Zu Sergej O. Prokofieff: ›Rudolf Steiner und die Meister des esoterischen Christentums‹
Einundzwanzig Jahre vergingen von den ersten Anfängen des hier zu besprechenden Buches bis zu seiner Veröffentlichung zu Weihnachten 2018. In der Zwischenzeit verstarben 2005 die sehr mit Sergej O. Prokofieffs Werk verbundene Übersetzerin Ursula Preuß und 2014 auch der Autor selbst. Es kam immer wieder zum Stillstand und zu Verzögerungen in der Arbeit an dem Buch, bis Ute E. Fischer sich Ende 2017 an die Übersetzung der von Preuß noch nicht übertragenen Teile machte. Dass Prokofieff selbst das Ganze der deutschen Fassung nicht mehr einer Endredaktion unterziehen konnte, möge der Leser bei der Lektüre berücksichtigen.
Über den »Lichtseelenatem« als Pendelschlag zwischen Wahrnehmen und Denken und eine Tagung in Stuttgart
Was ist Meditation? Herbert Witzenmann arbeitete in einer gleichnamigen Schrift die zwei »Grundformen« aller modernen, auf die menschliche Freiheit und Entwicklung der Individualität gegründeten Meditation (im Vergleich zu den östlichen Meditationsformen) heraus und kennzeichnete diese wie folgt: »Denn Meditation kann einerseits nichts anderes sein als das Erlangen der Einsicht, wie sich die geistige Welt mit der Sinnenwelt verbindet, – andererseits das Erlangen der Einsicht, wie wir uns selbst mit der geistigen Welt, wie wir diese mit uns verbinden.« Diese zeitgemäße Form der Meditation könne prinzipiell an jedem Gegenstand, in der Natur, aber auch ausgehend von geeigneten Kunstwerken oder Sinnbildern durchgeführt werden. Eine Hauptmethode der Meditation sei dabei – so Witzenmann mit Referenz auf Rudolf Steiners ›Philosophie der Freiheit‹ – »die Beobachtung der Wirklichkeitsentstehung durch unsere geistige Aktivität«
Zu Rudolf Steiner: ›Das Wesen der Anthroposophie‹ (GA 80a)
Als Rudolf Steiner 1921 das Angebot der renommierten Konzertagentur Wolff & Sachs erhielt, Vortragsreihen in den größten und repräsentativsten Sälen verschiedener deutscher Städte zu halten – nutzte er das als Gelegenheit, die Anthroposophie populär zu machen? Ja und nein. Er sprach zwar vor großem Publikum, doch haben sich führende Anthroposophen gewundert, wie nüchtern und gedanklich er die Erkenntnisse und den Schulungsweg darlegte, so dass mancher verblüfft oder gar bestürzt war. Diese Vorträge – soweit sie stenografisch festgehalten wurden – sind nun als GA 80a der Gesamtausgabe beigefügt. Es ist ziemlich atemberaubend, dass in München und Wuppertal die Angriffe dermaßen rabiat waren, dass Steiner mit dem Veranstalter übereinkam, solche Tourneen künftig nicht mehr zu riskieren. Welch merkwürdiger Gegensatz: der abgeklärte Vortragsduktus und die emotionale Reaktion!
Zu Rudolf Steiner: ›Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis Band I und II‹ (GA 90a/b)
Die noch bestehenden Lücken im Editionscorpus der Rudolf Steiner Gesamtausgabe werden inzwischen sukzessive geschlossen. Im Zuge dessen publizierte der Rudolf Steiner Verlag im vergangenen Jahr einen kapitalen Doppelband zu Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis (GA 90a/b). Er umfasst Berliner Vorträge, gehalten zwischen Ende September 1903 und Ende Dezember 1905, dann in Band II außer Berliner Vorträgen weitere des Jahres 1905, die in Köln, Düsseldorf und Hamburg gehalten wurden, sowie einen Einzelvortrag in Lugano vom Januar 1906. Es handelt sich um insgesamt 119 Vorträge vor Mitgliedern der ›Theosophischen Gesellschaft‹, oft in sehr knappen Zusammenfassungen, teilweise aber auch nach ausführlicheren Mitschriften wiedergegeben.
