Zur gegenwärtigen Aufarbeitung der Corona-Politik – Teil III
Die Corona-Krise und die in derselben ausgeübte Pandemie-Politik wurden bislang weder in der allgemeinen Öffentlichkeit noch in den anthroposophischen Zusammenhängen grundlegend aufgearbeitet. Mit Teil I und II dieser Artikelfolge sollte dazu ein Beitrag geleistet werden. In diesem abschließenden dritten Teil geht es vor allem um die Grundlagen einer Freiheitsauflassung, wie sie aus anthroposophischer Sicht dem zweiten Narrativ2 der Corona-Zeit zugrunde gelegen hat und auch noch heute liegen kann, nämlich die des »ethischen Individualismus«.
Zur gegenwärtigen Aufarbeitung der Corona-Politik – Teil II
Im ersten Teil dieses Artikels habe ich mich mit einem im Januar 2024 von dem deutschen Soziologen Klaus Kraemer an der Universität in Graz veranstalteten Podiumsgespräch beschäftigt, an dem auch der in Kassel lehrende Soziologe Heinz Bude teilnahm. Bude hat bei diesem Versuch einer Aufarbeitung der Corona-Politik ein Narrativ vertreten, das – wie ich schrieb – »eine nationale Gemeinschaft umfassende staatliche Ordnung als den Souverän« ansieht, »der im Falle einer Pandemie qua Exekutive das individuelle Handeln einschränken und zugunsten der allgemeinen Gesundheit vor allem durch Überwachungsmaßnahmen, aber auch durch Ausgangssperren bis hin zu sogenannten ›Lockdowns‹ regulieren kann.« Das zweite Narrativ, »das bis heute nur von einer Minderheit der Bevölkerung getragen wurde, sieht hingegen die freie Entfaltung der Persönlichkeit auch dann an erster Stelle, wenn die allgemeine Gesundheit einer Menschengemeinschaft durch eine Virusepidemie bedroht wird. Dieses Narrativ sieht den Souverän mithin in jedem einzelnen Individuum, in dessen individuelle Verantwortlichkeit auch das Verhalten in einer Pandemie gestellt ist.« Im Folgenden soll es nun um einen weiteren Versuch zur Aufarbeitung der Corona-Politik gehen, nämlich um die Rezeption der im März 2024 veröffentlichten »RKI-Protokolle«.
Fortgesetzte Betrachtungen zu einem ununterbrochenem Krieg
Dem Schweizer Waldorflehrer und Anthroposophen Peter Lüthi, einem Kenner Russlands und der Ukraine, ist es im vorigen Jahr gelungen, beide Länder – in denen er seit den 90er-Jahren Kurse und Seminare abgehalten hat – mehrere Wochen lang zu bereisen. So etwas geht also. In der Zeitschrift ›Gegenwart‹ berichtet er darüber und schreibt: «Es kann mir gar nicht einfallen, den Lesern mitzuteilen, was ›Russland‹, ,›die Ukraine‹ oder ›das russische Volk‹ denken, fühlen und wollen. – Und jede eigene Wahrnehmung und Begegnung vermindert ein wenig meine Abhängigkeit von dem, was westliche, ukrainische oder russische Medien und Experten beweisen wollen. Ich glaube weder dem Spiegel noch dem Antispiegel, weder dem Mainstream noch dem Antimainstream [...]. Von beiden Seiten werde ich mit Eindeutigkeiten bearbeitet, die so wenig der Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit gerecht werden, die ich in jeder wahrgenommenen Wirklichkeit finde. Meine Sympathie oder Antipathie gegenüber Russland, den USA oder der Ukraine kann nicht das Kriterium sein, ob eine Information wahr ist. Da ich mir eingestehen muss, sowohl für ›Russland‹ wie für ›die Ukraine‹ Sympathien zu haben, komme ich um diese Einsicht nicht herum.« Mir geht es ebenso! Deshalb habe ich mir seinen Vorbehalt sehr zu Herzen genommen.
Zu Alexandra Hofmänner: ›Das Verhältnis von Wissenschaft und Staat in der Schweiz‹
Alexandra Hofmänner, promovierte Naturwissenschaftlerin und derzeitige Gastprofessorin an der Technischen Hochschule in Aachen, hat im vorigen Jahr eine Studie zum Thema ›Das Verhältnis von Wissenschaft und Staat in der Schweiz – Zur Gestaltungskraft der Rechtssetzung‹ veröffentlicht. Diese Neuerscheinung wird von Robert Zuegg, Jurist und ehemals Verfassungsrat im Kanton Zürich, nachfolgend kritisch gewürdigt, und zwar vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über die Neuorientierung von Demokratie, Neutralität und Souveränität der Schweiz.
