Zu Alexej Nawalny: ›Patriot‹
Ich habe mich ein wenig gefürchtet vor diesem Buch. Dass wieder geschehen könnte, was Veröffentlichung in medialen Zeiten allzu oft bedeutet: Ausschlachtung! Dass ein Menschenleben auf dem Marktplatz ausgebeutet wird, wo Konsum und Sensationsgier die Lebenden wie die Toten schänden. Aber so ist es nicht – Gott sei Dank! ›Patriot. Meine Geschichte‹, die Autobiografie von Alexej Nawalny, erschienen im S. Fischer Verlag, ist ein Buch der Wunder.
Über den Kulturverlust in Zeiten der Pandemie
Im Jahre 1962 erschien in den Vereinigten Staaten Rachel Carsons Buch ›Der stumme Frühling‹. Es löste damals eine Art von Aufschrei aus und befeuerte die Anfänge der ökologischen Bewegung. Worum ging es? Auch zu jener Zeit war die zivilisierte Welt keineswegs still oder stumm – im Gegenteil! Aber die Menschen spürten auf einmal: Ein wesentliches Element zum Erleben des Frühlings fehlte: die Vogelstimmen. Sie waren verstummt, denn die Zivilisation hatte den Vögeln die Lebensgrundlage genommen. Das betraf damals (und auch heute noch!) die Natur, das Naturerleben. Wenn ich jetzt 2020/21 in Analogie dazu von einem »stummen Winter« spreche, geht es um die Kultur – also das, was in der modernen Zivilisation das öffentliche In-Erscheinung-Treten und Sich-Ausleben von »Kultur« ist: Musik und Konzerte, Bildende Kunst und Ausstellungen, Theater, Schauspiel und vieles mehr, soweit es sich öffentlich im aktuellen Sich-Begegnen und Agieren der Menschen untereinander abspielt. Öffentliches Sich-Begegnen der Menschen sei aber – so heißt es – in den Zeiten der Corona- Pandemie gefährlich! Überdies sei das »öffentliche Ausleben« von Kultur nichts so Lebenswichtiges wie Essen und Trinken, Gesundheit und Hygiene, wie Produktion und Handel der für’s Leben »unverzichtbaren« Güter. Kultur sei Unterhaltung, etwas für die Freizeit! »Kultur« ist also im Sinne der um uns besorgten Politiker und ihrer Ratgeber aus Kreisen der »Wissenschaft« bloß Unterhaltung; sie wird also dem nicht-essenziellen Bereich des Lebens zugeschlagen!
Auch ein Beitrag zur anthroposophischen Diskussion über Verschwörungstheorien
Die Leserbriefe von Jens Heisterkamp und Johannes Denger zu Ralf Sonnenbergs Artikel ›Die offene Gesellschaft und ihre Anthroposophen‹ lassen vermuten, dass wir mit dem Thema »Verschwörungstheorien« – auch aus anthroposophischer Perspektive – noch nicht an ein Ende gekommen sind. Daher sollte man überlegen, wie weitere Diskussionen konstruktiv zu führen wären. Ihre Grundlage sollten Sachkenntnis sein sowie Einsicht in Haltungen, Arbeitsmethoden und Argumente der Befürworter von Verschwörungstheorien (im Folgenden »Skeptiker« genannt) und ihrer Kritiker.