Benjamin Schmidts Wilhelm Rath-Biografie
Die Literatur über Pioniere der Anthroposophie ist kaum übersehbar: Biografien und Memoiren füllen diverse, auch virtuelle Regalmeter – aber es gibt noch Lücken, d.h. Lebensläufe, über die man außer in verstreuten Nachrufen in alten Zeitschriftenjahrgängen oder Erwähnungen in den Memoiren anderer wenig oder fast nichts findet. Eine dieser Lücken betrifft Wilhelm Rath (1897–1973), dessen Name heute nicht mehr vielen Anthroposophen geläufig sein dürfte. Aufgrund der jahrelangen gründlichen Recherchen Benjamin Schmidts, der viele Nachlässe sichtete und unveröffentlichtes Quellenmaterial aufspürte, kann diese Lücke mit dem vorliegenden Buch als geschlossen gelten.
Von Verschwörungstheorien, dem »Kampf gegen Rechts« und anderen Unschärfen
Im Juli/August 2018 veröffentlichte das Magazin ›Info3‹ eine von acht prominenten Repräsentanten der Anthroposophie in Deutschland unterzeichnete und wenig später von den Zeitschriften ›Anthroposophie‹ und ›Anthroposophie weltweit‹ nachgedruckte Erklärung, wonach Verschwörungstheorien mit liberalem respektive anthroposophischem Denken unvereinbar seien. Im Umfeld der Anthroposophie, so die Initiatoren, begegne man immer häufiger »Vertretern der krudesten Ideologien«: angefangen bei der »Holocaustleugnung« über »Theorien der Verschwörung durch Juden, Jesuiten, Bilderberger oder Freimaurer, spirituell verbrämte Deutschtümelei und Bekämpfung des längst überholten Vorwurfs der deutschen Alleinschuld für den Ersten Weltkrieg« bis hin zu »Mutmaßungen über von Geheimdiensten inszenierte Terroranschläge und Annahmen über die Manipulation des politischen Lebens sowie der Medien durch geheime Zirkel«. Der »gemeinsame Nenner« dieser auf den ersten Blick so unterschiedlichen Verschwörungsfabulate sei »die Fixierung auf ›das Böse‹ und sein Wirken in der Welt sowie die Auffassung des Weltgeschehens als einem von einer kleinen Gruppe manipulierten Marionettentheater.« Der Rekurs »auf das Wirken unheilvoller Mächte« und vermeintlicher Konspirationen, so die Erklärung weiter, bewirke eine »passive Zuschauerhaltung, die dem Entwicklungsimpuls der Anthroposophie« zuwiderlaufe.
Zwei Neuerscheinungen zur Hochschulfrage
Will man Aufschluss über die Frage gewinnen, welche Bedeutung und Wirksamkeit eine Hochschule für Geisteswissenschaft (Anthroposophie) in Zukunft entfalten könnte, dann liegt es nahe, neben den historischen Hinweisen Rudolf Steiners im Rahmen der Neubegründung der Anthroposophischen Gesellschaft 1923/24 auch aktuelle Publikationen heranzuziehen, deren Verfasser diese Fragestellung aus unterschiedlichen Perspektiven behandeln. Auf das Erscheinen zweier Selbstdarstellungen des Goetheanums in den Jahren 20081 und 20172, von denen sich die neuere vor allem der Geschichte seiner elf Forschungssektionen widmet, folgten im vergangenen Jahr auch zwei »inoffizielle« Veröfentlichungen zu diesem Themenbereich. Letztere gehören in meinen Augen zu den interessanteren Gesprächsbeiträgen, da deren Autoren das Aufgabenfeld einer Freien Hochschule für Geisteswissenschaft sondieren, ohne hierbei mit (selbst-)kritischen Einlassungen zu sparen. Im Folgenden seien einige der von ihnen benannten Problemfelder herausgegriffen und näher beleuchtet, weil diese meinem Eindruck nach Wesentliches der Hochschulfrage berühren, von dessen Bewältigung die Zukunft dieser Einrichtung abhängt.