Zur gegenwärtigen Aufarbeitung der Corona-Politik – Teil I
Wo. wie und mit wem findet die Aufarbeitung der schwersten Krise der Menschheit seit dem Zweiten Weltkrieg heute statt? In Deutschland bislang nur sehr zögerlich bis gar nicht in Österreich nur partiell. und in der Schweiz ähnlich wie in Deutschland ebenfalls nur zögerlich bis gar nicht1 In dem vorliegenden zweiteiligen Essay werden zwei Versuche zur Aufarbeitung der Corona-Krise im deutschsprachigen Raum genauer untersucht verbunden mit der Frage: Was sagt uns diese Art der Bewältigung der Corona-Krise über den gegenwärtigen Bewusstseinszustand der Menschen in Mitteleuropa, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Zu Edwin Hübner: ›ChatGPT – Symptom einer technischen Zukunft‹
Der Verfasser des hier zu besprechenden Buches hat den Wunsch, dass seine Leser verstehen, wieso eine Maschine in der Lage ist, auf schwierige Fragen komplexe und sinnvolle Antworten zu geben. Um dieses Ziel zu erreichen, wird u.a. erklärt, was künstliche neuronale Netze sind, wie sie gebaut werden und wie sie funktionieren. Im Folgenden einige Sätze aus dem Kapitel ›Zur Grundidee von ChatGPT‹: »Das Prinzip ist schnell formuliert. Die Maschine hat die Aufgabe, zu einem eingegebenen Text nur das nächste sinnvoll passende Wort zu finden. Wird also bei ChatGPT eine Frage, ein sogenanntes Prompt, eingegeben, dann hat der daraufhin erfolgende Rechenaufwand nur eine einzige Aufgabe: das Wort zu finden, das die größte Wahrscheinlichkeit besitzt, den sinnvollen Anfang eines Antwortsatzes zu bilden. […] Man kann es auch so formulieren: Das Sprachmodell GPT versucht in bestmöglicher Nähe die bedingte Wahrscheinlichkeit des Wortes Wn zu bestimmen, wenn die anderen Wörter W1, W2, W3 … Wn-1 bereits vorliegen.« (S. 21)
Man könnte neuerdings jeden Tag mit einem persönlichen Wahrspruch beginnen – jetzt, wo der Zusammenbruch, ob privat oder weltpolitisch, nahezu Normalität geworden ist.Wer nicht zusammenbrechen will, muss sich aufrecht erhalten! Das wäre so ein Spruch, ohne den man kaum noch durch den Tag bis zum Abend kommt. Aber es geht auch kleiner, konkreter, bescheidener. Sich zu sagen: Bleib ein Stündchen auf dem Sofa liegen und schone aktiv deine Nerven – oder: Iss ein Häppchen und tröste deine Galle, dass sie nicht überläuft. Sich um den eigenen Körper kümmern als Seelenwächter, damit der Geist weiter darin leben kann – oder anders herum? Wie auch immer: Es ist in diesen Zeiten zur Arbeit geworden, am Leben zu bleiben. Als ein halbwegs intaktes, integres Lebewesen. Geschweige denn als schöpferisches Geschöpf. Wer das sein, bleiben und werden will, hat genug damit zu tun.
Zum Nicht-Verstehen der Lage im Nahen Osten
Schon zu Beginn dieses Aufsatzes lässt sich ein Widerspruch nicht vermeiden. Jeglicher Bericht, der seit dem 7. Oktober letzten Jahres über dessen Folgen geschrieben wird, beginnt nämlich mit einer kurzen Wiederholung im Sinne von: »Zuerst überfielen Hamas-Kämpfer (bzw. Terroristen) israelische Siedlungen, verbrannten Häuser, töteten 1.200 Menschen und nahmen einige als Geiseln. Daraufhin überfiel das israelische Militär den Gazastreifen, hinterließ unfassbare Zerstörungen und tötete etwa 30.000 Palästinenser.« Dann folgt eine Stellungnahme, je nach Verfasser der einen oder der anderen leidenden respektive Leid erzeugenden Partei sich zuneigend. Ich wollte ja nicht so beginnen – und dennoch tat ich es.