Zu Edwin Hübner: ›ChatGPT – Symptom einer technischen Zukunft‹
Der Verfasser des hier zu besprechenden Buches hat den Wunsch, dass seine Leser verstehen, wieso eine Maschine in der Lage ist, auf schwierige Fragen komplexe und sinnvolle Antworten zu geben. Um dieses Ziel zu erreichen, wird u.a. erklärt, was künstliche neuronale Netze sind, wie sie gebaut werden und wie sie funktionieren. Im Folgenden einige Sätze aus dem Kapitel ›Zur Grundidee von ChatGPT‹: »Das Prinzip ist schnell formuliert. Die Maschine hat die Aufgabe, zu einem eingegebenen Text nur das nächste sinnvoll passende Wort zu finden. Wird also bei ChatGPT eine Frage, ein sogenanntes Prompt, eingegeben, dann hat der daraufhin erfolgende Rechenaufwand nur eine einzige Aufgabe: das Wort zu finden, das die größte Wahrscheinlichkeit besitzt, den sinnvollen Anfang eines Antwortsatzes zu bilden. […] Man kann es auch so formulieren: Das Sprachmodell GPT versucht in bestmöglicher Nähe die bedingte Wahrscheinlichkeit des Wortes Wn zu bestimmen, wenn die anderen Wörter W1, W2, W3 … Wn-1 bereits vorliegen.« (S. 21)
Nützliche Irrtümer – und »schädliche« Wahrheiten
In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Anlass, Fragen der Wahrhaftigkeit und der Glaubwürdigkeit zu erwägen; längst ist die Methode des »Fakten-Checks« in aller Munde. In einigen Fällen sind die Widersprüche augenfällig, in anderen Fällen kommt man erst durch Nachsinnen darauf, wo sich hinter zunächst harmlos anmutenden Formulierungen schwerwiegende Fehlleistungen verbergen.
Im folgenden Artikelwird beschrieben, wie Geld und Buchhaltung in der Gegenwart immer mehr zusammenfallen und dadurch zu einem Wahrnehmungsorgan für das Wirtschaftsleben werden können. Dazu ist aber ein qualitatives Verständnis der zentralen Elemente der doppelten Buchhaltung notwendig. Wird erkannt, wie sich darin das Verhältnis von Ich und Welt spiegelt, so kann dies zu einer ganz neuen Form der Gewinnverwendung führen.
Der Sozialimpuls in Goethes ›Märchen von der Grünen Schlange und der Schönen Lilie‹
In seinem 1993 erschienenen letzten Buch ›Die Rettung der Seele‹ benennt Bernard Lievegoed die Jahre zwischen 2020 und 2040 als Tiefpunkt eines Kampfes, der Abgründe von Dämonie öffnen wird. Wenn man auf die fortschreitende Eskalation der letzten Zeit seit März 2020 schaut, braucht es nicht viel Phantasie, um das darin liegende gesellschaftliche Zerstörungspotenzial in seiner ungeheuren Dimension zu erfassen. Und diese Entwicklung zeigt sich in allen Schichten der Gesellschaft im Umgang mit dem Auftreten von Covid-19.
Ich will gerade die Straße überqueren, da trifft mich ein blauer Lichtstrahl. Unwillkürlich schaue ich mich um, nach einer Radarfalle – aber, Gott im Himmel, ich bin doch zu Fuß unterwegs. Dann suche ich tatsächlich den Himmel ab, ob vielleicht eine Drohne ...? Nach dem Blitz kommt der Donner, prasselnd geht der Hagel nieder, es ist ein Gewitter. Ein erschreckender Jahresbeginn, Anfang 2018. Obwohl ich elektronisch abstinent lebe und dies keineswegs als Verzicht, sondern als Wohltat empfinde, nehme ich offensichtlich teil am Wahnsinn der Zeit. Wie könnte es sonst sein, dass ich eine überraschende Lichterscheinungn automatisch als technisch verorte? Das blaue Licht spottet meiner Geistesgegenwart.
Zur Bedeutung des Exportüberschusses der deutschen Wirtschaft (16a)
Kein Land in der Welt hat in 2016 mehr Waren und Dienstleistungen ins Ausland exportiert als Deutschland. Das wäre unproblematisch, wären in gleicher Höhe auch Waren und Dienstleistungen importiert worden. Deutschland ist aber nicht nur seit Jahren Export-Weltmeister, sondern auch Exportüberschuss-Weltmeister. Solche Überschüsse sind nur möglich, wenn das Ausland sich entsprechend verschuldet bzw. Inländer immer mehr Kapital im Ausland anlegen. Ein Blick in die Zahlungsbilanzstatistik der Deutschen Bundesbank zeigt, dass die Nettoauslandsvermögen zwischen 2004 und 2016 sich etwa versiebzehnfacht haben. Die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde hat sich in den letzten 25 Jahren kontinuierlich erhöht. Die Reallöhne hingegen sind, wie die beigefügte Grafik zeigt, bis 2010 gefallen. Seit 2014 steigen sie wieder stärker. Dennoch zeigt dieses deutlich, dass die Erwerbstätigen in Deutschland nicht an der gestiegenen Produktivität partizipieren konnten.