Martina Maria Sams Studie zur Kindheit und Jugend Rudolf Steiners
Der doppelte Zeitenstrom erschließt sich nicht zuletzt durch das Rückblicken auf das eigene Leben – in der Erkenntnis, wie das, was mir geschehen ist, nicht einfach eine Summe ausmacht, die mich geprägt hat, sondern seine Erfüllung erst im Hier und Jetzt findet. Mir kommt in den Schicksalsereignissen stets meine eigene Zukunft entgegen. Martina Maria Sam schreibt in ihrer Monografie über die Kindheit und Jugend Rudolf Steiners in Bezug auf die Fichte-Studien des achtzehnjährigen Jünglings, auf welche dieser mit dem vorangestellten Zitat 1907 zurückblickt: »Es war ihm aufgefallen, dass das Ich ›jener Brennpunkt‹ sei, ›welchen zu ergreifen unmöglich ist, da er immer nach rückwärts entschlüpft, wenn wir ihn ins Auge fassen wollen‹. Dieses ›rückwärts entschlüpfende‹ Ich nennt er das ›reine Ich‹ im Gegensatz zum Alltags-Ich. – Im Zusammenhang mit Überlegungen über die Natur des ›reinen Ich‹ kam er also erstmals auf die Idee eines rückwärts verlaufenden Stroms.« (zitiert S. 232)
Zu Rudolf Steiner: ›Schriften zur Anthropogenese und Kosmogonie‹, Schriften, Kritische Ausgabe (SKA) Band 8,1-2, hrsg. von Christian Clement
Mit den vorliegenden beiden Bänden 8,1-2 der SKA hat Christian Clement neben der Aufsatzreihe ›Aus der Akasha-Chronik‹ Steiners zentrales Hauptwerk ›Die Geheimwissenschaft im Umriß‹ in der nunmehr bewährten Art kritisch bearbeitet und kommentiert herausgegeben. Zur Bearbeitung der Texte gehört – wie auch in den bereits erschienenen Bänden, den ›Philosophischen Schriften‹ (SKA 2), den ›Schriften über Mystik, Mysterienwesen und Religionsgeschichte‹ (SKA 5), den ›Schriften zur Anthropologie‹ (SKA 6) und den ›Schriften zur Erkenntnisschulung‹ (SKA 7) – vor allem die Sichtbarmachung der Textgenese durch alle zu Lebzeiten Steiners erschienenen Auflagen der betreffenden Schriften hindurch. Die Kommentierung versucht vor allem den historischen Kontext von Steiners Werk aufzuzeigen und außerdem durch Stellenkommentare auf einzelne werkimmanente Aspekte hinzuweisen.
