Zur Ausstellung: ›Flowers Forever – Blumen in Kunst und Kultur‹ in der Kunsthalle München
Die ursprüngliche Geburt der Blumen auf der Erde liegt Millionen Jahre zurück – ihr uraltes Wesen verkörpert sich jedes Jahr aufs Neue. In einem wundersamen Zauber. Was uns die Erde durch ihren Blütenteppich sagt: Wer sie selbst ist und wer wir sind. »Schau,« könnte die Erde murmeln, »wenn der frosthart gefrorene Boden unter den Schritten knirscht und ein Schneeglöckchen oder ein Winterling sein hauchzartes grünes Stängelchen hindurchschiebt und ans Licht bringt.« Mit aller Kraft gelingt uns dies nicht. Jedes kleine Kind versteht: Das geht eigentlich nicht, für ein rein materielles Weltverständnis undenkbar. Also ein Wunder: Wie sich die Winzlinge in den Schwingungen der Materie, den räumlich-körperlichen Verhältnissen so einrichten, dass sie ihren eigenen Freiraum schaffen – vor sich her den Geburtskanal bilden, um so erscheinen zu können. Was wir im Denken leisten, die Schwere des Irdischen aufheben, lösen und durchdringen, das tun die kleinen Blüten in ihrer zarten Körperlichkeit wesentlich. Und ein Mensch, der angesichts des Blumenwesens gar nichts zu empfinden meint, dem muss das Herz gebrochen sein, oder die Seele geraubt.
Zur Ausstellung: ›Hugo van der Goes – Zwischen Schmerz und Seligkeit‹ in der Gemäldegalerie Berlin
Hugo van der Goes (um 1440–1482/83) gehört zu den bedeutendsten niederländischen Malern seiner Zeit, gleichberechtigt neben Jan van Eyck (um 1390–1441) und Rogier van der Weyden (1460–1523). Von seinen Arbeiten, die in einer knappen Schaffenszeit von rund 14 Jahren entstanden, sind lediglich 14 Gemälde und zwei Zeichnungen als eigenhändig gesichert. 12 Gemälde und beide Zeichnungen sind nun in einer ersten monografischen Gesamtschau des Meisters in der Berliner Gemäldegalerie zu sehen. Zwei Werke konnten durch das große Format und ihren Zustand nicht nach Berlin transportiert werden.
Als ich das Wort zum ersten Mal ausprobierte, war ich ein Knirps und okay war wie Bluejeans oder diese rosaroten amerikanischen Bazooka-Kaugummis, die ein lässiges Auftreten garantierten und signalisierten, dass man dazugehörte. Okay war cool, okay gab einem ein Gefühl von Selbstsicherheit.
Zu Christa Lichtenstern: ›»Ich bin ein Plastiker«‹
»Ich bin ein Plastiker«, rief der 77-jährige Goethe in einem Gespr.ch mit seinem Freund Sulpiz Boisserée im Zorn über einen Kritiker aus, demonstrativ auf seinen geliebten Abguss einer monumentalen antiken Juno-Büste zeigend (S. 18). Diese für einen Dichter erstaunliche Selbstaussage nimmt Christa Lichtenstern zum Anlass, »Goethes ungeschriebene Skulpturästhetik« nicht nur zu rekonstruieren, sondern ihr zukunftsgerichtetes Potenzial herauszuarbeiten. Entsprechend ist auf dem Cover ihres Buches eine moderne Stahlskuptur zu sehen, die Goethes polare Grundpinzipien geometrisierend aufgreift: Zusammenziehung und Ausdehnung, Ruhe in der Bewegung. Das 1982 entstandene Werk des spanischen Bildhauers Andreu Alfaro (1929–2012) trägt den Titel ›El Olimpo de Weimar‹ und steht in Frankfurt am Main, in Goethes Geburtsstadt.
Zu Kurt Almqvist & Daniel Birnbaum: ›Hilma af Klint. Catalogue Raisonné Volume VII‹
Seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts gilt Hilma af Klint (1862–1944) als eine der herausragenden Gestalten im Umbruch von der gegenständlichen zur »abstrakten« Malerei der Moderne. Wenn auch nicht in ihrer eigenen Zeit unmittelbar einflussreich, hat ihr Werk nach dessen Entdeckung dennoch einen wichtigen Beitrag für die kunstgeschichtliche Forschung geliefert, spirituelle Dimensionen und Motivationen für die Wahl ungegenständlicher Motive am Beginn des 20. Jahrhunderts ernst zu nehmen, statt letztere auf rein formale Überlegungen zurückzuführen. Ausdruck dieses Paradigmenwandels waren groß angelegte Ausstellungen wie etwa ›Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian‹ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt im Jahre 1995.
