Zur Gegenwart der Zukunft
Anthroposophie ist »die Weisheit, die der Mensch spricht«. - Der Mensch ist aber das Ich: »Und dieses ›Ich‹ ist der Mensch selbst. Das berechtigt ihn. dieses ›Ich‹ als seine wahre Wesenheit anzusehen«. Wiederum: »Das Ich ist alle Wesen / Alle Wesen sind das Ich«. - Diese wenigen, knappen Formulierungen Rudolf Steiners könnten dazu helfen, die häufig auftauchende Frage nach dem Spezifischen der Anthroposophie eindeutig und fruchtbar zu beantworten. In Zusammenklang mit ihnen könnte sie lauten: Das Spezifische der Anthroposophie ist ihr Wesen - hier verbal verstanden! - und Wirken als Ichosophie!
Zu Philip Kovce: ›Wenn alles gesagt ist, beginnt das Gespräch‹
Aphorismen bezeichnen eine literarische Kurzform, die ihren Ausgang bei Heraklit und Hippokrates nahm und rund 2000 Jahre später namentlich durch Francis Bacon und Michel de Montaigne wiederbelebt wurde. Seither lassen sich eine Reihe formaler und inhaltlicher Merkmale des aphoristischen Schreibens benennen. Während noch bei Bacon Aphorismen der unsystematischen Darstellung philosophischer Lehre dienten, öffnet sich das Genre im 17. Jahrhundert zunehmend den Themen des gesamten inneren wie äußeren Lebens und schließt wissenschaftliche wie nichtwissenschaftliche Sachgebiete ein. Lebensweisheiten und Lehrsätze, Maximen und Reflexionen, Beobachtungen und Erfahrungen, Philosophisches, Anthropologisches und Psychologisches finden Eingang in pointierte und knappe, ungewöhnliche und originelle, antithetische oder paradoxe Formulierungen, die oft einen persönlichen Duktus haben. Auf diese Weise vermitteln viele Aphorismen neue Sichtweisen oder Deutungen der Welt.
Zu Coleman Hughes: ›Farbenblind‹
Wer alt wird, wird nostalgisch. Neben dem, was der bekannten Weise gemäß im Rückspiegel immer vorteilhafter aussieht, fördert der rückwärtsgewandte Blick auch das eine oder andere zutage, das tatsächlich besser war. In den Sommerferien 1994 verkaufte ich Musik in einer Karstadt-Filiale in Hannover. Im Radio trällerte die afroamerikanische Sängerin Dionne Farris ihren Song ›Only Human‹ (›Nur ein Mensch‹). Michael Jackson war mit seinem Hit ›Black or White‹ (1993) noch populär, in dem er proklamiert, dass es keinen Unterschied mache, ob man schwarz oder weiß sei. Die Rede vom Menschsein, das uns alle jenseits derartiger Charakteristika verbindet, war Mitte der Neunziger tief in der Popkultur verankert. Sie gehörte zu den selten ausgesprochenen Leitmotiven meiner Jugend.
Seine Freundschaft mit der Schriftstellerin Gabriele Reuter (1859–1941)
Die Arbeit begann im zweiten Stock des Weimarer Schlosses, wo die Archivare am Anfang saßen, mit Blick auf den Ilmpark, das Wehr und die Kegelbrücke und auf das im Bau befindliche Goethe- und Schiller-Archiv, das jenseits der lim am Altenberg hoch über Weimar entstand, einem Prachtbau, der das Schloss Trianon in Versailles zum Vorbild hatte.Die Großherzogin Sophie (1824-1897) hatte, nachdem Walther von Goethe als letzter Nachkomme am 15. April 1885 verstorben war, den schriftlichen Nachlass seines Großvaters Johann Wolfgang von Goethe in Empfang genommen. Nach der Anhörung des Notars sprach sie würdevoll: »Ich habe geerbt. Deutschland und die Welt sollen mit mir erben.«Am 28. Juni 1896 wurde das neue Goethe-und Schiller-Archiv eröffnet. Der 35-jährige Rudolf Steiner war an diesem Tag dabei. Die Festrede hielt der damalige Direktor Bernhard Suphan (1845-1911). Steiner war Suphan auch privat verbunden, der in der Altenburg an der Jenaer Straße lebte. Um dessen beiden Söhne kümmerte er sich oft, denn Suphan war schon zum zweiten Male verwitwet.