Perspektiven der Michael-Schülerschaft
Was die beiden hier besprochenen schmalen, konzentrierten Schriften verbindet, ist der individuelle Ansatz, von dem aus die Autoren im Hinblicken auf die Welt (d.h. Innen- wie Außenwelt) dasjenige mitteilen wollen, was ihnen auf dem Weg der Schülerschaft an Einsichten und Wirkgesten erwuchs – einer Schülerschaft innerhalb der heute bestehenden Mysterienschule Michaels. Autor der ersten Schrift: ›Vom Schicksal der Töne. Musikalische Betrachtungen zur Anthroposophie‹ ist Steffen Hartmann, Pianist, Vortragender und Buchautor. Als Liedbegleiter verdankt er wichtige Anregungen, so Hartmann zu seinem Werdegang, den Jahren des Lernens bei Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau. Etwa die Hälfte seines Lebens gehört dabei zugleich, neben allem anderen, der meditativen Bemühung und Erfahrung. Das Buch bietet die Zusammenfassung einiger Aufsätze des Autors, die er zwischen 2010 und 2015 schon anderweitig publizierte, für die neue Edition jedoch zum Teil gründlich überarbeitete. Die Themen sind Musik als individuelles Schicksal, das Tonerleben in Verbindung mit dem Meditieren, das Schicksal der Töne im 20. Jahrhundert, die Hinweise Rudolf Steiners zur Musik in den Vorträgen über das Initiatenbewusstsein, Bachs ›Wohltemperiertes Klavier‹ im zodiakalen Kontext und die Bedeutung musikalischer Skalen für einen Erlebnis- und Erkenntniszugang zu den Engelhierarchien.
Was in der Anthroposophischen Gesellschaft leider vorgeht (Forts.)
Es war ein starkes Symbol: Während die zur Frage der Mandatsverlängerung für Paul Mackay und Bodo von Plato abgegebenen Stimmen gezählt wurden, fand auf der diesjährigen Generalversammlung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft ein weiterer Wahlgang statt. Dieses Mal ging es um die offizielle Rehabilitation Ita Wegmans und Elisabeth Vreedes. Der entsprechende Antrag wurde nahezu einmütig verabschiedet. Kurz darauf wurde bekanntgegeben, dass Mackay und von Plato mit jeweils nur knapp über 40% Ja-Stimmen die Bestätigung verfehlt hatten. Hatte sich etwa die Geschichte wiederholt – und sei es nur, wie Marx einst höhnte, erst als Tragödie und dann als Farce?
Zu Eva Kovacheva: ›Die Weiße Bruderschaft des Peter Danov‹
Mit der hier besprochenen Arbeit promovierte die bulgarische Autorin Eva Kovacheva 2010 an der Universität Marburg im Fachbereich Evangelische Theologie. Ihre Schrift ›Die Weiße Bruderschaft des Peter Danov‹ verdient Aufmerksamkeit nicht allein vor dem akademischen Forum. Insbesondere gibt es Bezüge zwischen dem Exponenten des Buches, Peter Danov, dessen spiritueller Name Beinsa Duno lautet, und Rudolf Steiner bzw. der anthroposophischen Bewegung. Kovacheva ist seit ihrer Schulzeit an einem deutschsprachigen Gymnasium mit der deutschen Kultur vertraut und seit ihrer Jugend interessiert an Esoterischem – Rosenkreuzertum, Theosophie und Anthroposophie.
Eine kurz gefasste, erste Orientierung
Seit etwa acht Jahren, also seit dem Jahr 2010, ist öffentlich wahrnehmbar, dass Anthroposophen bzw. Persönlichkeiten, die der Anthroposophie Rudolf Steiners nahe stehen, als Vortragende oder anderweitig aktiv Mitwirkende im Rahmen von Veranstaltungen der ›Stiftung Rosenkreuz‹ auftreten. Zumeist geht es dabei um Themen von allgemein spirituellem Interesse, behandelt auf Tagungen und Symposien, bei denen die der Anthroposophie Nahestehenden mit Vertretern der ›Stiftung Rosenkreuz‹ zusammenwirken. Der Schreiber dieser Zeilen ist schon langjährig, auch publizistisch, engagiert auf dem Feld des inter-spirituellen Dialogs. Es ist für ihn dabei selbstverständlich, dass Formen solchen Dialogs vor allem dann aussichtsreich sind, wenn um die Ansichten des jeweils Anderen tatsächlich gewusst wird.