Zu Valentin Tomberg: ›Vom Völkerrecht zur Weltfriedensordnung‹
Wer durch die grauenvollen Berichte aus dem bald zwei Jahre andauernden Russland-Ukraine-Krieg nicht gänzlich abgestumpft ist, dem muss es ungemein schwer fallen, die Möglichkeit und Legitimität eines »gerechten« Krieges grundsätzlich für denk- und rechtfertigbar zu halten. Erschwert wird eine rechtsethische Legitimation »gerechter« Kriege dadurch, dass unter den Bedingungen einer modernen Kriegsführung mehr denn je zwangsläufig das unerwünschte Phänomen des »Fog of war« auftritt, sich also als empirische Tatsache zeigt, dass
1. allen Parteien der Kriegsverlauf entgleitet und prinzipiell keine Kontrolle über die Entwicklung eines Krieges gegeben ist,
2. immer unvermeidbare, erhebliche sogenannte Kollateralschäden gegenüber Unschuldigen und Zivilisten entstehen und
3. mit dem Einsatz moderner Waffen das prinzipielle Dilemma einhergeht, dass diese - insbesondere Flächenbomben und Minen - grundsätzlich keine Unterscheidung von Feind und Freund, von Soldat und Zivilist ermöglichen.
Wegmarken einer Verirrung
Was wir zur Zeit an Kriegsereignissen erleben, ist kaum noch zu fassen. Nach all unserer Kenntnis über das Grauen des Kolonialismus, der beiden Weltkriege, des Korea- und des Vietnamkrieges, des Jugoslawien- und des Tschetschenienkriegs, des »Krieges gegen den Terror« usw. geschehen nun wieder Gräuel, die den früheren nicht nachstehen. Auch wenn keine sogenannten Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden, sterben dennoch Massen von Menschen durch militärische Gewalt. Russland hat durch die Unterstützung der Donbass-Republiken die Ukraine noch tiefer ins Elend getrieben, während durch die Ukraine selbst – wie auch durch Israel – der Begriff der »Selbstverteidigung« ad absurdum geführt wird. Die Ukraine verteidigt sich gewissermaßen zu Tode, eine »soziale Verteidigung« des Landes (als passiver Widerstand gegen die Besatzer) hätte erträglichere Zustände herbeigeführt; und selbst wenn Israel in Gaza Zerstörungen unvorstellbaren Ausmaßes bewirkt, wird es den Hass seiner Feinde nicht auslöschen und somit sein eigenes ständiges Bedrohtsein nicht beenden. Beide Kriege sind die Folge nicht ergriffener Chancen oder fehlenden Willens, vorab sinnvolle Lösungen zu suchen oder vorliegende vernünftige Vorschläge anzunehmen. Aber auch die Eroberung der armenischen Enklave Bergkarabach durch Aserbaidschan und die Vertreibung von ca. 100.000 Armeniern aus ihrer Heimat, die türkische Okkupation kurdischer Gebiete in Nordsyrien mit Zerstörung der Energie- und Wasserversorgung sowie Vertreibung der Bevölkerung, und alle anderen Kriege in verschiedenen Teilen der Welt zeugen weiterhin von hemmungsloser Gewaltanwendung für fragwürdigste Ziele. Und in allen diesen Konflikten werden die Not und das elende Sterben unzähliger Soldaten und Zivilisten in Kauf genommen. Mitleid mit den gequälten Menschen fehlt den Verantwortlichen.