Zu Rudolf Steiner: ›Das architektonische Werk II‹
Nachdem Roland Halfen im ersten Band zum architektonischen Werk Rudolf Steiners die Goetheanum-Bauten und ihre Vorläufer – vom Münchner Kongress 1907 über den Modellbau in Malsch 1909, das Stuttgarter Zweighaus 1911 und das Johannesbau-Projekt in München 1911-1913 – behandelt hatte, widmet sich der zweite Band den sogenannten Wohn- und Zweckbauten, die Steiner für den Dornacher Hügel entworfen hat, aber auch den Bauten in Arlesheim (Wohnhäuser Wegman und Vreede) sowie dem Stuttgarter Eurythmeum.
Deutschland im Rüstungswahn
Die im Februar dieses Jahres gewählte deutsche Regierung setzt den Aufrüstungskurs ihrer Vorgängerin verstärkt fort und benötigt dafür viel Geld. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte im Wahlkampf ständig die Notwendigkeit der Schuldenbremse betont, dann aber – trotz immer weiter steigender Steuereinnahmen – in einem Wahlbetrug bisher unbekannten Ausmaßes eine Neuverschuldung von ca. einer Billion Euro, nicht zuletzt für die Aufrüstung der Bundeswehr, auf den Weg gebracht. Dass mit dem zurückgerufenen alten Bundestag eine solcher Beschluss vorgenommen werden konnte, hatte er sich vorher von dem ehemaligen Verfassungsrichter Udo di Fabio bestätigen lassen. Voraussichtlich werden die Rüstungsinvestitionen dem Sozialstaat noch einige Wunden schlagen, denn die jährlich nach und nach einzusetzende Summe von 5% des deutschen Bruttoinlandprodukts zur Aufrüstung entspricht knapp dem halben Regierungsbudget.
Mutmaßungen einer nachdenklichen Mutter und Anthroposophin
Von Lehrern hört man im Verlauf der Schulzeit immer wieder, dass die Oberstufe als »Krönung« der Waldorfschulzeit betrachtet werden könne, dass sich hier »der Kreis schließe«, sich etwas »runde«, und dass die Ernte für jahrelanges Bemühen eingefahren werde. Von früheren Schülergenerationen erhält man oft begeisterte Erinnerungen an die Oberstufenzeit im obengenannten Sinne.
Der Blick auf Oberstufenschüler des 21. Jahrhunderts zeigt eher unbegeisterte, unter Druck stehende, Noten hinterherjagende, interesselose, zum Teil sogar tendenziell oder echt depressive junge Menschen. – Was ist los?
Zu Leben und Werk von Conrad Ferdinand Meyer aus Anlass seines 200. Geburtstags am 11. Oktober 2025
In der ›Neuen Zürcher Zeitung‹ vom 5. Januar 2018 fand ich vor mehreren Jahren einen Artikel mit dem Titel ›C.F. Meyer: Plädoyer für einen Unzeitgemässen‹. Darunter steht: »Conrad Ferdinand Meyer, der ewige Antipode Gottfried Kellers, wird heute nicht mehr viel gelesen.« Und dann folgt, sozusagen als Trostpflaster, der Hinweis, dass alle seine Werke jetzt auf 46 CDs mit prominenten Sprechern zu haben sind. Da wird zunächst also schlicht akzeptiert, dass dieser Dichter ein »Unzeitgemäßer« ist, dem aber ein »Plädoyer« gebührt.