Ein Blick auf Zwier Willem Leene
Es mag fraglich erscheinen, wozu in einer anthroposophisch ausgerichteten Zeitschrift wie die Drei ein Buch besprochen wird, das den Pionier einer Gruppierung vorstellt, die viele Jahrzehnte hindurch jede Berührung mit der anthroposophischen Bewegung mied: des ›Lectorium Rosicrucianum‹. – Der Rezensent sieht die Erfordernis dazu in Entwicklungen der letzten Jahre begründet, die als Versuch einer energischen Annäherung von dieser Seite an die anthroposophische Bewegung zu verstehen sind. Das Instrument, um diese Annäherung voranzubringen, ist die vielerorts agierende ›Stiftung Rosenkreuz‹, eine Vorhoforganisation des ›Lectorium‹, durch die Begegnungen mit Vertretern der Anthroposophie gesucht werden. Und so enthält denn auch das hier zu besprechende Buch zahlreiche Verweise auf Rudolf Steiner und die Anthroposophie.
Zum Thema ›Anthroposophie und »offizielle« Wissenschaft‹
Angeregt durch das Gespräch von Claudius Weise und Marcelo da Veiga über die zweite Phase der Alanus Hochschule in die Drei 10/2017, habe ich mir folgendes Ereignis aus der ersten Phase der Hochschule in Erinnerung gerufen. Es handelt sich um die dritte Tagung einer Internationalen anthroposophischen Arbeitsgruppe für Bildung und Ausbildung. Vorausgegangen waren zwei Tagungen an anderen anthroposophischen Ausbildungsstätten in Driebergen/Holland und in Witten-Annen. Diese dritte Tagung im Jahre 1983 beschäftigte sich mit dem Motiv der Urteilsbildung in verschiedenen Ausbildungen: Kunst, Kunstpädagogik und Eurythmie.
Zum Erscheinen einer dreibändigen Dokumentation zur Vorstandstätigkeit Herbert Witzenmanns – und zu einem verdrängten Kapitel der Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft
Vorweg sei eine Anekdote wiedergegeben, welche die Persönlichkeit Herbert Witzenmanns (1905–1988) – dessen Wirken innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft die drei zu besprechenden Bände Reto Savoldellis gewidmet sind – schlagartig beleuchtet: Witzenmann, Fabrikant, Urheber patentierter Erfindungen, Ökonom, Dichter und Pianist, Erkenntniswissenschaftler, Autor zahlreicher Aufsätze und Bücher, Mitglied des Goetheanumvorstandes, wurde nach einem Vortrag von einer älteren Dame gefragt, warum denn seine Vorträge und Schriften »immer so anstrengend zu lesen« seien. Die überlieferte Antwort Witzenmanns dürfte die Zuhörerin überrascht haben: »Ja nun, dieser Eindruck mag deshalb auftreten, weil ich mich bemühe, meine Texte durch keine unverständliche Zeile zu unterbrechen.«
Zu ›Zwischen Himmel und Erde: Die Finanzkrise‹ von Jose Martinez
Es gibt Themen, die sind gefährlich. Zu den gefährlichsten Themen in Mitteleuropa gehören sicherlich das Schicksal des deutschen Volkes und die Wirksamkeit der westlich geprägten Finanzwelt. Wer sich in diesem Themenbereich mit kritischen Fragen bewegt, läuft Gefahr, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Dafür gibt es durchaus Gründe, denn zum einen stützen sich Ideologen aus dem rechten Spektrum zum Teil auf ähnliche Beobachtungen, die schon Rudolf Steiner am Anfang des 20. Jahrhunderts gemacht hat, und zum andern gibt es im anthroposophischen Umfeld Menschen, die dazu neigen, geisteswissenschaftliche Beobachtungen und rechte Ideologie zu einer kruden, vitalistischen Welt- und Lebensauffassung zu verbinden. Das ruft Gegenreaktion hervor, die wiederum ebenso radikal ausfallen können wie das, was Claudius Weise in dieser Zeitschrift als »identitäre Anthroposophie« bezeichnet hat. So gibt es auch Vertreter einer Art »linksliberaler Anthroposophie« die auf ihrem Feldzug gegen die Vereinnahmung der Anthroposophie durch rechte Gesinnungen gleich alle zeitgeschichtlichen Aussagen Rudolf Steiners mitentsorgen wollen und jeden, der deren Sinn nachspürt, der rechtspopulistischen Hetze bezichtigen, dabei jedoch in der Plumpheit der Argumentation ihren rechten Antagonisten in nichts nachstehen. Das Buch ›Zwischen Himmel und Erde: Die Finanzkrise‹ dürfte diesen Wächtern einer »reinen Anthroposophie«, also einer Anthroposophie, die von allem gereinigt ist, was ihrem linksliberalen Weltbild widerspricht, genug Material für neue Feldzüge geben.