Zu Samirah Kenawis Tetralogie: ›Die Quadratur des Geldes‹
Das internationale Geldsystem erzeugt verheerende Krisen. Samirah Kenawi hat in einem vierbändigen Werk die Ursachen ergründet und über Reformmöglichkeiten nachgedacht. An zentralen Stellen kommt sie zu Beobachtungen, die dem sehr ähnlich sind, was Rudolf Steiner vor 100 Jahren zu Geld und Kapital beschrieben hat. Der vorliegende Text vergleicht daher die beiden Ansätze und zeigt, wo sie sich ergänzen oder unterscheiden.
Überlegungen zu Wert und Würde des Menschen
Wenn man seit dem Frühjahr 2020 zur Corona-Regierungspolitik eine relativ klare Haltung hat, trotzdem im Sozialen beweglich zu sein versucht und als Waldorflehrer pragmatisch, loyal und achtsam – ist das ein Widerspruch? Die Unveränderlichkeit der eigenen skeptischen Position gründet ja weder darin, einer Theorie anzuhängen, noch neue Gesichtspunkte auszuschließen. Es ließe sich allenfalls sagen, dass einen die Entwicklung seit April bestätigt. Auch dazu steht nicht im Widerspruch, im Alltag stets Ausgleich, Begegnung und seelischen Kontakt schaffen zu wollen. Das Gewahrwerden des Anderen, das (An-)Erkennen seines Ich erfahre ich jedenfalls immer wieder als das Entscheidende, da durch solche gemeinsame Gesinnung ein Drittes entsteht. Das individuell Schöpferische wirkt integrativ, weniger der allgemeine Vorsatz, dies um jeden Preis sein zu müssen. Die Würde eines Gesprächs besteht in diesem Offensein, und das Phänomen der Anziehung, dass ich jemanden mögen und mich mit ihm verstehen kann, obwohl wir konträre Meinungen haben, ist geheimnisvoll – ist auch etwas Kindliches.
Lebensbedingungen eines Virus
Im Schweizer ›Tagesanzeiger‹ vom 17. April schreibt Kia Vahland, dass es hinsichtlich der kulturellen Bedeutung der Maske – ›Stoff der Zukunft‹ ist der Artikel überschrieben – eines ideologischen Abrüstens bedürfe. Das Tragen von Masken sei ein Zeichen der Hoffnung, die Maske eine »Vorbotin eines möglichen Sieges über die Seuche«. Doch wer Dankbarkeit für ein offenes menschliches Gesicht zu empfinden vermag, wer Ehrfurcht hat vor dem Antlitz des Individuums, wer Freude und Freiheit erlebt unter einander freundlich anlächelnden Mitmenschen – der kann eigentlich nichts Zukünftiges in der gegenwärtigen Entwicklung erkennen, auch wenn die Verordnung oder Empfehlung, eine Maske zu tragen, vom Kopf her als solidarische und der allgemeinen Sicherheit dienende Tat verstanden wird. Das unmittelbare Erlebnis von maskierten Bürgern, von Gleichschaltung und Anonymität, spielt der guten Absicht indes fortwährend einen Streich. Wer muss sich nicht einen Ruck geben, um sich in solch einer Umgebung, in solch einer Art Alltag mit seinen Nächsten wirklich frei und wohlzufühlen? Es strahlt unwillkürlich etwas Unangenehmes und Negatives aus, das zuallererst Kinder spüren und intuitiv als Verstörung und als angstmachend erleben. Was mag es in ihrem Innerem anrichten, wenn sie die Welt als maskiert erfahren, die Maske als das kühl Normale und nicht das spielerisch Verzaubernde? Vor allem, wenn sie auch selbst eine solche Maske aufsetzen müssen.