Wirklichkeitsverlust und totalitäre Tendenzen
Die Ereignisse der Corona-Zeit haben die Gesellschaft in bisher ungekanntem Maß gespalten. Prinzipiell waren sowohl kritische Positionen als auch die Ergreifung von Vorsichtsmaßnahmen und die Angst vieler Menschen vor einer Infektion verständlich. Zu denken gibt im Rückblick zum einen die Radikalität – bis hin zu Grundrechtseinschränkungen – und fehlende Evidenz mancher Maßnahmen, zum anderen, dass sie dennoch von vielen Bürgern und Medien, bis hin zur offenen Anfeindung kritischer Zeitgenossen, verteidigt wurden.Ähnliches erlebt, wer gegenwärtig an die Vorgeschichte des Ukrainekrieges erinnert und die Politik des Westens kritisch befragt. Dabei hatten doch viele Menschen, wie auch Medien und Politik, die militärischen Interventionen im Kosovo, in Libyen oder in Syrien gutgeheißen, weil dort (angeblich) Minderheiten gegen staatliche Repression kämpften. Nun waren die russischsprachigen Bewohner des Donbass seit dem Abkommen von Minsk (2015) in der gleichen Lage und erhofften sich Hilfe von Russland. Viele Menschen hierzulande wissen das bis heute nicht oder stufen es als unbedeutend ein. Wie aber ist das Nichtwissen oder Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen, das Messen mit zweierlei Maß zu deuten, das ja auch ein Zeichen fehlender Reflexion von Denkwidersprüchen ist? Und warum führte bei »Corona« ein allgemeiner Vertrauensverlust in die Politik nicht zu einer realistischeren Abschätzung von Gefahren und Bedrohungen? Woher kommt die Bereitschaft, kaum glaubliche Deutungen auffälliger Phänomene, unrealistische Zukunftsprognosen oder offenbar widersinnige Maßnahmen zu akzeptieren?
Wenn »Entkolonialisierung« in die Logik des Nationalismus mündet
An einem wundersam warmen und klaren Septemberabend habe ich während eines Straßenmusikfestivals den Dreadlocks tragenden Tiroler Musiker Mario Parizek mit entspannter Freude bei einer seiner Aufführungen wahrgenommen. Wie es sich häufig ergibt, wurde ich neugierig, und somit habe ich, wieder nach Hause zurückgekehrt – ich gehöre zu den Retros, die nicht smartphonisiert leben, und dabei sogar außerordentlich zufrieden sind –, in voller Heiterkeit an meinem Schreibtisch nach Mario gegoogelt. Nie hätte ich den Verdacht hegen können, dass ein Auftritt von ihm, ungefähr ein Jahr davor, aufgrund der von ihm, einem weißen Musiker, getragenen Dreadlocks abgesagt worden war, nach Angaben des aufführenden Lokals mit einer finanziellen Entschädigung, da einige auch zum Team des Lokals zugehörigen Personen sich bei einem solchen Auftritt nicht wohl gefühlt hätten. Dabei trägt der Musiker – so seine Erklärung in einem Video – Dreadlocks, seitdem er 13 Jahre alt ist, und dies als Reaktion auf die »rechte« Atmosphäre in dem Tiroler Dorf, in dem er aufwuchs. In anderen Worten, den Kommentar des enttäuschten Musikers zusammenfassend: Von einem »linken« Lokal wird sein Auftritt wegen etwas abgesagt, das eigentlich von einer aufrichtig »linken« Gebärde gegen eine »rechte« Umgebung getragen wurde und weiterhin wird.
Zu Abdel-Hakim Ourghi: ›Die Juden im Koran‹
Diese Rezension hatte ich fast fertig geschrieben, als am Morgen des 7. Oktober – einem Schabbat, an dem das jüdische Fest Simchat Tora (Freude der Tora) gefeiert wurde – die radikal-islamistische Hamas vom Gazastreifen her in den Süden Israels einfiel, über tausend Israelis tötete und über hundert als Geisel nach Gaza verschleppte. Der Anlass ist bedeutend genug. Ich füge meinem Text deshalb nun einige Ergänzungen hinzu, die das Thema von Abdel-Hakim Ourghis Buch über Antisemitismus im Islam unmittelbar betreffen. Während ich dies schreibe, befinden sich Menschen allen Alters – Kinder, Mütter, Jugendliche, Greise – noch in der Gewalt der terroristischen Organisation. Sie sind offensichtlich nicht nur ein Unterpfand für einen eventuellen Austausch mit palästinensischen Gefangenen, sondern in erster Linie menschliche Schutzschilde, um die unausbleiblichen Vergeltungsmaßnahmen durch die israelische Armee zu erschweren. Der Schock ist groß in Israel und weltweit.
