Zum unverschleierten Klang der »konkreten Malerei«
Wassily Kandinsky (1866–1944) gilt als Pionier der abstrakten Malerei, die er auch kunsttheoretisch zu erhellen wusste. Seine geistige Ausrichtung ist bekannt: über seinen Bezug zum Okkulten, zur Theosophie und zur Anthroposophie wurde ausgiebig berichtet. Dass die Menschheit an der Schwelle einer neuen Zeit steht – einer Zeit, die das Spirituelle sucht –, war für ihn eine wesentliche Motivation seines Kunstschaffens. Seine Malerei gründet in der Erfahrung des »Geistigen in der Kunst«. Doch ging es ihm nicht darum, Übersinnliches darzustellen, auszudrücken, zu symbolisieren oder zu verschlüsseln, sondern es ging ihm um die Wirklichkeit des Geistigen selbst – im konkreten Bild mit seiner konkreten Gestaltung.
Eine kurz gefasste, erste Orientierung
Seit etwa acht Jahren, also seit dem Jahr 2010, ist öffentlich wahrnehmbar, dass Anthroposophen bzw. Persönlichkeiten, die der Anthroposophie Rudolf Steiners nahe stehen, als Vortragende oder anderweitig aktiv Mitwirkende im Rahmen von Veranstaltungen der ›Stiftung Rosenkreuz‹ auftreten. Zumeist geht es dabei um Themen von allgemein spirituellem Interesse, behandelt auf Tagungen und Symposien, bei denen die der Anthroposophie Nahestehenden mit Vertretern der ›Stiftung Rosenkreuz‹ zusammenwirken. Der Schreiber dieser Zeilen ist schon langjährig, auch publizistisch, engagiert auf dem Feld des inter-spirituellen Dialogs. Es ist für ihn dabei selbstverständlich, dass Formen solchen Dialogs vor allem dann aussichtsreich sind, wenn um die Ansichten des jeweils Anderen tatsächlich gewusst wird.
Ein Begriff sucht Ausnüchterung
Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard hat einmal geschrieben, dass ein Begriff so daherkommen kann wie ein Besoffener – nämlich dann, wenn der Begriff zu viele Bedeutungen bekommen hat. Nicht nur Menschen, so Kierkegaard, sondern auch Begriffe können betrunken werden, und »hat man einmal einen Begriff so weit gebracht, dann mag sich dieser zur Ruhe begeben, um, falls möglich, seinen Rausch auszuschlafen, um wieder nüchtern zu werden«. Kierkegaard hat damit den Begriff das Selbstische gemeint. Er hätte aber wohl heute das Gleiche über den Begriff das Bewusstsein sagen können, weil es kaum einen modernen Begriff mit mehr Bedeutungen gibt. Ursprünglich als breiter philosophischer Terminus in die deutsche Sprache eingeführt, wurde er anfangs in der Alltagssprache nicht im philosophischen Sinne verwendet. In den letzten Jahrzehnten aber hat er sowohl in der Wissenschaft als auch in der Alltagssprache einen Bedeutungszuwachs erfahren, welcher der ursprünglichen philosophischen Bedeutung nahekommt. Dies ist nicht unproblematisch und verdient, genauer untersucht zu werden.
Einige grundsätzliche Überlegungen
Jedes einzelne (endliche, begrenzte und in diesem Sinne kontingente) Seiende tritt aus dem Seinsganzen hervor (emanatio), währt seine Zeit und sinkt in das Seinsganze zurück (regressus) Das Seinsganze ist der Seinsgrund des Seienden. Das Seinsganze »existiert« nur in dem Sinne, dass seine Teile existieren (exsistere = sich abheben, hervortreten, zum Vorschein kommen) und somit als einzelne Seiende durch Abgrenzung vom Grunde (differentia) definiert sind. Das Seinsganze selbst existiert in diesem Sinne nicht, da es, wie der Begriff »Seinsganzes« sagt, außerhalb seiner selbst, neben oder über ihm, kein weiteres Sein gibt, an das es angrenzen, von dem es sich unterscheiden oder aus dem es hervortreten könnte. (Mehr als alles gibt es nicht.) Es ist nicht definierbar, ist räumlich und zeitlich ohne Anfang und Ende, also unbegrenzt und somit unendlich. Es kann zu keinem genus proximum gehören (da es selbst der oberste Gattungsbegriff ist, der sich denken lässt) und verfügt über keine spezifische Eigenschaft, durch die es sich von anderem unterscheiden könnte (da es anderes als es selbst nicht gibt).
