Artikel von Rüdiger Sünner
Zu Horst Bredekamp: ›Aby Warburg, der Indianer‹
Von 2015 bis 2018 gehörte der renommierte Kunsthistoriker Horst Bredekamp, gemeinsam mit Hermann Parzinger und Neil Mac Gregor, zur Gründungsintendanz des Berliner Humboldtforums, in dem ab Dezember 2019 zahlreiche außereuropäische Weltkulturen vorgestellt werden sollen. Bredekamp, der seine Disziplin immer als Bildwissenschaft verstanden hat, kam wohl in diesem Triumvirat die Rolle des ausgewiesenen Symbolforschers zu. So lag es für ihn nahe, mit Aby Warburg einen berühmten Vorgänger zu porträtieren und in Verbindung mit den ethnologischen Beständen zu bringen, die im Humboldtforum gezeigt werden sollen. So lag es für ihn nahe, mit Aby Warburg einen berühmten Vorgänger zu porträtieren und in Verbindung mit den ethnologischen Beständen zu bringen, die im Humboldtforum gezeigt werden sollen. Denn die Reisen, die Warburg 1895/1896 zu den Puebloindianern in New Mexiko unternahm, dienten nicht kunsthistorischen Untersuchungen, sondern waren Recherchen zum kultischen Ursprung des bildhaften Denkens, das lebenslang den Forschungsschwerpunkt dieses eigenwilligen Gelehrten bildete.
Zur Tagung ›Das Problem Beuys‹ am 15. und 16. Oktober in Düsseldorf
Am 15. und 16. Oktober 2021 fand in Düsseldorf im Haus der Universität am Schadowplatz die Tagung ›Das Problem Beuys‹ statt, in der Experten über strittige Fragen zu Werk und Wirken dieses Künstlers debattierten. Geladen waren u.a. der Filmemacher Andres Veiel, der Anthroposoph Walter Kugler, die Kunsthistoriker Benjamin Buchloh, Beat Wyss und Philip Ursprung, der Religionshistoriker Helmut Zander, der Theologe Alf Christophersen, der Künstler Albert Markert sowie der Autor Hans-Peter Riegel, der eine vierbändige Beuys-Biografie veröffentlicht hat. Über Live-Stream konnte ich die 12 Stunden des Symposiums mitverfolgen, was zu einer der spannendsten Online-Erfahrungen meines Lebens wurde. Ich kann hier nur Zusammenfassungen von Schwerpunkten geben sowie ein paar kritische Bemerkungen vor dem Hintergrund meiner eigenen langen Beschäftigung mit Joseph Beuys. Es ging auch um die Medienrezeption dieses Künstlers und um aktuelle Urheberrechtsfragen – aber am interessantesten waren die Themenfelder ›Der Hang zum Esoterischen‹ und ›Zum Rechtsideologischen‹. Die Kuratoren Eugen. Blume und Catherine Nichols hatten, wohl getrieben von vielen kritischen Stimmen zum Beuys-Jubiläumsjahr 2021, diese Tagung organisiert, um sich solchen Vorwürfen zu stellen. So fragte man nach Beuys’ Aktivitäten im Nationalsozialismus, seinen umstrittenen Äußerungen zu dieser Zeit, seinen häufigen Kontakten zu Männern mit NS-Vergangenheit und nach seinem Verhältnis zur Anthroposophie.
Zu Bron Taylor: ›Dunkelgrüne Religion‹
Vor allem durch drei Aspekte fasziniert das Buch ›Dunkelgrüne Religion‹ des amerikanischen Religionswissenschaftlers Bron Taylor: es hat nicht nur einen wunderschönen Titel, sondern beschreibt auch spannend die in Deutschland wenig bekannte Geschichte naturreligiöser Bewegungen in den USA und skizziert eine »vernunftgestützte« Spiritualität der Zukunft, die auch an Erkenntnissen der Wissenschaft orientiert sein sollte.
Zu Ansgar Martins: ›Adorno und die Kabbala‹
Als ich Ende der 1970er Jahre an der Freien Universität Berlin zu studieren begann, war Theodor W. Adorno in aller Munde – nicht nur in Philosophie und Soziologie, sondern ebenso in Germanistik und Musikwissenschaft. Seine scharfsinnigen Gesellschaftsanalysen sowie seine subtilen Studien zu Literatur und Musik begeisterten viele, auch mich, der ich 1985 über seine Kunsttheorie promovierte.
Zu Harald Meller & Kai Michel: ›Das Rätsel der Schamanin‹
Im Jahre 2002 half der deutsche Archäologe Harald Meller mit, die berühmte »Himmelsscheibe von Nebra« zu sichern, die als erste Himmelsdarstellung der Welt gilt, und 2008 grub sein Kollege Nicholas Conard in Höhlen der Schwäbischen Alb die frühesten Musikinstrumente und Tierskulpturen der Menschheit aus. Nun hat Deutschland wieder eine archäologische Weltsensation, an deren Erforschung erneut Harald Meller beteiligt ist, der darüber zusammen mit dem Historiker Kai Michel ein faszinierendes Buch geschrieben hat. ›Das Rätsel der Schamanin‹ erzählt spannend wie ein Krimi und zugleich spirituell berührend die Geschichte einer ca. 35-jährigen Frau aus dem Mesolithikum, die mit einem kleinen Kind bereits 1934 in einem Grab im Kurpark von Bad Dürrenberg entdeckt wurde. Doch erst neuere Untersuchungen legten die Vermutung nahe, dass es sich um eine vor 9.000 Jahren verstorbene »Schamanin« gehandelt haben könnte, was jetzt durch wiederholte Grabungen und genauere Analysen am Skelett endgültig bestätigt werden konnte. Eine Weltsensation ist das insofern, als es sich um den ersten wissenschaftlichen Nachweis von Schamanismus im prähistorischen Europa handelt, den man zwar schon anhand von anderen Funden angenommen hatte, aber bisher nicht zweifelsfrei belegen konnte. Nun aber sind verschiedene Analyseergebnisse zusammengekommen, die das Bild komplett und schlüssig machen.
Wie können wir heute mit Naturgeistern leben?
Der junge Germanist Thomas Höffgen hat ein neues Buch mit dem Titel ›Nordische Naturgeister – Leben mit den Wesen des Waldes‹ (BoD 2024) vorgelegt, in dem er uns vor allem die Fülle solcher Phänomene bei den alten Germanen vorführen möchte. Höffgen hat bereits in mehreren Publikationen die Glaubenswelt unserer Vorfahren erforscht, und er tut das mit einem ungewöhnlichen Enthusiasmus – es scheint, als ob er einem immer noch tabuisierten Thema neues Leben einhauchen möchte, und dafür hat er auch einen ganz eigenen Lebensweg gewählt. Obwohl er in Germanistik mit einem exzellenten Buch über ›Goethes Walpurgisnacht-Trilogie‹ promovierte und auch eine gewisse Zeit als Universitätsdozent arbeitete, hat er sich ganz vom akademischen Betrieb entfernt und genießt dafür als freier Schriftsteller in naturreligiösen Kreisen immer mehr Akzeptanz. Für seine spirituell ausgerichtete Form der Philologie war wohl kein Platz an der Universität, und so veröffentlicht er seine Bücher heute in Eigenregie, um größtmögliche geistige Unabhängigkeit zu haben.
Zum Film ›Becoming Animal‹ von Emma Davie und Peter Mettler