Was in der Anthroposophischen Bewegung leider vorgeht
Innerhalb der anthroposophischen Presselandschaft nimmt das von der Initiative ›Entwicklungsrichtung Anthroposophie‹ herausgegebene ›Ein Nachrichtenblatt‹ eine eigentümliche Stellung ein. Die als elektronische Datei verschickte Zeitschrift wurde 2011 ins Leben gerufen, nachdem die Herausgeber der Wochenschrift ›Das Goetheanum‹ verkündet hatten, dass die Nachrichten für Mitglieder – bekannt als: ›Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht‹ – nicht mehr als wöchentliche Beilage erscheinen, sondern in den öffentlichen Teil integriert werden sollten. Damit war nach Auffassung der Initiatoren eine spezifische Korrespondenz für Mitglieder, wie sie von Rudolf Steiner angeregt worden war, nicht mehr gegeben. Dass die Wochenschrift überwiegend von Mitgliedern gelesen wird und umgekehrt ›Ein Nachrichtenblatt‹ auch von Nichtmitgliedern bezogen werden kann, hielt die Initiatoren nicht davon ab, zu erklären: »Wir setzen mit der damit gekennzeichneten Veröffentlichungsform ›spezifisch für Mitglieder‹ [...] an einer Arbeitsrichtung an, welche durch eine offizielle Mitgliederbeilage – gemeint ist die wöchentliche, nun in die Wochenschrift hineinfusionierte – nicht mehr betreut wird. Es ist nicht möglich, etwas zu konkurrenzieren, was nicht existiert.« Führt man sich überdies vor Augen, dass alle deutschsprachigen Landesgesellschaften eigene Mitteilungsblätter herausgeben und regelmäßig ›Anthroposophie weltweit‹ als internationales Nachrichtenblatt für Mitglieder der Wochenschrift beiliegt, drängt sich der Eindruck auf, hier werde weniger eine Lücke gefüllt als Haarspalterei betrieben.
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Offene Karmafragen in Vergangenheit und Gegenwart
Von 1307 bis 1314 währten die Prozesse gegen den Templerorden. Veranlasst durch den damaligen König von Frankreich, Philipp den Schönen, wurden die Templer grausam gefoltert und hingerichtet. Am 18. März 1314 wurde der letzte Großmeister des Ordens, Jacques de Molay, zusammen mit Geoffroy de Charney in Paris öffentlich verbrannt. Der Orden war schon 1312 auf dem Konzil von Vienne aufgehoben worden. Viele Rätsel ranken sich bis heute um die Impulse und die Ziele der Templer sowie ihre brutale Vernichtung. In den letzten Jahren erschienen verschiedene Werke und Aufsätze von anthroposophischen Autoren zu dieser Thematik, insbesondere auch karmische Betrachtungen zur Individualität Jacques de Molays. Bis heute bestehen jedoch eklatante Widersprüche in diesen Darstellungen, die bisher nicht weiter aufgeklärt und bearbeitet wurden. Man kann den Eindruck haben, dass 700 Jahre nach der Vernichtung des Templerordens die geistige Welt uns die Aufgabe gestellt hat, Licht in das Dunkel zu bringen, bis hin zu konkreten karmischen Erkenntnissen. Die Frage ist aber, ob da nicht zunächst eine Chance vertan wurde, da die sich widersprechenden Darstellungen bis heute weitgehend unvermittelt nebeneinander stehen, ja die beteiligten Autoren sich zum Teil nicht einmal aufeinander beziehen, sodass vielleicht mehr Verwirrung entstanden ist als wirkliche Klärung, und auch die geistige Welt ihre Tore zunächst wieder verschlossen hat.