Zur ›Worldwide Biography Conference‹ vom 2. bis 6. November 2024 in Kyoto/Japan
Kyoto – die Kaiserstadt. Die Tempelstadt. Japan. Kirschblüten. Allerhand Assoziationen und innere Bilder breiteten sich in mir aus, als ich die Ankündigung lese: ›World Biography Conference 2024‹ in Kyoto. Da muss ich hin!
Zu Ole Nymoen: ›Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde‹
Wer in Deutschland lebt, hat seit dem 27. Februar 2022 eine Kriegshysterie und Kriegstreiberei sondergleichen erlebt: die vom damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz eingeläutete »Zeitenwende«. Dafür wurde dieses Jahr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro beschlossen und im Grundgesetz festgehalten. Deutschland soll kriegstüchtig werden, und zwar schnell. Ähnliches gilt für andere europäische Staaten wie Frankreich, Polen, England usw.
80 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 eigentlich undenkbar. Ich bin noch aufgewachsen mit dem selbstverständlichen Slogan: »Nie wieder Krieg!« Meine beiden Großväter waren im Krieg und haben mir als Jugendlichem auf meine vielen Fragen hin bereitwillig davon erzählt. Der eine war vier Jahre in Sibirien gewesen, in russischer Kriegsgefangenschaft, der andere verbrachte 100 Tage in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, und musste zuvor miterleben, dass seine Geburtsstadt Pforzheim komplett zerbombt wurde. Nun ist diese Generation der direkten Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs dabei, diese Erde endgültig zu verlassen. Menschen, die aus eigener Erfahrung wissen, was ein großer Krieg in Europa bedeutet: Mord, Tod, Leid, Traumatisierungen auf allen Seiten, Zerstörung ganzer Städte, Hunger, das Ende von Kultur und Menschlichkeit.
Zu Andreas Neider: ›Zur gegenwärtigen Aufarbeitung der Corona-Pandemie – Teil I-III‹ in die Drei 3-5/2024 und zu Ute Hallaschka: ›Ein Mensch‹ in die Drei 6/2024
Zu Wolfgang Raddatz: ›Der umgekehrte Weg‹, in die Drei 6/2024
Bezug nehmend auf Wolfgang Raddatz’ Betrachtungen zu meinem neuesten Buch ›Das Licht der letzten Tage‹ erlaube ich mir, im Folgenden einige Anmerkungen, Ergänzungen und Hinweise zu den Intentionen und Methodenfragen unserer Forschung nachzutragen – erstens, um konkret auf einige Einwürfe von Wolfgang Raddatz zu antworten und auf bestimmte problematische Tendenzen, insbesondere in der Literatur zu Nahtoderfahrungen und verwandten Phänomenen (wie etwa der terminalen Geistesklarheit) hinzuweisen; zweitens, um die Herkunft eines Raddatz rätselhaft erscheinenden Zitats aufzulösen; drittens, um einige seiner Vorschläge zu einer möglichen vitalistischen Deutung der von uns untersuchten Sterbephänomene zu diskutieren; und viertens, weil ich anthroposophisch orientierte Kolleginnen und Kollegen auf diesem Wege dazu anstiften möchte, an der Gestaltung und Durchführung weiterer Forschung auf diesem noch jungen Forschungsgebiet mitzuwirken.
Gedanken zu Rudolf Steiners letzten Schriften
Rudolf Steiner schreibt im März 1925 Gedanken nieder, die so deutlich auf den Umgang mit der Technik eingehen, dass sie offenbar nicht nur für die damalige Zeit, sondern auch für unsere Gegenwart und eine weite Zukunft gelten.
