Artikel von Salvatore Lavecchia
Westöstliche Meditationen zum Ich
In seinen Ausführungen über den Willen und über die Freiheit des absoluten Einen, die in Enneade VI 8 enthalten sind, schenkt Plotin unserer Gegenwart eine Charakterisierung der Freiheit, die sehr fruchtbare Anregungen zu einer meditativen Vertiefung von Wesen und Wirken des Ich vermitteln könnte. In Enneade VI 8.16.31ff. charakterisiert Plotin das absolute Eine als Wachsamkeit (egrégorsis), die alle Formen des bestimmten Bewusstseins, d.h. des bestimmten Denkens überragt. Dies bedeutet, dass das Eine, wie Plotin in Enneade V 3.13 ausführt, auch allen Zustand der Selbstwahrnehmung (synáisthêsis), des bestimmten Bewusstseins seiner selbst überragt. Selbstverständlich darf diese Tatsache nicht mit einem Mangel an Bewusstsein verwechselt werden, was Dämmern und Schlafen implizieren würde; das absolute Eine ist nämlich Möglichkeit und Kraft aller Bewusstseinsformen, die sich in keiner – wäre es auch in der vorstellbar höchsten – Form des Bewusstseins erschöpfen lassen könnte. Das absolute Eine ist, in anderen Worten, jegliche mögliche Bestimmung überragende Bewusstsamkeit: unvordenkbare Wachsamkeit, die als Urgrund, Ursprung und Urbild alles Bewusstseins und aller Bewusstheit betrachtet werden soll.
oder: die Würde des Menschen
Dieses Jahr jährt sich zum 1600sten Mal ein Ereignis, das die Geschichte des westlichen Christentums noch tiefer geprägt hat als der 2017 gefeierte Reformimpuls Martin Luthers. Dessen Spiritualität und Theologie, die stark von Augustinus (*354; †430) beeinflusst waren – Luther war anfänglich ein Augustinermönch –, hätten nämlich ohne jenes Ereignis eine ganz andere Gestalt gehabt. Vor 1.600 Jahren tagte, am 1. Mai 418, das Regionalkonzil von Karthago, das – einen langen Streit bezüglich des Wesens der Gnade sowie des menschlichen Willens beendend – die definitive Verurteilung und die Exkommunikation des keltischen, aus Irland oder Britannien stammenden Asketen Pelagius (*um 350; †420) aussprach. Damit siegte die Position des Augustinus, die fortan das westliche Christentum prägte und noch bis heute prägt.