Zu Samirah Kenawis Tetralogie: ›Die Quadratur des Geldes‹
Das internationale Geldsystem erzeugt verheerende Krisen. Samirah Kenawi hat in einem vierbändigen Werk die Ursachen ergründet und über Reformmöglichkeiten nachgedacht. An zentralen Stellen kommt sie zu Beobachtungen, die dem sehr ähnlich sind, was Rudolf Steiner vor 100 Jahren zu Geld und Kapital beschrieben hat. Der vorliegende Text vergleicht daher die beiden Ansätze und zeigt, wo sie sich ergänzen oder unterscheiden.
und von den anzulegenden Büchergärten der Zukunft
Das Jahr 2022 markiert eine radikale Zäsur in der Geschichte unserer Schriftkultur. Gewiss hat es im Bereich der geschriebenen Texte immer Erscheinungen der Fälschung, der Lüge, der Blendwerke und der Propaganda oder aber der Dummheit, der Oberflächlichkeit und des Irrtums gegeben. Und gewiss ist ein hoher Prozentsatz geschriebener und gedruckter Texte aus dem einen oder anderen Grunde entbehrlich und muss nicht unbedingt für die Ewigkeit aufbewahrt werden. Doch hat diese von Menschen mit ihren Schwächen, ihren Eitelkeiten und niederen Absichten verfasste Literatur noch immer eines zur gemeinsamen Grundlage, das bis dahin, von ersten Ausnahmen abgesehen, selbstverständlich garantiert war: Sie wurde von Menschen gestaltet. Diese irgendwie noch immer an einer Art von Logos orientierte Schriftkultur hört auf, wenn Texte von Maschinen kombinatorisch nach äußerlich definierten Kriterien und also radikal gedankenlos zusammengefügt werden.
Zu Silke Müller: ›Wir verlieren unsere Kinder‹
Dieses Buch handelt von einer Welt, welche durch die elektronischen Medien und die entsprechenden Empfangsgeräte entstanden ist. Solange die Medien analog waren, haben sie – zumindest überwiegend – über die Welt und die Ereignisse in ihr berichtet. Es kam gelegentlich vor, dass Ereignisse so arrangiert wurden, dass gute Bilder entstanden. Das war aber doch eher die Ausnahme. Für die Inhalte des vorliegenden Buchs gilt ausschließlich: Sie würden gar nicht existieren, gäbe es die durch die elektronischen Medien entstandenen Möglichkeiten und Bedürfnisse nicht. (Wenn ich hier von »Medien« spreche, ist das ein irreführender Notbehelf. Es fehlt ein passendes Wort.)
Zu Gerd Koenen: ›Im Widerschein des Krieges‹*
Jeder Mensch, der heute nicht nur bloß dahinlebt, ist betroffen und belastet durch den Krieg in der Ukraine; als verheerendes Unwetter, als Entsetzen, als dunkles Rätsel hängt er über Europa und der Welt. Dieser Krieg hat inzwischen eine Flut von Büchern hervorgebracht, die ihn erklären, Thesen vertreten, Emotionen und Hass schüren, Friedensappelle an die Welt richten und kluge Diskurse darüber führen, wie es dazu kommen konnte. Kein Buch aber – soweit ich das überblicke – gibt Kunde von einem »Nachdenken über Russland« angesichts eines Krieges, dessen mörderischen Schein uns die Medien zeitnah und unmittelbar ins Haus bringen. Als Widerschein im menschlichen Denken, Betrachten und Beurteilen sich spiegelnd, wird dieser Krieg zwar nicht weniger höllisch, ist aber kein lähmendes Fatum mehr.
Zu Philip Kovce & Birger P. Priddat (Hrsg.): › Selbstverwandlung‹*
Seit einem Vierteljahrhundert wird von Kennern der technischen Entwicklung immer wieder die Sorge geäußert, dass die von uns erschaffenen Technologien uns Menschen abschaffen. Im Frühjahr des Jahres 2000 veröffentlichte Bill Joy, der Mitgründer von Sun-Microsystems, im US-Magazin ›Wired‹ seinen berühmten Aufsatz ›Why The Future Doesn’t Need Us‹, der weltweites Aufsehen erregte. Darin beschrieb er die Entwicklung der verschiedenen neuen Technologien, vor allem der intelligenten Maschinen, und stellte am Ende die Frage, wie groß das Risiko sei, dass wir uns selbst durch diese Technologien ausrotten – es ist sehr hoch.
