Artikel von Gerd Weidenhausen
Seit Jahren ist die Rede davon, dass das gesellschaftliche Klima rauer und die Art und Weise, diverse Themen und Problemfelder zu diskutieren, weniger von sachlichen Argumenten als von hitzigen Emotionen bestimmt wird. Eine Spielart der politischen Debatten, die immer mehr an Einfluss gewinnt, ist dabei die Frage des Umgangs mit Minderheiten, die sich in identitätspolitischen Diskursen artikuliert. Deren »rechte« und »linke« Varianten nisten sich zunehmend in das Lager einer sich als liberal verstehenden »Mitte« ein. Während nun über »rechte« Identitätspolitiken unzählige kritische Studien und Artikel vorliegen und sich rechte Identitätspolitik in ihrer imaginierten ethnisch-nationalen und kulturellen Identität als atavistisches Konstrukt selbst ad absurdum führt und auch kaum Resonanz erfährt, erfreut sich »linke« Identitätspolitik in ihrem Kampf gegen die Diskriminierung von Minderheiten einer breiteren gesellschaftlichen Akzeptanz. Das mag auch daran liegen, dass der mit der linken Identitätspolitik einhergehende Opferdiskurs Mitgefühl evoziert. Aber auch das hat eine Kehrseite. Was nämlich den »linken« mit dem »rechten« Identitätsdiskurs verbindet, ist der Glaube an die Macht der Kollektive – wie auch immer diese benannt und ideologisch aufgeladen werden. Und in dem Ensemble gegebener und unveränderbarer Gruppeneigenschaften, als deren Teil sich das Individuum zu begreifen hat, kommt dessen autonome Selbstbestimmung auf der Basis zu erringender Ideale nicht vor.
Anmerkungen zum Literaturnobelpreisträger Peter Handke
Als bekannt wurde, dass der österreichische, nahe Paris lebende Schriftsteller Peter Handke mit dem Literaturnobelpreis 2019 ausgezeichnet werden sollte, hagelte es Kritik an dieser Entscheidung der Schwedischen Akademie. Der US-amerikanische Autorenverband P.E.N. zeigte sich .sprachlos. über die Auswahl und beklagte, mit Handke werde einem Schriftsteller der Literaturnobelpreis verliehen, der »historische Wahrheiten« untergrabe und den »Ausführenden eines Genozids Beistand geleistet« habe. Ähnlich äußerte sich der Preisträger des Deutschen Buchpreises Sasa Stanisić in seiner ›Wut-Dankesrede‹, indem er Handkes Auslassungen in Texten wie ›Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise‹ (1996), ›Unter Tränen fragend‹ (2000) und ›Die Tablas von Daimiel‹ (2005) einen Hang zur Lüge attestierte. Überhaupt kam im Vorfeld der Verleihung des Buchpreises eine Debatte in Gang, die zum einen wie eine Neuauflage und Kopie verschiedenster Handke-Debatten der Vergangenheit anmutete, und zum anderen mehr oder minder unfreiwillig Argumentationsmuster und Diffamierungsstrategien freilegte, auf die Handke in seinen die Jugoslawienfrage tangierenden Schriften immer wieder hingewiesen hat. Denn Handkes Analyse der medialen Berichterstattung über dieses Thema und ihrer suggestiv-manipulativen Mechanismen in Wort und Bild scheint der wahre – und zugleich lässig ignorierte – Grund zu sein, weshalb sich seine Kritiker an ihm abarbeiteten und den alten Vorwurf einer angeblichen Unterstützung des »Schlächters Milosević« reproduzierten.