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Anmerkungen zu einer notwendigen Qualität
Wer kennt nicht die schnappschussartige Erinnerung an eine einzelne Szene oder an einen einzelnen ausgesprochenen oder geschriebenen Satz, vielleicht weit zurückliegend, aber noch lebendig, wie wenn es eben gewesen wäre? Die meisten damals erwachsenen Menschen erinnern sich beispielsweise genau an die konkrete Situation, in der sie sich befanden, als sie am 11. September 2001 die Nachricht von den brennenden und einstürzenden Wolkenkratzern in New York erreichte. Oft ist im Moment allerdings nicht einmal so klar, weshalb sich gerade diese Erinnerung so tief eingegraben hat. Viel später erst, im Rahmen eines selber oder von anderen thematisierten Zusammenhangs, taucht diese plötzlich wieder auf und fügt sich in ein aktuelles Thema ein. Von zwei solchen Erinnerungen ist hier die Rede – und anschließend von ihrer Einordnung in das Thema ›gesellschaftliche Resilienz‹.
Zur Abwesenheit eines öffentlichen Diskurses über die Ziele der Digitalisierung in Deutschland
»Die Digitalisierung«, so heißt es in einem Merkblatt des ›Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen‹, »wird vielfach als unaufhaltsamer, sich beschleunigender Prozess erlebt und dargestellt. Sie ist aber keine ›Naturgewalt‹, sondern eine von Menschen vorangetriebene Entwicklung. Sie kann und sollte daher gestaltet werden. Damit dies gelingen kann, müssen die Prozesse und Auswirkungen dieser technischen Revolution von den gesellschaftlichen Akteuren verstanden und ihre Verursacher*innen und Treiber transparent gemacht werden. Wir brauchen Räume für die Diskussion darüber, wie die Digitalisierung mit gesellschaftlichen Zielen verbunden werden kann und welche Rollen öffentliche und private sowie lokale und globale Akteure dabei spielen sollten.«
Ein Kommentar zum ›Wort‹ und zum ›Unwort‹ des Jahres 2016
Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) wählt seit 1977 regelmäßig das ›Wort des Jahres‹ bzw. die ›Wörter des Jahres‹. Auch für 2016 benannte die GfdS »jene zehn Wörter und Wendungen, die den öffentlichen Diskurs des Jahres wesentlich geprägt und das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben sprachlich in besonderer Weise begleitet haben.« Diese Wörter sind: 1. Postfaktisch, 2. Brexit, 3. Silvesternacht, 4. Schmähkritik, 5. Trump-Effekt, 6. Social Bots, 7. schlechtes Blut, 8. Gruselclown, 9. Burkiniverbot, und – als ›Satz des Jahres‹ – : 10. Oh, wie schön ist Panama.
›Ekta Parishad‹ als Beispiel einer sozialen Bewegung
Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging und unsere Eltern glaubten, wir seien nach Ausbombung, Evakuierung und Flucht »angekommen«, wurden uns Kindern kleine Gartenbeete zum Bestellen und Pflegen zugeordnet. Da wir in diesen ersten Nachkriegsjahren oft Hunger hatten, säten wir schnell Wachsendes und direkt Essbares, Radieschen und Möhren. Neugier und Hunger ließen mich beim Hervorsprießen der ersten Blätter die Pflänzchen herausziehen – wenigstens ein kleines bisschen – um zu sehen, ob sich schon etwas Rotes, Essbares zeigte. Ich lernte aus dieser pädagogischen Maßnahme meiner Eltern, dass die Keimblätter, also die allerersten Blätter, stets anders aussehen als die der späteren Pflanze, und ich erlebte, dass unvorsichtiges Hinschauen einen Wachstumsprozess gefährden und abbrechen kann.