Auf den Spuren des Orgelbaumeisters Gottfried Silbermann (1683–1753)
Gottfried Silbermann (1683-1753) gilt als der bedeutendste mitteldeutsche Orgelbauer der Barockzeit. Es gibt noch vier seiner Orgeln in Freiberg (zwei im Dom, jeweils eine in der Petri- und in der Jakobikirche) sowie rund 30 weitere, fast alle im heutigen Sachsen. In seiner Heimatstadt Frauenstein bei Freiberg gibt es seit 1983 ein Gottfried-Silbermann-Museum. In Freiberg selbst kann man seit 2017 in dem Haus, wo er vor 300 Jahren seine Werkstatt betrieb, eine Schauwerkstatt besichtigen.Silbermann, was für ein schöner Name für einen Orgelbauer! Sofort denkt man an silberhelle Töne, an silbrig glänzende Orgelpfeifen. Aber der Name stammt aus dem Erzgebirge, wo jahrhundertelang nach Silber gegraben wurde. Freiberg nennt sich jetzt »Silberstadt«. Heute allerdings findet man hier kein Silber mehr, der Bergbau wurde längst eingestellt. Doch ist möglicherweise etwas zu finden, das wertvoller noch ist als Silber ... Aber auch hierfür muss man in die Tiefe steigen.
Eine Johanni-Imagination
Das Johannifest ist ein Mysterienfest - auch wenn diese Qualität dem heutigen Alltags-Bewusstsein so gut wie unbekannt ist. Wie kann ein solches Fest begangen werden - und mit wem? Man feiert es normalerweise nicht allein, sondern mit Menschen, die auch auf dieses Fest der Jahreshöhe eingestellt sind. Es ergab sich in diesem Jahr aber für mich, dass ich es allein, ganz individuell, begehen musste.
Rudolf Steiner beginnt seinen als »Johanni-Imagination« bekannten Vortrag vom 12. Oktober 1923 mit der Bemerkung, wir – also seine Zuhörer, seine Mitmenschen – hätten »die Betrachtungen, die wir anstellen, viel geistiger anzustellen als für die vorhergehenden Jahreszeiten.« Als eine stille, strenge innere Forderung war mir das bei allem, was ich erlebte, gegenwärtig, auch wenn mir bewusst war, wie unvollkommen nur ich diesem Anspruch würde genügen können. Trotzdem möchte ich hier schildern, wie ich dieses Jahr den Nachmittag und Abend des Johanni-Tages verbrachte und erlebte – nicht meinetwegen, sondern als Beispiel dafür, wie sich ein solches nFest heutzutage in eine ganz individuelle Gestalt prägen kann – und wohl auch will ...
Zu Carolin Würfel: ›Drei Frauen träumten vom Sozialismus‹
Das Urteil sei vorweggenommen: Dies ist ein lebendiges Buch über die drei wichtigsten DDR-Schriftstellerinnen: Christa Wolf, Brigitte Reimann, Maxi Wander und über ihre Beziehungen zueinander. Ein Buch, das einen Blick in eine Zeit zurückwirft, in der Menschen davon überzeugt waren, dass ein kreativ gelebtes Leben nur in einer Gesellschaft möglich sein könne, die diese Art von Suche unterstützt. Denn das war die Hoffnung in den Aufbruchsjahren der DDR: dass sich individuelles Leben, künstlerische Kreativit.t und gesellschaftliches Engagement verbinden lassen. Geschrieben wurde das Buch von einer jungen Autorin, in Leipzig geboren, doch zu jung, um die DDR noch miterlebt zu haben. Aber die Romane der drei Schriftstellerinnen hatten sie in ihrer eigenen Suche angesprochen. Es gelingt ihr, dieses Gefühl der Resonanz auch in uns auszulösen.
