalte in innerer Hingabe an die Sache, welches man zusammen als »aktive Empfänglichkeit« bezeichnen kann. Wie Rudolf Steiner diese Erkenntnisart in seiner WerkBiografie auf verschiedenen Stufen verwirklichte, soll hier skizzenhaft dargestellt werden.
Im Licht des Doppelstroms der Zeit
Die Anthroposophie eröffnet einen wissenschaftlichen Erkenntniszugang zum Übersinnlichen. Man soll Rudolf Steiners Ausführungen nicht glauben, sondern versuchen, sie zu verstehen. Die Anthroposophie ist Geisteswissenschaft. Selbstverständlich gibt es andere, legitime Formen des Umgangs mit der Anthroposophie, aber am Ende zielt sie auf die Ausbildung selbstständiger geistiger Erkenntnisfähigkeiten. Allerdings ist das geisteswissenschaftliche Erkennen nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch anders als das naturwissenschaftliche. Es ist zwar genauso klar, aber beweglicher, anschauender und erlebender, und es arbeitet auch mit anderen Fundamentalbegriffen. In den vergangenen 500 Jahren wurde das naturwissenschaftliche Denken als allgemeine menschliche Fälligkeit ausgebildet. Beim geisteswissenschaftlichen Denken stehen wir erst ganz am Anfang. Aber gerade in dessen Ausbildung liegt eine der großen kulturhistorischen Aufgaben der Gegenwart und Zukunft.Wissenschaft ist eine Methode, um die Trennung zwischen Ich und Welt in voller Bewusstheit zu überwinden. Zur Wissenschaftlichkeit gehört deshalb immer eine klare Beschreibung der Methode sowie ihre begriffliche Durchdringung und Begründung. In einem voran gegangenen Artikel habe ich erläutert, inwiefern Goethes Metamorphosenlehre eine Grundlage für die wissenschaftliche Methode der Anthroposophie ist, insbesondere, insofern es sich um eine Erkenntnis des Lebendigen handelt. Goethe hatte ein bewegliches und anschauendes, »imaginatives« Denken, das ihn besonders befähigte, das Lebendige in seiner fortwährenden Verwandlung zu erkennen. Hier soll nun eine begriffliche Bestimmung lebendiger Entwicklung, ein tragfähiger Entwicklungsbegriff hinzugefiigt werden.
Reflexionen zum Rhythmus der Menschwerdung
Neuere Forschungsergebnisse bestätigen, dass die Evolution des Menschen beim Gliedmaßen-Stoffwechselsystem einsetzte und erst nachfolgend zur Ausbildung des Gehirnes fortschritt. Der Verlauf der physischen Individualentwicklung hingegen erfolgt in gegenläufiger Richtung vom Kopf zu den Gliedmaßen. Dieses Geschehen wird im Folgenden unter Einbeziehung des Reinkarnationsgedankens als Doppelströmung besprochen, die vom Physischen ins Geistige und vom Geistigen ins Physische verläuft und in deren Rhythmus sich der Mensch konstituiert.
Zur Darstellung der Selbsterkenntnis in Rudolf Steiners ›Geheimwissenschaft im Umriss‹
»So habe ich den Ort gefunden, an dem Du unverhüllt gefunden werdenkannst. Er ist vom Ineinsfall der Gegensätze umgeben. Er ist die Mauer desParadieses, in dem Du wohnst. Seine Pforte bewacht der höchste Geist desVerstandes. Wird dieser nicht besiegt, wird der Zugang nicht offen sein.«Nicolaus CusanusAus: ›De visione Dei‹, Kap. 9
Neue Möglichkeiten und Fragen zur Gentechnik
Ein neu entwickeltes gentechnisches Verfahren, genannt CRISPR-Cas, erlaubt die einfache und gezielte Veränderung von Genen in beliebigen Organismen – und wird weltweit bereits für die »Optimierung« von Lebewesen eingesetzt. Die Gentechnik führt oft zu egoistischem Gewinnstreben und folgt dabei einem Weg, der in komplementärer Weise jenem entgegengesetzt ist, der von Rudolf Steiner als vierstufiger Weg zur Erkenntnis der Wirklichkeit beschrieben wurde. Ließe sich in Anlehnung an diesen Weg auch eine moralisch gerechtfertigte Gentechnik denken? Der Autor diskutiert diese Frage anhand des sogenannten ›Goldenen Reises‹, einer gentechnisch veränderten Reissorte, deren Entwicklung aus uneigennützigen Motiven geschah.