Ein Beitrag zur Morphologie der Frage-Antwort-Korrelation
An einem sonnig-kalten Samstagmorgen fand ich auf Facebook folgendes Zitat von Susan Sontagin der Timeline: »Die einzigen interessanten Antworten sind solche, welche die Frage zerstören.« Ich bewertete das Posting als einen interessanten Gedanken, fügte meinem Kommentar jedoch hinzu, dass zu überlegen wäre, auf welche Weise Antworten die dazugehörige Frage zerstören können. Denn gesetzt den Fall, aufrichtig gesuchte und errungene Antworten dienen der Wahrheitsfindung – weshalb sollten diese Antworten zerstörerisch wirken? Von einer Facebook-Teilnehmerin erhielt ich zur Antwort, dass diese Zerstörung »mit Hirnschmalz« zu erfolgen habe. Eine Aussage, gegen welche grundsätzlich nichts einzuwenden ist, denn der Einsatz von Hirnschmalz ist sicherlich wertvoll. Aber, so fragte ich mich weiter, was geschieht bei einer entsprechend generierten Antwort mit der zugrundeliegenden Frage-Intention strukturell? Beinhaltet nicht jede Frage notwendig auch einen Sinn-Vorentwurf? Was geschieht in diesem? Und weshalb sollte diese Klasse von Antworten die einzig interessante sein?
Annäherungen an eine Philosophie des Vielleicht
Vielleicht. Das Wort hat kaum Gewicht. Es lässt sich sprechen mit fast geschlossenem Mund, und auch die übrigen Sprechwerkzeuge beansprucht es kaum. Es ist nicht viel mehr als ein Hauch, der leicht über die Lippen geht. Und die Dinge, mit denen es zu tun hat, scheint dieses Wort mehr zu streifen, als dass es sie richtig erfasst. Vielleicht. So sehr sind die beiden Worte, denen der Ausdruck sich verdankt, miteinander verschmolzen, dass wir sie kaum mehr hören: viel und leicht. Nichts Beschwerliches also, nicht Kompliziertes.
Das Grundeinkommen – Pathologie und Wirkung einer sozialen Bewegung III
Es gibt einen Zwang zur Arbeit, der in der Natur des Menschen begründet ist. Wie kann dieser von der Gemeinschaft so getragen werden, dass er keinen Widerspruch zur Freiheit darstellt? Was bedeutet es, wenn der »freie Geistesarbeiter« nicht mehr nach den Bedingungen seines Einkommens fragen muss? Die beiden ersten Teile der Serie haben gezeigt, dass eine Vereinigung von Wirtschaft und Freiheit nur möglich ist, wenn die vorhandene Gesamtarbeitszeit so geteilt wird, dass jeder neben der Arbeit noch seinen geistigen Impulsen folgen kann. Teil III der Serie verdeutlicht, warum dies nicht im Interesse vieler Kapitaleigentümer liegt. Sie benötigen die Spaltung der Gesellschaft in Arbeitslose und Arbeitende für den eigenen Machterhalt – und treiben gerade deshalb die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens voran.
Ein Land auf der Kulturscheide Europas
Auf der Leipziger Buchmesse im März spielte Rumänien die Rolle des Gastlandes. Ein Wort, das die gegenwärtige rumänische Literatur wie die sozialen Netzwerke dieses Landes durchzieht, ist »rezist« – zu deutsch: widerstehen. Damit ist vor allem der Widerstand gegen die korrupte politische Klasse Rumäniens gemeint, der immer wieder in großen Demonstrationen zum Ausdruck kommt. Die folgende Darstellung möchte einen Beitrag zum Verständnis dieses Landes leisten, dessen Probleme aus seiner besonderen Lage heraus erklärt werden können.
Etüden sind Übungen, die der Heranbildung bestimmter Fertigkeiten dienen. Musikalische Etüden widmen sich einem technischen Problem, das in mehreren Variationen durchgespielt wird. Was Musikschülern derart zur Qual gereicht, dient Virtuosen als Bravourstück. Bei Komponisten wie Frédéric Chopin, Franz Liszt oder Claude Debussy, die selbst ein Instrument meisterhaft beherrschten, ist die Etüde vollends zum Kunstwerk veredelt. In diesem Sinne ist auch der Begriff der Philosophischen Etüde zu verstehen: als geistige Fingerübung höchster Ordnung, die das Denken in entschiedene Bewegung bringt und einmal andere Pfade wandeln lässt als die gewohnte Bahn.