Erscheinungsformen des Materialismus heute und vor 100 Jahren
Im Mittelpunkt des folgenden Beitrags stehen zwei Vorträge aus dem Zyklus ›Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha‹ (GA 175). Rudolf Steiner hat diese Vorträge am 27. Februar 1917 und am 6. März 1917 in Berlin gehalten. In dem Vortrag vom 27. Februar spricht Steiner am Schluss über den Kinematographen (was wir heute Film nennen). Da heißt es: »Ein besonders hervorragendes Mittel, den Menschen in den Materialismus hinein zu jagen, ist das, was von diesem Gesichtspunkte aus kaum bemerkt wird: der Kinematograph. Es gibt kein besseres Erziehungsmittel zum Materialismus als den Kinematographen.«
Zwischentöne zum Zeitgeschehen
Vor über einem Jahr ist der Krieg mit aller Gewalt über die Ukraine hereingebrochen. Meine Verzweiflung darüber habe ich mir im Sommer 2022 von der Seele geschrieben. Das hat damals einige positive Resonanz bewirkt, da offensichtlich viele Menschen dieselben Fragen in sich bewegten: Wie kann ich für Frieden eintreten und gleichzeitig wollen, dass dieses Land ausreichend militärische Unterstützung bekommen, um nicht unterzugehen? Ein unauflösbares Dilemma, bis heute. Nach dem Artikel wurde ich eingeladen, im ›Forum 3‹ in Stuttgart meine Gedanken zum Thema darzulegen. Der Vortrag fand im Februar 2023 statt, ein halbes Jahr später – und die allgemeine Stimmung hatte sich verändert. Nun bekam ich im Vorfeld der Veranstaltung E-Mails, in denen mir Kriegstreiberei vorgeworfen wurde und ich als »Peinlichkeit« für die anthroposophische Bewegung apostrophiert wurde. Das hat mir zu denken gegeben, in zweierlei Hinsicht: Erstens wurde das Fragezeichen in der Ankündigung einfach ignoriert (»Dienen Waffen dem Frieden?«). Und zweitens hat man mich ziemlich beschimpft – im Namen des Friedens. Wie, so frage ich mich, sollen Kriegsparteien zu einer Lösung kommen, wenn wir uns schon unter Anthroposophen – also Menschen, die sich der Weisheit vom Menschen verpflichtet fühlen! – so unfriedlich begegnen?
Betrachtungen einer Reservatsbewohnerin
Als die Welt noch jünger war – wie lange ist das her? Dieses Gefühl der Unbefangenheit dem Leben gegenüber, erst recht im Bewusstsein. Im Willen, der sich, kaum gefasst, nicht sogleich bedroht fühlte von Platzangst oder Erstickungsempfindung. Vielleicht ist das erst rund 25 Jahre her. Das klingt kurz – oder ein Vierteljahrhundert, das scheint etwas länger, obwohl es sich um denselben Zeitraum handelt, nur die Bezugsgröße ist eine andere. Auf kosmische Zeitverläufe bezogen ein Tropfen im Meer, und doch zugleich wieder im menschlichen Maßstab: Aktuell liegt rund ein Drittel der fünften nachatlantischen Entwicklungsperiode hinter uns. Wie dringend müssten wir uns verjüngen im zwischenmenschlichen Leben? Wie könnte sie aussehen, die Jugendlichkeit der Weisheit? Denn das ist ja die kulturelle Zukünftigkeit. Was hereinkommt ins Leben mit der Geburt und der Gebürtlichkeit, an übersinnlichen Impulsen und Energien, ist das eine – das andere ist die Verfasstheit unserer Zivilisation.
Zu Oliver Nachtwey & Carolin Amlinger: ›Gekränkte Freiheit‹
Das Buch ›Gekränkte Freiheit‹ von Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger erschien im Oktober 2022 im renommierten Suhrkamp Verlag. Zwischenzeitlich hat es dieses Werk auf Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste von DLFKultur, ZDF und ›Zeit‹ geschafft. Sein Thema ist die Herausbildung einer neuen politischen Tendenz: des »libertären Autoritarismus«, den die Autoren auch in anthroposophischen Zusammenhängen verorten. Nachtwey hatte mit einem kleinen Team bereits im Dezember 2020 eine Studie zur ›Politischen Soziologie der Corona-Proteste in Baden-Württemberg‹ vorgelegt, die einige häufig kolportierte Mythen zum Charakter der »Querdenken«-Bewegung widerlegte. So konnte er herausarbeiten, dass die Mitglieder dieser Bewegung tatsächlich eher links orientiert, weiblich, gut ausgebildet, in festen Arbeitsverhältnissen beschäftigt und spirituell aufgeschlossen sind. Die Folgepublikation ›Quellen des Querdenkertums‹ verortete die geistigen Ursprünge dieser Protestbewegung dann unter den Anthroposophen, aber auch im bürgerlichen Milieu, im Alternativmilieu und unter evangelikalen Christen. Dabei wurden überraschenderweise doch stärkere Bezüge zu rechtsextremen Einstellungen und Verschwörungstheorien festgestellt.