Im Alltag kommt irgend so häufig vor, dass es einem kaum mehr besonders auffällt. Allerdings fast ausschließlich in Wortverbindungen und nur sehr selten als eigenständiges Wort. Irgendwo, irgendwie, irgendwer – aber irgend? »Wenn irgend möglich, komm sofort!« anstelle eines: »Wann immer möglich …« hört sich eher abgehoben an, zumindest ungewohnt; bei Adorno aber kann man das irgend durch aus antreffen: »Nur die absolute Lüge hat noch die Freiheit, irgend die Wahrheit zu sagen«, heißt es in den ›Minima Moralia‹.
Zu Wolfgang Schad: ›Der Geist der Erde‹
Wie soll man als Rezensent einem solchen Werk gerecht werden? Wolfgang Schads letztes, postum erschienenes Buch ›Der Geist der Erde – Unsere Welt als lebendiges Wesen‹ ist ja nicht bloß einer von den unzähligen Beiträgen im fortlaufenden Prozess einer globalen Forschungsmaschinerie, sondern das Vermächtnis eines umfassend gelehrten Mannes, eines Wissenschaftlers, der sein Leben für den Goetheanismus in Forschung und Lehre, für Menschenbildung und -erziehung eingesetzt hat. Und: Es ist nicht irgendein Thema, dem sich dieses Vermächtnis widmet, sondern eines, wie es umfassender kaum zu denken ist: Die Erde als ein individualisiertes Lebewesen im Weltall.
Zu Anthony McCarten: ›Going Zero‹
Nehmen wir Begriffe beim Wort – Rudolf Steiner hat das oft und gerne getan, um sich verständlich zu machen. Das bekannteste Beispiel ist die »Entwickelung«, man sieht sie förmlich vor sich. Darin liegt eine der Stärken der deutschen Sprache: die Leichtigkeit der imaginativen Wortbildung, auch wenn das Wort selbst aus einer anderen Sprache einverleibt wurde. In-Formation ist ein wundervoller Ausdruck, für das, was an den Zugvögeln am Himmel, oder im Fischschwarm sehen, im Bienenstock oder im Ameisenhaufen. Alles ist informiert, in die entsprechende Form seines Seins gebracht, im Fall der Tiere spielt sich dies als sichtbare Bewegung in der Zeit ab. Zeitverlauf als kosmisches Informationsbild – jeden Morgen geht die Sonne auf. Auch wenn es bekanntlich die Erde ist, die sich dreht. Selbst die Geister und Götterwesen, die wir Hierarchien nennen, erscheinen – nicht zuletzt aufgrund dieses Ordnungsbegriffes – informiert.
Zum Andenken an Dag Hammarskjöld (29. Juli 1905 in Jönköping – 18. September 1961 bei Ndola, Sambia)
Er war der jüngste von den vier Söhnen des schwedischen Premierministers Hjalmar Hammarskjöld (1862–1953). Der Name des Kindes »Dag« bedeutet Tag im Sinne von Tageslicht. Hammer und Schild: Der Hammer als Sinnbild für das Vorwärtsdringen, der Schild, um sich zu schützen im Kampf. Es war ein verliehener Adelstitel von König Karl IX. an einen seiner Soldaten für dessen hervorragenden militärischen Einsatz. Der ursprüngliche Name der Familie lautete Michilsson.
Eine Erfahrung
Rilkes berühmtes Sonett ›Archaïscher Torso Apollos‹ endet einigermaßen überraschend mit dem Satz: »Du mußt dein Leben ändern« – eine Konsequenz, die aus der Schönheit der Kunst erwächst. Der Leser sieht sich aufgefordert, seine mehr oder weniger passive Haltung zu verlassen und zu Neuem aufzubrechen.
Die Bewegung, von der das Wort spricht, vollzieht sich in ihm. Eine maßvolle, gleichmäßige und stetige Fortbewegung, die ins Offene und Weite führt. Es nimmt einen mit, dieses Wort, es bringt einen in Fahrt, sobald man sich seiner Bewegung überlässt. Ist man erst einmal in Fahrt gekommen, ergibt sich der Weg fast von selbst. Es will immer weiter, das Wort, in eine Ferne, die nie aufhört, Ferne zu sein.
Zur Ausstellung: ›Kapwani Kiwanga – Die Länge des Horizonts‹ im Kunstmuseum Wolfsburg
Durch einen blau und pinkfarben erleuchteten Tunnel führt der Weg in die erste umfassende Schau der kanadisch-französischen Künstlerin Kapwani Kiwanga (*1978), deren Kunstwerke weitläufig die große Halle des Kunstmuseums Wolfsburg bespielen. Das grelle blaue Licht werde gegen Drogenspritzen eingesetzt, weil dadurch die Venen nicht zu erkennen seien; hingegen beruhige das pinkfarbene Licht selbst Gefängnisinsassen, so habe ein Praxistest in einer Einlieferungszelle in Seattle gezeigt.