Das Bewusstsein als Lösung des Leib-Seele-Problems
Die Frage, wie der Körper und das Bewusstsein, der Leib und die Seele zusammenhängen, ist eine immer noch vollkommen ungelöste Frage, ein »weißer Fleck auf der Landkarte des wissenschaftlichen Weltbildes« (Thomas Metzinger). Eine Lösung des Problems deutet sich an, wenn man auf der Grundlage der Anthroposophie die materiellen Vorgänge des Leibes als geistige erkennt, als welche sie durch inneren, aktiven Nachvollzug aufgefasst werden können, und wenn umgekehrt die innerseelischen Vorgänge des Denkens, Fühlens und Wollens in innerer Erfahrung so angeschaut werden, dass sie aufs Engste mit leiblichen Prozessen zusammenhängen.
Viele Menschen, die eine lebensbedrohliche Situation überstanden haben oder wiederbelebt wurden, berichten von außergewöhnlichen und tiefgreifenden Erfahrungen im Zustand der Todesnähe. Solche sogenannten Nahtodeserfahrungen (NTE) sind seit den 1970er Jahren zunehmend bekannt geworden. Die Bücher von Elisabeth Kübler-Ross, Raymond Moody und George Ritchie wurden milhonenfach gelesen. Dasselbe gilt für die 2012 erschienene, ausführliche und erschütternde Darstellung des amerikanischen Neurochirurgen Eben Alexander über seine geistigen Erfahrungen während eines siebentägigen Komas. Schließlich haben die Sammlungen tausender persönlicher Berichte', u.a. durch den amerikanischen Radiologen Jeffrey Long das Phänomen der NTE weithin bekannt gemacht. Als wichtiger Meilenstein der Nahtodesforschung sei auch die 2001 publizierte Studie der Forschungsgruppe des niederländischen Kardiologen Pim van LommeP erwähnt, der NTE bei nachweislich klinisch toten Menschen untersuchte.
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Schlaglichter auf 100 Jahre goetheanistische Biologie in die Drei
Es kann nicht die Aufgabe dieses Artikels sein, eine vollständige Übersicht über die Beiträge zur Biologie zu geben, die im Laufe von 100 Jahren in die Drei erschienen sind. Das Ergebnis einer solchen Studie würde weit mehr als ein Heft füllen. Denn die Biologie – von jeher ein klassisches Forschungsfeld des Goetheanismus – war durch viele ihrer Vertreter immer wieder in dieser Zeitschrift präsent. Doch auch bei Beschränkung auf einige ausgewählte Artikel kann die Vielfalt der darin entwickelten Gesichtspunkte nicht vollständig referiert werden. Es sollen hier deshalb nur einige Schlaglichter geworfen und dabei versucht werden, möglichst Charakteristisches zu beleuchten.
Die Grenze zum leibfreien Bewusstsein in der Meditation
In einem vorangegangenen Artikel habe ich mich der Frage anzunähern versucht, wie Erfahrungen zu bewerten sind, die man durch anthroposophische Meditationsübungen relativ einfach erreichen kann, wie z.B. das Erleben von lebendig gestaltenden Kräften in sprießenden oder welkenden Pflanzen. Man bewegt sich mit solchen Erfahrungen an der Grenze zwischen dem gewöhnlichen und einem nicht mehr sinnlichen Bewusstsein, das nach Rudolf Steiner bis zu einem völlig leibfreien Bewusstsein gesteigert werden kann. Ich habe einige Ausführungen Steiners zu diesem leibfreien Bewusstsein dargestellt und Kriterien besprochen, anhand derer man es erkennen kann. Hier möchte ich nun eine Mantren-Meditation beschreiben, durch die man die Grenze zum leibfreien Bewusstsein genauer kennenlernen kann.
Die Vollendung von Goethes Metamorphosenlehre durch Rudolf Steiner
Anthroposophie ist eine Wissenschaft des Geistigen. Sie liefert eine Fülle neuer Begriffe und Ideen, die vollkommen transparent miteinander zusammenhängen. Auch stellte Rudolf Steiner seine Forschungsmethode immer wieder dar. Und schließlich ist die Anthroposophie empirisch. Sie macht ihre Beobachtungen jedoch nicht in der sinnlichen Welt, sondern im Seelischen und Geistigen. Allerdings unterscheidet sie sich von den gängigen Wissenschaften durch ihre Forderung, das Erkennen und damit sich selbst als Mensch weiterzuentwickeln. Durch meditative Selbstschulung können drei höhere Erkenntnisstufen, die man als »Imagination«, »Inspiration« und »Intuition« bezeichnet, ausgebildet werden. Einen Ansatz zur imaginativen Erkenntnis fand Steiner bereits bei Goethe, die inspirative und intuitive entwickelte er selbst. Am Beispiel der Erkenntnis von Pflanzen, Tieren und Menschen soll diese stufenweise Erkenntnisvertiefung hier nachgezeichnet werden.