Künstliche Intelligenz simuliert menschliche Fähigkeiten immer besser
Die Dinge entwickeln sich mit bedächtiger Schnelle. Zuerst sind sie bloß Science-Fiction: Schriftsteller lassen ihrer Fantasie freien Lauf. Einige Jahre später treten Wissenschaftler auf, die diese Fantasien technisch realisieren wollen, und wieder einige Jahre später scheinen die geschaffenen Geräte das zu können, von dem die Schriftsteller fantasierten. – Als Mitte der 1940er-Jahre die Computer erfunden wurden, sprach man sehr bald von ihnen als den künstlichen Gehirnen. Das Magazin ›Der Spiegel‹ schrieb z.B. 1950 unter dem Titel ›Maschinengehirn. Beängstigend menschlich‹ über die aus heutiger Sicht sehr primitiven Computer. In dem Bericht tauchen Worte auf, wie »Denkmonster«, »Supergehirn«, »Rechenwunder«, »übermenschliche Gehirnarbeit«. Und dann auch Sätze wie: »Tatsächlich aber mußten die Wissenschaftler feststellen, daß im Verhalten der Maschinengehirne beängstigend menschliche Züge hervortreten.« Der Bericht endet mit dem Satz: »Es könnte die Zeit kommen, da diese Supergehirne herrschen. Vielleicht, ohne daß die Menschen es merken.«
Eine anthroposophische Zumutung
Das gegenwärtige Alltagsleben ist so tief wie nie in der Geschichte von flächendeckenden hygienischen Zwangsmaßnahmen geprägt. Diese Maßnahmen begleitet ein bemerkenswertes Phänomen: Viele Vertreter spiritueller Strömungen sind bemüht, ein Bild der von ihnen jeweils repräsentierten Strömung zu vermitteln, das so gut wie möglich mit jenen Maßnahmen konvergiert. Auf diese Weise entstehen groteske Inszenierungen, die ihresgleichen suchen: Geistliche Würdentr.ger, die Gotteshäuser schließen, Seelsorge verweigern, sich öffentlich impfen lassen oder ein totalitäres Gesundheitsregime befürworten, waren bis vor Kurzem kaum vorstellbar gewesen. Warum? Weil das Menschenbild, von dem ausgehend die flächendeckenden hygienischen Zwangsmaßnahmen in Windeseile das gegenwärtige Alltagsleben umgekrempelt haben, die schrillsten Widersprüche zu jenem offenbart, das alle spirituellen Strömungen bisher als grundlegend voraussetzten. Dieses Menschenbild ist nämlich – wenn vorurteilslos und quellenbewusst wahrgenommen – mit einem »großen Umbruch« der Gesellschaft absolut unvereinbar, der sich zuvörderst an obsessiver Angst vor Krankheit und Tod orientiert.
oder: Perversion des Auserwähltseins
Die zum zweiten Mal innerhalb von fünf Monaten abgehaltenen Wahlen in Israel sind ein Anlass, den Blick auf bestimmte Aspekte der aktuellen gesellschaftlichen Lage dieses Landes zu lenken. Davon, diese Lage umfassend zu verstehen oder zu erklären, kann kaum die Rede sein. Eher geht es um eine möglichst genaue Beobachtung der Phänomene – und um eine Schilderung von Bildern und Gedanken, die im Bewusstsein eines von weitem beobachtenden Einheimischen aufsteigen. Keine verborgenen Wahrheiten oder Enthüllungen, sondern ein besorgter Blick auf den offensichtlichen Zerfall von Werten und sozialer Kohärenz.
Anthropomorphe und kryptoreligiöse Motive des Transhumanismus
»Die Wissenschaft denkt nicht«: Dieser starke Satz Martin Heideggers kam mir schon während meiner Studienzeit in München des Öfteren in den Sinn, wenn mein anfänglicher Respekt vor Mathematik- oder Physikstudenten bei gemeinsamen Verständnisbemühungen in Philosophie-Arbeitskreisen wie Butter in der Sonne dahinschmolz. Gerade neuerdings drängte sich mir der Satz erneut auf, diesmal aber nicht angesichts verzeihlicher studentischer Unreife, sondern angesichts eines Artikels mit dem Titel ›Unsere Nachfahren werden Maschinen sein‹, der am 23. Oktober in der ›Neuen Zürcher Zeitung‹ erstmals in deutscher Übersetzung ganzseitig publiziert wurde. Bei seinem Autor, Martin Rees, handelt es sich jedoch nicht um einen wissenschaftlichen Anfänger, sondern um einen der renommiertesten Wissenschaftler der Gegenwart. Der 1942 in York geborene Astronom der Cambridge University wurde seit 1984 aufgrund seiner wissenschaftlichen Arbeit mit hochdotierten Auszeichnungen − vom Albert Einstein World Award of Science (2003) bis zur Isaac Newton Medaille (2012) − geradezu überhäuft, schliesslich sogar in den Adelsstand erhoben worden (Baron Rees of Ludlow) und war ein halbes Jahrzehnt, von 2005 bis 2010, Präsident der Royal Society (PRS), der bedeutendsten britischen Gelehrtengesellschaft.