Zu Thomas Bernhard: ›Minetti‹ am Residenztheater in München
Jemand hat mich gefragt, wann ich zum letzten Mal eine Theateraufführung gesehen habe, die mich getroffen, berührt, mitgenommen, um nicht zu sagen erschüttert hat. Nichts anderes bedeutet im Theater: Güte. Es muss lange her sein, ich kann mich nicht erinnern. Der Zuschauer hat ja nichts als seine Augen und Ohren, durch die er an der Handlung teilnimmt. Gutes Theater bedeutet also, dass mithilfe dieser Sinne ein Prozess in Gang gesetzt wird, der mich verändert. Ich werde körperlich buchstäblich ergriffen. Das, was von der Bühne herkommt, sagen wir ruhig: (an)wehender Geist, durchdringt mich anders als die gewöhnliche sinnliche Wahrnehmung. Denn das, was mich da anweht, ist ja äußerlich gesehen, gar nicht da – es stammt als Gewebe eingebildeter Außenwelt aus dem Innern eines anderen Menschen. So erscheint die Welt, als wäre sie Idee und damit wird sie mir zur Landschaft der Freiheit. Hier spielt mein Wille die Hauptrolle, denn das Ich ist der Souverän des Ideellen.
An der Schwelle des 100. Todesjahres von Franz Kafka (1883–1924)
Der Jahrhundertdichter Franz Kafka, dessen 100. Todestag im kommenden Jahr wieder zu einer breiteren Vergegenwärtigung des Vergangenen führen wird, hat eine deutliche Spur im kollektiven Bewusstsein des 20. Jahrhunderts hinterlassen, die sich zu dem weltweit in den allgemeinen Wortschatz eingegangenen Adjektiv »kafkaesk« verdichtet hat. Max Brod, sein engster Freund und der erste Herausgeber seines Nachlasses, war über den »Kafka-Boom« der 50er-Jahre entsetzt und sprach von der ›Ermordung einer Puppe namens Franz Kafka‹. Dora Diamant, die in seiner letzten Lebenszeit an Kafkas Seite war und ihm in Berlin beim Verbrennen von Manuskripten half, wehrte sich dagegen, dass man aus dem geliebten Menschen nach seinem Tod Literatur machen wollte. Allerdings hat Kafka, obwohl er testamentarisch die Vernichtung seiner Manuskripte forderte, nicht sie, sondern Brod als Nachlassverwalter eingesetzt, von dem er wusste, dass er sich nicht daran halten würde.
Der Anatom und Botaniker Olof Rudbeck d.J. (1660–1740) und sein Schüler Carl von Linné (1707–1778
Olof Rudbeck d.J. war der Enkel von Johannes Rudbeck (1581–1646), der nach Luthers Tod in Wittenberg studiert hatte, später eine segensreiche Wirksamkeit als Bischof in Västerås ausübte und das schwedische Schulwesen stark förderte. Und er war der Sohn von Olof Rudbeck d.Ä. (1630–1702), der Medizinprofessor in Uppsala war und über Atlantis schrieb. Olof Rudbeck der Jüngere (geb. am 15. März 1660 in Uppsala, gest. am 23. März 1740 ebd.) – oder auch Olaus Rudbeckius dy (den yngre)– war ein schwedischer Naturforscher, vor allem auf dem Gebiet der Botanik und der Ornithologie, dazu mehrfach Rektor der Universität Uppsala (1708, 1715 und 1724). 1687 ging er zum Studium der Botanik nach Holland, England und Deutschland. Es folgte ein Medizinstudium an der Universität in Utrecht, wo er 1690 den Doktortitel erwarb. 1692 kehrte er nach Schweden zurück und trat als Professor für Medizin die Nachfolge seines Vaters an der Universität Uppsala an. Er spezialisierte sich auf Anatomie, Botanik, Zoologie und Pharmakologie. Sein Kollege Lars Roberg (1664–1742) hielt Vorlesungen in Medizin, Chirurgie, Physiologie und Chemie.