Annäherungen an Karl König
Der Arzt und Heilpädagoge Karl König war eine herausragende Figur des vergangenen Jahrhunderts und der anthroposophischen Bewegung. Lange Jahre war er auch ein Flüchtling in Europa. Zwei Neuerscheinungen zu Königs 50. Todestag geben Anlass, diese besondere Persönlichkeit neu ins Bewusstsein zu rücken.
Zwei neue Bücher von und über Albert Steffen
Es mag übertrieben sein, von Albert Steffen als einem Unbekannten innerhalb der anthroposophischen Bewegung zu sprechen. Doch angesichts der Tatsache, dass Steffen nicht nur ein enger Mitarbeiter Rudolf Steiners war, sondern nach dessen Tod fast vierzig Jahre lang als Erster Vorsitzender die Anthroposophische Gesellschaft prägte, ist es eine höchst eigentümliche Tatsache, dass erst jetzt eine umfassende biografische Darstellung in Angriff genommen wird. Und auch sonst ist die Literatur dünn gesät. Seit 1984, als Steffens 100. Geburtstag mit mehreren Publikationen begangen wurde, sind ihm ganze drei Bücher gewidmet worden, von denen zwei sich mit den ›Kleinen Mythen‹ beschäftigen. Peter Selgs Studie: ›Albert Steffen – Begegnung mit Rudolf Steiner‹ (Dornach 2009) greift immerhin jenen Aspekt in Steffens Leben und Werk heraus, den dieser wohl auch selbst als zentral bezeichnet hätte.
Christoph Huecks Monografie ›Intuition - das Auge der Seele‹
»Ein richtig verfasstes anthroposophisches Buch«, so Rudolf Steiner 1924 in seiner Autobiografie ›Mein Lebensgang‹, »soll ein Aufwecker des Geistlebens im Leser sein, nicht eine Summe von Mitteilungen.« Diese Anforderung erfüllt in vollem Umfang Christoph Huecks Monografie über die ›Darstellung des intuitiven Erkennens im schriftlichen Werk Rudolf Steiners‹ – ein Buch, von dem man sich wünscht, es wäre fünfzig Jahre früher erschienen.
Zu SKA Bd. 6: ›Theosophie – Anthroposophie‹
Christian Clement bleibt seinem Fahrplan treu. Ende 2016 legte er Band 6 der kritischen Ausgabe von Rudolf Steiners Schriften vor, der die ›Theosophie‹ und das Fragment ›Anthroposophie‹ aus dem Jahre 1910 enthält, wie immer mit sauber dokumentierter Textentwicklung, einer 126-seitigen Einleitung und ca. 100 Seiten Stellenkommentaren. Ein Vorwort des schwedischen Esoterik-Forschers Egil Asprem eröffnet die Ausgabe.
Zu ›Freiheit und Schicksal‹ von Renatus Ziegler
Wer an eine Philosophie der Wiederverkörperung den Anspruch eines Gottesbeweises stellt, der wird mit ihr ebenso scheitern wie mit einem solchen. Wer allerdings darauf aus ist, nicht diese oder jene Wiederverkörperung zu beweisen, sondern aufzuzeigen, dass der Verkörperung Kräfte innewohnen, die auch eine Wiederverkörperung möglich erscheinen lassen, der ist auf ebenso fruchtbarem Weg wie jener, der nicht den Beweis Gottes anstrebt, sondern in der erschaffenen Welt Indizien der Schöpfungsfähigkeit aufspürt.