Es geht zunächst um den Unterschied von Erkenntniswegen und Lebenswegen: Man sage, schreibt er, das naturwissenschaftliche Denken des 19. Jahrhunderts habe zu »gewissen philosophischen Intentionen wieder zurückgefunden.« Man kann dabei an die Entwicklung der Relativitätstheorie und der Quantentheorie im 20. Jahrhundert denken, die das bisherige naiv-materialistische Weltbild unhaltbar erscheinen ließen, es kamen auch Modelle des Denkens in »Energien« verschiedenster Art auf. Dennoch befinde sich der Mensch in seinem Willensleben so stark »in einer Mechanik des technischen Geschehens, dass dies dem naturwissenschaftlichen Zeitalter seit lange eine ganz neue Nuance gegeben hat.
Liebe Leserinnen und Leser, im Impressum der November/Dezember-Ausgabe 2024 der Drei durfte ich mich Ihnen bereits als neuer Herausgeber dieser Zeitschrift ankündigen. Für viele von Ihnen bin ich möglicherweise noch ein Unbekannter, da ich nicht aus dem Verlags- oder Wissenschaftsbereich komme. Mein beruflicher Weg führte mich durch verschiedene Bereiche der anthroposophischen Praxis: Ich begann als biologisch-dynamischer Gärtner, arbeitete als Sozialtherapeut, war viele Jahre Waldorflehrer und schließlich Dozent für Waldorfpädagogik. Durch die Anthroposophie erhielt ich für die Tätigkeit in diesen Berufsfeldern entscheidende Anregungen. Diese vielfältigen Stationen haben meinen Blick auf die kulturellen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit geprägt – Herausforderungen, die auch in den Inhalten der Drei aufscheinen.
Friedrich Nietzsche (1844–1900) zum 125. Todestag
Jede Zeit – und noch mehr jeder Leser – versteht Nietzsche wohl anders. Ein Philosoph, der auf seine Art einzig dasteht, viele Widersprüche aufweist, bei näherer Bekanntschaft mit seinem Werk jedoch den aufnahmebereiten Leser verwandelt, so dass er auch von Nietzsche ein anderes Bild bekommt.
Die Verbildlichung der Wissenschaft als Verjüngungsimpuls
Auf unfruchtbaren Boden scheint heutzutage alles zu fallen, was die Menschen geistig hervorbringen. Die Gesellschaft wirkt taub gegenüber neuen Ideen, zukünftigen Impulsen und kultureller Nahrung, die sie doch so dringend brauchen würde. Ihr Boden bleibt hart und desinteressiert. Unfruchtbar.
Gleichzeitig ist unsere Zeit geistig so produktiv wie nie zuvor. Die Zahl der sogenannten »hyperproduktiven Wissenschaftler«, die mindestens alle fünf Tage einen neuen Artikel in einer renommierten Fachzeitschrift veröffentlichen, steigt. Dabei werden Forschungsergebnisse in immer kleinere Teile aufgedröselt, um sie auf möglichst viele einzelne Artikel verteilen zu können. Die Summe, das Output ist das Entscheidende. ChatGPT wird diese Tendenz vermutlich noch verst.rken. Und wer außerhalb der Wissenschaft geistig etwas zu sagen haben will, postet am besten jeden Tag ein neues Statement. Dabei taucht selten die Frage auf, wer eigentlich die zahlreichen Artikel und Posts lesen soll, wer den Schwall dieser geistigen Produktion zu schlucken vermag. Gerade bei der Wissenschaft lohnt es sich zu fragen, für wen eigentlich produziert wird und wer die scheinbar neuen Ergebnisse aufnehmen soll. Wen haben die Wissenschaftler im Blick, wenn sie forschen? Für wen arbeiten sie?