Mit der Vorsilbe ge- und seinem knappen -nug hat das Wort einen lakonisch-lapidaren Auftritt. Als bedürfe es keiner weiteren Worte zur Mitteilung, als sei mit dem einen Wort bereits alles Wesentliche – jedenfalls genug – gesagt. Werden weitere Worte gemacht, dann oft in verkürzten Sätzen, denen Verb oder Objekt fehlen und die den Charakter von Aufforderungen haben: Genug (damit), (jetzt aber) genug, (ich habe) genug, (es sind nun) genug der Ausreden! Natürlich kommt das Wort auch in ordentlichen Sätzen und ausführlichen Beschreibungen vor, die es in einen besonderen Zusammenhang stellen, näher bestimmen und differenzierte Aussagen ermöglichen. Als Solitär jedoch oder in abgekürzten Formulierungen hat genug eine handelnde, intervenierende Kraft. Wie »stopp«, »still«, »halt« und »raus« will es bei den Angesprochenen bewirken, was es zu verstehen gibt. Auch ohne sprengenden Explosivlaut gebietet es energisch Einhalt. Das macht sich sofort bemerkbar, wenn man es mit dem zumindest teilweise synonym verwendeten, aber distinguierteren genügend vergleicht. Genug Brot und genügend Brot laufen semantisch auf dasselbe hinaus und teilen sich doch ganz anders mit. Genügend schwingt und singt hinaus, genug könnte einem unter Umständen auch im Hals stecken bleiben.
Zur Ausstellung: ›Turner – Three Horizons‹ im Münchner Lenbachhaus
München leuchtet mal wieder. Die Sonderausstellung ›Turner -Three Horizons‹, die noch bis zum 10. März im Kunstbau des Lenbachhauses besucht werden kann, ist ein Glanzlicht. Doch ehe wir die Ausstellung betreten können, müssen wir in den Untergrund. Ein wirklich sonderbares Gefühl begleitet den Abstieg. Es geht tatsächlich in den nahegelegenen UBahn-Schacht hinab, in dem das Lenbachhaus diese Dependance, den sogenannten Kunstbau, unterhält. Zu der unterirdischen Räumlichkeit gehören Zeitfenster, die vorab online gebucht werden müssen (ein spontaner Museumsbesuch wird zunehmend zur Unmöglichkeit). Also ab in den technischen Hades, mit einer entsprechenden Einstimmung der Seele!
Zur Performancekunst von Marina Abramović
Marina Abramović darf als die bedeutendste Performancekünstlerin der Gegenwart bezeichnet werden. Ihr Gesamtkunstwerk besteht aus einem alles riskierenden, bis an die Grenzen menschlicher Existenz gehenden, Schmerzen erleidenden Einsatz des eigenen Körpers und den damit einhergehenden Bewusstseinsveränderungen. In ihren Performances bezieht Abramović das Publikum so ein, dass es ihren öffentlich vorgeführten Selbstverletzungen und ihren mentalen Transitionen nicht nur ausgesetzt ist, sondern zum aktiven Handeln und inneren Mitvollziehen veranlasst wird. Die Übertragung psychischer und mentaler Energien der Akteurin auf das Publikum gehört zu den Grundelementen ihrer performativen Aktionen. Ihr biografischer und künstlerischer Weg führt von der Ablösung aus familiären Zwängen, durch exzessive, Abhängigkeiten schaffende Liebesverhältnisse, über spirituelle und meditative Praktiken zu einer eigenen performativen Sprache der Aufmerksamkeit und empathischen Hingabe.
Zu Christine Gruwez: ›Die Wunde und das Recht auf Verletzlichkeit‹
Gibt es eine Wunde auch ohne vorherige Verletzung? Eine ursprüngliche, primordiale Wunde? Die Wunde der Menschheit ist das zentrale Anliegen dieses Buches. Es stützt sich dabei auch auf drei Vorträge Rudolf Steiners über die Wunde, die eine Zerstörung bedeutet, und die Kraft zur Heilung. Das Buch ist - mit Prolog und Epilog - in drei Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel ›Wach werden‹ ist von den vielen Krisen die Rede, die wir heute erleben. Sie sind oft schon alt und werden nur, z.B. durch die Corona-Pandemie, verschärft. Hat eine Krise vielleicht erst die Fakten deutlich gemacht? Es ist im Leben wie in der Medizin: Nicht die Symptome sind wesentlich, sondern die durch sie angezeigte tiefere Wirklichkeit. Fakten und Tatsachen erscheinen bloß an der Oberfläche und verhindern sogar den Blick in die Tiefe. Zwischen Oberfläche und Tiefe liegt die Mitte, wo die Krise stattfindet und die Entscheidung fällt. Hier liegt die Wahrheit. Auch bei den gegenwärtigen Kriegen ist das so. Schaut man nur auf die Symptome, ist ein Brückenbauen unmöglich.