Zum Buch ›Auferstehung denken‹ von Matthias Remenyi
In die Drei 3/2016 findet sich eine ausführliche Besprechung des kurz vorher erschienenen dreibändigen Werkes ›Auferstehung. Die Auferstehung im Werk Rudolf Steiners‹ von Frank Linde. Wenige Monate später kam das Buch ›Auferstehung denken‹ von Mathias Remenyi heraus. Für die Leserschaft dieser Zeitschrift stehen sich damit ein anthroposophisches und ein theologisches Werk zum selben Thema gegenüber, letzteres als Teil einer ausgedehnten Fachliteratur. Beide Bücher sind dem Themenkreis »Eschatologie« zuzurechnen.
Chancen und Hemmnisse
Unter dem propädeutischen Motto: »Vorstudium der Geisteswissenschaft« beschäftigt sich ein Kreis Berliner Forscherinnen und Forscher seit über zwei Jahrzehnten mit der Frage, wie das heutige, an der Gegenstandswelt geschulte naturwissenschaftliche Bewusstsein in der Auseinandersetzung mit der Anthroposophie eine Steigerung und Fortbildung erfahren könnte, ohne dass wissenschaftsferne Verhaltensweisen – wie das Suchen nach religiöser Befriedigung auf Kosten des kritischen Erkenntnisstrebens, das politische Taktieren auf der Suche nach Mehrheiten und »Erfolg« oder das operationale Schielen nach Honorierung seitens der Vertreter des akademisch-universitären Mainstreams – diesen Anspruch überlagern oder sogar gänzlich zunichte machen. Die kürzlich erschienene Studie ›Zurüstungen‹ von Lutz Liesegang erwuchs aus der intimen Arbeit dieses Kreises, an der auch der Rezensent in bestimmten Abständen mitgewirkt hat. Im Folgenden sei dieses Buch ausführlicher besprochen, da es meiner Ansicht nach eine Reihe bedeutsamer Fragen im Hinblick auf das Selbstverständnis und die Zukunft einer Hochschule für Geisteswissenschaft (d.h. Anthroposophie) aufwirft.
Zum ›Kolloquium mit dem Herausgeber der Kritischen Ausgabe der Schriften Rudolf Steiners‹ am 23. April im Rudolf Steiner Haus Stuttgart
Annäherung an ein Grundlagenwerk
Der Glaube an die leibliche Auferstehung Jesu Christi nach dem Tod am Kreuz ist der Ursprungsimpuls zur Entstehung des Christentums als heiliger Gemeinschaft. Der Auferstehungsglaube begründet sich aus den Erscheinungen des Auferstandenen vor einer Reihe von Zeugen und aus dem Aufleben der Auferstehungskraft in Einzelnen oder in Gruppen im Laufe der Geschichte, schließlich aus dem Überzeugungspotenzial der christlichen Philosophie und Theologie. Die Wirkung dieser Glaubensbestätigungen ist in neuerer Zeit stark zurückgegangen.
Was ist gegenwärtige Michael-Kultur?
Die Jahrestagung der Anthroposophischen Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen am 7. November 2015 in Bochum wurde durch zwei Beiträge eingeleitet. Barbara Schiller von ›stART international‹ berichtete aus der Perspektive der Notfallpädagogik sehr bewegend und lebendig von den Schicksalen und Problemen der Flüchtlinge, vor allem der verzweifelten Lage vieler Kinder. Demgegenüber sollte das hier folgende – für die Wiedergabe im Druck gekürzte und bearbeitete – Referat aus geisteswissenschaftlicher Sicht gedankliche Hilfen zum Verstehen und Einordnen der Ereignisse in größere Zusammenhänge geben.