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Stimm(ung)en aus Russland im Spätsommer 2022
Dieses Mal ist alles ganz anders: die Vorbereitungen, die Ungewissheit, die Reiseroute und der Verbrauch an Nerven. Ich fahre wieder weit in den Osten an den Baikalsee in Sibirien, der mich schon so viele Jahre begleitet. Nachdem ich das Chaos am Frankfurter Flughafen verlassen habe, verläuft alles ruhig und normal, zuerst nach Istanbul, dann von dort nach St. Petersburg – zu horrendem Preis, wohlgemerkt, da alle Direktflüge sanktioniert wurden. Das herrschaftliche St. Petersburg ist ein sehr beliebtes Touristenziel, und dieses Jahr wird es auch von vielen jungen Menschen besucht, die jetzt nicht ins Ausland reisen oder an einem Kulturaustausch teilnehmen können, was sie zum großen Teil gar nicht verstehen. Hier können sie ihre Sehnsucht nach europäischer Kultur ein wenig stillen.
Anmerkungen zur Schulpflicht in Deutschland
Deutschland ist eines der wenigen europäischen Länder, in denen es eine Schulpflicht gibt, welche die Anwesenheit in einem Schulgebäude zwingend erforderlich macht. Bis zu den Lockdown-Maßnahmen der Jahre 2020/21 war sie derart tief in unserem Selbstverständnis verankert, dass sie so gut wie nie in Frage gestellt wurde – sichert sie doch auch den Besuch der Waldorfschulen und damit indirekt, durch die staatlichen Zuschüsse, deren Bestand. Mit dem ersten Lockdown im März 2020 geschah das bis dahin Unvorstellbare: Die Schulen wurden bundesweit geschlossen, nur in ganz besonderen Ausnahmefällen durften Kinder die Schulgebäude noch betreten. Durch diese für die Familien ganz neue häusliche Lernsituation trat auch eine schon länger bestehende Bewegung stärker ins Bewusstsein: Die Bewegung der Freilerner, die keine Schule im bei uns üblichen Sinne besuchen.
Israel hat (schon wieder) gewählt
»Du nahmst meine Hand in deine und hast zu mir gesagt: / Lass uns in den Garten gehen. / Du nahmst meine Hand in deine und hast zu mir gesagt: / Was man von dort sieht – ist von hier aus nicht zu sehen.« – So lautet die erste Strophe eines in Israel dauerpopulären Songs aus dem Jahr 1979. Die vierte Zeile wurde, zuweilen in ihrer Umkehrung, zum Sprichwort: »Was du von hier aus siehst, ist von dort aus nicht zu sehen.. Mit diesem Satz wird jede Kritik, die vom Ausland an Israel gerichtet wird, abgewiesen. Als Israeli mit europäischem Blickwinkel pendle ich zwischen der ursprünglichen und der umgekehrten Variante. »Hier« und »Dort« spiegeln einander, sind Abbild und Realität zugleich. Die sozio-politischen Entwicklungen in Europa, wie der aufkommende Rechtspopulismus, werden in Israel meist nur unter der Lupe des Antisemitismus wahrgenommen. Man sieht sie dort allzu oft überhaupt nicht, und schon gar nicht so, wie sie von hier gesehen werden. Die Intensität und Lautstärke der Ereignisse dort beeinträchtigen die Ressourcen und Kapazitäten, andere Perspektiven einzunehmen. Man hat genug, nein, viel zu viel mit den eigenen Herausforderungen und ungelösten Problemen zu tun.