Zu Wolfgang Knüll: ›Nahtoderfahrungen‹
Seit ungefähr 50 Jahren häufen sich Berichte von Menschen, die am Rande des Todes standen. Dies ist vor allem dem medizinischen Fortschritt zuzuschreiben, weil Lebensrettung in solchen Situationen immer öfter möglich ist. Die Berichte sind beeindruckend. Es wird deutlich: Dieser Mensch stand am Tor zur Geistigen Welt. Das Erlebte ähnelt den Darstellungen alter Einweihungen. Bereits Platon gibt in seiner ›Politeia‹ den Bericht eines Soldaten wieder, der nach einer Verletzung im Kampf zu Tode kam, vor seiner Feuerbestattung aber gerade noch rechtzeitig erwacht und von seinen Erfahrungen im Totenreich berichtet.
Zum Auftakt einer neuen Filmreihe von Rüdiger Sünner
Über den unermüdlich schaffenden Filmemacher und Autor Rüdiger Sünner kann man ohne Übertreibung mit einem Wort Martin Bubers sagen, dass er stets darum bemüht ist »neues Feuer« heranzubringen, damit »die Glut auf dem Altar seiner Seele nicht verlösche«. Eine ganz wichtige Inspirationsquelle für Sünners Werk, aus der er seit Jahrzehnten sein kreatives Seelenfeuer bezieht, sind die Landschaften, die er auf seinen zahlreichen Filmreisen durchstreift. Kein Sünner-Film, der nicht zu einem wesentlichen Teil von der Atmosphäre der gefilmten Orte lebt. Da ist es nur folgerichtig, wenn sich Sünner nach den vielen Porträts, die er über große Denker, Dichter und Künstler gedreht hat, nun in seinem Alterswerk dem Rohstoff seiner Arbeit zuwendet und uns mitnimmt auf eine Reise zu seinen Seelenlandschaften. Es ist, als würde Sünner sein sonst eher im Hintergrund wirkendes Zauberkästchen ins Offene stellen und ihm den Ehrenplatz auf der Bühne überlassen. Die stimmungsvollen Filmorte dienen nun nicht mehr der Untermalung der Gedanken und Lebensstationen berühmter Protagonisten, sondern werden selbst zu den alleinigen Hauptdarstellern. Entstanden ist dabei ein sinnlich-poetischer Filmzyklus, der auf mindestens drei Teile angelegt ist. Zwei davon sind bereits erschienen: ›Seelenlandschaften: England und Wales‹ und ›Seelenlandschaften: Schottland‹. Im Herbst 2024 wird ein weiterer Teil über die Seelenlandschaften in Deutschland folgen (der auch von einem Buch begleitet wird). Und es wäre nicht verwunderlich, wenn es am Ende einen vierten oder fünften Teil geben sollte. Zumindest scheint die kindliche Entdeckerlust des mittlerweile 70-Jährigen noch immer frisch und ungebrochen.
Ein Rückblick auf der Suche nach Zukunft
Vor einigen Jahren durfte ich miterleben, wie ein auf den Tod kranker Mensch in guten Momenten im Garten mit seinen Händen in der Erde arbeitete – den schweren Lehmboden mit Sand vermischend, um den Pflanzen das Wachstum zu erleichtern. Er war ganz hingegeben dieser Tätigkeit, als ob er die Erde durch sich hindurch und dabei auch sein eigenes Leben bewegte, auf ein Neues hin. Edgar Harwardt, der »Gärtner von Stuttgart«, arbeitet an und mit der Erde als Handlungskünstler und bewegt so ebenfalls etwas im Außen wie im Innen – an meist unauffälligen, teils unterirdischen Orten in seiner Heimatstadt sowie entlang des Neckars. Das kann eine Schleuse, ein Stadtbahntunnel, eine Fußgänger-Unterführung, der Keller der Stuttgarter Erdbebenwarte, eine Straßenecke, eine Brache oder eine Baugrube sein: Orte des Alltagslebens, Orte mit mehr oder weniger unbekannter Vergangenheit oder Orte, an denen etwas Neues entstehen soll. Seine Aktionen sind oft verbunden mit der Aufhebung von Erde, Staub oder Asche mittels Wasser, das er in saugfähigem Fließpapier aufsteigen lässt, in dem die Substanzen dann ihre Spuren hinterlassen. Diese Steig-Bilder – »in ihren oszillierenden Verläufen ähnlich den Seismogrammen des Erdenlebens« – sind Dokumente eines konkreten Geschehens an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten, nie zufällig gewählten Zeitpunkt.