Betrachtungen zum Lebensgang Rudolf Steiners I
»[E]s war stets mein Bestreben, das, was ich zu sagen hatte, und was ich tun zu sollen glaubte, so zu gestalten, wie es die Dinge, nicht das Persönliche forderten. Es war zwar immer meine Meinung, daß das Persönliche auf vielen Gebieten den menschlichen Betätigungen die wertvollste Färbung gibt. Allein mir scheint, daß dies Persönliche durch die Art, wie man spricht und handelt, zur Offenbarung kommen muß, nicht durch das Hinblicken auf die eigene Persönlichkeit. Was aus diesem Hinblicken sich ergeben kann, ist eine Sache, die der Mensch mit sich selbst abzumachen hat.« – Die Aussage scheint einfach: Sachgemäß handeln und sich äußern, nicht aus persönlichen Motiven. Einsicht und Erkenntnis statt partikularer Interessen als Grundlage des Handelns bei gleichzeitiger Wertschätzung individueller Charakterzüge und Ausdrucksformen. Kaum eine Debatte zu Entscheidungsfragen, in der nicht diese Zielsetzung proklamiert würde. Persönliche Gründe sollen zurückstehen, sachliche Gründe haben Vorrang. Beginnt Rudolf Steiner am Ende seines Lebens seine autobiografischen Erinnerungen also mit einer Redensart? Oder muss nicht das Gesagte in seiner Bedeutung angesichts der Abendröte eines in seiner Fülle schier unermesslichen Lebens gerade an dessen Gehalt verständlich gemacht werden? Genau diesen Weg schlägt Rudolf Steiner bei der Niederschrift seines ›Lebensganges‹ ein.
und die Inspirationsquellen der Anthroposophie
Martin Basfeld, der am 12. Oktober 2020 überraschend verstarb, arbeitete in den letzten Monaten seines Lebens intensiv an einem bedeutenden Artikel zu den fünf >lnspirations-quellen der Anthroposophie^ Angeregt von dem gleichnamigen Büchlein Sigismund von Gleichs wollte er zeigen, dass es einen geradezu spiegelbildlichen Zusammenhang zwischen der Baconschen Lehre von den Idolen und den fünf Inspirationsquellen gibt, und zwar in der Weise, dass diese Idole heute in verwandelter Form in Einrichtungen - auch in anthroposophischen - wieder Einzug gehalten haben. Das Anliegen dieses Artikels ist zweierlei: Zum einen mithilfe der Erkenntnisintention seines bislang unveröffentlichten Aufsatzes Martin Basfeld noch einmal »zu Wort kommen zu lassen«. Zum anderen auf der Grundlage seiner Ausführungen zu entwickeln, wie das Erkennen dieser Gegenimpulse dazu führen kann, einen neuen Zugang zu den Impulsen der Michael-Schule zu finden, die zu realisieren mit der Weihnachtstagung I923 angestrebt wurde.
Erst-Begegnungen mit Rudolf Steiner II
Während ich mit Rudolf Steiner sprach, aber auch während anderer gehobener Augenblicke meines damaligen Aufenthaltes in Dornach hatte ich die Empfindung, das Sehvermögen meiner Augen sei höher gerückt und dringe durch meine Stirn nach außen. Meinen Augen selbst war nur ein undeutliches Wahrnehmen verblieben, etwa wie im dichten Nebel oder taumelnder Erschöpfung. Jenes andere Sehen nahm freilich die äußeren Gegenstände auch kaum deutlicher wahr, mit Ausnahme solcher, die es sich ohne meinen bewußten Willen auswählte und zum Range des Wesentlichen erhob. Diese erschienen dann, wie aus einem Dunstmeer auftauchend, in einer mir bisher nicht bekannten Klarheit, Farbigkeit und Bedeutung. Das Seltsam-Erhebende dieses Sehens aber war, daß vor ihm alles Seelische offenlag, ohne daß es sich dessen Kenntnis erschlich, und daß dieses zu ihm durch den vermittelnden Stoff des Vertrauens sprach, der anstelle der Luft, deren das physische Auge bedarf, dieses Vermögen zu den Wahrnehmungen trug, denen sich mein Erblicken zuwandte. Ich kannte dieses Sehen auch aus früheren Zuständen, doch niemals war es mir so lange und in solcher Stärke zu eigen gewesen wie jetzt. Ich übersah mit diesem gewandelten Sinn Vieles, was zur physischen Ordnung gehört, nichts aber entging mir von den Regungen der menschlichen Innenwelt und dem Geisteshauch, der sie umspülte. Die hohe Festlichkeit, die ich empfand, gab sich in diesem Sehen glückseligen Ausdruck.