Manipulative Medienpädagogik auf dem Vormarsch
Am 5. Juli 2022 stimmte das EU-Parlament dem ›Digital Services Act‹ zu. Die dramatischen Folgen für die Möglichkeiten freier Meinungsbildung und -äußerung habe ich hier bereits aufgezeigt. Die meisten der damit beschlossenen Maßnahmen treffen jegliche Art von »Falschbehauptung« – unabhängig davon, ob sie absichtlich oder unabsichtlich getätigt wurde, und ob sie legal oder illegal ist. Von solchen »Falschbehauptungen« im Allgemeinen unterscheidet die EU-Kommission jedoch gezielte »Desinformationen«. Diese seien Elemente der »hybriden Kriegsführung« seitens Russlands. Mit dieser Argumentation werden NATO, Bundeswehr und Geheimdienste bereits seit 2015 am »Kampf« gegen »Fake-News« beteiligt. Welche Volksmeinungen die Wahrheitskrieger aktuell als das Werk Wladimir Putins verstanden wissen wollen, kann der Datenbank der ›East Strat-Com Task Force‹ entnommen werden.
Ein Beitrag zur Bewusstseinsbildung im Wirtschaftsleben
In der sechsten Seminarbesprechung zum ›National.konomischen Kurs‹ am 5. August 1922 sagte Rudolf Steiner: »Was wird denn das Geld dadurch, daß sich das realisiert, was ich sage? Dadurch wird das Geld nichts anderes als die durch das ganze Wirtschaftsgebiet durchlaufende Buchführung. Sie könnten nämlich, wenn Sie eine Riesenbuchhaltung einführen wollten, die nicht notwendig ist, dieses ganze Hin- und Hergehen des Geldes ganz gut an einer entsprechenden Stelle verbuchen. Dann würden immer die Posten an den entsprechenden Stellen stehen. Was in Wirklichkeit geschieht, ist nämlich nichts anderes, als daß Sie den Posten aus der betreffenden Stelle herausreißen und dem Betreffenden den Schein geben, so daß die Buchhaltung wandert. Das Geld ist in fluktuierendem Sinn eine Buchhaltung.«
Künstliche Intelligenz simuliert menschliche Fähigkeiten immer besser
Die Dinge entwickeln sich mit bedächtiger Schnelle. Zuerst sind sie bloß Science-Fiction: Schriftsteller lassen ihrer Fantasie freien Lauf. Einige Jahre später treten Wissenschaftler auf, die diese Fantasien technisch realisieren wollen, und wieder einige Jahre später scheinen die geschaffenen Geräte das zu können, von dem die Schriftsteller fantasierten. – Als Mitte der 1940er-Jahre die Computer erfunden wurden, sprach man sehr bald von ihnen als den künstlichen Gehirnen. Das Magazin ›Der Spiegel‹ schrieb z.B. 1950 unter dem Titel ›Maschinengehirn. Beängstigend menschlich‹ über die aus heutiger Sicht sehr primitiven Computer. In dem Bericht tauchen Worte auf, wie »Denkmonster«, »Supergehirn«, »Rechenwunder«, »übermenschliche Gehirnarbeit«. Und dann auch Sätze wie: »Tatsächlich aber mußten die Wissenschaftler feststellen, daß im Verhalten der Maschinengehirne beängstigend menschliche Züge hervortreten.« Der Bericht endet mit dem Satz: »Es könnte die Zeit kommen, da diese Supergehirne herrschen. Vielleicht, ohne daß die Menschen es merken.«
Ein Foto steht symbolisch für die türkische Kurdenpolitik
»Wurde je ein Sohn von Ihnen getötet? Lag sein Leichnam tagelang auf der Straße und wurde von hungrigen Hunden zerfetzt? Haben Sie, nachdem Sie die Hoffnung aufgegeben hatten, ihn lebendig wiederzusehen, jahrelang verzweifelt vor den Türen des Staat genannten erbarmungslosen Riesen ausgeharrt, damit er wenigstens ein Grab bekommt? Wurden Ihnen dann mit den Worten: ›Nimm und geh, alles Gute‹, eine Tüte mit Knochen ausgehändigt - die Gebeine Ihres Sohnes? Nein, nichts davon haben Sie erlebt, es hat Sie nicht einmal interessiert. Und falls Sie es doch als verstörende Nachricht gehört haben sollten, haben Sie mit den Schultern gezuckt und gesagt: ›Das sind ja Terroristen, Kurden eben.‹« – Oya Baydar, die Grande Dame der türkischen Literatur, zeigt sich in ihrem Kommentar zu dem Foto, das am 29. August 2022 durch diealternativen und sozialen Medien der Türkei ging, erschüttert, entsetzt aber auch voller Scham ob der eigenen Hilflosigkeit.