Zu Bertrand Badiou: ›Paul Celan. Eine Bildbiographie‹
Paul Celan sei der bedeutendste Dichter deutscher Sprache nach 1945, so Klaus Reichert, der Lektor Celans im Suhrkamp-Verlag bei einem Vortrag im Haus am Dom in Frankfurt anlässlich des 100. Geburts- und 50. Todestages Celans. Wie kann man diese von Begeisterung und genauer Kenntnis fundierte Aussage verstehen? Dazu gibt die von Bertrand Badiou verfasste Bildbiografie über Celan reiche Auskunft. Sie fügt sich als wichtiges und tragendes Glied in eine Reihe von Publikationen zum Werk Celans, dessen sachgemäße Würdigung und Darstellung sich der Suhrkamp-Verlag zur Aufgabe gemacht hat. Dazu zählen Celans Briefwechsel, aber auch eine Edition seiner verstreuten Prosa sowie Studien zu seinem Werk, Erinnerungsliteratur und kommentierte Ausgaben seiner Gedichte. An vielen dieser Veröffentlichungen war Badiou beteiligt.
Der heilige Pirmin (um 670–753) gründete im Jahre 724 auf der Insel Reichenau im Bodensee, im weitgehend heidnischen Alemannien, ein benediktinisches Kloster. Das Kloster gedieh und bestand mehr als 1.000 Jahre lang. Im Austausch mit den Klöstern von St. Gallen und Fulda bildete es eine Grundlage für die kulturelle und geistige Entwicklung Europas.
Von -enden, Sternchen* und DoppelpunktInnen
Es wird gegendert, was das Zeug hält. Auch und gerade an Waldorfschulen. Noch gar nicht lange ist es her, dass man eine Schulpost lesen konnte, ohne Lehrer und Lehrerinnen, Schüler und Schülerinnen, Hausmeister und Hausmeisterinnen ausbuchstabieren zu müssen. Wie sind wir korrekt geworden, und wie ist das Korrektgewordensein langweilig, mühsam, nüchtern! Doch ist dieses Gegendere (schon für die Benutzung des Wortes »gendern« sollte man Strafe zahlen müssen) tatsächlich korrekt?
Zur letzten Phase der Beziehung zwischen Christian Morgenstern und Friedrich Kayssler
Am 5. April 1914, einen Tag nach der Trauerfeier für den am 31. M.rz verstorbenen Christian Morgenstern, schrieb Friedrich Kayssler an die Witwe Margareta: «Es hat mir so wohl getan, daß ich mit ihm [Rudolf Steiner] gesprochen habe [...]. Von dem gestrigen Tage geht ein Licht aus, ein Friede, der unbeschreiblich ist. Wir tragen ihn in uns wie ein seliges Glück, es ist nicht anders zu nennen. Es ist, als hätte alles, unser Leben, eine Weihe bekommen. Aber diese Worte sind arm.« Dem Brief war ein mit ›Meinem hingegangenen Freunde‹ überschriebenes Gedicht beigefügt: »Einst schien der Tod ein Abgrund, uferlos und leer, / daran wir, die Verlassenen, hilflos stehn. / Da sah ich Dich, Geliebtester, hinübergehn. / Nun weiß ich mehr. // Ein Abgrund war. Es stürzte eine Welt. / Doch als Dein Bild in Tränenschleiern schwand – / ward uns das innere Auge sanft erhellt, / und eine neue Gegenwart erstand. // Noch fern dem Tode – früher – sagtest Du, / nicht Trauer zieme uns bei Freundes Tod. / Nun halfst Du selber uns aus aller Not / und strahltest sterbend Gegenwart uns zu. // Du wolltest keine Tränen. Nun hab Dank. / Nicht Trauer ziemt uns, denn wir sehn Dich ja. / Der Abgrund blüht, aus Schweigen steigt Gesang. / Der Tod ward uns ein Gleichnis: Du bist da.«