Zu ›Die Abhängigkeit des Einkommens von der menschlichen Arbeit‹ von Johannes Mosmann in die Drei 1-2/2018 // Zu ›»Das verkrampfte Verhältnis zur Spiritualität in der Hochschulbildung überwinden«‹ von Marcelo da Veiga & Claudius Weise
Andere Muskeln trainieren
Gentechnik zum Geldmachen
Leben – trotz Theresienstadt
Der Martin Luther des Islam?
Ein Märchen aus brutalen Zeiten
Kann man über einen heutigen Krieg Märchen erzählen, ohne etwas zu verharmlosen und ohne die Zwischendimensionen zu verlieren, die wirklichen Märchen eigen sind? Man kann es – und muss es vielleicht sogar, will man nicht die seelische Wirklichkeit der Menschen aus dem Auge verlieren. Der irakische Kurde Bachtyar Ali lebt seit über zwanzig Jahren – nachdem er als Student mit der Diktatur Saddam Husseins in Konflikt gekommen war – in Deutschland, schreibt aber weiterhin auf kurdisch und ist in Kurdistan ein gefeierter Autor. Nach dem Erfolg eines ersten ins Deutsche übersetzen Romans, ›Der letzte Granatapfel‹ (2016), hat nun der Züricher Unionsverlag einen weiteren Roman von ihm herausgebracht: ›Die Stadt der weißen Musiker‹, im Original bereits 2005 erschienen. Auch dieser spielt inmitten der kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak: den zwei Golfkriegen (1980-88 und 1990/91), Saddams Krieg gegen die Schiiten im Süden, seinen Vernichtungsfeldzügen gegen die Kurden im Norden, und dazu den blutigen innerkurdischen Fehden.
Zur Aktualität von Edward Saids ›Orientalismus‹
Vor 40 Jahren erschien in New York die erste Ausgabe von Edward Saids Hauptwerk ›Orientalismus‹. Das Buch wurde in 36 Sprachen übersetzt und liegt seit 2009 in einer zweiten, gut lesbaren deutschen Fassung vor. Im Gegensatz zu Frankreich, Großbritannien und den USA ist Edward Said im deutschsprachigen Raum wenig bekannt; dementsprechend ist sein Hauptwerk hierzulande selbst von Orientalisten kaum rezipiert worden. Angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen, die durch die vielschichtigen Umwälzungen in den Ländern des Orients auch für Mitteleuropa entstehen, erscheint eine Auseinandersetzung mit Saids Gedanken zukunftsweisend.
Zur Ausstellung ›Die Etrusker‹ im Badischen Landesmuseum Karlsruhe
Sie nannten sich selbst »Rasenna« oder »Rasna« und siedelten in Mittelitalien zwischen dem Arno im Norden, dem Tiber im Süden und dem Tyrrhenischen Meer im Westen. Von jeher haftete den Etruskern die Aura des Geheimnisvollen an. Wer sie waren und woher sie kamen ist bis heute nicht hinreichend geklärt. Durch römische Autoren weiß man, dass es sich um eine Schrift verwendende Hochkultur handelte, ihre Eigenzeugnisse sind jedoch größtenteils verlorengegangen. Daher kommt der archäologischen Forschung eine Hauptrolle zu.
Johann Joachim Winkelmann (9. Dezember 1717 – 18. Juni 1768)
Zum ersten Mal begegnete mir Winckelmann in einem Buch der Weimarer Schriftstellerin Jutta Hecker (1904-2002). Ihre Biografie beginnt mit einer Beschreibung der Hafenstadt Triest vor 250 Jahren, und des Friedhofs, auf dem später für Winckelmann ein Kenotaph errichtet wurde: »Winckelmann – das Wissen von heute rühmt ihn im Grunde nur noch als Begründer der Archäologie –, war er mehr? Und wie kam er hierher nach Triest? Nachdenklich schaust du umher: Rings um dich Stille und Stein und Schatten wie über diesem Namen Stille und Starre und Schatten. Und doch, wenige Schritte nur zurück, und da ist wieder heißes, sengendes Licht, Gelärm, Getriebe, Geschrei.«
Dritte Betrachtung zu den Fenstermotiven im Großen Saal des Goetheanums
Von den blauen Weiten des Raumes – mit dem Thema der Bildung der leiblichen Grundlage als Gefährt der Seele – wandern wir weiter nach Norden und dem violetten Fenster zu. Es führt uns zu den Rätseln von Tod und Wiedergeburt. Mit dem Blau entstand das Erlebnis der Überwindung des Egoistischen, um gleichsam makrokosmisch zu werden. Beim Violett nun steigert sich die Farbe zum Religiösen hin und man bereitet sich, um bewusstseinsmäßig über die Todesschwelle zu schreiten. Wenn die Finsternis erleuchtet wird, so entsteht das Blau, und es »steigert sich das Blau in das schönste Violett, wenn wir eine erleuchtete Trübe vor der Finsternis verdünnen oder vermindern.« Dem entspricht auch die innere Steigerung von den blauen zu den violetten Fenstern, wenn man die Finsternis als ein Geistiges, das noch nicht erleuchtet wurde, versteht.