Impressionen vom schwedischen Sonderweg
Kann man allen Ernstes in diesen Zeiten nach Schweden in den Urlaub fahren? Soll man das gebuchte Ferienhaus stornieren, nur weil einige Wochen vor Abfahrt im Raum stand, dass jeder Schwedenurlaub-Heimkehrer in vierzehntägige Quarantäne muss, da die Fallzahlen dort angeblich stark angestiegen seien?
Goetheanistische Betrachtungen aus Afrika IV
Die 7-jährigen Zwillinge Fynn und Orin aus unserer kleinen Reisegruppe wissen immer, wie alt die hinterlassenen Bollen der Elefanten sind. Je dunkler, feuchter und verbackener, desto jünger; je heller, trockener und auseinandergefallener, desto älter. Trotz vieler Mopane-Bäume – der Hauptnahrung der Wüstenelefanten – und der Losungen, denen wir fast überall begegnen, bekommen wir aber keine Elefanten zu Gesicht. Das Flussbett weitet sich, größere Bäume gesellen sich dazu und der Mopane weicht dichtem, struppigem Gebüsch.
Eine (nicht nur) politische Betrachtung zur Jahreswende
Es ist jetzt sechs Jahre her, dass Siegfried Woitinas (1930–2014) seinen letzten Leitartikel für das Programmheft des von ihm mitbegründeten Forum 3 in Stuttgart verfasste, der den aufrüttelnden Titel ›Zeit der Entscheidung‹ trug. Obwohl ich diesen Essay damals – ich arbeitete selbst im Forum 3 und konnte mich mit Siegfried unmittelbar austauschen – durchaus mit eigenen Beobachtungen in Verbindung zu bringen vermochte, hatte ich keine Ahnung, als wie prophetisch er sich noch erweisen sollte. Das hatte auch damit zu tun, dass die weltpolitische Lage zu jener Zeit vergleichsweise idyllisch wirkte: Barack Obama war gerade wiedergewählt worden, Angela Merkels zweite Legislaturperiode neigte sich ihrem einschläfernden Ende zu, im Elysée-Palast residierte ein farbloser Sozialdemokrat namens François Hollande und in der Downing Street führte mit David Cameron ein europafreundlicher Konservativer die Geschäfte. Auch Wladimir Putin hatte soeben eine weitere Amtszeit als Präsident angetreten, doch mit der Krim verband man damals allgemein nicht mehr als Sekt.
100 Jahre Dreigliederung und eine Tagung in Stuttgart
Wir leben in Zeiten, in denen sich Verhältnisse, die lange zu tragen schienen, als brüchig erweisen. Selbst in Ländern, wo dies nicht zu erwarten war, hat die Konsensfähigkeit von Leitbildern wie Menschenrechte und Demokratie abgenommen. Gespenster der Vergangenheit regen sich. Die Demokratie blieb zwar auch bisher unvollendet, doch so bedroht wie heute war sie lange nicht. Die Verarmung gesellschaftlicher Randschichten und Abstiegsängste der Mittelschicht bieten Angriffspunkte für Demagogen. Ungerechte Eigentumsverhältnisse, Mietwucher und Bodenspekulation treffen viele Menschen schwer. Jugendliche vermissen Perspektiven, Alte fürchten um ihre Einkommenssicherheit. Nationale Egoismen beschädigen bzw. zerstören ein friedliches Miteinander in weiten Teilen der Welt. Der Klimawandel sowie der Umgang mit Digitalisierung und künstlicher Intelligenz sind weitere Herausforderungen, vor denen wir im 21. Jahrhundert stehen.
Beobachtungen auf der ›documenta 14‹ in Athen
»Hiermit trete ich aus der Kunst aus.« Joseph Beuys – Hiermit schließe ich mich dem vorangestellten Aktionssatz an. Es ist Zeit, Stellung zu beziehen. Was soll man anfangen mit einer Kunstveranstaltung, die als Parallelwelt fungiert – und keine Wärme, keine Zähmung, nichts an die wildfremde Wirklichkeit abgibt, dies aber zuvor ausdrücklich als ihr Anliegen formuliert: »In der Echtzeit, in der echten Welt zu agieren, in der wir leben wollen«? Die Rede ist von der ›documenta 14‹, deren erster Teil dieses Jahr in Athen stattfand. Ich war dort, ich kam, mich berühren zu lassen, denn: »Ich liebe Griechenland und Griechenland liebt mich«. Darum werde ich versuchen nicht mit einer Silbe abzuweichen in der Beschreibung dessen, was wirklich der Fall war.