Zum offenbaren Geheimnis des Menschlichen
Ich als Mensch bin nicht nur Ichhaftigkeit, sondern auch – wenn nicht vor allem – Ichsamkeit. Ichhaftigkeit weist nämlich nur auf das Begabtsein mit dem Ich hin, und dies offenbart sich nicht unbedingt in allen Dimensionen des Lebens; Ichsamkeit will dagegen das aktive, mit dem wachen Bewusstsein verbundene Wirken des Ich bedeuten – wie Achtsamkeit das aktive Wirken des (Be-)Achtens meint –, das alle seine geistigen, seelischen und leiblichen Dimensionen durchdringen soll, wenn der Mensch wahrhaftig als Mensch leben will.
und die Lehre von den Idolen nach Francis Bacon
Dieser Artikel wurde von Martin Basfeld vor seinem Tod am 12. Oktober 2020 verfasst. Da er seinen Artikel noch nicht als veröffentlichungsreif angesehen hat, hatte er ihn als »nur für den privaten Gebrauch!« gekennzeichnet. Da der Artikel sehr wesentliche Gedanken zur Frage der anthroposophischen Bewegung enthält, wird er in Zusammenhang mit einer überarbeiteten Verfassung von Stephan Eisenhut hier dokumentiert. Die leicht redigierte Pdf-Datei der Originalfassung hat Ute Basfeld mit Arbeitsnotizen ihres Mannes und einer Sammlung wichtiger Aussagen zum Thema ergänzt und der Redaktion zur Verfügung gestellt.
Ihre Bewahrung und Erneuerung als Existenzfrage für Gegenwart und Zukunft
Es ist nun über hundert Jahre her, dass Rudolf Steiner die biologisch-dynamische Landwirtschaft auf Schloss Koberwitz bei Breslau im heutigen Polen begründet hat. Diese Form der Landwirtschaft ist nicht nur für unsere Zeit, sondern für die ganze Zukunft der Erde etwas ungeheuer Wichtiges. Aber nicht minder wichtig ist es, und zwar als Vorbereitung, um die Bedeutung der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise überhaupt verstehen zu können, die Frage nach dem Wesen der Kulturlandschaft, nach ihrer Entstehung, ihrer Gefährdung und ihrer Zukunft zu stellen. Dafür muss ich zunächst weit ausholen.
Ein Essay
Seit Jahren stoße ich an einer unsichtbaren Wand an, ich weiß nicht, ob es eine gläserne Decke ist oder in Wahrheit nur ein sanfter Schleier oder Vorhang, der keinen Schlitz, keine Öffnung hat und den man mit Gewalt zerreißen müsste, oder ob es eine Mauer ist aus Vorurteil und Furcht; ich weiß auch nicht, ob diese unüberwindbare Schwelle in mir selber ist oder den Anderen, der Welt. Ich ahne nur, dass sie darüber entscheidet, ob ich von so etwas wie der »Michael-Prophetie« gemeint bin oder nicht.