Ein Blick auf Zwier Willem Leene
Es mag fraglich erscheinen, wozu in einer anthroposophisch ausgerichteten Zeitschrift wie die Drei ein Buch besprochen wird, das den Pionier einer Gruppierung vorstellt, die viele Jahrzehnte hindurch jede Berührung mit der anthroposophischen Bewegung mied: des ›Lectorium Rosicrucianum‹. – Der Rezensent sieht die Erfordernis dazu in Entwicklungen der letzten Jahre begründet, die als Versuch einer energischen Annäherung von dieser Seite an die anthroposophische Bewegung zu verstehen sind. Das Instrument, um diese Annäherung voranzubringen, ist die vielerorts agierende ›Stiftung Rosenkreuz‹, eine Vorhoforganisation des ›Lectorium‹, durch die Begegnungen mit Vertretern der Anthroposophie gesucht werden. Und so enthält denn auch das hier zu besprechende Buch zahlreiche Verweise auf Rudolf Steiner und die Anthroposophie.
Eine Betrachtung des Bildes ›Ixion, von Juno getäuscht‹ von Peter Paul Rubens
Denken, Fühlen und Wollen sind die drei Dimensionen des menschlichen Seelenorganismus, die sich im Physisch-Ätherischen auf das Nerven-Sinnes-System, das rhythmische System und das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System stützen. Dass diese Funktionen in der Entwicklung der Menschheit in einem langen, leidvollen Prozess harmonisiert wurden, schildert die griechische Mythologie in vielen Facetten. Drei ihrer berühmten Protagonisten – Sisyphos, Ixion und Tantalos – können die gewaltigen seelischen Kräfte nicht integrieren und werden deshalb grässlich bestrafte tragische Helden, welche die Gemüter bis in die Neuzeit beschäftigen. Es wurde bereits gezeigt, wie bei Sisyphos das Denken alles beherrschte und Wunsch und Wagemut den Tantalos verführten. Dass Ixion von den Kräften der Individualisierung überwältigt und vereinsamt wurde, weil es ihm nicht gelang, sein Gefühlsleben zu gestalten, wird im vorliegenden Beitrag mit Hilfe des Bildes ›Ixion und Nephele‹ von Peter Paul Rubens entwickelt.
Die Ohnmacht des gewöhnlichen Erkennens als Ausgangspunkt der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners
Vor hundert Jahren hielt Rudolf Steiner eine Reihe von öffentlichen Vorträgen, in denen er sich über ein Erlebnis äußerte, das damals etwa 35 Jahre zurücklag: seine Begegnung mit Friedrich Theodor Vischer, in deren Folge er die ersten Bausteine der Anthroposophie legen konnte. lm Folgenden wird der Charakter dieses Ereignisses entfaltet und der Frage nachgegangen, wie mit dessen Hilfe – in einer sehr grundsätzlichen Art und Weise – die Brücke zwischen Alltagsbewusstsein und dem in Rudolf Steiner verkörperten höheren Bewusstsein gebildet werden kann.
Laut Novalis hängt die poetische Kraft von dem Erkenntnisbewusstsein ab, von dem sie getragen wird: »Je größer der Dichter, desto weniger Freyheit erlaubt er sich, desto philosophischer ist er.« Die poetische Konstruktion soll zwar nicht Erkenntnisse begrifflich darstellen, eine abstrakte Gedankenbewegung nach sich ziehen, jedoch in dem poetischen Werk ein Instrument erzeugen, das wie die Werke echter Wissenschaft das seelische Leben stärkt, konkretisiert. Dem Poeten (für Novalis ist der Poet der sprachlich Schöpferische, der Dichter schlechthin) wird dies insofern gelingen, als er Erfahrungen des seelischen Lebens angesammelt hat und in der Erkenntnis seiner selbst vorgedrungen ist. Das Erkennen bildet den untergründig das poetische Schaffen belebenden Gegenstrom. Es ist geistiges Einatmen der Zusammenhänge, die – verwandelt durch individuelles Erleben – im Kunstschaffen ausgeatmet werden. Der Poet wählt und entwickelt seinen Stoff, die sprachlich gebundene Vorstellung, so, dass dieser sein Erkennen aufzunehmen vermag.