Warum wir die Zukunft nicht »lernenden Maschinen« überlassen dürfen
Die Gegenwartsdiskussion wird bestimmt vom Klimawandel, der Migration, der Energiewende – doch wer genauer hinliest, der erkennt, dass ein Thema gewissermaßen nach vorne geschrieben wird, und nicht mehr nur im Wirtschaftsteil: Es geht um »Künstliche Intelligenz«. Zu fragen ist dabei, ob der aktuell auflebende Kampf zwischen menschlicher und »Künstlicher Intelligenz« für die Menschheit eine gelingende Zivilisation ermöglichen wird. Zweifelsohne, es ist unsere eigene, menschliche Intelligenz, die wir angewandt haben, um den Computer, die digitale Maschine, zu entwerfen, zu entwickeln und zu bauen. Längst haben wir begonnen, unsere Intelligenz in Maschinen hineinzubringen. Wir nennen sie »Künstliche Intelligenz«, eine kalte Intelligenz, die nun dazu übergeht, sich selbstständig zu machen, sich uns entgegenzustellen. Daran wird auch eine neu zu entwickelnde KI-Sicherheitspolitik nichts ändern können. Wir haben darüber nachzudenken, wie lange wir noch fähig sind, diese immer mächtiger werdende Maschine mit ihrer wesensfremden Intelligenz unter unserer Kontrolle zu halten.
Anmerkungen zum Literaturnobelpreisträger Peter Handke
Als bekannt wurde, dass der österreichische, nahe Paris lebende Schriftsteller Peter Handke mit dem Literaturnobelpreis 2019 ausgezeichnet werden sollte, hagelte es Kritik an dieser Entscheidung der Schwedischen Akademie. Der US-amerikanische Autorenverband P.E.N. zeigte sich .sprachlos. über die Auswahl und beklagte, mit Handke werde einem Schriftsteller der Literaturnobelpreis verliehen, der »historische Wahrheiten« untergrabe und den »Ausführenden eines Genozids Beistand geleistet« habe. Ähnlich äußerte sich der Preisträger des Deutschen Buchpreises Sasa Stanisić in seiner ›Wut-Dankesrede‹, indem er Handkes Auslassungen in Texten wie ›Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise‹ (1996), ›Unter Tränen fragend‹ (2000) und ›Die Tablas von Daimiel‹ (2005) einen Hang zur Lüge attestierte. Überhaupt kam im Vorfeld der Verleihung des Buchpreises eine Debatte in Gang, die zum einen wie eine Neuauflage und Kopie verschiedenster Handke-Debatten der Vergangenheit anmutete, und zum anderen mehr oder minder unfreiwillig Argumentationsmuster und Diffamierungsstrategien freilegte, auf die Handke in seinen die Jugoslawienfrage tangierenden Schriften immer wieder hingewiesen hat. Denn Handkes Analyse der medialen Berichterstattung über dieses Thema und ihrer suggestiv-manipulativen Mechanismen in Wort und Bild scheint der wahre – und zugleich lässig ignorierte – Grund zu sein, weshalb sich seine Kritiker an ihm abarbeiteten und den alten Vorwurf einer angeblichen Unterstützung des »Schlächters Milosević« reproduzierten.
Vielleicht ist es so, dass das gemeinsame Leiden an unserer Verschiedenheit so stark geworden ist, dass wir letztere nicht länger als Quell der Humanität nutzen können, sondern ausbaden in tödlicher Zersetzung. Von der Virusentzweiungsdiskussion mit einem Freund bis hin zur großen Weltpolitik: Blöcke! Überall Blöcke. Fraktionen, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Wer das nicht will, steht ganz im Abseits, allein auf sich gestellt. Das ist auch kein menschenwürdiger Zustand. Ich suche Hilfe dort, wo ich sie immer suche, in der einigenden Ideenwelt. Diese Formulierung stammt aus der ›Philosophie der Freiheit‹.