Zum Film ›Seelenlandschaften: Spirituelle Orte in Deutschland‹ von Rüdiger Sünner
Wem heute hierzulande, des gesch.ftigen Treibens überdrüssig, nach Waldesrauschen und weiten Landschaften zumute ist, der bucht einen Kurs in zertifiziertem Waldbaden oder setzt sich in den Flieger nach Island, Kanada oder womöglich gleich Neuseeland. Angesichts eines Zeitgeistes, der jene, die es sich leisten können, mit dem flüchtigen Ruhm eines spektakulären Selfies für die sozialen Medien in die entlegensten Gegenden treibt, ist jede Berichterstattung über Orte, die sich dem touristischen Würgegriff bislang weitgehend zu entziehen vermochten, eine Gratwanderung. Daher muss ein Film, der ›Seelenlandschaften‹ beleuchten will, sich an der Frage bewähren, ob die eingefangenen Bilder geeignet sind, zu Erhalt und Würdigung beizutragen, oder im Gegenteil einer massentouristischen Aneignung und damit Entseelung von Natur Vorschub zu leisten.
Erst-Begegnungen mit Rudolf Steiner III
Am nächsten Tage saß ich […] zum ersten Male vor diesem Manne, gespannt, was er aus einem irgendwie neuen Gesichtspunkt zu sagen haben würde über Naturbeobachtung, Mathematik und Experiment, alles Objekte gerade meines Studiums. Da hörte ich als ersten Satz, mit dem er das Ganze einleitete, ihn sagen: »Geisteswissenschaft muß sich in der Gegenwart ihr Recht, ihre Geltung im wahren Sinne des Wortes erkämpfen.« Ich war ja gekommen auf der Suche nach etwas, was Mut erforderte, und hier, so hieß es, würde etwas geboten, das sich seine Geltung erst erkämpfen muß! Gewiß, ich hatte an Mut im inneren seelischen Tun gedacht, und bekam davon in den folgenden Tagen auch Bestimmtes, meine Erwartung bestätigend, zu hören. Auf jeden Fall: Gleich von vorneherein fand man sich auf einen Boden versetzt, wo es um ein Erkämpfen des eigenen Daseinsrechtes ging. Das war in jenem Augenblick ein unmittelbarer Aufruf des eigenen Gefühls, das sich merklich anspannte und in dieser Haltung mich durch die folgenden Tage nicht losließ.
Zu Annemarie Jost & Thomas Brunner: ›Perspektiven für den Wandel‹
»Nach den gesellschaftlichen Verwüstungen der letzten Jahre wächst die Sehnsucht nach einem echten Aufbruch und Wandel – aber wo und wie lässt sich mit der gesellschaftlichen und kulturellen Erneuerung beginnen? Wie stellen sich denkende und fühlende Einzelpersonen auf und wie finden wir zusammen, um gemeinsam Initiativen zu entwickeln und engagiert dabei zu bleiben?« (S. 9) So lauten die Eingangsfragen des umfangreichen Bandes, herausgegeben von dem Autor und Sozialforscher Thomas Brunner und der Professorin für Sozialpsychiatrie Annemarie Jost, mit dem Titel: ›Perspektiven für den Wandel. Wege zu menschlicher Entwicklung zu Freiheit und zu sozialer Verantwortung‹. Erschienen ist der Band in der ›edition immanente‹.
Zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz
Am 17. Oktober 2024 hat der Bundestag dem neuen Krankenhaus-Reformgesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zugestimmt, am 22. November auch der Bundesrat. Diese zweite Entscheidung kam überraschend schnell. Mehrere Bundesländer hatten Eingriffe in ihre Planungshoheit befürchtet und wollten den Vermittlungsausschuss anrufen. Angesichts bevorstehender Neuwahlen nach dem Bruch der Ampelkoalition waren sich die Länderchefs einig, dass eine Verbesserung des Gesetzes nicht mehr zu erzielen sei, aber Schaden entstünde, wenn es nicht käme. Das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) wird nun umgesetzt werden müssen. Kritiker monierten, die Reform sei einseitig auf die Krankenhäuser zugeschnitten, und eine Verbesserung des Verhältnisses von niedergelassenen Ärzten und anderen therapeutischen Berufen, der Vernetzung von ambulanter und stationärer Versorgung habe keine Berücksichtigung gefunden. Damit sind die Ziele einer folgenden Gesetzesänderung bereits benannt.