im Spiegel ihres Briefwechsels
Betrachtet man das Zusammenwirken von Friedrich Schlegel und Friedrich von Hardenberg, so kann man nur darüber staunen, wie vollständig sich diese beiden Geister ergänzten. Es war die denkbar größte Wertschätzung, die sie einander entgegenbrachten, das höchste Freiheitsempfinden für den anderen, dem man hier staunend begegnen kann. Gerade in den späteren Jahren dieser Freundschaft drängt sich zuweilen der Eindruck auf, als stünden einander nicht zwei getrennte Persönlichkeiten gegenüber, sondern als hätte man es mit einer einheitlichen Wesenheit zu tun – so vollständig war die gegenseitige Durchdringung, so tief das Verständnis füreinander. Um sich zu solchen Höhen erheben zu können, musste diese Freundschaftsbeziehung allerdings mehrere Stufen durchlaufen.
Ruth Renée Reif im Gespräch mit François-Xavier Fauvelle
»Goldene Jahrhunderte« nennt der französische Historiker und Archäologe François-Xavier Fauvelle die mittelalterliche Ära Afrikas. In seinem Buch ›Das goldene Rhinozeros. Afrika im Mittelalter‹ (aus dem Französischen von Thomas Schultz, C.H. Beck, München 2017) durchmisst er auf einer Art Entdeckungsreise acht Jahrhunderte afrikanischer Geschichte. »Wir werden uns damit abfinden müssen, nicht immer zu verstehen, was wir sehen«, warnt er seine Leser vor. Geografische Ungenauigkeiten, Widersprüche, verwaiste Spuren und verlorene Fundgegenstände kennzeichnen das historische Bild des Zeitraums zwischen Antike und Neuzeit, bevor der afrikanische Kontinent »mit Gewalt an das Schicksal der europäischen Mächte gekoppelt« wurde. Dennoch gelingt es Fauvelle, anhand vielfältiger Dokumente wie Briefe, Reiseberichte, Handelsverträge, Landkarten sowie archäologische Funde einen Kontinent als Zentrum strahlender Kulturen zum Leben zu erwecken.
Das Grundeinkommen: Pathologie und Wirkung einer sozialen Bewegung II
Im 1. Teil dieser Serie (vgl. die Drei 1-2/2018) wurde begründet, warum ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht auf die Annahme gestützt werden kann, Maschinen würden Menschen von der Arbeit freistellen. Der Zwang zur Arbeit ist in der Natur der arbeitsteiligen Weltwirtschaft begründet und kann daher nicht abgeschüttelt werden. Daneben gibt es Abhängigkeiten von Rechtsformen, die bewirken, dass der »Mehrwert« der voranschreitenden Arbeitsteilung zunehmend einer kleinen Personengruppe zufließt. Die Grundeinkommensbewegung möchte eigentlich diese Einkommen umverteilen, verliert dabei aber die Bedeutung der materiellen Arbeit aus dem Blick. Der II. Teil zeigt auf, wie falsch gestellte Fragen in eine Ökonomisierung des Geisteslebens hineinführen, anstatt die Klärung des Verhältnisses von Geistesleben und Wirtschaftsleben als Dreh- und Angelpunkt der zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung zu begreifen.
Mehrere Themenstränge durchziehen dieses Heft. Wie eine Klammer steht das Thema des bedingungslosen Grundeinkommens an Anfang und Ende: einmal in Gestalt der Fortsetzung von Johannes Mosmanns Artikelserie, zum anderen in Gestalt des Leserforums, in dem wir zwei kritische Repliken auf deren ersten Teil im vorigen Heft wiedergeben. (Daneben gab es auch viel Zuspruch!) Zum Nahen Osten und der in ihm vorherrschenden Religion des Islam finden sich wiederum Beiträge im Feuilleton von Astrid Lütje und Stephan Stockmar, sowie Buchbesprechungen von Marcus Andries und Johannes Roth. Ruth Renée Reifs Interview mit dem französischen Historiker und Archäologen François-Xavier Fauvelle über das mittelalterliche Afrika schlägt von hier aus sozusagen die Brücke zu Maja Rehbeins Essay über Johann Joachim Winckelmann, der Archäologie und Kunstgeschichte wichtige Impulse gab.